Konjunktur der Männlichkeit (eBook)
198 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45111-4 (ISBN)
Birgit Sauer ist Professorin i.R. für Politikwissenschaft an der Universität Wien.
Birgit Sauer ist Professorin i.R. für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Otto Penz ist Soziologe und lehrte u.a. an der University of Calgary und Universität Wien.
1.Männlichkeit und die autoritäre politische Rechte: Einleitung
»Ja, wir wollen Helden! Wann genau haben Männer eigentlich begonnen, Memmen zu werden?« (Birgit Kelle 2016)
In einem Gastkommentar des Wochenmagazins Focus stellt die einer medialen Öffentlichkeit vertraute Anti-Gender-Aktivistin und CDU-Mitglied Birgit Kelle, bekannt durch ihre Bücher Dann mach doch mal die Bluse zu (Kelle 2013) und GenderGaga (Kelle 2015), die obige Frage als Reaktion auf gewalttätige Übergriffe auf weiße Frauen durch zugewanderte Männer. Kelle diagnostiziert: Wenn weiße Männer nicht mehr ihre Fäuste gebrauchen, um weiße Frauen zu schützen, dann gibt es in Deutschland keine richtigen Männer mehr. Und sie sieht dies als Folge der Frauenbewegung. Daran schließt sich ihre logische Forderung nach »Helden« an. Der Topos des verweichlichten Mannes, der weiße Frauen nicht mehr schützen könne, wird im Gespräch zwischen Björn Höcke, dem Thüringischen Landesvorsitzenden der Alternative für Deutschland (AfD), und Sebastian Hennig (Höcke 2018: 114) gerne aufgegriffen und weitergetrieben. Höcke beklagt den »identitätsgestörten Mann«, der in Deutschland zu »zehn Prozent« als »verkrampfter Macho« und zu »achtzig Prozent« als »Weichei« auftrete. Dieses Zitierkartell aus selbsternannter »Anti-Genderistin« und autoritärem Rechten ist nicht zufällig, sondern symptomatisch für die Positionierung der autoritären Rechten in Diskurskoalitionen und affektiven Verbindungen einer neuartigen antifeministischen, maskulinistisch-autoritären Konjunktur. Darum soll es in diesem Buch gehen.
Seit der Jahrtausendwende sind europäische Staaten, aber auch Länder in anderen Regionen der Welt mit dem Erstarken oder der Entstehung von rechtsextremen, rechtspopulistischen, nationalistischen und autoritären Parteien und Bewegungen konfrontiert.1 Die politikwissenschaftliche Ursachensuche für den Aufschwung der Rechten in Europa setzt bei der Transformation des Parteiensystems seit den 1970er Jahren an, bei der Oligarchisierung und Kartellisierung der sogenannten Volksparteien und der Entstehung einer »politischen Klasse«, die eher am eigenen Interesse des Machterhalts als an den Bedürfnissen der Wähler:innenschaft orientiert ist (von Beyme 1996; Müller 2016a: 24). Dieser Prozess erfasste in den 1980er Jahren alle Parteien und führte zum allmählichen Verlust des Repräsentationspotenzials etablierter Volksparteien. Vor diesem Hintergrund entstanden »Protestparteien« und »-bewegungen« – in vielen europäischen Ländern grüne Gruppierungen, in einigen Ländern aber auch rechte Parteien (von Beyme 1996).
Die Zuspitzung einer »postdemokratischen« Situation (Rancière 2002; Crouch 2008), also die schleichende Entkernung bzw. Aushöhlung und Entmachtung von Parlamenten sowie die Verlagerung politischer Entscheidungen in Gremien jenseits demokratisch legitimierter Institutionen, verschärfte die Kluft zwischen Repräsentierten und Repräsentant:innen und führte, wie es Paula Diehl (2016) nennt, zu einer »Krise der demokratischen Repräsentation«. Phänomene wie sinkende Wahlbeteiligung, schwindendes Vertrauen in politische Entscheidungsorgane und Akteur:innen sowie Protestwählen waren die Folgen. Chantal Mouffe (2008: 11) sieht den europäischen Rechtspopulismus daher als Indikator und Phänomen einer »post-politischen Krise«: Die Orientierung an einer politischen Mitte, insbesondere der sozialdemokratische Dritte Weg in Großbritannien und Deutschland, trug nach Mouffe dazu bei, dass das Politische stillgestellt wurde. Eine Politik des Konsenses statt politischer Kontroverse habe eine Entpolitisierung befördert und eine Leerstelle produziert, die rechtspopulistische Parteien mit ihren neuen Antagonismen zu füllen in der Lage waren (ebd.: 85 ff.). In diesem »populistischen Moment« (ebd.: 11) besäßen rechte Parteien und Organisationen strukturelle Ähnlichkeiten mit sozialen Bewegungen der 1970er Jahre und seien daher als Teil neuer »postdemokratischer ›Empörungsbewegungen‹« (Ullrich 2015: 8 ff.) zu begreifen.
Doch erst der Wandel der »alten« Rechten in »neu-rechte« Parteien, erst die Transition realsozialistischer Staaten in Parteiendemokratien (Minkenberg 2015) sowie die neoliberale ökonomische Globalisierung, der Abbau europäischer Sozialstaaten und eine globale Mobilisierung zur Migration bildeten ab den 1990er Jahren ein Gelegenheitsfenster für die Wahlerfolge rechtspopulistischer und -autoritärer Parteien.
Der Begriff Rechtspopulismus verweist dabei auf eine spezifische Strategie der neuen Rechten, auf eine strategische »Innovation«, nämlich den diskursiven Einsatz eines vertikalen Antagonismus, die Herstellung eines »Wir«, das gegen politische Eliten, das sogenannte Establishment oder die sogenannte »Lügenpresse« (Mudde 2004: 543) in Stellung gebracht wird. Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen sind zudem durch einen zweiten, nämlich horizontalen Antagonismus charakterisiert, durch den Gegensatz zwischen dem »Wir« und den »Anderen«, seien dies Migrant:innen, Asylsuchende, Muslim:innen, LGBTIQ-Personen oder Feminist:innen. Und sowohl die Eliten als auch die »Anderen« stellen eine Bedrohung des autochthonen Volkes dar, das in diesem antagonistischen Diskurs entstehen soll. Diese binären und ausschließenden Gegensätze zielen auf die Konstruktion eines »moralisch reine[n], homogene[n] Volkes« ab (Müller 2016b: 42), das sich im Widerspruch zu den Mächtigen »da oben« und zu den auszuschließenden »Anderen« befindet. Cas Mudde (2019: 27) erwähnt schließlich ein drittes Merkmal rechtspopulistischer Parteien, nämlich ihren autoritären Charakter, den wir ins Zentrum unserer Analyse stellen wollen, geht es doch unseres Erachtens in der Kritik rechter Diskurse und Politiken vor allem darum, die Gefahren eines Umbaus liberaler Demokratien in autoritäre Systeme – wie er etwa in Polen oder in der »Wahlautokratie« Ungarn2 in Gang gekommen ist – in den Blick zu nehmen.
Kenner:innen der rechten Szene in Deutschland und Österreich betonen allerdings die Kontinuitäten rechter Parteien, Gruppierungen, Bewegungen und ideologischer Strömungen (Stöss 2005; Weiß 2018; Birsl 2011). In seiner erhellenden Studie über rechte und rechtsextreme Gruppierungen in Deutschland seit dem frühen 20. Jahrhundert gelingt es Volker Weiß (2018), das ideologische Erbe der heutigen autoritären Rechten wie auch deren Aneignungen der Narrative und Vorstellungen der »konservativen Revolution« überzeugend darzulegen. Allerdings, so Weiß, zeichnet sich der derzeitige »rechts-autoritäre Moment« durch eine Kulmination von gesellschaftlichen Entwicklungen und rechten ideologischen Vorbereitungsdiskursen und -aktivitäten aus. Für Weiß gab das Buch des ehemaligen SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin Deutschland schafft sich ab aus dem Jahr 2010 einer »latente[n] bürgerliche[n] Krisenstimmung« Ausdruck und Begriffe (Weiß 2018: 10) und ließ die AfD und Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands) entstehen. Auch die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) und die Identitären Bewegungen in beiden Ländern – die sich aktivistisch-provokativ und mit popkulturellen Anspielungen im rechten Kulturkampf engagieren – wuchsen und konnten Aufmerksamkeit gewinnen. Diese Krisenstimmung verdichtet sich – in unserer Begrifflichkeit – zu einer rechts-autoritären Konjunktur.
Rechten Parteien und Bewegungen in Europa geht es um mehr als nur eine restriktive Immigrations- oder konservative Familienpolitik, um Wähler:innenstimmen zu gewinnen. Das nationalistische und autoritäre Projekt der politischen Rechten geht über den Ausschluss von Migrant:innen oder LGBTIQ-Personen hinaus. Rechte Gruppierungen zielen vielmehr darauf, die Länder der EU in Richtung eines national-autoritären bzw. »national-sozialen« Projektes (Balibar 2010) umzubauen und liberale Demokratien zu beseitigen. Die Ausgrenzung von Personengruppen, die Konstruktion der »Anderen« ist somit Teil einer Strategie, um für diesen Umbau Konsens herzustellen, also autoritäre und ausschließende Diskurse und Praktiken zum Common Sense zu machen. Das Konzept des »autoritären Populismus«, wie es Stuart Hall (1985) für die Charakterisierung der Thatcher-Regierung prägte, macht schließlich auf ein bereits existierendes »autoritäres Begehren«, auf einen autoritären Common Sense und den Wunsch nach Law and Order im Neoliberalismus aufmerksam. ...
Erscheint lt. Verlag | 12.4.2023 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Gender Studies |
Schlagworte | Geschlechterforschung • Politikwissenschaft • Soziologie |
ISBN-10 | 3-593-45111-5 / 3593451115 |
ISBN-13 | 978-3-593-45111-4 / 9783593451114 |
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