Gegen die Strömung (eBook)
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02023-8 (ISBN)
Saeid Fazloula, geboren 1992, ist ein iranischer Kanufahrer. Bei den Olympischen Sommerspielen 2020 nahm er als Vertreter des Flüchtlings-Olympiateams am K-1-1000-Meter-Lauf der Männer teil. Nachdem er einige Drohungen erhalten hatte, beschloss Fazloula 2015, aus seinem Land zu fliehen, um einen sichereren Ort zu finden. Jetzt trainiert und lebt er in Deutschland. Sein Sport, sein Verein, sein Trainer und seine Trainingsgruppe halfen ihm, sich einzuleben und ein neues Leben zu beginnen. Er wird 2024 im Refugee Team an den Olympischen Sommerspielen in Paris teilnehmen.
Saeid Fazloula, geboren 1992, ist ein iranischer Kanufahrer. Bei den Olympischen Sommerspielen 2020 nahm er als Vertreter des Flüchtlings-Olympiateams am K-1-1000-Meter-Lauf der Männer teil. Nachdem er einige Drohungen erhalten hatte, beschloss Fazloula 2015, aus seinem Land zu fliehen, um einen sichereren Ort zu finden. Jetzt trainiert und lebt er in Deutschland. Sein Sport, sein Verein, sein Trainer und seine Trainingsgruppe halfen ihm, sich einzuleben und ein neues Leben zu beginnen. Er wird 2024 im Refugee Team an den Olympischen Sommerspielen in Paris teilnehmen. Taufig Khalil, geboren 1966, ist Sportredakteur beim Bayerischen Rundfunk in München. Er begleitet den FC Bayern München seit Jahren um die Welt und berichtet ansonsten vor allem über Golf und Ski alpin. 2022 war er für die ARD unter anderem bei den Paralympics in Peking.
12. Die Verhaftung
Sportlich lief es in Mailand leider gar nicht. Wegen der starken Ergebnisse im K2 hatte unser Trainer die blöde Idee, dass wir neben dem Zweier auch im Vierer starten sollten. Mein Zweier-Partner, der im K2 vorne saß, war aber nicht so stabil, dass er alle Rennen durchziehen konnte. Dementsprechend schnell waren unsere großen Träume vom A-Finale ausgeträumt. Am Ende reichte es weder im K2 noch im K4 für die Teilnahme am B-Endlauf. Anschließend war die Stimmung im Team schlecht, zumal es immer noch Ärger wegen meiner Interviews gab, in denen ich die Halbierung der Prämien nach den Asian Games scharf kritisiert hatte. Auch in Mailand wären theoretisch wieder Medaillen und somit Prämien möglich gewesen, sodass das Thema bei den Journalisten weiterhin für viel Interesse sorgte, zumal ich meine Klappe immer noch nicht halten konnte beziehungsweise nicht halten wollte.
Noch vor dem Abflug zurück nach Teheran eskalierte das Ganze am Flughafen bei einem furchtbaren Streit mit unserem Präsidenten, in dem ich ihm sagte, dass ich keine Lust mehr habe und aufhören wolle. Das meinte ich in dem Moment durchaus so, denn ich hatte ein Haus, ein Auto und auch genug von Teheran. Ich konnte mir in dem Moment gut vorstellen, wieder mehr Zeit in Bandar Anzali zu verbringen und dort ein entspannteres Leben zu haben.
Einmal so richtig in Fahrt, wollte ich dann gleich noch die fünf fehlenden Münzen von unserem Verbandspräsidenten, die er uns versprochen hatte.
Doch irgendwie konnte oder wollte er sich nicht daran erinnern. Mit so jemandem wollte ich nichts mehr zu tun haben. Wenn mir einer unter vier Augen ein Versprechen gibt und sich anschließend so verhält, ist das alles wertlos.
Bei meiner Rückkehr in Teheran dachte ich aber schon gar nicht mehr an das Theater und freute mich, nach dieser blöden WM wieder zu Hause zu sein. Ich freute mich auf meinen Vater, der ein paar Stunden mit dem Auto gefahren war, um mich abzuholen und nach Bandar Anzali zu bringen.
Nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug ging ich mit meinem Team durch den Tunnel, der es mit dem Terminal verbindet, und wollte wie immer nach links zur Passkontrolle abbiegen. Doch so weit kam ich gar nicht. Oben warteten bereits zwei Männer auf mich und sagten mir, ich müsse ihnen wegen Passproblemen bitte folgen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, weil die beiden recht höflich waren. Hätten sie mich an Ort und Stelle festgenommen, hätte ich vor allen Leuten ein riesiges Drama veranstaltet.
Sie haben mich zu einem Raum geführt, was mich auch noch nicht weiter beunruhigte. Passprobleme konnten vorkommen, und nichts hatte den Eindruck gemacht, es könne größere Schwierigkeiten geben. Dieses Gefühl änderte sich aber ab dem Moment, in dem ich den Raum betrat und die Tür geschlossen wurde. Noch bevor ich richtig kapierte, was gerade passiert, wurde mir ein blickdichter Sack über den Kopf gestülpt. Meine Hände waren zwar nicht gefesselt, aber die Ansage war klar und eindeutig: «Du kriegst Ärger, wenn du die Hände rausnimmst.»
Ich habe das allerdings immer noch nicht ernst genommen und gedacht, bei so etwas wie Versteckte Kamera gelandet zu sein. Ich war mir sicher, dass die mich verarschen wollen. Ich konnte mir auch überhaupt nicht vorstellen, was ich getan haben sollte. Ich habe meinen Mund gehalten und mir gesagt: «Okay, ich bleibe stark.»
Doch je länger die Situation andauerte, desto mehr setzte sich bei mir der Gedanke durch, dass hier was nicht stimmen kann. Als sie mir dann doch irgendwann meine Hände fesselten, wusste ich, dass ich nun in echten Schwierigkeiten war, wobei ich immer noch ganz leise hoffte, dass meine Kumpels dahintersteckten.
Mit Sack über dem Kopf wurde ich einige Flure entlanggeführt. Dazu wurde mir die ganze Zeit von der Seite gedroht: «Wenn du den Mund aufmachst, kriegst du Ärger. Wenn du schreist oder um Hilfe rufst, machen wir dich fertig.» Mir war sowieso klar, dass das sinnlos wäre. Ich war komplett orientierungslos und weiß bis heute nicht, wo sie anschließend mit mir hingefahren sind. Es können ein paar Minuten, aber auch einige Stunden Fahrt gewesen sein. Dort kam dann auch langsam Panik auf, weil ich daran dachte, dass mein Papa auf mich wartete. Er lief ewig über den Flughafen und sprach alle Leute an, die er irgendwie mit meinem Team in Verbindung gebracht hat. «Wir wissen nichts. Saeid ist mit uns angekommen, aber irgendwann war er verschwunden. Wir wissen nicht, wo er ist», war die immer gleiche Antwort. Alle wussten, dass ich mitgeflogen bin, aber nicht, was mir nach der Ankunft passiert ist.
Ich bin irgendwann mit meinen Bewachern in einem Gebäude angekommen. Ich weiß nicht, ob es echt war oder aus dem Lautsprecher kam, aber dort war zu hören, wie Leute schrien, geschlagen und auch ausgepeitscht wurden. Eigentlich kann ich unterscheiden, ob jemand neben mir in echt schreit, aber nicht, wenn es aus irgendwelchen geschlossenen Räumen kommt. Es kann echt gewesen sein, aber auch inszeniert, um mir Angst zu machen. Im Iran ist leider vieles möglich.
Irgendwann wurde ich dann in einen Raum geführt, in dem ich mich auf einen Stuhl direkt vor eine nackte Wand setzen musste. Dort haben sie mir zum ersten Mal den Sack vom Kopf gezogen. Meine Hände blieben weiterhin hinter dem Rücken gefesselt. Ich weiß nicht sicher, wie viele Personen bei mir waren, aber ich glaube, es waren drei, die mir klar gesagt haben, dass ich nur zur Wand schauen darf. «Wenn du dich umdrehst, bekommst du Ärger», war die deutliche Warnung, nach der mir klar war, dass ich im Arsch bin, wenn ich mich umdrehe und ihre Gesichter sehe.
Ich war nun sicher, dass das kein Spaß war und irgendwas passiert sein musste. Irgendwann kam jemand und hat mich übel beschimpft: «Was hast du für eine Kacke gegessen?» – so redet man im Iran –, «du hast deine Religion gewechselt!»
«Weißt du, was dich für eine Strafe erwartet?», fragte einer der Männer und zeigte mir Fotos von mir vor dem Mailänder Dom. «Oh scheiße», schoss es mir durch den Kopf, und ich erinnerte mich an die Bilder im und vor dem Mailänder Dom. Endlich wusste ich, was sie wollten, auch wenn es total bescheuert war, denn es war überhaupt nichts passiert. Vor einem Rennen gehen alle mal in die Innenstadt. Wir sind extra von unserem Quartier, das außerhalb lag, mit der U-Bahn zum Piazza del Duomo, dem zentralen Platz im Mailänder Zentrum, gefahren. Völlig normal. Da gibt es Geschäfte, Restaurants, Eisdielen und Sehenswürdigkeiten. Man will doch auch mal was sehen, wenn man in so einer großartigen Stadt ist. Wir waren mit vier Personen aus meinem Team unterwegs. Scheinbar hatte uns dieses Arschloch von Aufpasser irgendwie verfolgt. Mir war das gar nicht bewusst. Vielleicht habe ich ihn auch irgendwann gesehen und darüber gelacht. Der war mir völlig egal, weil ich weder Alkohol trinken noch mit fremden Frauen sprechen wollte. Der Typ hat mich null interessiert, weil ich nie im Leben darauf gekommen wäre, etwas Unrechtes getan zu haben. Er hat uns dann wohl rund um den Dom fotografiert. Die Fotos haben sie mir gezeigt, als ich gefragt habe, wie sie darauf kommen, dass ich meine Religion gewechselt hätte. «Hier, das ist der Grund», hieß es dann, als sie mir zeigten, wie ich vor dem Dom gestanden und ein Selfie gemacht habe. «Welcher Moslem geht zu einer Kirche? Warum machst du extra ein Foto? Sightseeing? Warum gehst du nicht woandershin? Warum gehst du nicht zur Moschee?» Da hatten sie eigentlich recht, nur dass kein Mensch die Mailänder Moschee fotografieren würde, aber jeder den Dom. Was wir gemacht haben, war harmlos und nichts anderes als bei zigtausend Touristen jeden Tag. Nachdem wir den Dom besichtigt hatten, saßen wir noch auf dem Platz vor der Kathedrale und hatten Tauben auf der Hand.
Am Ende sprachen die Fakten trotz allem gegen mich. Ich war in einer christlichen Kirche gewesen. Letztlich konnten sie daraus konstruieren, was sie wollten, und haben das auch gemacht.
Im Nachhinein ist mir bewusst geworden, dass sie von mir jedes Geständnis bekommen hätten, wenn sie das wirklich gewollt hätten. Wenn sie mir zweimal Elektroschocks verpasst hätten, hätte ich gleich zweimal gesagt: «Ja, ich bin zum Christentum konvertiert.» Ich hätte Folterungen nie durchgehalten. Zum Glück ist es nicht so weit gekommen. Mir war völlig bewusst, in welcher Gefahr ich schwebte. Auf den Wechsel der Religion, also wenn man vom Islam zum Christentum konvertiert, steht im Iran die Todesstrafe. Andersrum bist du allerdings ein Held. Wenn du vom Christen zum Moslem wirst, ist alles super. Ich weiß nicht, ob das alles wahr gewesen ist und sie wirklich geglaubt haben, ich sei nun plötzlich Christ. Vielleicht hatte die ganze Aktion auch mit meinen Interviews und meinem Streit am Flughafen zu tun. Das ist etwas, was mir mein Papa später mal gesagt hat. Ich hatte mit meiner Kritik wohl eine Menge Leute verärgert. Doch daran habe ich in diesem Moment gar nicht mehr gedacht, weil der Vorwurf, die Religion gewechselt zu haben, so massiv, wenn auch völlig absurd war.
Für die anderen aus meinem Team, die mit am Dom gewesen sind, hat sich niemand interessiert. Die hatten ja auch keinen Ärger mit dem Verband beziehungsweise lieber ihre Klappe gehalten, wenn sie unzufrieden waren.
Doch daran denkt man nicht in so einem Moment. Da fragst du dich nur in Panik: «Okay, wie komme ich aus dieser Scheiße bloß wieder raus?»
Auch wenn sie mich nicht gefoltert haben, war das psychischer Terror.
Du wirst tagelang...
Erscheint lt. Verlag | 18.6.2024 |
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Co-Autor | Taufig Khalil |
Zusatzinfo | 23 4-farb. Fotos |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Autobiografie Sportler • Balkanroute • Biografie • biografie buch • Biographie • Buch Flucht • buch sport • Elnas Rekabi • Flucht • Flüchtlingsbiografie • geflüchtete Sportler • Gesellschaft • IOC • Iran • Kanu • Kanurennsport • Kanut • Memoir • Migration • Migrationsgeschichte • Olympia • Olympia 2024 • Olympiateilnehmer • Olympische Sommerspiele • Profisportler • Rheinbrüder • Sachbuch Gesellschaft • sachbuch politik • Solidarität • Tokio • Umgang mit Depression • Wassersport |
ISBN-10 | 3-644-02023-X / 364402023X |
ISBN-13 | 978-3-644-02023-8 / 9783644020238 |
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