Trennungskinder begleiten (eBook)

in den ersten 10 Jahren

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
128 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83034-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Trennungskinder begleiten -  Ute Steffens
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Die Autorin zeigt in diesem Buch, wie pädagogische Fachkräfte Kinder in der konflikthaften Zeit einer Elterntrennung wirkungsvoll unterstützen zu können. Hierzu liefert sie neben entwicklungspsychologischen Informationen über die besonderen Bedürfnisse und Konflikte von Trennungskindern konkrete Anregungen für die fachliche Intervention in Krippe, Kita, Hort und Grundschule.

Ute Steffens ist Erziehungswissenschaftlerin und Autorin zum Thema Trennungskinder. Sie hat viele Jahre mit Menschen in Trennungssituationen gearbeitet, bevor sie als Lehrerin in der Ausbildung von Erzieherinnen tätig war. 

Ute Steffens ist Erziehungswissenschaftlerin und Autorin zum Thema Trennungskinder. Sie hat viele Jahre mit Menschen in Trennungssituationen gearbeitet, bevor sie als Lehrerin in der Ausbildung von Erzieherinnen tätig war. 

3.


Psychische Auswirkungen einer Trennung: Die Seite der Eltern


Eine Elterntrennung stellt für die Erwachsenen eine – vorübergehende – massive Lebenskrise dar. Mithilfe des Modells der fünf Säulen der Identität von Hilarion Petzold (siehe Kapitel 3.1) werden wir sehen, dass eine Trennung für Eltern einen psychischen Ausnahmezustand darstellt. Eine Trennung bedeutet einen gewaltigen Einschnitt und damit eine Lebensveränderung, die alle Bereiche unseres Seins betrifft. Petzold nennt sein Modell nicht ohne Grund „die fünf Säulen der Identität“, also die fünf Säulen, auf denen das ruht, was uns ausmacht. Doch so massiv diese Krise auch ist, die damit einhergehende Verunsicherung ist nicht zu vergleichen mit einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Diese Lebenskrise ist zudem zeitlich begrenzt, also vorübergehend – und genau darin liegt auch die große Chance für pädagogische Fachkräfte, der häuslichen Verunsicherung die gewohnte Stabilität und Sicherheit entgegenzusetzen.

3.1 Die fünf Säulen der Identität


Das Bewusstsein, wer wir sind und ob wir mit uns einigermaßen im Einklang, also psychisch stabil sind, basiert danach auf der Qualität unserer zwischenmenschlichen Beziehungen, unserem Platz in der Gesellschaft, unserer körperlichen Gesundheit, darauf, ob wir mit unserer Leistung zufrieden sind, über ein ausreichendes Einkommen verfügen und unser Leben entsprechend unserer Wertvorstellungen gestalten können. Psychologinnen und Psychologen sprechen von einer „integrierten Persönlichkeit“, wenn alle diese fünf Säulen einigermaßen stabil sind. Kleine Konflikte, Rückschläge, Probleme greifen natürlich immer wieder die eine oder andere Säule an, doch wird dies dann durch die Stabilität der anderen vier ausgeglichen. Sind jedoch alle fünf Säulen angegriffen – und genau das ist bei einer Elterntrennung der Fall –, sprechen wir von einer Lebenskrise.

Dieses Modell eignet sich gut, um die temporäre psychische Ausnahmesituation von Trennungseltern zu beschreiben und zu erklären. Damit gewinnen wir ein Bild davon, in welcher Verfassung Trennungskinder ihre Eltern während dieser Zeit notgedrungen erleben.

Wenn sich Eltern trennen, betrifft dies zunächst die Säule der sozialen Beziehungen, denn es ist ein Unterschied, ob wir unser Leben allein oder in einer Partnerschaft gestalten, ob wir die intakte Familie erleben oder vor den Scherben unseres Traumes stehen. Hilflosigkeit, Trauer, Wut, Enttäuschung und Ängste ziehen Energie ab, die Mütter und Väter für die Bewältigung ihres Alltags und als Eltern brauchen. Zudem fällt häufig die Unterstützung im Alltag durch den anderen Elternteil weg, sodass die alleinerziehenden Elternteile in der Regel einige Zeit brauchen, um zu begreifen, dass sie nicht ohne Folgen für ihre Gesundheit und ihre Kraft plötzlich all die Erziehungsaufgaben allein bewältigen können.

Die Säule der Leiblichkeit, die körperliche Gesundheit, ist angegriffen, weil die Veränderungen und die Konflikte im Zusammenhang mit einer Trennung oft zu körperlichen Beeinträchtigungen wie Schlafstörungen führen oder sich auf andere typische Schwachstellen eines Menschen auswirken. Die Säule von Arbeit und Leistung ist betroffen, weil durch die körperlichen Beschwerden die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist und zum Beispiel die Konzentration leidet.

Die Säule der wirtschaftlichen Sicherheit ist eng mit den beiden vorhergehenden Säulen der Identität verwoben, denn die eingeschränkte Leistungsfähigkeit beeinträchtigt oft die Leistungskraft und Zuverlässigkeit im Beruf, sodass die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes zu den anderen Problemen noch hinzukommt. Vielleicht greift jemand auch aufgrund der Trennung vermehrt zu Alkohol und kommt deshalb häufig zu spät zur Arbeit. Er wird unzuverlässig, ist unkonzentriert, und der Arbeitgeber droht mit Kündigung. Damit ist auch die wirtschaftliche Sicherheit der Familie bedroht.

Die Säule der Werte ist am schwierigsten zu verstehen, doch auch sie macht einen wichtigen Teil unserer Identität aus. Wie wir gesehen haben (siehe Seite 7), ist es ein bedeutsames Lebensziel und damit ein wichtiger Wert, eine intakte Familie zu haben und zu bewahren. Gelingt es nicht, dieses Ziel zu erreichen, führt das zu Gefühlen des Scheiterns und der Scham. Dies stellt einen gewaltigen Angriff auf das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen von Trennungseltern dar. Das Gefühl des Scheiterns, der Scham und Schuldgefühle führen dazu, dass es vielen Eltern schwerfällt, ihre Situation offen zu besprechen. Zudem ist eine Trennung ein so privates Geschehen, dass viele pädagogische Fachkräfte sich schwer damit tun, Eltern anzusprechen oder nachzufragen. Sie haben Angst, neugierig zu erscheinen oder übergriffig zu sein.

Eine Elterntrennung stellt also eine enorme seelische Belastung dar. Das Leben gerät zeitweise buchstäblich aus den Fugen, und davon sind alle Lebensbereiche betroffen. Die Gesundheit ist angegriffen, das Selbstbewusstsein geschrumpft, Probleme in der Leistungsfähigkeit führen zu Existenzängsten, die ohnehin ein großes Thema für Trennungseltern sind.

Eltern wissen natürlich, dass ihnen momentan die gewohnte Kraft für ihre Kinder fehlt. Oft retten sie sich von einem Tag zum anderen. Und das ist dann eben nicht die Zeit, um das eigene Verhalten und den Umgang mit den Kindern in Ruhe zu reflektieren.

Martina, eine Trennungsmutter, erzählt:

„Rückblickend empfand ich es als das Allerschlimmste, wenn mir jemand sagte, dass wir uns wegen der Kinder ‚zusammenreißen‘ sollten oder ‚vernünftig‘ miteinander umgehen sollten. Diese moralischen Appelle von Leuten, die alle glaubten, das von außen beurteilen zu können! So überflüssig! In der ersten Zeit nach Kais Auszug hatte ich das Gefühl, mein nacktes Überleben und das der Kinder halbwegs hinkriegen zu müssen.“

Moralische Vorhaltungen oder Vorwürfe helfen hier erst recht nicht weiter. Nur, wenn wir Eltern mit einem Verständnis begegnen, das aus der Kenntnis ihres Dilemmas resultiert, können wir ein Klima schaffen, in dem wir in der Zusammenarbeit etwas für die gesunde Entwicklung von Trennungskindern erreichen. Wir müssen uns klarmachen, dass auch Trennungseltern gute Eltern sein wollen. Wenn sie Fehler machen, dann ist das der mit ihrem Ausnahmezustand verbundenen Erschöpfung geschuldet. Schuld und Scham sind in der ersten Zeit ohnehin ständige Begleiter.

In meinen Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte mache ich gerne eine Übung, in der die Teilnehmenden die fünf Säulen mit den Ressourcen und Defiziten einer fiktiven „Frau Müller“ füllen. So kreieren sie eine Trennungsmutter, die sie dann im Plenum vorstellen. Eine Erzieherin hat das Ergebnis einmal so zusammengefasst: „Ich habe ein bedrückendes Gefühl davon erhalten, wie sich Trennungseltern fühlen.“ Wenn es gelingt, Eltern mit diesem Verständnis und Mitgefühl zu begegnen, dann ist das schon eine sehr gute Basis für eine Zusammenarbeit im Sinne ihrer Kinder.

Wie wir in Kapitel 10.4 noch genauer sehen werden, lässt sich das Modell der fünf Säulen der Identität auch wunderbar für eine Bestandsaufnahme der familiären Ressourcen eines Kindes in der akuten Trennungssituation nutzen: Hat es Kontakt zum anderen Elternteil? Wie ist das Verhältnis zu den Großeltern? Gibt es Verwandte, Nachbarn oder Freunde, die den Alltagselternteil bei der Erziehung unterstützen? Wenn ja, wie sieht diese Unterstützung aus? Handelt es sich um Entlastung im Alltag oder um wirtschaftliche Unterstützung? Gibt es die Möglichkeit der Betreuung des Kindes über einen längeren Zeitraum, sodass der überwiegend alleinerziehende Elternteil aktiv seinen Interessen und Neigungen nachgehen und somit körperlich und seelisch regenerieren kann?

3.2 Phasen einer Elterntrennung


Eine Elterntrennung ist ein Prozess. Insgesamt lässt sich dieser Prozess in fünf Phasen nachzeichnen. Mit jeder dieser Phasen verändert sich das Befinden der Erwachsenen und wirkt sich damit unterschiedlich auf die Beziehung zu den Kindern aus.

Vor allem die ersten drei Phasen sind für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter von besonderer Bedeutung, weil hier das Konfliktpotenzial zwischen den Eltern am größten ist und die emotionale Verfügbarkeit für die Kinder zwangsläufig abnimmt.

Erste Phase – die Vortrennungsphase: Sie...

Erscheint lt. Verlag 12.6.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Vorschulpädagogik
Schlagworte Bindungsverlust • Eltern • Elternabend • Elterngespräch • Grundschulkind • Innere Stärke • Kita • Krise • Krisenbewältigung • Krisenmanagement • Lebenskompetenz • Lebenskrise • Resilienz • Resilienzförderung • Scham • Scheidung • Scheidungskind • Schuld • Soziale Kompetenz • Trauer • Trennung • Unterstützung • Verlust • Zweifel
ISBN-10 3-451-83034-5 / 3451830345
ISBN-13 978-3-451-83034-1 / 9783451830341
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