Sozial-emotionale Entwicklung mit Lernleitern (SeELe) (eBook)
84 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61672-5 (ISBN)
Prof. Dr. phil. habil. Thomas Müller lehrt und forscht als Akademischer Oberrat am Lehrstuhl Pädagogik bei Verhaltensstörungen an der Universität Würzburg. Anja Grieser, Erbach, Sonderpädagogin im Förderschuldienst, entwickelt aktivitätsorientierte Materialien für Kinder und Jugendliche mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf. Prof. Dr. phil. Stefanie Roos ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Förderpädagogik ("Lernen") an der Universität Siegen. Prof. Dr. phil. Christine Schmalenbach ist Juniorprofessorin für Sonderpädagogik mit dem Schwerpunkt Lernen/emotional-soziale Entwicklung an der Universität Hamburg.
Prof. Dr. phil. habil. Thomas Müller lehrt und forscht als Akademischer Oberrat am Lehrstuhl Pädagogik bei Verhaltensstörungen an der Universität Würzburg. Anja Grieser, Erbach, Sonderpädagogin im Förderschuldienst, entwickelt aktivitätsorientierte Materialien für Kinder und Jugendliche mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf. Prof. Dr. phil. Stefanie Roos ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Förderpädagogik ("Lernen") an der Universität Siegen. Prof. Dr. phil. Christine Schmalenbach ist Juniorprofessorin für Sonderpädagogik mit dem Schwerpunkt Lernen/emotional-soziale Entwicklung an der Universität Hamburg.
2 Soziales Lernen und emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
SeELe wendet sich nicht nur an Kinder und Jugendliche mit emotional-sozialem Förderbedarf. Ganz im Gegenteil: Es zielt auf alle Kinder und Jugendlichen ab und rückt damit die Bedeutsamkeit der emotional-sozialen Entwicklung im Rahmen schulischen Lernens in den Vordergrund. Mit dem Fokus auf Kinder und Jugendliche ab der Sekundarstufe I wird zudem dem Umstand Rechnung getragen, dass dieses Lebensalter gerade für den Umgang mit Gefühlen, in der Entdeckung und Erprobung eigener Meinungen und Lebensvorstellungen, aber auch der eigenen Sexualität hoch bedeutsam ist. Der Erwerb emotional-sozialer Kompetenzen wird schulisch und bildungspolitisch in seiner Bedeutung immer wieder betont, es gibt jedoch keine einheitliche Definition zum Konstrukt sozialer Kompetenz (Petermann/Petermann 2009; Roos 2006). Pfingsten (2015, 18) schlägt vor, soziale Kompetenz als
„Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen zu verstehen, die in bestimmten sozialen Situationen für den Handelnden zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen führen“.
Es geht also immer um ein Abwägen eigener Bedürfnisse und Ziele und denen des jeweiligen Umfelds und der Gesellschaft. Das Ziel soll sein, in sozialen Situationen persönliche Ziele zu erreichen, aber zugleich positive Beziehungen zu anderen nicht zu gefährden (Siegler et al. 2011). Daran wird deutlich, wie anspruchsvoll sozial kompetentes Agieren ist. Es bedarf für eine zielgerichtete Förderung einer Bandbreite an situativen Lerngelegenheiten – hier realisiert in Form einer Lernleiter (Kap. 5.1). Soziale Kompetenz drückt sich in der Regel als eine erfolgreiche soziale Interaktion eines Kindes oder Jugendlichen mit Gleichaltrigen und Erwachsenen aus (Fabes et al. 2008). Das Vorhandensein sozialer Kompetenz führt aber nicht zwangsläufig auch zu sozial kompetentem Verhalten, denn „wer ein Potenzial besitzt, muss dieses keineswegs in jeder konkreten Handlung auch erfolgreich umsetzen“ (Kanning 2002, 155). Daher ist es im Rahmen des Arbeitens mit einer Lernleiter zum sozialen Lernen wichtig, dass zum einen Übungen zum Wissenserwerb und zur -festigung sowie zu Fähigkeiten und Fertigkeiten enthalten sind und zum anderen die konkrete Handlungs- und Anwendungsebene fokussiert wird.
Payton et al. (2000) listen emotionale und soziale Schlüsselfertigkeiten auf. Dabei unterscheiden sie folgende vier Kompetenzbereiche, denen sie jeweils unterschiedliche Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten zuordnen:
■Selbst- und Fremdwahrnehmung, Bezogenheit (wie z. B. Gefühlswahrnehmung und -regulation, Perspektivübernahme, etc.);
■positive Einstellungen und Werte (wie beispielsweise persönliche Verantwortungsübernahme, respektvolles Verhalten gegenüber anderen, Übernahme sozialer Verantwortung);
■verantwortungsvolle Entscheidungsfindung (Problemidentifikation und -lösung, Fähigkeit zum kritischen Hinterfragen sozialer und kultureller Normen, etc.);
■Fähigkeiten zur sozialen Interaktion (z. B. aktives Zuhören, Kommunikationsvermögen, Kooperationsfähigkeit, Fähigkeit zur Verhandlungsfähigkeit sowie Konsensfindung, Nein-Sagen-Können, Fähigkeit, Hilfe zu suchen und anzunehmen).
Um all diesen emotional-sozialen Fähigkeiten und ihrer Förderung in der Lernleiter umfänglich Rechnung zu tragen, wurde zunächst eine Synopse zentraler Bestandteile sozialer Kompetenz (Tab. 1) erstellt.
Bei der Konzipierung der Lernleiter ist auch darauf geachtet worden, dass es neben einem emotionalen Verständnis weitere Vorläuferfähigkeiten sozialer Kompetenzen zu berücksichtigen gilt, wie beispielsweise die Fähigkeit zur Selbstregulierung, die Fähigkeit zur sozial-kognitiven Informationsverarbeitung sowie Kommunikationsfähigkeiten (Fabes et al. 2008).
Tab. 1: Soziale Kompetenzen im Überblick
Sowohl das Erleben als auch das Verhalten von Menschen wird durch Emotionen bestimmt. Emotionen sind prägend für den Alltag eines jeden Menschen und haben Auswirkungen auf dessen Wahrnehmung, Erinnerung und Aufgabenbewältigung. Auch das Urteilsvermögen und die Problemlösefähigkeit werden von Emotionen beeinflusst (Fuchs 2014). Neben den drei wesentlichen Emotionskomponenten Gefühl, Ausdruck und Physiologie werden definitorisch oftmals noch weitere Komponenten genannt, so z. B. Kognition, Handlungsimpuls und/oder Motivation. Eine relativ umfassende Definition nach Kemmler et al. (1991, 18) lautet:
„Emotion ist der theoretische Begriff für komplexe, organisierte psychische Zustände, die aus subjektivem Erleben, gefühlsgetönten Gedanken, expressiv-instrumentellen Verhaltensweisen und zugehörigen körperlichen Reaktionsmustern bestehen. Emotionen sind, anders als länger andauernde Stimmungen, vorübergehende Erscheinungen und entstehen aus der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Welt.“
Emotionalen Kompetenzen wird von wissenschaftlicher Seite eine Schlüsselrolle hinsichtlich ihrer positiven Auswirkungen auf die Förderung prosozialen Handelns sowie zur Prävention aggressiver Verhaltensweisen zugesprochen (Hosser/Beckurts 2005). Emotionale Kompetenz liegt vor, wenn Kinder und Jugendliche emotionale Fertigkeiten in sozialen Interaktionen anwenden und so selbstwirksames Verhalten zeigen (Petermann et al. 2016). Saarni (1999) legt solch ein Konzept zur emotionalen Kompetenz vor, in dem emotionale Fertigkeiten einer Person vor allem im Hinblick auf ihren Nutzen für soziale Interaktionen betrachtet werden. So zeigen Kinder und Jugendliche erst dann umfängliches emotional kompetentes Verhalten, wenn sie die erworbenen Kompetenzen in Interaktionen mit Anderen anwenden und selbstwirksames Verhalten zeigen, d. h.
■wenn sich Kinder und Jugendliche darüber bewusst sind, dass ihr eigenes emotionales Ausdrucksverhalten die Reaktion anderer Personen beeinflusst und
■sie gelernt haben, ihr Verhalten strategisch zu steuern, um gewünschte Reaktionen hervorzurufen (Petermann/Wiedebusch 2016).
Bezogen auf emotionale Kompetenz werden in der Literatur für gewöhnlich drei Bereiche grob voneinander abgegrenzt, die in der Entwicklung als aufeinander aufbauend zu verstehen sind:
■Emotionsbewusstsein;
■Emotionsverständnis (Emotionswissen);
■Emotionsregulation (z. B. Denham 1998, Petermann/Wiedebusch 2016, Campbell et al. 2016).
Einige Autorinnen und Autoren führen darüber hinaus Empathie gesondert als weiteren Bereich auf (z. B. Saarni 2002; Southham-Gerow 2013). In der Tat erfordert emotionale Kompetenz unabdingbar Empathiefähigkeit, für die Fähigkeit zur Empathie ist es wiederum unerlässlich, über emotionale Kompetenzen zu verfügen (Fuchs 2014). Aufgrund dieser obligatorischen Verknüpfung integrieren einige Autorinnen und Autoren die Empathiefähigkeit als übergreifenden Aspekt in die anderen drei genannten Teilbereiche und führen sie nicht als gesonderten Bereich, z. B. in ihren Trainingsprogrammen, auf. Eine differenzierte Übersicht im Sinne einer Synopse findet sich in Tab. 2. Der dreischrittige Aufbau „Emotionsbewusstsein, Emotionsverständnis und Emotionsregulation“ wird auch der Lernleiter für die Erarbeitung der einzelnen Milestones zu den Emotionen zugrunde gelegt. In Tab. 3 wird ein Überblick über verschiedene emotionale Konstrukte gegeben und deren Bedeutung erläutert.
Tab. 2: Emotionale Kompetenzen im Überblick
Tab. 3: Emotionale Konstrukte und ihre Erläuterung
Konstrukt | Erläuterung |
Emotionsausdruck | ■nonverbale emotionale Mitteilungen durch Gesten äußern können ■empathisches Einfühlungsvermögen in Bezug auf die Gefühle anderer zeigen können (Denham 1998) ■selbstbezogene Gefühle zeigen können (Denham 1998) ■sozial missbilligte Gefühle kontrollieren können, indem Erleben und Ausdruck von Emotionen voneinander getrennt werden (Denham 1998) |
Emotionsbewusstsein | = „Fähigkeit, […] emotionale Regungen bei sich und anderen bewusst wahrzunehmen“ (Petermann et. al. 2016, 22). Voraussetzung: Achtsamkeit (Petermann et al 2016) Reaktionen am eigenen Körper und Gesicht und am Interaktionspartner erkennen, wahrnehmen und interpretieren (Petermann et al 2016) ■Erkennen eigener Gefühle und Bewusstsein für sie als Voraussetzung, um... |
Erscheint lt. Verlag | 5.9.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sonder-, Heil- und Förderpädagogik |
Schlagworte | Diversität • Emotionen • Inklusion • Kooperatives Lernen • milestones • MultiGradeMultiLevel (MGML) • Selbstgesteuertes Lernen • Selbstständigkeit • Sozialformen • Sozialkompetenz |
ISBN-10 | 3-497-61672-9 / 3497616729 |
ISBN-13 | 978-3-497-61672-5 / 9783497616725 |
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