Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen -

Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen (eBook)

Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
232 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-036658-9 (ISBN)
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Violence in its various forms is a concern for social work in all fields of action. Professionals have a particular responsibility when the violence arises in the context of a structural power relationship, as when it is exercised against children in families, in couple relationships or in institutions. The book brings together current knowledge about this violence: It clarifies terminology and provides an overview of the manifestations, prevalence, consequences, sources and conducive conditions as well as the legal aspects of violence. With reference to the three contexts, the particular dynamics of violence are analyzed and conclusions for prevention and intervention are drawn. The textbook thus provides the basic knowledge about violence in dependency relationships and offers impulses for practice at the same time.

Dr. Claudia Bundschuh ist Professorin für Pädagogik des Kindes- und Jugendalters an der HS Niederrhein, Mönchengladbach. Dr. Sandra Glammeier ist dort Professorin für Heil- und Inklusionspädagogik in der Sozialen Arbeit.

Dr. Claudia Bundschuh ist Professorin für Pädagogik des Kindes- und Jugendalters an der HS Niederrhein, Mönchengladbach. Dr. Sandra Glammeier ist dort Professorin für Heil- und Inklusionspädagogik in der Sozialen Arbeit.

Zu diesem Buch


Die Wahrung der physischen und psychischen Integrität ist eine der zentralen Voraussetzungen für ein gutes Leben. Dass Menschen grundlegende und umfassende Anerkennung erfahren, stellt eine wichtige Basis für das menschliche Wohlergehen und die gelingende Lebensgestaltung dar. Anerkennung im Sinne Honneths (1994) bedeutet, dass Menschen Empathie und Zuneigung empfangen und in ihren Bedürfnissen anerkannt sowie als (Rechts-)‌Subjekte geachtet und in ihren Eigenschaften und Fähigkeiten wertgeschätzt werden und Zugehörigkeit erfahren. Erleben sie stattdessen Missachtung, Ausgrenzung und Gewalt kann dies mit einem Verlust an Selbst- und Weltvertrauen, an Selbstachtung und Selbstwertschätzung einhergehen und damit zu gravierenden Einschränkungen in ihrer Lebensgestaltung bis zu hin zu einer kaum gelingenden Alltagsbewältigung führen.

Insbesondere personale körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt können sich zerstörerisch auswirken. Sie bedeuten nicht nur eine Verletzung der menschlichen Grundbedürfnisse, sondern auch einen Kontrollverlust über den eigenen Körper und die Psyche, einen Verlust am Sicherheitsempfinden und Zuversicht. Solche Erfahrungen konfrontieren Menschen mit ihrer Verletzbarkeit und mit einer grundlegenden Unsicherheit der Welt.

Erfahren Dritte von Gewalt, gibt es keine neutralen Positionen. Betrachten wir den Schutz der physischen und psychischen Unversehrtheit als Menschenrecht, so erfordert Gewalt immer eine ethische Haltung im Sinne der Solidarität und Parteilichkeit mit den Betroffenen. Der Versuch, ›sich herauszuhalten‹ bzw. sich neutral zu verhalten, bedeutet de facto eine Positionierung zugunsten der Gewalttätigen.

Um die Gewalt beenden und verarbeiten zu können, sind Betroffene auf die Intervention, Wieder-Anerkennung, Hilfe und Unterstützung durch Dritte angewiesen. Allzu oft wird die Gewalt aber als solche von Dritten lieber ›übersehen‹, beschönigt, verleugnet oder vertuscht. Für die Gewaltbetroffenen geht damit eine erneute Missachtung einher, die teilweise genauso belastend oder noch zerstörerischer wirken kann als die Gewalt selbst. Hier sind alle Menschen in ihrer Solidarität gefordert, ganz besonders aber die Fachkräfte in sozialen Berufen.

In pädagogischen, sozialarbeiterischen, pflegerischen und therapeutischen Berufen sind Fachkräfte vergleichsweise häufig mit Gewaltbetroffenen und mit Gewalttätigen in Kontakt. Oft geschieht dies unwissentlich, weil die erlebte oder ausgeübte Gewalt nur verhältnismäßig selten offen kommuniziert wird. Selbst wenn Fachkräfte in ihrem Arbeitsfeld bisher noch nie direkt auf das Problem angesprochen worden sind, können sie sich allein aufgrund der Prävalenzen von Gewalt und damit der statistischen Wahrscheinlichkeit sicher sein, dass betroffene und gewaltausübende Menschen Teil ihrer Zielgruppe sind. Dies gilt in allen (sozialen) Arbeitsfeldern: von der Kindertageseinrichtung, dem Jugendzentrum, dem Allgemeinen Sozialen Dienst, der Schuldnerberatung über das Wohnheim, die Wohnungslosenhilfe, den ambulanten Pflegedienst oder die Werkstatt für behinderte Menschen bis hin zum Kulturprojekt, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Ob Betroffene Wieder-Anerkennung und Unterstützung zur Beendigung der gewaltförmigen Verhältnisse erhalten und Gewalttätige mit entsprechenden Sanktionen und ggf. Einforderungen von Haltungs- und Verhaltensveränderungen konfrontiert werden, hängt ganz entscheidend von der Wahrnehmung, der Haltung, dem Wissen, den Kompetenzen und dem daraus resultierenden Handeln dieser Fachkräfte ab. In ihrer Verantwortung liegt aber nicht nur ein professionelles Intervenieren, wenn sie Gewalt vermuten oder davon erfahren, sondern auch die Prävention im Sinne der Verhinderung von Gewalt. Um Gewalt abzubauen und unwahrscheinlicher zu machen, muss Prävention an den gewaltbegünstigenden gesellschaftlichen Strukturen und Kulturen sowie an den damit verbundenen Motiven und biografischen Hintergründen der potentiell Gewalttätigen ansetzen, die Widerstandsfähigkeit der potentiell Betroffenen sowie die Zivilcourage Dritter stärken und die Institutionen am Gewaltschutz und an der Inverantwortungnahme der Täter:innen ausrichten.

In besonderer Verantwortung für die Prävention, Intervention und Hilfe sind Fachkräfte in den jeweiligen Berufen, wenn die Gewalt im Kontext eines strukturellen Machtverhältnisses ausgeübt wird, wie es im Geschlechter- und im Generationenverhältnis sowie im Verhältnis zwischen Fachkräften und Klient:innen in entsprechenden Institutionen besteht. Da in solchen Machtverhältnissen die einen stärker auf die anderen angewiesen sind als umgekehrt, entstehen besondere Abhängigkeitsverhältnisse, die mit Gewalt gegen die strukturell Schwächeren bzw. Untergeordneten einhergehen können.

Gewaltbelastete Abhängigkeitsverhältnisse, mit denen Fachkräfte in sozialen Berufen vergleichsweise oft zu tun haben und die daher in diesem Buch im Mittelpunkt stehen sollen, bestehen für Kinder und Jugendliche in Familien, für Frauen in Paarbeziehungen sowie für Kinder und Erwachsene (insbesondere für Menschen mit Behinderungen und Senior:innen) in Institutionen. Deshalb ist es zentral, dass Fachkräfte sich selbst im Sinne der Professionalität und ihre Institutionen im Sinne einer achtsamen Organisationskultur und klaren Organisationsstruktur so aufstellen, dass Gewalt unwahrscheinlicher wird und – wenn sie doch (im Privaten oder in den Einrichtungen durch Mitarbeitende oder durch andere Klient:innen) ausgeübt wird – wahrgenommen, aufgedeckt, abgestellt, sanktioniert und aufgearbeitet wird und die Betroffenen Unterstützung erfahren.

Zu diesen speziellen Gewaltverhältnissen in Familien, Paarbeziehungen und Institutionen existieren inzwischen umfassende wissenschaftliche, praxisbezogene und politische Diskurse. Mit diesem Buch soll den in diesen Gewaltdiskursen unterschiedlich gewichteten Erkenntnissen Rechnung getragen werden, dass physische, psychische und sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene trotz gewachsenem Problembewusstsein weiterhin häufig und mit zum Teil massiven Folgen ausgeübt wird, dass die Gewaltformen phänomenologisch Gemeinsamkeiten aufweisen und für die Entstehung der Gewalttaten in den verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen vergleichbare Ursachen und Risikofaktoren diagnostiziert werden. Alle drei Aspekte sind von herausragender Bedeutung für Prävention und Intervention, da die Verbindungslinien zwischen den Gewalttaten gleichsam den roten Faden in der Konzeptionierung und Umsetzung von generalistisch ausgerichteten Maßnahmen gegen Gewalt bilden.

Zu den einzelnen Kapiteln

Kapitel 1 bis 5 dienen der Konturierung des aktuellen Erkenntnisstands zu Verbreitung, Auswirkung, Hintergründen und möglichen rechtlichen Konsequenzen in den drei hier betrachteten Abhängigkeitsverhältnissen: Im ersten Kapitel setzt sich Claudia Bundschuh mit Gewaltverständnissen, begrifflichen Einordnungen und Erscheinungsformen von Gewalt auseinander (▸ Kap. 1). Im zweiten Kapitel geben Monika Schröttle und Maria Arnis nach einer Einführung in die Prävalenzforschung einen Überblick über die Prävalenzen in den drei Gewaltkontexten (▸ Kap. 2). Auf die Folgen und die Bewältigung von Gewalt konzentriert sich Cornelia Helfferich im dritten Kapitel (▸ Kap. 3). Im vierten Kapitel analysiert Carol Hagemann-White die Bedingungen für die Entstehung von Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen (▸ Kap. 4). Das fünfte Kapitel konzentriert sich auf gesetzgeberische Maßnahmen zur Verhinderung und Sanktionierung von Gewalt. Hier erläutert Petra Ladenburger die zivil- und jugendhilferechtlichen Maßnahmen und Martina Lösch die strafrechtlichen und strafprozessualen Vorschriften (▸ Kap. 5).

Im Kapitel 6 wird ins Bewusstsein gerückt, inwiefern trotz aller Gemeinsamkeiten jedes Abhängigkeitsverhältnis eine spezifische Beziehungs- und Prozessdynamik hervorbringt, die im Hinblick auf die Intervention, Hilfe und Prävention zu berücksichtigen ist:

Die Tathandlung »Misshandlung« etwa ist in allen drei Settings ähnlich und erzeugt auch in verschiedenen Altersgruppen vergleichbare körperliche und letztlich auch psychische Verletzungen. Jedoch gibt es bei allen drei Settings im Hinblick auf die Dynamiken zentrale Unterschiede sowie in Bezug auf die fall- bzw. gruppenspezifische Prävention und Intervention verschiedene Zuständigkeiten und Angebotszuschnitte. Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe haben einen Schutzauftrag, sie müssen Eltern in der gewaltfreien Erziehung anleiten und müssen Kinder und Jugendliche zur Aufdeckung ermutigen, aber dann auch angemessene Hilfen zur Beendigung anbieten. Bei Gewalt in Paarbeziehungen ist die Präventionsentwicklung noch nicht sehr breit aufgestellt, wohl aber die Intervention. Bei den Institutionen sind wir vor allem bei der Frage, was strukturell getan werden muss (Schutzkonzeptentwicklung), um Gewalt zu verhindern und im Fall des Falles dann auch einzugreifen (Verfahrensabläufe der Intervention)....

Erscheint lt. Verlag 6.6.2023
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Rudolf Bieker
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte Gewaltopfer • Gewaltursachen • Kinder- und Jugendhilferecht • Prävalenzen • Schutzmaßnahmen • Strafrecht
ISBN-10 3-17-036658-0 / 3170366580
ISBN-13 978-3-17-036658-9 / 9783170366589
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