Wandel - Wie kommt das Neue ins System? (eBook)

Lesebuch Europäische Toleranzgespräche 2022

Wilfried Seywald (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023
120 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-3077-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wandel - Wie kommt das Neue ins System? -
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Wandel - Wie kommt das Neue ins System? Lesebuch zu den 8. Europäischen Toleranzgesprächen vom 1. bis 4. Juni 2022 in Freach und Villach (Kärnten).

Peter Vollbrecht


Sehnsuchtsland


Wie wir besser anders reisen – Oder:

Reisen als Nahrung für die Seele

Es ist eigentlich nur ein kleiner Schritt von einer philosophischen Reise zu einem Philosophieren über das Reisen. Denn wäre es nicht ein spannendes Unterfangen, das Bündel aus Imagination, Fernweh und Erwartung, aus Ankommen, ersten Orientierungen und unerwarteten Wendungen zum Thema zu machen – während einer Reise nach, sagen wir Venedig etwa, dem literarischen Sehnsuchtsort schlechthin? Was könnte man da nicht alles hineinpacken ins kulturtouristische Programm! Nun, wir müssen es hier etwas weniger verheißungsvoll angehen, gleichwohl sind die nachfolgenden Betrachtungen über das Reisen keine Trockenübung. Denn vor zweiundzwanzig Jahren bin ich mit einer philosophierenden Gruppe zum ersten Mal aufgebrochen. Seitdem bin ich wohl über zweihundertmal philosophisch gereist, kreuz und quer durch Europa und mitunter auch in Süd- und Südostasien. Damals aber, zu Beginn im Sommer des Jahres 2000, ging es zum Denken und Wandern in die Schweiz. Das obere Engadin war die Lieblingslandschaft von Friedrich Nietzsche gewesen, er verbrachte dort sieben Sommer, wir blieben dort zwar nur sechs Tage, aber: Immer noch fahre ich dorthin, in den Kraft-Ort Sils Maria, das Wandern und das Nachdenken ist einfach eine gute Kombination für ein gutes Reisen, aber dazu später noch mehr.

Das Salz in der Suppe

Jetzt möchte ich Ihnen erst mal das Terrain aufbereiten. Ein paar Gedanken zum Reisen also möchte ich mit Ihnen teilen, und da erwarten Sie gewiss, dass dabei auch die gegenwärtige Weltlage eingefangen und mitreflektiert wird. Doch bevor ich uns das Salz einstreue in die Suppe, lassen Sie mich in zwei, drei Strichen den Glanz des Reisens preisen. Denn noch zweimal werde ich auf ihn, diesen Glanz zurückkommen. Seit jeher nämlich schon verspricht das Reisen neue Möglichkeiten. Neue Möglichkeiten für das eigene Dasein: anderen Lebensarten zu begegnen, sie zu schmecken, vielleicht gar selbst ein anderer zu werden oder endlich, endlich nur man selbst.

Es hat den Glanz einer Sehnsucht. Seidig bauschend seit Eröffnung des Orienthandels nach Arabien, Persien, Indien und China führten die Wege bis zu den Handelsstädten Niederländisch-Südostasiens. Der Duft des Orients wehte über den Handel hinein nach Europa und betörte die Phantasien. Europäische Künstler und Intellektuelle exotisierten den Orient zu einer kulturellen Fremde, in die sie die Lebenssehnsüchte des Abendlandes hineinprojizierten. Später rückten weitere Horizonte hinzu: die Tempel der Azteken und Maya, die Savannen Afrikas, die Flüsse Amazoniens, die Korallen der Südsee, die Weltmeere und die arktischen Zonen. Der seidige Glanz ist der Glanz der Ferne.

Unschwer ließe sich von der geografischen und kulturellen Ferne zur existenziellen Lust am Ausgesetztsein schreiten, die man dort in der Ferne erlebt, und von dort kämen wir dann zum existenziell Einmaligen und Unwiederholbaren, das ja eine wesentliche Grunderfahrung des Reisens ist. Im einmaligen, nicht wiederholbaren Erlebnis spiegelt sich unsere endliche Existenz. Das sind zugegeben recht große Töne, doch sie klingen nur nach innen, ins Seelische, und sie treffen auf einen Missklang da draußen, von dem nun die Rede sein muss. Schon im Frühjahr, noch vor Ausbruch des russischen Krieges, habe ich mich auf solche Misstöne eingestellt, als ich damals die Einladung nach Villach angenommen hatte. Doch mittlerweile sind die Zivilisationen noch instabiler geworden, so jedenfalls nehme ich das wahr, da haben sich eine ganze Reihe von Krisen mit unbekanntem Ausgang übereinandergeschichtet. Sie werden, das steht zu erwarten, uns zukünftig das Reisen versalzen. Doch schaut man genauer zu, dann ist der Tourismus selten eine sanfte und unschuldige Sache gewesen. Er hat den Konsumismus bis an die Enden der Welt getragen, hat dort den Wohnraum verteuert und manchen von der angestammten Heimat vertrieben. Das ist beileibe keine exotische Erzählung neokolonialen Tourismus, sie trifft ebenfalls auf Sylt wie auf Amrum zu und gewiss auch noch auf andere Plätze direkt vor unserer Haustür. Das alles ist bekannt, aber das ist nicht das Salz, das ich heute einstreue in meine Gedanken über das Reisen.

Heute geht es um die aktuellen Besorgnisse, deren ich vier kurz erwähnen möchte gleich zu Beginn, um sie dann immer wieder in positiveren Kontexten zu reflektieren:

Erstens: Wir leben in einem Klimawandel wie auch in einem Artensterben von unbekanntem, aber hochdramatischem Ausmaß, und selbst die vorsichtigeren Schätzungen schockieren mit der Aussicht, dass größere Bereiche des Planeten unbewohnbar werden. Die Verknappung von Lebensmitteln wird die sozialen Schieflagen noch deutlicher hervortreten lassen. Das wird vor allem Auswirkungen auf die Fernreisen haben, etwa zu den karibischen, den lateinamerikanischen, den afrikanischen, den südasiatischen und indo-pazifischen Zielen.

Zweitens: Wir leben in einem pandemischen Zeitalter, das sich gerade eine postpandemische Pause leistet. Mit neuen Versicherungs- und Buchungskonditionen hat die touristische Infrastruktur auf die Verunsicherung der Kunden reagiert. Dennoch scheinen mir die längerfristigen Auswirkungen eines pandemischen Zeitalters auf den vulnerablen Tourismus noch nicht absehbar.

Drittens: Wir erleben auch in der Versorgungslage der Menschheit einen Zeitenwechsel. Vielleicht muss es aber richtiger heißen: Die Ressourcenknappheit ist nun auch in den reichen Industrieländern zu spüren. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass die Weltwirtschaft eine längere Phase der Stagflation erlebt, durch die vor allem der Mittelstand und die unteren Schichten empfindliche Einbußen an Wohlstand werden hinnehmen müssen. Dem Tourismus gehen dabei wichtige Kerngruppen verloren.

Und schließlich, viertens: Wir leben in einer neo-militarisierten Welt. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Wirtschaftsleistung wird im militärischen Sektor versenkt werden und steht als Wohlstand nicht mehr zur Verfügung. Ob die Lust am Reisen in einem Zustand eines permanenten Angstszenarios noch die Dynamik aufweist wie zuvor, wird die Zukunft zeigen. Möglich, dass die Menschen vermehrt ausschwärmen, um die dunklen Zukunftserwartungen im Pool all-inclusive zu verscheuchen. Möglich aber auch, dass es genau umgekehrt kommt und die Menschen sich kokonieren in nahen Welten. Wahrscheinlich geschieht beides und dazwischen noch viel von anderer Farbe.

Und mit diesem Wahrscheinlich möchte ich die Zubereitung des Terrains abschließen: Ich kann Ihnen keine umfassende Sicht auf das zukünftige Reiseverhalten bieten. Da sind einfach zu viele Faktoren im Spiel. Nehmen Sie einfach mal zum Spaß, ja nur zum Spaß, die großen Prognosen der Zukunftsforscher noch einmal zur Hand, die gleich nach Ausbruch der Pandemie gemacht wurden, und halten Sie den Jetzt-Stand der Weltzivilisationen dagegen. Ich wette mit Ihnen: Sie brechen in ein lautes Lachen aus!

Über das Reisen nachzudenken, über seine Schönheiten, über das Fernweh und über die Horizonterweiterung, die das Reisen ermöglicht – muss man dabei die Schönheiten einsalzen? Geht es nicht ohne die ständige Problemwut? Erinnern wir uns kurz der Rede vom „Neuen Normal“, das zu Beginn der Pandemie in aller Munde war. Hoffnungen hatten sich darin artikuliert, Hoffnungen auf eine grundlegende Korrektur unserer Weltbewirtschaftung. Und um eine solche Hoffnung geht es auch mir, auf eine Kurskorrektur im touristischen Feld. Ein „Weiter so“ wäre ignorant, wäre fatal, wäre verantwortungslos. Gehen wir es also an!

In einem ersten Teil werde ich versuchen, der Faszination des Reisens zur Sprache zu verhelfen. Das wird nicht leicht sein, und ebenso schwierig ist die zweite Aufgabe, die ich mir gesetzt habe: dem Reisen ein Zukunftsdesign zu verpassen. Der durchgängige rote Faden, der beide Teile miteinander verbindet, ist der Faden einer Sinnerwartung. Denn wenn wir uns zu einer Reise entschließen, dann erwarten wir uns ja etwas davon. Aber was? Gibt es da einen größten gemeinsamen Nenner für alles Unterwegssein?

Fort-Sein und Dort-Sein

Ich suche ihn mit zwei Wortfügungen, nämlich dem ›Fort-Sein‹ und dem ›Dort-Sein‹. Dabei kommt das Dort-Sein sehr viel besser weg, aber auch das Fort-Sein hat seinen Charme. Ich nehme die Pointe gleich vorweg: das Fort-Sein ist Urlaub, das Dort-Sein ist Reisen. Aber eines nach dem anderen! Fort-Sein, das ist vor allem eines: Weg-sein. Endlich raus aus der Routine von Alltag und Beruf. Da muss es doch noch eine andere Welt und ein anderes Leben geben, das Fort-Sein bläst in den Konjunktiv des Lebens. Und wer wüsste nicht, wie uns die Aufbrüche immer wieder mit Vitalkraft erfrischen. Das frühe Aufstehen, das Abschließen der Wohnung, das Besteigen des Zuges oder das Starten des Automobils. Im Fort-Sein ziehen wir einen Strich hinter uns, und damit ist auch schon eine gewisse Einseitigkeit des Fort-Seins markiert: Es ist gleichsam negativ bestimmt.

Bringen wir also Positives hinein! Das ist zumindest theoretisch nicht sehr schwer. Schließlich sind wir angekommen nach einer mehr- bis vielstündigen...

Erscheint lt. Verlag 6.1.2023
Reihe/Serie Edition Denk.Raum.Fresach
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Europa • Literatur • Politik • Religion • Systemwandel
ISBN-10 3-7568-3077-2 / 3756830772
ISBN-13 978-3-7568-3077-0 / 9783756830770
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