Als ich im Krieg erwachte (eBook)

Tagebuch einer Flucht aus der Ukraine

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
192 Seiten
Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-8419-0835-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als ich im Krieg erwachte -  Julia Solska
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Wie ihre Landsleute nahm Julia Solska Russland zwar als permanente Bedrohung für die Ukraine wahr. Aber dass Wladimir Putin ihre Heimat überfallen und mit einem brutalen Krieg überziehen würde, hätte sie niemals gedacht - bis sie am 24. Februar 2022 in ihrer Kiewer Wohnung von Bombenexplosionen geweckt wurde und die Menschen um sie herum in Panik erlebte. Wie Millionen andere Ukrainer entschloss sie sich zur Flucht, die sie nach einer längeren Odyssee nach Deutschland führte. In ihrem Tagebuch erzählt sie eindrucksvoll, wie es ist, wenn sich ein Leben von - im wahrsten Sinne des Wortes - heute auf morgen verändert und ein Mensch mit Todesängsten klarkommen muss. Julia Solska lebte vier Jahre lang in Deutschland, ehe sie 2018 in ihre Heimat zurückkehrte. Sie hatte in Kiew alles, was sie für ein glückliches Leben brauchte. Die Veröffentlichung ihres Tagebuchs ist ihr Herzenswunsch und ein politisches Statement, das sie mit 44 Millionen Landsleuten teilt: 'Ich will nicht in Russland leben, sondern in der Ukraine!'

Julia Solska, geboren 1989, kam kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Vorzel, einer Kleinstadt nahe Kiew, zu Welt. Sie studierte Germanistik in Kiew und Bochum. In ihrer Heimat, der Ukraine, arbeitete Julia zuletzt in einem IT-Unternehmen. Sie spricht fließend Deutsch und fotografiert. 

Julia Solska, geboren 1989, kam kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Vorzel, einer Kleinstadt nahe Kiew, zu Welt. Sie studierte Germanistik in Kiew und Bochum. In ihrer Heimat, der Ukraine, arbeitete Julia zuletzt in einem IT-Unternehmen. Sie spricht fließend Deutsch und fotografiert.  Thomas Schmoll, geboren 1966 in Leipzig, lernte Holzdrechsler, verdient aber seit mehr als 25 Jahren sein Geld mit Wortdrechseleien aller Art. Er arbeitete als Journalist unter anderem für die Nachrichtenagenturen Associated Press und Reuters sowie die Financial Times Deutschland. Heute lebt er in Berlin als Autor, Ghostwriter und Medienberater.

Kiew im Frieden. © Maksym Stelmakh

Krieg! Ein böses Wort, das für sinnlosen Tod, sinnloses Leiden und sinnlose Zerstörung steht, für Flucht und Vertreibung, Tragödien und Traumata – einfach für all das, was die Menschheit nicht braucht, was kein Normalsterblicher jemals erleben will und sollte. Aber das Schicksal schlägt ja bekanntlich am liebsten dann besonders hart zu, wenn man nicht damit rechnet. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe ihn erlebt, den Tag, an dem ich im Krieg erwachte, sich mein Leben wie das der anderen 41 Millionen Ukrainer innerhalb weniger Minuten kolossal änderte.

Es waren Geräusche, die ich vorher noch nie gehört hatte – woher auch? –, die mich in meiner Kiewer Wohnung aus dem Schlaf rissen und alsbald zur Flucht zwangen. Dumpfe Geräusche, ein merkwürdiges Grollen und Krachen, als käme es von tief unten aus der Erde. Bald wusste ich, dass es die Hölle war.

Ich war krank, hatte Fieber, 38,5 Grad, schlief wieder ein, bis mein Freund mich nach wenigen Minuten weckte und sagte: „Steh auf, es hat begonnen.“ Ich hatte Angst, riesige Angst, und war froh, dass mein Freund da war – und mein Kater Fran, der friedlich wie immer auf dem Sofa heia machte. Ein bisschen beneidete ich ihn für die Gabe, die Gefahr und den Lärm der Bomben zu ignorieren und seelenruhig weiterzuschlummern, als wäre die Welt von heute noch die von gestern. Ich stand auf und befand mich in einer neuen Zeitrechnung: Der erste Eroberungskrieg in Europa seit 1945 hatte begonnen. Ich hatte nie einen russischen Angriff auf die gesamte Ukraine erwartet. Aber das laute Krachen der Explosionen war nun mal da, keine Einbildung, sondern ein lebendig gewordener Horrorfilm.

Noch tags zuvor war alles so wie immer, wie ich Kiew kannte, diese freundliche und weltoffene Stadt, in der ich gerne lebte und hoffentlich bald wieder lebe. Die Angst vor einem großen Krieg schwebte stets wie ein Fallbeil über uns. Es hing seit vielen Jahren dort. Wir schauten nur einfach nicht mehr nach oben, um nachzusehen, ob es noch da ist. Wir hatten uns an das Dasein unter der Guillotine gewöhnt – der Mensch ist ja bekanntlich ein Gewohnheitstier, das die hohe Kunst des Verdrängens beherrscht, damit es alles Tragische und Böse besser aushält.

In Wahrheit hatte der Krieg längst begonnen. Putin hatte ihn wie ein Krebsgeschwür in die Ukraine eingepflanzt und wuchern lassen. Er besetzte die Krim, annektierte sie im März 2014 und ließ sich dafür von seinem Volk bejubeln, während der Westen Sanktionen verhängte, über die im Kreml gelacht wurde, so lausig waren sie. Später griff Putin militärisch im Donbass ein, unterstützte die Separatisten, die die Ukraine spalten und uns als Volk vernichten wollen. Wir wussten, dass es passieren wird. Aber wir haben nicht wirklich daran geglaubt, dass Putin das ganze Land überfällt. Oder besser gesagt: Wir wollten nicht daran glauben.

Russland war für uns immer weit weg und so egal, wie es nur irgend geht. Wir, das ukrainische Volk, haben – anders als unsere Politiker – Putin zu wenig ernst genommen: Trotz seiner ewigen Hetze gegen die Ukraine und der absurden Propaganda von den „Drogensüchtigen“ und „Nazis“ in der Kiewer Regierung. Es war so lächerlich, das konnte doch niemand glauben, der ein wenig Verstand hat.

Eine Woche vor dem Einmarsch der Russen hörte ich zum ersten Mal von Plänen Putins, die Ukraine anzugreifen. Spannung lag in der Luft. Ich hielt es allerdings für psychologische Kriegsführung, Präsident Selenskyj unter Druck zu setzen. Aber die Vorstellung, dass russische Panzer durch ukrainische Städte fahren würden, schien völlig abwegig zu sein – nicht nur für uns Ukrainer, sondern die gesamte westliche zivilisierte Welt.

Dabei hatte Putin den Krieg angekündigt in einer Vergewaltigungsfantasie, die seine ganze Brutalität verriet. In einer Pressekonferenz mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron sagte er über die Ukraine: „Ob’s dir gefällt oder nicht, du wirst dich fügen müssen, meine Schöne!“ Ich habe gelesen, dass sich Macron an seinen Knopf im Ohr fasste, als zweifle er an der Richtigkeit der Übersetzung. Das Zitat stammt aus einem russischen Lied, wie ich später erfahren habe – ein obszönes Liedchen, das Russen beim Saufen singen. Der Text ist widerlich. Dass Putin ihn zitiert hat, hat seine Absichten verraten: Er vergewaltigt die Ukraine.

Wir hatten zwar angefangen zu lesen, wo sich die Luftschutzbunker befinden und was man in den „Alarmrucksack“ packen muss. Aber wir waren sicher: Es wird nichts passieren, Kiew ist sicher, weit genug weg vom Donbass. Wenn es knallt, dann vor allem im Osten der Ukraine. Ich glaubte bis zuletzt, dass Putin nicht das gesamte Land angreifen würde. Ich dachte, dass der Albtraum bald wieder vorbei ist, mein Freund, Fran und ich in Kiew bleiben können, weil spätestens am Mittag die erlösende Nachricht kommt, dass alles schon wieder vorbei, der Horrorfilm fertig gedreht ist. Doch das Grollen, Wummern und Donnern ging weiter und hämmerte es mir mit voller Wucht ins Gehirn, dass der Krieg begonnen hatte und ich mittendrin war. Als ich das endlich realisierte und akzeptierte, war augenblicklich alles Vergangene, alles Erlebte, alles Schöne auf der Welt vergessen. Es zählte nur das Jetzt und das Hier, nicht der nächste Tag, noch nicht mal die nächste Stunde, sondern nur die Minute, die gerade lief. Zum ersten Mal in meinem Leben war Überleben das Einzige, auf das es ankam. Sonst nichts. Ich konnte nicht an morgen denken, nicht an den Nachmittag. Es machte schlicht und einfach keinen Sinn, weil ich nicht wusste, ob es einen Nachmittag und ein Morgen geben würde oder die Welt über oder unter mir zusammenstürzt und mich verschlingt.

Mein Herz raste, ich hatte furchtbare Angst um alles, was mir teuer ist: meinen Freund, meinen Kater, meine Eltern, meine Schwester, meine Freunde, meine Heimat und natürlich auch um mich. Es war weniger mein Verstand, der mir half, nicht in Panik zu verfallen, als der natürliche Antrieb, der Mensch und Tier gleichermaßen innewohnt, den man Überlebensinstinkt nennt. Er war es, der mir befahl: Bleib ruhig! Halte durch! Das Leben geht weiter! Irgendwie! Nur wie? Das war die Frage, die mich quälte, als ich mich aus der Schockstarre löste und begann, mich zu sammeln. Der Nebel löste sich. Ich wusste plötzlich, dass es um mehr ging als um meine Liebsten und mich. Es ging um den Fortbestand der gesamten Ukraine als souveräner Staat und seine 41 Millionen Einwohner: Frauen, Männer und Kinder. Diesen Menschen widme ich mein Buch, in dem ich nicht die Heldin sein will, auch wenn mein Name vorne draufsteht. Alle Ukrainer sind Helden. Das haben wir der ganzen Welt bewiesen. Und das wird uns noch Jahrzehnte tragen.

Es ist an der Zeit, mich vorzustellen, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben, wer Ihnen erzählt, wie es ist, im Krieg zu erwachen. Mein Name ist Julia Solska. Ich liebe das Leben, die Freiheit, die Menschen (jedenfalls die meisten), Tiere, Reisen und schwarzen Kaffee. Ich bin fröhlich und offen, manchmal still und in mich gekehrt. Und stolz, Ukrainerin zu sein. War es schon immer und nicht erst seit Beginn des Krieges. Ich kam am 21. Dezember 1989 in Worsel zur Welt, das weniger als 7000 Einwohner hat und mehr ein Dorf als eine Kleinstadt ist. Worsel liegt eine halbe Autostunde von Kiew entfernt und gehört wie Hostomel, Irpin und Prypjat, wo die „verbotenen Zonen“ rund um das havarierte Kernkraftwerk Tschernobyl liegen, zur Oblast – in Deutschland würde man sagen: zum Verwaltungsbezirk – Kiew.

Als ich noch klein war, zogen wir in das Haus, in dem schon meine Urgroßeltern wohnten, im Dorf Mychajliwka-Rubeschiwka, das direkt an Worsel angrenzt und schon mehr als 400 Jahre existiert. Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, sage ich immer Worsel, weil keiner Mychajliwka-Rubeschiwka kennt, noch nicht mal in Kiew. Worsel ist einer der Orte, für die es im Deutschen das lustige Wort „Kaff“ gibt, das ironisch, aber nicht unbedingt boshaft gemeint ist. Würde man meinen Heimatort ein Kaff nennen, würde ich aber trotzdem widersprechen. Ich mag Worsels Gemütlichkeit und bin dort gerne aufgewachsen. Für Kinder ist es ein Idyll – war es jedenfalls bis zum Krieg. Ich mochte aber auch unser Dorf Mychajliwka-Rubeschiwka.

Erst 1905 ist Worsel gegründet worden. In seiner kurzen Geschichte ist es schon zweimal von fremden Armeen heimgesucht worden. Im Zweiten Weltkrieg war es die deutsche Wehrmacht, die am 22. September 1941 den Ort besetzte, bevor sie im November 1943 unter dem Druck der anrückenden Roten Armee wieder verschwand. Ende Februar 2022 waren es russische Truppen, die über Worsel herfielen, töteten, zerstörten und plünderten. Es ist besonders tragisch, dass die Russen erst als Befreier und acht Jahrzehnte später als Besatzer kamen.

Als mich meine Mutter zur Welt brachte, war die Berliner Mauer wenige Wochen zuvor gefallen. Die Sowjetunion existierte noch. Aufgelöst wurde sie bekanntlich im Dezember 1991, zwei Jahre nach meiner Geburt. Ich habe keine emotionale Beziehung zur Sowjetunion, meine Heimat ist die Ukraine. Ab und an hat mir meine Mutter Geschichten erzählt aus der Zeit der Sowjetunion, von der Propaganda über die angebliche Überlegenheit des Kommunismus über den Rest der Welt, eine Aussage, die nicht so wirklich zur Realität passen wollte, den Warteschlangen vor den Läden mit Hunderten Menschen, die für Wurst oder Milch stundenlang anstanden. Ich glaube aber, dass die Menschen auf ihre Weise in der Sowjetunion glücklich waren, jedenfalls nicht unglücklich. Sie kannten den Westen nicht. Wer sich nicht mit anderen Ländern und Leuten...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2022
Co-Autor Thomas Schmoll
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Angriffskrieg • Buch • Erfahrungsbericht • Flucht • Fremde • Invasion • Tagebuch • Ukraine • Ukraine Krieg • Ukraine Russland • Vertreibung • Zeitgeschehen
ISBN-10 3-8419-0835-7 / 3841908357
ISBN-13 978-3-8419-0835-3 / 9783841908353
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