Die Freiheit, allein zu sein -  Sarah Diehl

Die Freiheit, allein zu sein (eBook)

Eine Ermutigung

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
368 Seiten
Arche Literatur Verlag AG
978-3-03790-134-2 (ISBN)
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Die erste umfassende weibliche Betrachtung des Alleinseins Je mehr Freundschaften und Projekte, je fester der Job und die Partnerschaft, desto größer das Lebensglück? In ihrem aufrüttelnden Debattenbuch zeigt Sarah Diehl, wie trügerisch diese Vorstellung ist und warum vor allem Frauen immer noch zu wenig Räume zum Alleinsein haben. Dabei ist es nicht nur der Grundstein eines verantwortungsvollen Miteinanders - es ist die Triebfeder für Reflexion und Veränderung sowie ein elementarer Teil der Selbstfürsorge. Frauen hatten im Laufe der Geschichte kaum ein »Zimmer für sich allein«. Auch heute gilt die Kleinfamilie als Garant für ein glückliches Leben. Anhand von kulturhistorischen Betrachtungen, Interviews mit Frauen, aber auch Männern sowie der Erkundung verschiedener Lebensentwürfe offenbart Sarah Diehl die Fallstricke dieser Annahme. Dabei blickt sie ebenso auf die Bedeutung des Alleinseins innerhalb der Familie oder Partnerschaft wie in der Öffentlichkeit, in der Natur oder auf Reisen. Sie fordert den Erhalt der Einsamkeit und ermutigt alle, das Alleinsein immer wieder bewusst zu suchen. Denn so entziehen wir uns der Bewertung durch andere und erkennen unsere wahren Bedürfnisse. Alleinsein ist eine elementare Freiheitserfahrung, die allen ganz selbstverständlich zugänglich sein muss.

Sarah Diehl, geboren 1978, hat Museologie, Afrikawissenschaften und Gender Studies studiert und lebt als Autorin und Aktivistin in Berlin. Sie arbeitet zum Thema »Reproduktive Rechte im internationalen Kontext«, hat hierzu bereits zwei Anthologien herausgebracht und einen preisgekrönten Dokumentarfi lm gedreht: ?Abortion Democracy: Poland/South Africa?. 2014 gründete sie die Organisation Ciocia Basia, die Frauen dabei unterstützt, sichere Schwangerschaftsabbrüche zu bekommen. 2012 erschien ihr Roman ?Eskimo Limon 9? im Atrium Verlag, 2014 die viel beachtete Streitschrift ?Die Uhr, die nicht tickt? im Arche Literatur Verlag.

Sarah Diehl, geboren 1978, hat Museologie, Afrikawissenschaften und Gender Studies studiert und lebt als Autorin und Aktivistin in Berlin. Sie arbeitet zum Thema »Reproduktive Rechte im internationalen Kontext«, hat hierzu bereits zwei Anthologien herausgebracht und einen preisgekrönten Dokumentarfi lm gedreht: ›Abortion Democracy: Poland/South Africa‹. 2014 gründete sie die Organisation Ciocia Basia, die Frauen dabei unterstützt, sichere Schwangerschaftsabbrüche zu bekommen. 2012 erschien ihr Roman ›Eskimo Limon 9‹ im Atrium Verlag, 2014 die viel beachtete Streitschrift ›Die Uhr, die nicht tickt‹ im Arche Literatur Verlag.

Einleitung


Ich weiß bis heute nicht, ob ich introvertiert oder extrovertiert bin. Ich weiß es in dem Moment, wenn ich in eine Gruppe tauche. Deshalb wusste ich selbst noch nicht genau, wohin die Reise gehen würde, als ich den Entschluss fasste, dieses Buch zu schreiben. Aber ich ahnte, dass es kein geradliniger Weg zu einem Ziel sein würde, nichts vollkommen Folgerichtiges, sondern ein Ausschwärmen und Mäandern. Denn die Qualitäten des Alleinseins sind so vielschichtig wie ein See mit kühlen und wärmeren Strömungen, die einen beim Schwimmen streifen. Ich wusste, dass Fragen auf mich zukommen würden, die ich mir so noch nie gestellt hatte, aber ich wusste auch, dass es eine gute Gelegenheit sein würde, den Überfluss des Lebens abzuschöpfen, in dem ich vorher noch nicht gefischt hatte.

Ich weiß, dass Alleinsein wie eine bewusstseinserweiternde Droge wirken kann: Sie verstärkt den Ist-Zustand, man kann wahrnehmen, welche Schönheit einen umgibt, muss aber auch begreifen, in welchem Käfig man zumeist steckt. Man kann sich nicht mehr ablenken, sondern muss ehrlich betrachten und sortieren, worin man sich verheddert hat, oder das Grundvertrauen finden, in das man eingebunden ist, um das Unvorhergesehene und Freischwebende auszuhalten oder genießen zu können. Man ist mit den eigenen Bedürfnissen konfrontiert und muss sie eigenverantwortlich organisieren, eigene Standards setzen und somit schonungslos Normen hinterfragen. Man ist sich selbst ausgesetzt.

 

In der Debatte um das Alleinsein geht viel durcheinander, vor allem begrifflich: Wir sprechen vom Alleinsein, von Einsamkeit und von sozialer Isolation. Tatsächlich benannte der Begriff Einsamkeit vor dem 18. Jahrhundert auch das Einssein in der Gotteserfahrung – hatte mit Isolation also nichts zu tun –, während Alleinsein negativer aufgeladen war und die Abgeschiedenheit von der Gemeinschaft benannte. Im heutigen Sprachgebrauch werden beide Formulierungen oft synonym verwendet, wobei Einsamkeit tendenziell vermehrt für die Beschreibung von Isolation im negativen Sinne genutzt wird oder zumindest ambivalent, wie auch der Begriff der Melancholie ambivalent verstanden wird. In diesem Buch gebrauche ich beide Bezeichnungen – Einsamkeit und Alleinsein – als etwas, dem man nicht passiv ausgesetzt ist, etwas, das man sich aneignen kann, wobei das Alleinsein als selbstgewählt verstanden werden kann, während das Gefühl der Einsamkeit oft unfreiwillig einsetzt. Beiden Bezeichnungen ist aber gemein, dass sie kraftvolle, schöne, aber auch ambivalente Möglichkeitsräume bieten und konstruktives Potenzial entfalten, welches positive Veränderungen in unserem Leben begründen kann. Daher verwende ich beide Begriffe häufig in Verbindung miteinander, auch, da eine kategorische semantische Grenzlinienziehung ohnehin nicht möglich ist. Ich grenze beide Bezeichnungen aber klar gegen den Begriff der (sozialen) Isolation ab, der für mich den destruktiven und krank machenden Raum beschreibt.

Tatsächlich können Alleinsein und Einsamkeit Gegengifte für soziale Isolation sein. Denn im Alleinsein wie in der Einsamkeit entwickelt man die Fähigkeit, sich selbst genug zu sein, erkennt den Sumpf der Zwänge, die uns etwa die Wettbewerbsgesellschaft oder die Kleinfamilie auferlegen. Oft werden die Ursachen der sozialen Isolation verschleiert, weil der kulturkonservative Blick überholte Formen von Gemeinschaft verherrlicht, deren Starrheit, Erwartungshaltung und Normen uns erst in die Isolation treiben und so ein negatives Bild des Alleinseins und der Einsamkeit entstehen ließen. Und denen viele durch ihr Alleinsein eigentlich entkommen wollten. Aber wir lieben es, uns vor dystopischen Visionen von Singlefrauen, Überalterung, Pflegerobotern und Menschen, die sich in der eigenen Erzählung ihrer vermeintlichen Autonomie verloren haben, zu gruseln, und gefallen uns in der Rolle als Visionäre unseres eigenen Untergangs. Einsamkeit, die früher ein philosophisches oder religiöses Ideal darstellte, ist mittlerweile zum Marker für eine soziale Katastrophe geworden.

Einsamkeit wird seit den 1960er-Jahren als gefährliche Zivilisationskrankheit betrachtet und mit einer Reihe von Krankheitssymptomen in Verbindung gebracht. Soziologie und Psychologie benennen vor allem den Verfall, das Leid, das Defizit, die Ängste, die sich aus der Einsamkeit, die ich in diesem Fall als soziale Isolation bezeichnen würde, ergeben. Der kulturkonservative Blick zimmert daraus nicht nur ein unerquickliches, sondern ein verzerrtes Bild vom Menschen als Wesen, das ohne alte Strukturen und Werte orientierungslos bleibt, statt Neues gestalten zu können. Nach dieser Logik driften wir in die soziale Isolation, weil wir aus den alten Strukturen ausbrechen. Aber Werte lösen sich nicht einfach so auf, sie verändern sich und wir uns mit ihnen. Viele Menschen fühlen sich vielmehr sozial isoliert, weil diese Veränderungen noch nicht weit genug gehen. Die Singlegeneration, auf die wir so ängstlich blicken, entsteht, weil Menschen aus alten Konzepten wie der Kleinfamilie ausbrechen, sich aber noch in neue Konzepte des gemeinschaftlichen Lebens hineinfinden müssen. Dies wird erschwert, wenn sie sich an den alten Mustern noch messen müssen und wenn uns Gesetze und Moralvorstellungen, z.B. wer auf welche Art Familie sein darf, davon abhalten. Isolation ist auch politisch und wird künstlich erzeugt, indem man Gemeinschaften durch Statusdenken, Armut, Nationalitätsunterscheidungen, Konkurrenzdenken, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, stringente Geschlechterzuweisungen und Grenzen spaltet. Mit den negativen Vorstellungen von Einsamkeit – asozial, egoistisch, verrückt – werden wir zudem diszipliniert und erpresst: Wir bekommen Angst davor, eigene Wege zu gehen, und bleiben in den gängigen Bahnen: Eheschließung, Karriere, Familienplanung, Kreditlasten für ein funktionierendes Leben, das sich gegen das Alleinsein wehren soll. So ist dieses Buch auch keines über Singles, sondern schenkt dem Alleinsein können gerade in der Zweierbeziehung ein besonderes Augenmerk.

 

Dieses Buch zeigt außerdem, wie wir eine Gesellschaft schufen, die Menschen dazu anhält, sich selbst als Mängelwesen zu betrachten, die angeblich nie genug sind und durch Statussymbole und Erfolgsgeschichten in Karriere und Familienplanung erst zu jemandem werden müssen. Es zeigt auch, was wir verlieren, wenn wir das Potenzial von Alleinsein und Einsamkeit unterschätzen und die Fähigkeit des selbstbestimmten Alleinseins nicht erlernen. Dabei plädiere ich keineswegs für individualisierte Lösungen gegen systemische Ungerechtigkeit, die uns als Menschen trennt. Aber um Ungerechtigkeit zu verstehen, muss man zunächst einmal zu sich kommen und seine Bedürfnisse, sein Leben verstehen. Man muss einen Raum für sich etablieren, in dem man sich gegen das Narrativ der Mangelhaftigkeit mit sich selbst komplett fühlen kann.

Alleinsein ist nämlich nicht (nur) die Abwesenheit von etwas oder jemand anderem, sondern die Anwesenheit meiner ungestörten Wahrnehmung, die mich mit der Welt verbindet. Gerade die Leere in der Einsamkeit ermöglicht es mir, die Fülle des Lebens zu spüren. Das Gefühl der Isolation hingegen entsteht immer auch aus der Unfähigkeit, »all-ein«, also ganz mit sich selbst sein zu können. Wir haben jede Menge Anreize und Zerstreuungen um uns herum, sodass wir glauben, nicht allein sein zu können. Deshalb sind »Zwischen-Orte« und »Zeit-Räume« wichtig, in denen wir unsere Fähigkeit zum Alleinsein kultivieren können, denn dies fördert auch die Fähigkeit, Gemeinsamkeit erfüllt leben zu können. Doch diese Räume werden immer weniger, sie sind zudem entwertet von einer Kultur, die uns permanent auf Trab hält, weil wir funktionieren und streben müssen.

Ich möchte das Alleinsein als Kur von den Zivilisationskrankheiten betrachten, als Heilmittel für das, was in unserer kompetitiven Leistungsgesellschaft, in unserem isolierenden Individualismus und unserem Missbrauch der Liebe als Statussymbol für Ehe und Elternschaft krank geworden ist.

Irgendwann fiel mir auf, dass ich mir in meiner Arbeit gern Themen aussuche, die Missverständnisse vorprogrammieren. Themen, bei denen man erst mal durch einen Wust an Projektionen schwimmen muss, bevor man Luft holen kann, um die komplexe Realität dahinter sichtbar zu machen: Themen, mit denen viele Menschen komplizierte oder negative Gefühle assoziieren, weil darüber zu wenig oder zu einseitig gesprochen wird. Deshalb weiß ich aber auch, wie inspirierend und schön es ist, wie viele Steine vom Herzen fallen, wenn man sich im vollen Bewusstsein seiner Handlungsfähigkeit diesen Themen mit neuen Perspektiven zuwendet.

Große Lust bereitete es mir zudem, dass das Thema es ermöglicht, das Politische und das Sinnliche zusammen zu denken, was viel zu oft getrennt voneinander betrachtet wird. Ich war schnell im wortwörtlichen Sinne begeistert, an welche Vielzahl von Themen und Phänomenen man das Alleinsein zwischen Idealisierung und Pathologisierung anbinden kann. Oft funktionieren diese Verbindungen für Frauen und Männer unterschiedlich und rufen verschiedene Klischees und Assoziationen hervor: Der einsame Waldschrat ist vielleicht verschroben, aber dennoch weise, während es im Selbstverständnis der Begriffe liegt, dass die einsame Hexe und alte Jungfer hässlich sind, lächerlich, gefährlich und ungeliebt. In diesen Bildern zeigt sich bereits, dass das Alleinseinwollen Männern eher verziehen wird als Frauen.

Deshalb betrachte ich in diesem Buch vermehrt, wie die Erzählungen über Einsamkeit die Freiräume von Frauen immer noch beschränken. Bei meiner Recherche merkte ich schnell, dass in Büchern, die die...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2022
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Allein • Daniel Schreiber • Einsamkeit • Familie • Frauen • Freiheit • Gerechtigkeit • Geschlecht • Gesellschaft • Partnerschaft
ISBN-10 3-03790-134-9 / 3037901349
ISBN-13 978-3-03790-134-2 / 9783037901342
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