Europas eigener Weg -  Gret Haller

Europas eigener Weg (eBook)

Politische Kultur in der Europäischen Union

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Rotpunktverlag
978-3-03973-034-6 (ISBN)
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Mit viel Erfahrung und analytischem Blick setzt sich Gret Haller mit einem politischen Gebilde auseinander, das heute 27 ganz unterschiedliche Mitgliedstaaten zählt und 448,4 Millionen Menschen zusammenführt: der Europäischen Union. Nach den Schrecken der beiden Weltkriege verzichteten sechs Staaten auf einen Teil der nationalen Souveränität und gründeten 1951 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Deren wichtigstes Anliegen war Kriegsvermeidung. Damit war der Grundstein für ein bislang einmaliges transnationales Gemeinwesen gelegt. Hallers Augenmerk liegt auf dem institutionellen und menschlichen Geflecht dieser heterogenen Union. »Wenn es eine politische Kultur der Union gibt, so besteht sie eher in der Art und Weise, wie sich die verschiedenen politischen Kulturen der Mitgliedstaaten aufeinander beziehen, sich gegenseitig beeinflussen und dennoch ihre Unterschiedlichkeit beibehalten.« In der Wahrung und Akzeptanz der Andersartigkeit sieht sie die Chance für Verständigung. Angesichts erstarkender totalitärer Systeme, aber auch der EU-feindlichen Strömungen innerhalb Europas ist dieses Buch ein Beitrag zur Rückbesinnung auf die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundwerte sowie auf die Friedensinitiative, die die Europäische Union begründete.

Gret Haller, geboren 1947, ist promovierte Juristin und Anwältin, ehemalige Politikerin und Diplomatin sowie Gastwissenschaftlerin zunächst an der Goethe-Universität in Frankfurt a. M., heute an der Universität Konstanz. Ihr politischer Weg führte sie in den achtziger Jahren von der Berner Stadtregierung in den Nationalrat, dessen Präsidentin sie 1993/94 war. Nach ihrer Tätigkeit als Botschafterin der Schweiz beim Europarat wirkte sie von 1996 bis 2000 im Auftrag der OSZE als Ombudsfrau für Menschenrechte in Bosnien und Herzegowina. 2006 bis 2013 war sie Mitglied der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht des Europarats.

Gret Haller, geboren 1947, ist promovierte Juristin und Anwältin, ehemalige Politikerin und Diplomatin sowie Gastwissenschaftlerin zunächst an der Goethe-Universität in Frankfurt a. M., heute an der Universität Konstanz. Ihr politischer Weg führte sie in den achtziger Jahren von der Berner Stadtregierung in den Nationalrat, dessen Präsidentin sie 1993/94 war. Nach ihrer Tätigkeit als Botschafterin der Schweiz beim Europarat wirkte sie von 1996 bis 2000 im Auftrag der OSZE als Ombudsfrau für Menschenrechte in Bosnien und Herzegowina. 2006 bis 2013 war sie Mitglied der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht des Europarats.

1 Historische Entwicklung


Mit dem Entstehen der Europäischen Union kam nach dem Zweiten Weltkrieg eine Bewegung in Gang, die weltweit einmalig ist. Sechs europäische Staaten gründeten 1951 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und schufen für diese beiden kriegswichtigen Güter einen Binnenmarkt unter der Aufsicht einer supranationalen Behörde. Grundlage dazu war der am 9. Mai 1950 proklamierte Schuman-Plan des französischen Außenministers Robert Schuman. Der Plan war maßgeblich von Jean Monnet erarbeitet worden, damals Generalkommissar für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Frankreichs nach dem Krieg. Monnet wurde auch zum ersten Präsidenten der sogenannten Hohen Behörde der EGKS.1

Mit dieser Gründung kam ein transnationales Gemeinwesen erstmals in einem Modus zustande, der bislang unbekannt war. Das Neue war der freiwillige Verzicht auf Teile der nationalen Souveränität. Er ist nur angesichts des unermesslichen Leids zu verstehen, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch zwei Weltkriege und den Holocaust über Europa kam. Vor der Einsicht, dass dieses Geschehen auf ein uneingeschränktes Verständnis von nationaler Souveränität zurückzuführen war, konnte niemand die Augen verschließen. Kriegsvermeidung war das auch äußerlich sichtbar wichtigste Anliegen bei der Gründung der EGKS. Nur dieses rechtfertigte die Schaffung der neuen Behörde mit supranationalen Kompetenzen.

Supranationalität kennzeichnete auch die europäischen Organisationen, die 1957 neben die EGKS traten, die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Diese drei Organisationen wurden 1965 zur Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammengeführt. 1992 erfolgte dann die Gründung der Europäischen Union, die der bisherigen wirtschaftlich ausgerichteten EWG/EG deutlich politische Elemente hinzufügte. Mit dem 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon wurden die verschiedenen Vorgängerorganisationen schließlich zur Europäischen Union (EU) mit eigener Rechtspersönlichkeit vereinigt. Vorangegangen waren nach den Römer Gründungsverträgen von 1957 die Einheitliche Europäische Akte von 1986 sowie die Verträge von Maastricht 1992, von Amsterdam 1997 und von Nizza 2001. Nachdem der Verfassungsvertrag aufgrund von Referenden in Frankreich und in den Niederlanden gescheitert war, fanden viele der dort vorgesehenen Neuerungen Eingang in den Vertrag von Lissabon.

In allen Entwicklungsschritten folgte die europäische Integration immer einer Kombination des supranationalen mit dem intergouvernementalen Ansatz. Während supranational bedeutet, dass die Hoheitsgewalt auf eine übernationale Ebene übertragen wird, belässt das intergouvernementale Vorgehen die Souveränität bei den Staaten, verbindet sie aber transnational, sodass sich die verschiedenen Regierungsvertreterinnen und -vertreter einigen müssen. Der Europäische Rat (ER), in dem die Staats- und Regierungschefs eine Art Präsidium wahrnehmen, folgt klar der intergouvernementalen Methode. Diese Kombination supranationaler und intergouvernementaler Elemente macht das europäische Gemeinwesen zu etwas Neuem, für das es bis anhin keine Vorbilder gibt.2

Europäische Union und Staatlichkeit


Bei der Gründung der EGKS war eine Art partieller Bundesstaat geplant, eingeschränkt auf die hoheitliche Verfügungsgewalt über die beiden kriegsnotwendigen Güter. Ob die EU zu einem Bundesstaat oder nur zu einem Staatenbund werden solle, wurde vor allem im deutschsprachigen Raum diskutiert. Daran wurde die Verengung der Sicht auf das deutsche Staats- und Verfassungsrecht kritisiert. Ins Spiel brachte man auch die Bezeichnung Bund. Gegen diese Wortwahl trat von zwei entgegengesetzten Seiten Widerspruch auf den Plan. Die einen sahen in ihr »zu viel Europa«, weil sie bereits in Richtung Bundesstaat führe. Die andern befürchteten einen Rückschritt der europäischen Integration, weil die Wortwahl an den Bund der Vaterländer erinnere, also an einen Staatenbund. Im französischen Sprachraum kam die Théorie de la Fédération auf. Schon Robert Schuman hatte das vorgeschlagene Integrationsprojekt in seinen ersten Entwürfen als »Fédération« bezeichnet, hatte dann aber auf diesen Begriff verzichtet, weil er Assoziationen an eine Staatsgründung hätte auslösen können. Im Anschluss an ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts wird heute im deutschsprachigen Raum für die Union oft der Begriff des »Verbundes« verwendet, auch weil damit verschiedene Wortkombinationen möglich werden, Staatenverbund, Verfassungsverbund oder Verwaltungsverbund, um nur einige zu nennen.3

Wenn die Frage nach der Staatlichkeit der Union immer wieder gestellt worden ist, so liegt das auch am Staatsbegriff an sich. In demokratischen Rechtsstaaten geht Recht aus Politik hervor, und politische Verfahren folgen klaren rechtlichen Regeln, sodass sich Recht und Politik gegenseitig bedingen. Dieser gegenseitige Bezug überschreitet in der Europäischen Union nun den nur staatlichen Rahmen. Das stellt neue Anforderungen an Recht und Politik jenseits einer traditionellen Staatlichkeit. In der Praxis wird die Entstehung von Recht damit transnational, und es ergibt sich eine neue Kategorie, die des Europarechts. Dieses unterscheidet sich vom traditionellen Völkerrecht, indem es über supranationale Qualität verfügt.

Inzwischen scheint sich die Ansicht mehrheitlich durchgesetzt zu haben, dass die EU nicht nur kein Staat ist, sondern auch nicht zu einem werden soll. Eine neuere französische Publikation wählt eine klare Zuordnung, indem sie im Rahmen der Union den Begriff État dem Staat vorbehält, der durch den Beitritt zur Europäischen Union vom souveränen Staat im traditionellen nationalstaatlichen Sinne zum EU-Mitgliedstaat wird. Das kleingeschriebene état bezeichnet demgegenüber den Zustand der Union im Sinne ihrer Verfasstheit. Die EU selbst wird als Fédération bezeichnet; darauf kommt das dritte Kapitel zurück.4

Die Kontroverse »mehr oder weniger Europa« kann längst nicht mehr auf die Frage Staatenbund oder Bundesstaat zurückgeführt werden, was eine Polarität nur zwischen den Mitgliedstaaten und der Union voraussetzt. In einer hier nur sinnbildlich verwendeten Darstellung, in der das Kräfteverhältnis zwischen der Union und den Mitgliedstaaten auf einer Achse liegt, ist diese Achse längst zu einer Seite eines Dreiecks geworden, deren gegenüberliegende Ecke vom Individuum bestimmt wird.

Zwar hatte Jean Monnet zur Erläuterung des Schuman-Planes 1952 präzisiert, es gehe darum, Menschen und nicht Staaten zusammenzuführen. Dennoch stand bei der Gründung der EGKS nicht das Individuum im Vordergrund, sondern nationale Interessen wirtschaftlicher und friedenspolitischer Natur. Die erste Aufwertung des Einzelnen begann durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) schon 1963 und wurde durch die Idee des Binnenmarkts verstärkt, die sich in den achtziger Jahren konkretisierte. Dadurch wurde das Individuum mit Befugnissen ausgestattet, die es zum eigentlichen Akteur der europäischen Integration werden ließen. Darauf wird im dritten Kapitel eingegangen. Über die wirtschaftlichen Grundfreiheiten hinaus fanden die Rechte des Individuums 1992 ihren Niederschlag formell in der Unionsbürgerschaft, die neben die Staatsbürgerschaft tritt, diese aber nicht ersetzt.5

Sogar die Formulierung »immer engere Verbindung der Völker« gemäß Präambel des EU-Vertrags kann heute dahingehend verstanden werden, dass sie sich nicht vor allem auf die institutionelle Entwicklung der Union bezieht, sondern auf eine Stärkung der europäischen politischen Identität des Individuums, die neben seine nationale politische Identität tritt. Interessant ist diesbezüglich die Veränderung in der Definition des Europäischen Parlaments (EP) durch Artikel 14 Absatz 2 des heute geltenden Vertrags von Lissabon. Während zuvor gemäß Artikel 189 des EG-Vertrags noch von einer Vertretung »der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten« die Rede war, gilt das Parlament nun als Vertretung »der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger«.6

Im Hinblick auf die politische Kultur in der Union ist es durchaus sinnvoll, vom Individuum auszugehen. In der einzelnen Person kommen die verschiedenen Aspekte zusammen, die sich aus der politischen Identität auf den verschiedenen Ebenen ableiten und die individuell unterschiedlich gewichtet werden. Darauf wird im zweiten Kapitel auch aus anthropologischer Sicht näher eingegangen. Zuvor stellt sich aber die Frage, welcher Form von Institutionen diese Identität überhaupt gilt.

Staat und Nation


Die Europäische Union ist ein Gemeinwesen ohne...

Erscheint lt. Verlag 22.4.2024
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bürgersouveränität • Demokratie • demokratische Werte • Deutschland • EU • EU-Bürger • EuGH • EU-Mitglieder • Europa • Europäische Integration • Europäische Komission • Europäischer Gerichtshof • Europäischer Rat • Europäisches Parlament • Europäische Union • Europawahl • Föderation • Frankreich • Französische Revolution • Freiheit • Frieden • Friedenspolitik • Grundwerte • Hoffnung • Identiät • Krieg • kriegsvermeidung • Kultur • Mitgliedstaaten • Ost-West-Konflikte • Politische Kultur • politische Verständigung • Rechtsstaatlichkeit • Souveränität • Wahlen Europa • Wie weiter • Zukunft
ISBN-10 3-03973-034-7 / 3039730347
ISBN-13 978-3-03973-034-6 / 9783039730346
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