Wenn Kinder beißen (eBook)

Achtsame und konkrete Handlungsmöglichkeiten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
112 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83148-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wenn Kinder beißen -  Dorothee Gutknecht
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Die vollständig überarbeitete Neuausgabe in der Reihe 'Bildungs- und Entwicklungsort Kita' der Expertin für Kleinkindpädagogik Dorothee Gutknecht: Kleine Kinder, die andere Kinder in der Gruppe beißen, sind für pädagogische Fachkräfte in Kitas eine große Herausforderung. Entwicklungspsychologisch betrachtet ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder zwischen einem und drei Jahren beißen. Doch wie kann ein Umgang mit diesen herausfordernden Situationen gelingen? Wie können Kinder unterstützt werden, ein angemessenes Verhalten aufzubauen? Wie können Eltern in angespannten Situationen gestärkt und begleitet werden? Im Buch werden vielfältige Ursachen für das Beßen aufgezeigt und achtsame und responsive Strategien im Umgang damit vorgestellt, die alle Beteiligten in den Blick nehmen: Kinder, Eltern, pädagogische Fachkräfte, Leitung und Träger. Das Buch ist ein Muss für die Arbeit mit Kindern bis drei Jahren!

Dr. Dorothee Gutknecht ist Professorin an der Evangelischen Hochschule Freiburg mit den Schwerpunkten Säuglings- und Kleinkindpädagogik, Spracherwerb, Inklusion in der Früh- und Elementarpädagogik sowie der Responsivität frühpädagogischer Fachkräfte. Sie ist eine international ausgewiesene Expertin und Autorin und hat viele Jahre Praxiserfahrung in der Arbeit mit Kindern und ihren Familien in pädagogischen und therapeutischen Arbeitskontexten.

Dr. Dorothee Gutknecht ist Professorin an der Evangelischen Hochschule Freiburg mit den Schwerpunkten Säuglings- und Kleinkindpädagogik, Spracherwerb, Inklusion in der Früh- und Elementarpädagogik sowie der Responsivität frühpädagogischer Fachkräfte. Sie ist eine international ausgewiesene Expertin und Autorin und hat viele Jahre Praxiserfahrung in der Arbeit mit Kindern und ihren Familien in pädagogischen und therapeutischen Arbeitskontexten.

2.


Ist „Beißen“ eine Verhaltensstörung?

Der Wunsch nach Erfahrungssuche mit dem Mund ist bei jungen Kindern ein typisches Entwicklungsphänomen

Viele herausfordernde Verhaltensweisen, die gerade bei jungen Kindern auffallen, sind keine Störungen, sondern stellen einen regulären Teil ihrer Entwicklung dar. So schreien manche Kinder außerordentlich viel, andere haben Schlafstörungen oder erweisen sich bei den Mahlzeiten als extrem wählerische Kinder, die nur sehr wenige Nahrungsmittel akzeptieren und essen. Wieder andere Kinder fordern Eltern und pädagogische Fachkräfte insbesondere in der Autonomiephase durch massive Wutanfälle heraus, weitere fallen durch ein großes Spektrum unterschiedlicher Ängste auf. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund das Beißverhalten einordnen?

2.1 Beißverhalten bei Kindern in unterschiedlichem Entwicklungsalter


Beißverhalten bei Kindern unter drei Jahren


Die großen internationalen kinderärztlichen Fachgesellschaften (z. B. Canadian Paediatric Society 2008, 2018) bestätigen, dass die Verhaltensweise „Beißen“ bei Kindern im Alter von einem bis drei Jahren häufig vorkommt und dann ab drei Jahren in der Regel wieder verschwindet. Kinder in diesem sehr jungen Alter sind darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen ihre Emotionen mitregulieren, weil sie dazu allein noch nicht in der Lage sind. Sie verfügen während dieses Entwicklungsstadiums nicht über die erforderlichen Fähigkeiten in der emotionalen Selbstregulation und haben eine sehr geringe Impulskontrolle (Holodynski 2006; Gutknecht 2010).

Auch der Perspektivwechsel fordert sie noch heraus: Das junge Kind kann mögliche Gefühle oder Absichten anderer beim Spielen nicht vorausschauend mitberücksichtigen. Auch die Möglichkeiten des verbal-sprachlichen Ausdrucks sind noch eingeschränkt, ebenso die Fähigkeit, Körpersprache in Anspannungssituationen wirkungsvoll einzusetzen. Das Beißen – da besteht im internationalen Diskurs Einigkeit (Canadian Paediatric Society 2018, 2008; Solomons & Elardo 1991) – gehört deshalb zu den Verhaltensweisen, die viele Kinder ab einem Jahr bis zum Alter von rund drei Jahren häufiger zeigen. Bei Kindern über drei Jahren kommt es deutlich seltener vor.

Doch wann ist das Verhalten Ausdruck oder Teil einer Verhaltensstörung? Die aktuelle Literatur unterscheidet die sogenannten internalisierenden Störungen, die mit eher „leisem“ Verhalten, mit innerem Rückzug verbunden sind und etwa mit Angststörungen oder Depressionen einhergehen, von externalisierenden Störungen. Letztere erscheinen eher laut und treten mit wütendem, aggressivem, oppositionellem Verhalten auf. Beißvorfälle werden dabei tendenziell den externalisierenden Verhaltensweisen zugerechnet. Diese Gegenüberstellung steht aber auch in der Kritik, da jedem Verhalten eine Kehrseite innewohnt. So betonen Mayer und Gutknecht im Fachbuch „Jedes Verhalten hat seinen Sinn“ (2022, S. 70):

Das Interesse für den internalisierten Teil einer externalisierenden Störung – gewissermaßen die Kehrseite der Medaille – kann so zu einem tieferen Verständnis der Person führen und Fachkräfte wieder in die Lage versetzen, sich dem Kind auf hilfreiche Weise zur Verfügung zu stellen, sich für seine Nöte zu öffnen.

Gerade in Bezug auf das Beißverhalten ist zudem festzuhalten, dass auch introvertierte und schüchterne Kinder Beißverhalten an den Tag legen können.

Die aktuelle wissenschaftliche Literatur unterscheidet besonders beim Kind unter drei Jahren in Bezug auf das Verhalten zwischen Entwicklungsvarianten, Reifungsphänomenen und tatsächlichen Verhaltensstörungen (Benz & Jenni 2015; Jenni & Latal 2009).

Aus Wissenschaft und Forschung

Kindliches Verhalten kann drei verschiedenen Kategorien zugeordnet werden (Jenni & Latal 2009; Benz & Jenni 2015):

1. Reifungsphänomene, die in einem bestimmten Alter auftreten, dann aber auch wieder verschwinden (z. B. Wutanfälle in der Phase der Autonomie-Entwicklung)

2. Entwicklungsvarianten, die als auffällige Verhaltensweisen erkennbar sind, aber nicht das Ausmaß einer Störung haben (z. B. besondere Schüchternheit eines Kindes)

3. Verhaltensstörungen als auffällige Verhaltensweisen, die in ihrer Intensität, Häufigkeit und Dauer so gravierend sind, dass das Kind wesentliche altersgemäße Entwicklungsaufgaben nicht angemessen bewältigen kann

Diese Logik lässt sich allerdings nur bedingt auf das Beißverhalten von Kleinkindern anwenden, denn im Entwicklungsalter von einem bis drei Jahren können dafür sehr unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. So kann das Beißen ein Weg der Welterkundung sein, um die Umwelt besser zu verstehen, aber auch ein Mittel der Spannungsabfuhr bei Stressoren oder Frustration. Gerade wenn die verbalen und nonverbalen Möglichkeiten noch begrenzt sind, kommt Beißverhalten häufiger vor.

Wenn das Beißen über einen längeren Zeitraum andauert und schwerwiegende Auswirkungen auf das Kind oder seine Umgebung hat, kann dies auch auf ein tiefer liegendes Problem hinweisen. Bei einigen Kindern kann das Verhalten ein Symptom für emotionale Probleme, Kommunikationsschwierigkeiten oder sensorische Verarbeitungsstörungen sein. Eine Intervention hat vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Ursachen immer das Ziel, dem Kind zu helfen, alternative Verhaltensweisen zu erlernen und angemessene soziale Fähigkeiten zu entwickeln. Jede Intervention muss auf die zugrunde liegende Ursache sorgfältig abgestimmt sein.

Als besonders besorgniserregend gilt, wenn das Beißverhalten als aggressiv motiviert einzuschätzen ist. Hier ist eine genauere psychologische Diagnostik erforderlich. Im aktuellen fachlichen Diskurs zu Verhaltensstörungen im Kindesalter wird mit einer gewissen Vorsicht betont, dass die enorme Entwicklungsdynamik im frühen Kindesalter immer zu berücksichtigen sei. Das Kind soll nicht schon im frühesten Alter negativ stigmatisiert werden. Da sich aber bereits ab 5 Jahren aggressive Verhaltensweisen als sehr stabil zeigen und nachweislich oft weiterhin auch in der mittleren Kindheit und Jugend auftreten, wird das Risiko einer Chronifizierung gesehen. Hier ist es wichtig, sorgfältig zu beobachten und früh zu intervenieren. Kitas benötigen eine gute Vernetzung mit anderen Fachstellen wie Frühförderung, kinderärztlichen Praxen, Erziehungsberatung, kinderpsychotherapeutische Praxen, um in der Entwicklungsberatung hilfreiche Hinweise geben zu können.

Vorschul- und Schulkinder


Anders als beim Kleinkind wird bei Vorschul- und Schulkindern durchaus eher von einem absichtsvollen und aggressiv motivierten Beißverhalten ausgegangen. Kinder in diesem Alter erforschen die Welt nicht mehr mit dem Mund und verfügen zudem bei regulärer Entwicklung über die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Es kann der Verdacht auf eine aggressiv motivierte Störung des Sozialverhaltens bestehen, die sich nicht allein durch Stressreduktion und weitere pädagogische Maßnahmen beeinflussen lässt. Betroffene Kinder zeigen häufiger neben dem Beißen auch andere aggressive Formen des Verhaltens. Da aggressives Verhalten ab 5 Jahren sehr stabil bleibt (siehe Seite 16), ist es besonders wichtig, frühzeitig Fachstellen einzubeziehen wie Fachberatung, Fachärzte und -ärztinnen für Pädiatrie, Erziehungsberatung, Beratungsstellen an Kliniken oder in Praxen für Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, um eine genaue Abklärung zu leisten. Um angemessen zu reagieren, ist es außerdem wichtig zu beachten, dass nicht nur Entwicklungsmerkmale, sondern auch das Zusammenspiel von Temperamentsmerkmalen und Umwelt eine Rolle spielen können.

2.2 Beißen als „Misfit“: wenn Temperament und Umwelt nicht harmonieren


Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind Verhaltensprobleme – zum Beispiel Beißverhalten – zeigt, steigt an, wenn die Erwartungen der Erwachsenen und die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Kindes stark auseinanderklaffen. Dies konnte die Temperamentsforschung belegen, in der festgestellt worden ist, dass sich Bezugspersonen gut (= fit) oder weniger gut (= misfit) auf herausfordernde Temperamentsunterschiede bei Kindern abstimmen können (Chess & Thomas 2013; Largo & Jenni 2005; Benz & Jenni 2015). Eine Abstimmung gestaltet sich umso anspruchsvoller, je herausfordernder das Temperament eines Kindes ist. „Temperament“ meint hier nicht wie in der Alltagssprache, dass ein Kind besonders heiter, ein anderes eher melancholisch gestimmt ist, vielmehr steht im Mittelpunkt, wie intensiv ein Kind auf seine Umwelt reagiert oder antwortet.

Nach Chess und Thomas (2013) gibt es insgesamt neun Kategorien für das Temperament. Auf jede müssen sich Eltern und pädagogische Fachkräfte abstimmen. Im folgenden Kasten sind diesen neun Temperamentskategorien Fragen für die Reflexion im Kita-Team zugeordnet. Mit ihnen lassen sich die temperamentsbedingten Herausforderungen...

Erscheint lt. Verlag 22.1.2024
Illustrationen Gudrun Maddalena
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Vorschulpädagogik
Schlagworte Auffälligkeit • Beißen • Biss • Frühe Kindheit • Frühpädagogik • Herausforderndes Verhalten • Kind • Kindergarten • Kinderkrippe • Kindertageseinrichtung • Kindertagespflege • Kleinstkind • Krippenkind • pädagogische Fachkräfte
ISBN-10 3-451-83148-1 / 3451831481
ISBN-13 978-3-451-83148-5 / 9783451831485
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