Interaktionsorientierte Didaktik der Frühpädagogik (eBook)
158 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-037212-2 (ISBN)
Dr. Regine Schelle arbeitet beim Deutschen Jugendinstitut. Dr. Tina Friederich ist Professorin für Pädagogik an der Katholischen Stiftungshochschule München.
Dr. Regine Schelle arbeitet beim Deutschen Jugendinstitut. Dr. Tina Friederich ist Professorin für Pädagogik an der Katholischen Stiftungshochschule München.
3 Didaktik der Frühpädagogik – ein Überblick
Kapitel 2 hat verdeutlicht, dass die Unterstützung und Förderung kindlicher Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen zur Kernkompetenz pädagogischer Fachkräfte gezählt werden kann. Die Frage, wie man frühkindliche Bildungsprozesse dabei bestmöglich unterstützt, ist eine Schlüsselfrage der Didaktik, die auch für die Frühpädagogik ihre Erklärungskraft entfalten kann. So wird nun im Folgenden ein Überblick über Gegenstand und Fragestellung einer Didaktik gegeben und schließlich der Blick auf die frühe Bildung gerichtet.
3.1 Was meint Didaktik?
Jank und Meyer (2014, S. 14) definieren Didaktik als die »Theorie und Praxis des Lernens und Lehrens.« Als Teilgebiet der Pädagogik umfasst Didaktik alle pädagogischen Aktionen, die auf das Lernen und die Bildung von Menschen abzielen, und will diese Lernenden unterstützten (Kron 2008). Ziel ist es, Orientierung für das Handeln in Lehr- und Lernsituationen zu geben. Um das zu erreichen, will Didaktik als Wissenschaft durch die Erforschung der Praxis des Lehrens und Lernens sowie durch die Entwicklung theoretischer Grundlagen den Erwerb didaktischer Handlungskompetenzen der Lehrenden anregen (Jank & Meyer 2014).
Kron et al. (2014) ergänzen diese Definition von Didaktik um eine weitere Deutung: Didaktik ist in ihrem Sinne eine Enkulturationswissenschaft. Das bedeutet, dass Didaktik dazu dient, die bzw. den Einzelne*n beim Hineinwachsen in die Kultur der ihn oder sie umgebenden Gesellschaft zu unterstützen. Damit werden die Vermittlungsprozesse kultureller und sozialer Inhalte ins Zentrum von Forschung, Theoriebildung und Praxis der Didaktik gerückt. Das Individuum lernt im Prozess der Enkulturation kulturelle Inhalte der Gesellschaft und damit lernen die Heranwachsenden, zu sein und zu handeln »wie alle anderen«. Gleichzeitig lernen die Heranwachsenden aber auch, eine einzigartige Identität herauszubilden und damit so zu sein und so zu handeln, wie kein*e andere*r. Nur durch das Aneignen der Kultur wird den Heranwachsenden die Möglichkeit eröffnet, sich selbst zu entfalten und in der Gesellschaft handlungsfähig und selbstständig zu werden. Beide Lernprozesse sind aufeinander bezogen und für Didaktik relevant.
Didaktik erfüllt ihre Aufgaben auf dreierlei Weise (Sünkel in Meyer & Walter-Laager 2019): Zum Ersten analysiert, ordnet und systematisiert die theoretische Didaktik historisch ein, was mit Bildung, Erziehung, Unterricht usw. gemeint ist. Zum Zweiten untersucht die empirische Didaktik, wie Lehr-/Lernprozesse in der Realität ablaufen, welche Bedingungen entscheidend sind und was sie bewirken. Zum Dritten macht die pragmatische Didaktik (auch Handlungswissenschaft) deutlich, was gute Praxis ausmachen kann, und liefert Leitfäden und Handlungsorientierungen für Pädagog*innen. Als Voraussetzung für die Umsetzung konkreter Vorgehensweisen kann aber das Wissen um die theoretischen Grundlagen und empirischen Ergebnisse angesehen werden. Denn dieses Wissen benötigen Pädagog*innen, um eine »reflexive Distanz zum eigenen Denken, Fühlen und Handeln« herzustellen (Meyer & Walter-Laager 2019, S. 188). Theoretisches und empirisches didaktisches Wissen kann helfen, das eigene Handeln zu legitimieren, das eigene Handeln zu hinterfragen, neue Perspektiven zu erkennen sowie das eigene Handeln zu evaluieren (Meyer & Walter-Laager 2019).
Grundsätzlich kann man darüber hinaus eine Allgemeine Didaktik von Fachdidaktiken unterscheiden. Eine Allgemeine Didaktik will umfassend Voraussetzungen, Möglichkeiten, Folgen und Grenzen des Lehrens und Lernens strukturieren und erforschen – unabhängig von Zielgruppe oder Lehrinhalten. Im Gegensatz dazu sind Fachdidaktiken Spezialwissenschaften, die sich einem konkreten Lernfeld widmen. Im deutschsprachigen Raum gibt es ca. 200 Fachdidaktiken (Jank & Meyer 2014). Sie beziehen sich auf bestimmte Inhalte wie Mathematik, Religion oder auch Sport. Fachdidaktiken orientieren sich an der wissenschaftlichen Leitdisziplin des jeweiligen Faches (Religionsdidaktik bezieht sich auf die Theologie, Deutschdidaktik auf die Germanistik etc.) (Jank & Meyer 2014). Unterscheiden kann man didaktische Modelle, Konzepte und Prinzipien darüber hinaus auch nach ihrer Zielgruppe (Erwachsene, Sekundarstufe, Grundschulkinder, Elementarbereich).
Didaktische Fragen – der Gegenstand der Didaktik
Jank und Meyer (2014) versuchen, den Gegenstand der Didaktik, also die Unterstützung des Lehrens und Lernens, anhand von neun W-Fragen auszudifferenzieren und vor allem zu konkretisieren. Didaktik stellt diese Fragen, kann sie oft aber nur mit Bezugswissenschaften wie der Psychologie, der Anthropologie, den Neurowissenschaften, der Soziologie oder auch der Philosophie beantworten. Aber bei der Beantwortung der Fragen hat Didaktik »das letzte Wort« (Meyer & Walter-Laager 2019, S. 190).
Um Lehr-/Lernprozesse zu unterstützen, werden in der Didaktik folgende Fragen behandelt:
- ·
Wer soll lernen?
- ·
Was soll gelernt werden?
- ·
Wer soll lehren?
- ·
Wann soll etwas gelernt werden?
- ·
Mit wem soll etwas gelernt werden?
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Wo soll gelernt werden?
- ·
Wie soll gelernt werden?
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Womit soll gelernt werden?
- ·
Wozu soll gelernt werden? (Jank & Meyer 2014, S. 17 ff.)
Diese didaktischen Fragen hängen zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Im Idealfall können alle Fragen stimmig beantwortet werden und – wie in einem Mobile – werden die Fragen für unterschiedliche Lernorte, Zielgruppen und Situationen in Balance gebracht. Die folgende Abbildung zeigt dieses didaktische Mobile.
Abb. 1:Didaktische Fragen (Kovacevic & Schelle 2017: Didaktische Prinzipien für eine kompetenzorientierte Weiterbildung. In: Deutsches Jugendinstitut/Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (Hrsg.), Bildungsteilhabe und Partizipation. Grundlagen für die kompetenzorientierte Weiterbildung. WiFF Wegweiser Weiterbildung, Band 12, S. 105; vgl. Schüßler 2011, Jank & Meyer 2014)
Wie diese Fragen jeweils beantwortet werden, hängt davon ab, mit welcher theoretischen Perspektive man auf die Fragen blickt. Wie lernen Kinder und was benötigen sie dafür? Welche Bedeutung hat die lehrende Person dafür, welche Rolle übernimmt sie? Unterschiedliche Lerntheorien erfordern unterschiedliche didaktische Prinzipien und Modelle, entsprechend variieren die Antworten auf die didaktischen Fragen. Manche der didaktischen Fragestellungen sind von politischer Natur – das zeigt auch ein Blick in die Historie des Bildungssystems. Bei manchen Fragen werden also die Spielräume der Pädagog*innen von außen gerahmt. Die Fragen, wer lernen soll, auch was und wann, sind Fragen, die zunächst auf bildungspolitischer Ebene entschieden werden. Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens können die Pädagog*innen dann spezifische Antworten finden (Jank & Meyer 2014).
Didaktische Entscheidungen werden also auf ganz unterschiedlichen Ebenen getroffen. Die Abbildung zeigt diese Ebenen mit Beispielen für die Frühpädagogik.
Abb. 2:Ebenen der didaktischen Entscheidungen (eigene Darstellung)
Ein Kern der didaktischen Entscheidungen wird auf der Mikroebene getroffen, also in der konkreten Lehr-/Lernsituation. Im konkreten Handeln treffen Pädagog*innen fortwährend spontan, vielleicht intuitiv und kreativ didaktische Entscheidungen, auch wenn diese vielleicht erst in einer späteren Reflexion als solche erkannt werden können. Auf der Mesoebene, »auf dem Reißbrett«, werden Angebote geplant und vorbereitet, wie z. B. ein Morgenkreis oder eine Lernwerkstattarbeit, oder aber die Planung findet spontan und innerhalb weniger Minuten statt, da sich gerade eine alltägliche Situation zu einem Bildungsmoment für die Kinder wandelt und die Fachkraft darauf reagiert. Wie gerade schon angedeutet, werden diese beiden Ebenen aber auch von der Makroebene, also zum einen von den Vorgaben innerhalb der Organisation und zum anderen auch von den rechtlichen Vorgaben beeinflusst. Wenn die Ebenen kongruent sind, kann das Mobile der didaktischen Fragestellungen, um bei diesem Bild zu bleiben, einfacher in Einklang gebracht werden. Ein*e Pädagog*in, der*die didaktische Entscheidungen der Organisation anzweifelt oder gar konträr dazu denkt, wird es schwerer haben, sein*ihr didaktisches Handeln zu planen und umzusetzen.
Exkurs: Kleine Geschichte der Didaktik
Der Begriff der Didaktik wird seit etwa 2.500 Jahren verwendet. Er stammt vom griechischen Wort »didáskein« ab, das schon damals so viel wie »unterrichten« und »lehren« meinte. Im Lateinischen wurde »didacta« als griechisches Fremdwort...
Erscheint lt. Verlag | 11.1.2023 |
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Zusatzinfo | 8 Abb. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Vorschulpädagogik |
Schlagworte | Didaktik • Elementarpädagogik • Kita |
ISBN-10 | 3-17-037212-2 / 3170372122 |
ISBN-13 | 978-3-17-037212-2 / 9783170372122 |
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