Unterstützte Kommunikation in der Sprachtherapie (eBook)
156 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61739-5 (ISBN)
Hildegard Kaiser-Mantel ist akademische Sprachtherapeutin mit eigener Praxis in Großhesselohe bei München.
Hildegard Kaiser-Mantel ist akademische Sprachtherapeutin mit eigener Praxis in Großhesselohe bei München.
3 Kommunikationsformen
Überblick über Kommunikationsformen
Die Formen Unterstützter Kommunikation lassen sich in zwei Kategorien aufteilen:
■ körpereigene Kommunikationsformen, die vom Benutzer selbst produziert werden (Abb. 2),
■ Kommunikationsformen, die auf Hilfsmittel von außen angewiesen sind (Abb. 3).
Abb. 2: Körpereigene Kommunikationsformen
Abb. 3: Körperfremde und hilfsmittelgestützte Kommunikationsformen
3.1 Körpereigene Kommunikationsformen
Spektrum der körpereigenen Kommunikationsformen
Zu den körpereigenen Kommunikationsformen gehören alle Ausdrucksformen, die ausschließlich mit Hilfe des eigenen Körpers willkürlich und unwillkürlich vollzogen werden. Hierzu zählen:
■ Atemrhythmus,
■ vegetative Zeichen, wie Hautveränderung, Aussenden von Geruchsstoffen, Temperaturveränderungen,
■ Vokalisierungen, wie Schreien, Lautieren,
■ Körperspannung und Körperhaltung,
■ Gestik und Mimik,
■ zielgerichtete, unwillkürliche Bewegungen,
■ stereotypes Verhalten.
bedeutungstragende Ausdrucksform
Eine Bewegung, ein Handzeichen oder eine Gebärde kann für jeden Menschen eine bedeutungstragende Ausdrucksform darstellen. Oftmals ist es z. B. die Haltung des Körpers, die Auskunft über den wirklichen Inhalt der Mitteilung gibt.
intuitiver Einsatz
Mimik und Gestik in individueller Ausprägung werden intuitiv eingesetzt und von den jeweiligen Gesprächspartnern oft nur unbewusst wahrgenommen. Sie begleiten in der Regel eine lautsprachliche Aussage. Der Einsatz körpereigener Kommunikationsformen ist demnach keine Methode, die speziell von Menschen mit Behinderungen genutzt wird. Im Gegenteil: Der Einsatz nonverbaler Kommunikationsformen ist ein Bestandteil der natürlichen Kommunikation aller Menschen.
Basale Stimulation, basale Kommunikation
Zunächst sollen ganzheitliche und heilpädagogische Behandlungskonzepte, wie die Basale Stimulation (Fröhlich / Simon 2008) und Basale Kommunikation (Mall 2008), überblicksmäßig beschrieben werden. Diese Ansätze liefern aufgrund ihrer basalen, grundlegenden und voraussetzungslosen Ausdrucksvarianten viele Möglichkeiten im Umgang mit Kindern mit komplexen Erscheinungsbildern.
Körpereigene Kommunikationsformen erhalten als Reaktionen dann Signalcharakter, wenn der nicht beeinträchtigte Partner diese Verhaltensweisen als ganzheitlich, kommunikativ und sinnhaftig wahrnimmt und interpretiert (Abb. 4).
Definition
Basale Stimulation versteht sich als pädagogisches Konzept und nicht als therapeutische Technik. Im Vordergrund steht der Aufbau einer gemeinsamen Beziehung und das wechselseitige sich Einlassen der Kommunikationspartner aufeinander mittels der körperlichen Begegnung durch die Anregung primärer Körper- und Bewegungserfahrungen mit einfachsten Mitteln (Fröhlich / Simon 2008).
Definition
Mit der Basalen Kommunikation erweitert Mall (2008) das Konzept von Fröhlich / Simon und stellt den Aspekt der Kommunikation in den Vordergrund. Alle körperlichen Verhaltensweisen werden von Mall grundsätzlich als Ausdrucksverhalten verstanden, auf das wiederum mit passendem körperlichem Verhalten sinnlich wahrnehmbar geantwortet werden soll.
Abb. 4: Der Kreislauf primärer Kommunikation (Mall 2008, 39)
Kommunikation als Begegnungsgestaltung
Kommunikation als Begegnungsgestaltung bietet viele Ansatzpunkte für die Arbeit mit Kindern mit komplexen Erscheinungsbildern, da hier zunächst das kindliche Tun als Ausgangsbasis für Kommunikation gesehen wird, und sich das Angebot des Kommunikationspartners sehr feinfühlig darauf bezieht. Ziel ist es, auch nur kleinste Signale des Kindes abzuwarten und wahrzunehmen. Der Kommunikationspartner reagiert darauf angemessen, er greift die sichtbaren Zeichen auf, spiegelt und variiert diese.
Weiterbildung Basale Stimulation
Die beschriebenen Ansätze sind wertvoll und wichtig, aber auch umfangreich, so dass der interessierte Leser auf entsprechende Literatur und vor allem Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten hingewiesen werden soll. Eine qualifizierte Ausbildung ist Voraussetzung dafür, ein hohes Maß an Toleranz, Kontinuität und Geduld zu entwickeln, damit Reaktionen abgewartet und Zustimmung bzw. Ablehnungen von Angeboten erkannt werden können.
Fröhlich, A., Simon, A. (2008): Gemeinsamkeiten entdecken. Mit schwerbehinderten Kindern kommunizieren. Verlag selbstbestimmtes Lernen, Düsseldorf
Bienstein, C., Fröhlich, A. (2010): Basale Stimulation in der Pflege. Die Grundlagen. Huber, Bern
Mall, W. (2008): Kommunikation mit schwer geistig behinderten Menschen. 6. A. Edition Schindele, Heidelberg
Hilfreiche Verbände, welche auch Weiterbildungen zum Thema Basale Stimulation und Basale Kommunikation anbieten, sind:.
Stiftung Leben pur: www.stiftung-leben-pur.de
Internationaler Förderverein Basaler Stimulation e. V.: www.basale-stimulation.de
Konzept von Winfried Mall:
Handzeichen
Handzeichen sind ein wichtiger Bestandteil der nonverbalen, körpereigenen Kommunikationsformen und haben sich im Bereich der Unterstützten Kommunikation fest etabliert.
Definitionen
Gesten sind alle Bewegungen des Körpers, die das Gespräch spontan begleiten. Hände und Arme bewegen sich beim Sprechen, aber auch Kopfbewegungen wie Nicken und Kopfschütteln gehören zur Gestik und stellen gleichsam die „Begleitmusik“ beim Sprechen dar. Gesten sind ganzheitlich, transportieren Bedeutung, sind in ihrer Bedeutung kontextgebunden und somit auf das Hier und Jetzt angewiesen (www.gesellschaft-uk.org/ueber-uk/lexikon-der-uk.html, 05.01.2023).
Gebärden sind Bewegungen des Körpers, vorwiegend ausgeführt mit den Händen, denen eine feste sprachliche Bedeutung zugeordnet ist. Diese konventionellen, nach linguistischen Regeln gebildeten körpereigenen Zeichen repräsentieren Laute, Buchstaben, Wörter und ganze Phrasen (www.gesellschaft-uk.org/ueber-uk/lexikon-der-uk.html, 05.01.2023).
Manualsysteme sind künstlich geschaffene Handzeichensysteme, um Laut- oder Schriftsprache auf Laut- bzw. Buchstabenebene zu visualisieren (www.gesellschaft-uk.org/ueber-uk/lexikon-der-uk.html, 05.01.2023).
Handzeichen als übergeordneter Begriff
Im Folgenden wird der Terminus Handzeichen als übergeordneter Begriff verwendet, um der Geste, den Gebärden und den Manualsystemen eine gleichwertige Bedeutung zuzuschreiben.
Der Einsatz von Handzeichen kann unterstützend, ergänzend und anbahnend den Lautspracherwerb auf allen linguistischen Ebenen fördern (Appelbaum 2016). Die Übergänge zwischen den Funktionsbereichen sind fließend, und erst mit dem Gebrauch der Handzeichen wird sich die unterschiedliche Funktion entwickeln.
Visuelle Handzeichen
Gebärdensprachsysteme
Folgende Gebärdensprachsysteme existieren in Deutschland (Appelbaum 2016):
1. Deutsche Gebärdensprache (DGS): Die DGS als sog. Muttersprache der Gehörlosen stellt ein eigenständiges, linguistisches System dar. Sie entspricht grammatikalisch nicht dem Aufbau und der Satzstruktur der Lautsprache im Deutschen, da durchschnittlich zwei Informationen pro Zeichen ausgedrückt werden. Die Kommunikationsgeschwindigkeit ist der der Lautsprache sehr ähnlich. Durch Hand- und Mundbewegungen nahezu ohne Stimmeinsatz und entsprechender Mimik entsteht ein Gesamteindruck.
Beispiele für Gebärdensammlungen der DGS:
■ „Das große elektronische Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache“ von Kestner (2017, Version 3) umfasst 19.000 Wörter mit Gebärdenvideos. Mit der Einführung einer Hochsprache wird versucht, eine Einheitlichkeit innerhalb der Deutschen Gebärdensprache zu erzielen. CD-ROMs, Downloads und Apps für verschiedene Betriebssysteme sind zu beziehen unter www.kestner.de.
■ Das Gebärdenprogramm SIGNdigital als online Anwendung (www.sign-digital.de) kombiniert Gebärdenzeichnungen, Symbole (METACOM - siehe hierzu Kap.3.2) und Gebärdenvideos. Eigene Lernlisten und Druckvorlagen können erstellt werden. Derzeit ist es möglich, aus ca. 1000 Begriffen auszuwählen. Die SIGN Materialien gibt es ergänzend als Box, als Tafel und auch als Poster oder Einzelkarten im www.sign.shop-hho.de.
■ Kostenlose Zugriffe auf DGS-Gebärden findet man unter: www.sign-lang.uni-hamburg.de/alex/index.html, www.spreadthesign.com/de/, www.gebaerdenlernen.de, www.signdict.org.
Die Deutsche Gebärdensprache stellt mit ihrem unendlichen Wortschatz eine gleichberechtigte Sprach- und Kommunikationsmöglichkeit für Menschen dar, die aufgrund einer Sinnesbeeinträchtigung nicht oder nur unzureichend über Lautsprache verfügen.
DGS als Grundlage für Gebärdenauswahl
Die Gebärden der DGS sollten demnach als...
Erscheint lt. Verlag | 4.9.2023 |
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Reihe/Serie | Praxis der Sprachtherapie und Sprachheilpädagogik |
Zusatzinfo | 46 Abb. 3 Tab. |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sonder-, Heil- und Förderpädagogik |
Schlagworte | Autismus-Spektrum-Störung • basale Kommunikationsfähigkeit • Diagnostik • hilfsmittelgestützte Kommunikationsform • Kommunikation • Kommunikationsformen • Kommunikationspartner • Körpereigene Kommunikationsform • körperfremde Kommunikationsform • Lautsprache • McGinnis Methode • Methoden • Mildred A. McGinnis • multimodale Kommunikation • Praxisbuch • Schriftsprache • Sprachentwicklungsstörung • Sprachlernbeginn • Sprachspezifische Verfahren • sprach-therapeutische Arbeit mit Kindern • Sprachtherapie • Therapieverfahren PROMPT • Verbale Entwicklungsdyspraxie-intensiv-Therapie (VEDiT) • Vokabularauswahl |
ISBN-10 | 3-497-61739-3 / 3497617393 |
ISBN-13 | 978-3-497-61739-5 / 9783497617395 |
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