Tor zur Freiheit (eBook)
176 Seiten
Elisabeth Sandmann Verlag
978-3-949582-18-9 (ISBN)
Dieses Buch erzählt Tu?ba Tekkals ganze Geschichte. Wir begleiten sie auf ihrem Weg: angefangen in ihrer Kindheit als siebtes von elf Geschwistern in einer jesidisch-kurdischen Großfamilie, hinein in die herausfordernde Schulzeit, auf den Bolzplatz, dann als Profifußballerin in die Stadien. Nichts kann sie aufhalten. Heute schafft sie als Menschenrechtsaktivistin besondere Orte der Gemeinschaft und des Zusammenhalts. Es ist die Geschichte einer großen Leidenschaft fu?r den Sport, aber auch eine Geschichte von Ausgrenzung, Einengung, Diskriminierung und immer wieder der Überwindung von Grenzen. Tu?ba Tekkal hat niemals aufgegeben. Und nun hilft sie anderen dabei, vor allem Mädchen und Frauen, ihre eigenen Tore zur Freiheit zu öffnen. In Zusammenarbeit mit der SZ-Redakteurin Anna Dreher.
»Kick it like Tu?ba! Oder: Wie man wird, was man ist.« Du?zen Tekkal
Eine bemerkenswerte Frau mit einer bemerkenswerten Geschichte - ein Buch, das inspiriert.
Tu?ba Tekkal (*1985) lebt in Köln und Berlin und ist Fußballerin, Trainerin, Sozialunternehmerin und Gründerin. Sie ist kurdisch-jesidischer Abstammung. Sie setzt sich ganz besonders für geflüchtete Mädchen und Frauen ein und rief ihr Herzensprojekt »Scoring Girls« ins Leben. Dort ist sie große Schwester, Nachhilfelehrerin, Berufsberaterin, Vertraute, Integrationshelferin. Zudem engagiert sie sich auch in anderen Projekten der gemeinsam mit ihrer Schwester Düzen Tekkal gegründeten Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help.
PROLOG
Da sitzen wir nun also. Düzen, Tuna, Tezcan, Tülin und ich. Auf einer großen, steinernen Treppe in New York. Ich, ein Mädchen aus Hannover-Linden, mit ihren Schwestern mittendrin in dieser Stadt, in der gefühlt jede Sekunde eine neue Geschichte geschrieben wird. Wie oft habe ich diesen Song laut mitgesungen, Empire State Of Mind von Alicia Keys und Jay-Z, über den Asphaltdschungel, wo es nichts gibt, was du nicht tun kannst. These Streets will make you feel brand new. Big lights will inspire you. Und jetzt bin ich wirklich hier!
Ich bin überwältigt von dem, was wir erlebt haben. Wir sind nicht nach New York gereist, um Urlaub zu machen und uns zu überlegen, ob wir zuerst in den Central Park oder zur Freiheitsstatue gehen sollten. Im September 2022 sind wir hergekommen mit einer Mission: Als Vertreterinnen unserer Hilfsorganisation HÁWAR.help im Rahmen der 77. Vollversammlung der Vereinten Nationen, auf der Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock mit Abgesandten so vieler Staaten über die globalen Krisen dieser Zeit debattieren. Jede dieser Krisen betrifft auch uns. Manche ganz besonders.
Wer uns Tekkals kennt, weiß, dass in unserer Umgebung eigentlich immer etwas los ist. Wir reden viel, wir lachen laut. Aber auf dieser Treppe bleiben wir ganz still. Keine sagt ein Wort. Ich habe Tränen in den Augen. All diese Erfahrungen machen zu dürfen, und dann auch noch mit meinen Schwestern. Was in New York passiert ist, erscheint mir fast schon surreal. Ich bin mir sicher, dass in diesen Momenten jede von uns an etwas ganz Ähnliches denkt: Daran, wie viel sich entwickelt hat, seit wir 2015 den Verein HÁWAR.help gegründet haben und seit Düzen und Tezcan das erste Mal nach New York gereist sind, 2017 auf Einladung der UN. Damals haben wir noch darum kämpfen müssen, dass uns überhaupt jemand wahrnimmt. Aber wir haben nie aufgegeben. Nicht, als uns Freunde und Familie geraten haben, lasst das mit der Menschenrechtsarbeit lieber sein, sucht euch vernünftige Jobs, das bringt doch alles ohnehin nichts. Nicht, als wir keinen Cent mehr in den Taschen hatten. Nicht, als wir uns selbst vergaßen, weil wir all unsere Energie HÁWAR.help gewidmet haben, all unsere Zeit, als ich kaum etwas gegessen und wenig geschlafen habe. Der Glaube an unsere Arbeit hat mich immer angetrieben. Manchmal fällt es mir schwer zu begreifen, was wir uns aus eigener Kraft aufgebaut haben. Ich weiß nicht, ob wir jemals sagen werden, wir haben es geschafft. Die Menschenrechtsarbeit ist wohl eher eine Lebensaufgabe und weniger ein vorübergehendes Projekt. Aber dort in New York, da hat es sich ein bisschen so angefühlt.
Während die Metropole um uns herum weiter pulsiert, laufen in meinem Kopf die Bilder der vergangenen Stunden ab: Wie wir an der Columbia University Menschenrechtsstudierenden die Dokumentarfilme meiner Schwester Düzen zeigen, HÁWAR – meine Reise in den Genozid und JIYAN – die vergessenen Opfer des IS, außerdem Aufnahmen von unserer jüngsten Reise in den Irak zu einem unserer Frauenzentren. Ich habe nie studiert. Ich habe nie gedacht, dass ich überhaupt einmal eine Universität von innen sehen würde. Und nun sitze ich im Seminarraum einer der ältesten und renommiertesten Hochschulen der Vereinigten Staaten von Amerika. Und anstatt, dass wir hier den klugen Köpfen zuhören, sind wir es, die künftigen Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtlern erzählen, worauf es bei dieser Art von Arbeit ankommt und welche Erfahrungen wir gemacht haben. Mich sprechen danach noch einige persönlich an, weil sie mein Fußballprojekt kennen – auch die SCORING GIRLS haben es also bis nach New York geschafft. Das allein hätte gereicht, damit ich mit einem breiten Grinsen zwischen den Wolkenkratzern herumgelaufen wäre und immer wieder gedacht hätte: Heftig, ey, heftig! Aber dieser Tag hält noch weitere Überraschungen für uns bereit.
Nach der Filmvorführung und Diskussion erfahren wir von einer Demonstration vor dem Hauptgebäude der Vereinten Nationen, eine Solidaritätsbekundung mit den Protesten in Iran nach dem gewaltsamen Tod der erst 22 Jahre alten Kurdin Jina Mahsa Amini am 16. September. Unser Plan sieht eine Teilnahme an der Demonstration nicht vor, aber wir verschieben ohne zu zögern alle weiteren Termine an diesem Tag. Unsere Eltern sind dagegen, dass wir dorthin gehen, wir haben sie angerufen und ihnen davon erzählt. Aber wir können nicht anders. In einem Starbucks sitzen wir Schwestern alle an unseren Handys, jede erledigt ihren Part und trifft Absprachen, damit alles funktioniert. Und wie wir dann zusammenpacken, wie wir zur U-Bahn und zu unserem Ziel laufen – in jedem unserer Schritte steckt so viel Power, unsere Blicke sind fokussiert und entschlossen. Wir kennen uns nicht aus in der Gegend, trotzdem sind wir so zielstrebig unterwegs, als wüssten wir genau, wo wir hinmüssen. In mir kommt diese Überzeugung auf, dass wir dafür bestimmt sind, für andere einzustehen und zu kämpfen. Wir, die als Kurdinnen nicht nur zu einer Minderheit gehören, sondern als Jesidinnen eine Minderheit in der Minderheit bilden. Unsere Religionsgemeinschaft trägt den Kampf ums Überleben seit jeher tief in sich. Wir wissen, wie es sich anfühlt, wenn niemand hinguckt und niemand hilft.
Je näher wir der United Nations Plaza am East River kommen, desto lauter wird es. Die Demo neigt sich langsam dem Ende zu, aber es ist immer noch viel los. Einige Menschen stehen vor einem Mahnmal in Gedenken an die Massenhinrichtung Zehntausender politischer Gefangener 1988 in Iran. Um sie wird ebenso getrauert wie um die jüngsten Opfer des Regimes. Jeden Tag werden es mehr – ich kann das kaum aushalten. Ob es irgendwann Gerechtigkeit geben wird auf dieser Welt? Protestierende halten Plakate in die Luft, Forderungen hallen durch Megafone in den New Yorker Himmel. Auf einmal kommt eine große Gruppe auf uns zu, es wird lauter und lauter. Dann sehen wir Masih Alinejad, die iranische Journalistin, Autorin, Frauenrechtlerin und Menschenrechtsaktivistin, eine der bekanntesten Kritikerinnen der Regierung ihrer Heimat. Seit Jahren lebt sie in den USA im Exil. Wir ergreifen sofort die Gelegenheit, um mit ihr zu sprechen, vor allem Düzen.
Die Kulisse beeindruckt mich, gleichzeitig wirkt sie angsteinflößend. Viele aufgebrachte Menschen umgeben uns, die Situation ist total unübersichtlich. Ich weiß genau, dass es richtig und wichtig ist, dass wir jetzt hier sind. Ich weiß, was für ein Glück wir haben, Alinejad zu treffen. Und doch mache ich mir Sorgen, dass etwas passieren könnte. Sie kann sich in der Öffentlichkeit inzwischen kaum noch ohne Leibwächter bewegen und erhält ständig Morddrohungen, der iranische Geheimdienst will ihre starke Stimme am liebsten zum Schweigen bringen. Sie ist der Staatsfeind Nummer eins für das Mullah-Regime. Wer weiß schon, ob nicht heute in New York ein Anschlag auf sie verübt wird?
Tülin und ich scannen permanent die Umgebung. Ausgerechnet wir beide, die sonst für den Spaß bei uns zuständig sind und dafür, dass wir uns bei all der Schwere die Leichtigkeit bewahren. Die Objektive der vielen Kameras richten sich auf Alinejad. »Für Mahsa und Millionen von anderen Frauen! Wir werden seit Jahren auf den Straßen zusammengeschlagen«, sagt sie zu uns. In den Händen hält sie ein Porträtbild von Jina Mahsa Amini, in ihre Locken hat sie sich eine weiße Blume gesteckt. »In diesem Moment, in dem ich hier spreche, stürmen iranische Frauen nicht allein wegen der Hijab-Pflicht auf die Straße. Sie sind wütend, sie haben die Islamische Republik satt! Wenn der Rest der Welt, die demokratischen Länder, nicht handeln, wird das iranische Regime noch mehr Mahsa Aminis töten.« Wie viel Stärke, wie viel Energie von ihr ausgeht! Wir hängen an ihren Lippen, im Bann dieser mutigen und inspirierenden Frau.
Nach dem Gespräch mit Masih Alinejad bleiben wir noch etwas bei der Demonstration, bevor wir uns ein paar Ecken weiter auf der großen, steinernen Treppe sammeln. Für mich kommt in diesen Momenten so viel zusammen: Unsere Herkunft, unsere Arbeit und die Werte, die wir mit so vielen Menschen teilen. Und natürlich ist mir bewusst, dass es in dieser Welt alles andere als selbstverständlich ist, was wir machen. Wir riskieren nicht unser Leben, wenn wir Kritik äußern. Wir befinden uns gerade in den USA, wo protestiert werden darf. Wir leben in Deutschland mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Wie wertvoll das ist, kann nicht oft genug betont werden. Noch am gleichen Tag beschließen wir, nach unserer Rückkehr eine Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin zu veranstalten. Wir haben nur wenig Zeit, um vorzubereiten, wofür es eigentlich Wochen braucht, aber zusammen mit zehn Mitarbeitern ziehen wir die Sache durch. Wir Tekkal-Schwestern funktionieren im Ausnahmezustand. Vielleicht sind wir da nicht ganz normal, aber irgendwie kennen wir das nicht anders – und werden immer wieder belohnt.
Zu der Kundgebung kommen mehr als 2000 Menschen. Von der kleinen Bühne aus blicken wir auf dutzende Plakate, immer wieder rufen die Menschen den Leitsatz des Widerstands: Jin, Jiyan, Azadî – Frau, Leben, Freiheit. Politikerinnen und Politiker von den Grünen, von SPD,...
Erscheint lt. Verlag | 17.4.2023 |
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Co-Autor | Anna Dreher |
Einführung | Düzen Tekkal |
Vorwort | Jagoda Marinić |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 1. FC Köln • aktuelles Buch • Anerkennung • bücher neuerscheinungen • Düzen • Empowerment • Familie • Frauen-Bundesliga • Fußball • Grimmelshausen-Förderpreis 2005 • Grimmelshausen-Preis 2005 • Großfamilie • Hamburger SV • hawar help • HSV • Irak • Jesiden • Kurden • Lebensgeschichte • Menschenrechte • Menschenrechtsorganisation • Migration • Neuerscheinungen • neues Buch • Profifussball • Syrien • Türkei • Unabhängig • Willensstark |
ISBN-10 | 3-949582-18-5 / 3949582185 |
ISBN-13 | 978-3-949582-18-9 / 9783949582189 |
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