Eine Herde Schafe, ein Paar Gummistiefel und ein anderer Blick aufs Leben (eBook)

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2023
256 Seiten
Kösel-Verlag
978-3-641-29861-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eine Herde Schafe, ein Paar Gummistiefel und ein anderer Blick aufs Leben - Bärbel Schäfer
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Von der Landlust einer Stadtfrau
Endlich mal wieder raus aus dem Büro, in der Natur sein, mit den Händen arbeiten: das ist eine Sehnsucht, die viele teilen. Auch Bärbel Schäfer. Doch träumen allein hilft ja nichts, und so beschließt sie, einen Selbstversuch zu wagen. Ein Jahr lang begleitet sie einen Schäfer bei seiner Arbeit, um selbst herauszufinden, was Hirten im Jahrtausendelangen Miteinander von Mensch, Tier und Natur gelernt haben.

Bärbel Schäfer tauscht ihre weißen Sneakers gegen schlammige Gummistiefel und packt bei Wind und Wetter auf dem Hof und auf der Weide mit an. Dabei lernt sie nicht nur eine Menge über das faszinierende Wesen der Schafe, gelebten Umweltschutz und das Landleben, sondern auch über sich selbst. Denn es kann ein großes Glück darin liegen, etwas völlig Neues zu wagen.

»Ich bin mit Schafen aufgewachsen. Die sterbende Welt von Schäfern und ihren Herden in diesem Buch neu zu entdecken, ist ein Abenteuer für den Geist und für die Seele.« (Dirk Steffens, Wissenschaftsjournalist und Moderator)

Bärbel Schäfer wurde in Bremen geboren. Sie ist bekannt als Moderatorin aus TV und Hörfunk, ausgezeichnet mit der Goldenen Kamera, Journalistin und Autorin mehrerer erfolgreicher Sachbücher zu gesellschaftlichen Themen, zuletzt 'Ist da oben jemand? Weil das Leben kein Spaziergang ist', Gütersloh, 3. Auflage 2016. Jeden Sonntag ist sie in hr3 im Gespräch mit einem prominenten Talk-Gast und führt Interviews für die emotion-Serie 'Mann, was fühlst du?'. Bärbel Schäfer ist mit dem Publizisten und Fernsehmoderator Michel Friedman verheiratet und hat zwei Kinder. Die Familie lebt in Frankfurt am Main.

Mission Schaf startet


Der erste Besuch beim Schäfer


Dreißig Kilometer südlich des Frankfurter Stadtgebiets habe ich das achtspurige Frankfurter Autobahnkreuz hinter mir gelassen. Ich passiere eine Autobahnausfahrt mit achtlos aus dem Fenster geschleuderten Plastikflaschen. Massenhaft liegen sie dort im Graben. Wer fährt sein Fenster runter und wirft Müll in die Natur?

Die Strecke führt mich über Landstraßen, ich verlasse das Großstadtgebiet und erreiche die Rhein-Main-Gegend um Groß-Gerau. 25 000 Einwohner, Kreisstadt und Ökomodellregion Süd. Ich fahre durch Vororte, Neubaugebiete mit Fertighäusern. Vorbei an Carports, Wäschespinnen und Trampolinen in Vorgärten. Pendlerregion mit gerade noch bezahlbarem Wohnraum. Der Traum von den eigenen Wänden ähnelt sich in Reihenhaus an Reihenhaus. Alteingesessene mischen sich mit Neuzugezogenen. Plakate für den Faschingsball neben Plakaten für Monstertruck-Events in der nächstgrößeren Stadt. Eigentümerträume fressen sich in die Landschaft. Der Platz für einheimische Pflanzen und Tierarten schrumpft.

Ausgerechnet hier, wo die Priorisierung des Wohnbedarfs der Menschen der Natur schon so viel Land genommen hat, soll ein Schäfer mit seiner Herde leben? »Die Idylle in der Region«, heißt es in seinem Logo. Skepsis macht sich in mir breit. Wo sollen hier Schafe und Ziegen grasen, lammen und Futterplätze finden?

Ich parke meinen Wagen, stelle den Motor ab. Stille.

Außentemperatur sechs Grad, Region Rodgau, Samstagnachmittag. Der Boden der winterbraunen Weide wirkt jetzt im Januar müde. Die Schneedecke ist weg, das Gras noch grau. Die Äste der Bäume sind kahl. Weder Blätter, die im Wind rascheln, noch Knospen an den Zweigen. Kein Blühen nirgends. Als hätte eine Mütze schwerer Müdigkeit sich über die Winterlandschaft gelegt. Nichts müssen müssen. Die Natur hat die Stopptaste gedrückt.

Ich lasse den Blick über die Weide schweifen. Nur dank Google Maps habe ich hierher gefunden. Bis eben wusste ich nicht, dass es eine Funktion gibt, die auch landwirtschaftliche Zufahrtswege anzeigt, sonst wäre ich schon an der vorletzten Kreuzung kurz hinter dem kleinen Bahnübergang verloren gewesen. Jetzt bin ich da. Mein Schafabenteuer geht genau hier und heute an diesem kalten Samstag los.

Ich operiere nicht am offenen Gehirn, ich werde weder in einer Raumkapsel ins All katapultiert, noch sitze ich Günther Jauch bei Wer wird Millionär auf dem Kandidatenstuhl gegenüber. Und dennoch, ich bin aufgeregt. Ich starte den Motor und drehe die Heizung auf volle Leistung auf. Das Gebläse erwärmt den Innenraum des Wagens. Wo bleibt denn der Schäfer? Ich bin pünktlich, wie so oft auch jetzt etwas zu früh am verabredeten Treffpunkt. Soll ich aussteigen? Ich überlege. Hier ist ja niemand, ich checke Seitenspiegel und Rückspiegel. Kein Mensch weit und breit. Was soll ich da draußen herumstehen wie eine zurückgelassene Eckfahne? Ich öffne die Tür und verlasse mein Auto, drehe mich im Weggehen immer wieder nach ihm um. Als ob mir jemand die ungewaschene Karre auf dem Feldweg klauen würde. Ich gehe einige Meter.

Hinter einer winterlich laublosen Hecke entdecke ich die Tiere. Wie süß sind die denn? Ich halte meine Hände vor den Mund und ersticke einen kleinen Aufschrei. Achtung: mein erster Shaun das Schaf-Moment. Zig Schafsaugenpaare schauen mich groß an. Dann senken sie wieder ihre Köpfe. Die Herde grast friedlich weiter, nur einzelne wollige Vierbeiner lassen kauend den Kopf erhoben und behalten mich im Blick. Von Unruhe keine Spur, obwohl ich mich langsam der Absperrung nähere. Warum hängen da Herrensocken am Zaun? Ich strecke den Arm aus und versuche ein Schaf zu mir zu locken. Beuge mich vor, rufe und pfeife leise. Autsch! Im Zaun fließt Strom und jetzt auch durch mich. Ich reibe mir den Ellenbogen, schade, dass ich das Warnschild nicht früher gesehen habe. Oder wie mein Papa immer gesagt hat: »Erst lesen, dann schauen, danach denken und handeln.«

Sind diese Tiere wirklich so ohne Arg? Gutgläubig gehen sie davon aus, dass man ihnen nichts Böses will. Gefahr scheinen sie bei mir jedenfalls nicht zu wittern, oder hören die nur schlecht? Aber bei den Ohren? Kaum vorstellbar. Kein Schaf läuft auf mich zu. Kauendes Desinteresse. Hier und da ein vereinzeltes, müdes Mäh. Das schwache Läuten eines Glöckchens. Etwas mehr Enthusiasmus hatte ich schon erwartet.

Nach zwei Minuten an der frischen Luft beginne ich bereits zu frieren. So ohne Lenkrad- und Sitzheizung ist es unangenehm kühl. Worauf habe ich mich hier eingelassen? Ich könnte gerade gemütlich auf der Couch liegen. Samstag ist der einzige Tag in der Woche, an dem ich länger ausschlafen, mit meinem Mann ins Kino gehen oder für unsere Freunde etwas Schönes kochen kann. Ist das wirklich ein guter Plan, für die nächsten 52 Wochen so gut wie jeden Samstag dem Schäfer und der Herde zu widmen? Nicht, dass die Schafe mich am Ende meine Ehe kosten.

Diese Kälte ist keine normale Januarkälte, sie ist wie ein aggressiver Pitbull, kriecht hungrig über die Knöchel hoch bis in die Kniekehlen. Warum habe ich mich gegen die Thermoleggings entschieden? Weil die auftragen mit ihrer doppelt dicken Struktur? Will ich ernsthaft mit Ende fünfzig einen Schäfer aus der Region Rodgau mit einer schlanken Beinsilhouette beeindrucken?

Das Komfortlevel ist noch nicht ganz das richtige für mich als langjährige Städterin. Zu zugig. Kein echter Windschutz nirgends. Ich drücke meine Fäuste tiefer in die gesteppte Jackentasche und fühle mich fremd in dieser Umgebung. Als würde die Natur merken, dass ich keine Ahnung von ihr habe. Mich Lichtjahre von ihr entfremdet habe. Mit dem Hund auf einem Waldweg laufen, das erledige ich noch lässig. Das Knarzen der Zweige gleicht einem höhnischen Lachen, während ich da so herumstehe und zitternd nach dem Schäfer Ausschau halte. Bin ich wirklich bereit für ländliche Eindrücke und eine Dosis Natur? Zurückzukehren? Ich bin hier, um herauszufinden, wo und ob ich naturtechnisch wieder andocken kann, will nicht nur kurz gucken und dann wieder weg sein. Eine Heizung wäre jetzt aber schon schön.

In der Pandemie haben sich viele Großstädter Patentiere angeschafft. Freunde hatten plötzlich einen Bienenstock auf der Dachterrasse, andere pflegten enge Verbindungen zu Alpakas. Aber darum geht es mir nicht: Ich will nicht nur ein bisschen Natur, sondern wirklich Eintauchen in die Arbeiten, die mit dem Zyklus der Jahreszeiten verbunden sind. Ich will das traditionelle das Leben des Schäfers und die Herde kennenlernen, beobachten, anpacken und mir die Hände schmutzig machen. Mein Ziel ist, regionalen Naturschutz zu erleben und zu begleiten. Ich könnte es mir selbstverständlich auch einfacher machen und eine Mitgliedschaft beim 1. FC Köln beantragen, um als Fan dem Geißbock Hennes IX. nah zu sein, jedenfalls bei Heimspielen. Bei Auswärtsspielen darf er nicht mit und lebt, gut betreut, im Kölner Zoo. Aber mein Herz gehört schon Werder Bremen, die haben nun mal kein lebendes Clubmaskottchen. Bliebe noch die Frankfurter Eintracht mit Attila dem Adler – doch mein Herz schlägt für Paarhufer.

Ich gehe den Bärbel-Weg. Wenn, dann richtig! Wenn ich den Schäfer und seine Herde ein Jahr lang begleite, werde ich einiges mitbekommen. Das hessische Land ist nicht unbedingt unberührte Wildnis, schon klar. Mein Schäfer lebt auch nicht wie ein Nomade im Zelt bei seinen Tieren, er fährt abends nach Hause mit Fernsehen und gemütlichem Bett. Mir geht es ja auch nicht um Extreme, ich habe weder die Stadt grundlegend satt, noch will ich als einsame Selbstversorgerin auf dem Land leben. Ich wäre einfach gerne für ein Jahr eine Azubi-Schäferin. An einem Ort in der Natur, an dem Gedanken wieder Platz haben und offen sind für Neues.

Der Schäfer hat die unglaubliche Lebensentscheidung getroffen, Schäfer zu sein. Kein Wochenende frei, Arbeitsstunden nicht nach Stechuhr, viel Verantwortung. Er reiht sich ein in die jahrhundertealte Tradition dieses Berufs. Was kann ich wohl alles von ihm lernen? Ich machte mir im Kopf schon mal eine Bucketlist, was ich gerne erleben würde: Ich möchte Lämmer auf die Welt kommen sehen, die Schur und wie die Herde über Land geführt wird. Ich will die Arbeit des Hütehundes verstehen, Weidewissen aufbauen und Krankheiten der Tiere erkennen können. Dafür bin ich bereit, jeden Samstag in die Gummistiefel zu steigen, die Ärmel hochzukrempeln und von Januar bis Dezember draußen zu sein, soweit mein Dienstplan und meine Jobs es zulassen. Nun muss nur noch der Schäfer wollen. Wo bleibt der denn?

Langsam spüre ich meine eiskalten Füße nicht mehr. Der Schäfer sollte mich und meine Fragen im Schlepptau aushalten können, hoffentlich spricht er gerne. Was das wohl für ein Typ Mensch ist, der sich einen Alltag aussucht, in dem er so viel auf sich allein gestellt ist? Schaffe ich es, dass er wirklich zustimmt, dass ich ihn begleiten darf? Was ist, wenn er heute nicht kommt? Ich kann keine Monate auf einem Biohof mit Schafzucht in Bayern oder bei den Sylter Deichschafen verbringen, das ist einfach nicht familienkompatibel. Wir haben ausgemacht, dass wir es erst einmal miteinander versuchen. Uns probeweise beschnuppern. Ob ich mich hier und heute irgendwie beweisen muss? Vielleicht fragt er mich gleich Schafrassen ab oder ich muss spontan alle Futterarten aufsagen können? Bärbel, das hier ist kein Casting, beruhige ich mich. Der Schäfer und ich müssen uns nur annähern, zaghaft kennenlernen, Vertrauen aufbauen.

Ich habe einiges über ihn herausgefunden. Er ist Gründungsmitglied im Landschaftspflegeverband Südhessen, Teil der NABU...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2023
Zusatzinfo Mit Farbfotos auf den Innenklappen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • Ausgesprochen Fröhlich mit Schäfer • Berühmte Personen • Biologie • eBooks • Einklang mit der Natur • Entspannung • Erzählendes Sachbuch • Frauenunterhaltung • Glücklich sein • Landleben • Landlust • life lessons • Mein Leben als Schäfer • Nachhaltigkeit • Neuerscheinung • Raus aus der Stadt • Schafe • Schäfer • Selbstfindung • Selbstversorger • Selbstversorgung • stadtmensch in natur • unterhaltsames sachbuch • Wie wollen wir leben
ISBN-10 3-641-29861-X / 364129861X
ISBN-13 978-3-641-29861-6 / 9783641298616
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