Einschüchtern zwecklos (eBook)

Unermüdlich gegen Krieg und Gewalt - was ein Einzelner bewegen kann - Was kann ich tun? Antworten des Friedens-Preisträgers und Bestsellerautors
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
384 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-29450-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Einschüchtern zwecklos -  Jürgen Grässlin
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Wie kann man erreichen, dass sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zum Besseren ändern? Was tut man, wenn man ein wichtiges Anliegen hat? Man wird aktiv - mit unbeirrbarer Entschlossenheit, allen Widerständen zum Trotz. Jürgen Grässlin ist Aktivist, Friedenskämpfer, Optimist - vor allem aber ein hartnäckiger Stachel im Fleisch der Rüstungsindustrie. Seit Jahrzehnten setzt er sich erfolgreich gegen den weltweiten Waffenhandel ein. Er begibt sich auf die Spur deutscher Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebieten, spricht mit Opfern, Tätern und politisch Verantwortlichen. Seine Mittel sind entlarvende Recherchen, gezielte Kampagnen, Demonstrationen und Gerichtsprozesse. Sein Lebenswerk und seine Erfolge sind Inspiration für alle, die etwas bewirken wollen, sei es für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Umweltschutz oder den Frieden.

Jürgen Grässlin zählt seit vielen Jahren zu den profiliertesten Friedensaktivisten Deutschlands. Er ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), der Kritischen AktionärInnen Heckler & Koch sowie Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Als Autor verfasste er zahlreiche kritische Sachbücher über Rüstungs-, Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Grässlin wurde u.a. mit dem Aachener Friedenspreis, dem Marler Menschenrechtspreis von amnesty international und dem Grimme-Medienpreis geehrt.

KAPITEL 2:
Wie wenige Aktivisten viel bewegen

Das weiche Wasser wider den atomaren Overkill

Die Wurzeln eines breit getragenen zivilen Widerstandes reichten bei uns im Südbadischen bis ins Jahr 1975 zurück, als Bauern und Studenten Hand in Hand gegen die geplante Errichtung eines Atomkraftwerks in Wyhl, nördlich des Kaiserstuhls, demonstrierten und das Projekt blockierten. Ihr alemannisches Motto – »Nai hämmer gsait! Nein haben wir gesagt!« – richtete sich gegen die christdemokratische Landesregierung Baden-Württembergs unter Führung des Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Diese hatte sich doch tatsächlich zu der Behauptung verstiegen, im Ländle würden »die Lichter ausgehen«, falls das Wyhler AKW nicht gebaut werden würde. Als Student war ich einige Male vor Ort, um wenigstens meine Solidarität mit den Anti-AKW-Aktivisten zu bekunden.

Anfang der 80er ging es dann heiß her im ansonsten so friedliebenden Freiburg. Im Konflikt um das sogenannte »Dreisameck« kam es 1980 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen zumeist jungen Wohnraumbesetzern, viele von ihnen Spontis, und martialisch vermummten und durchaus aggressiv agierenden Polizeieinheiten.

»Sanierung contra Wohnen« war der Streitpunkt an der Ecke Kaiser-Joseph-/Schreiberstraße. In der Aktionswoche beteiligte ich mich an den Großdemonstrationen durch die Innenstadt mit bis zu 10000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, auch wenn ich zu keinem Zeitpunkt der Besetzerszene angehörte.

Unglaubliche 1200 Polizisten befanden sich im Einsatz zur Räumung der Wohnungen in der Freiburger Innenstadt. Bei einer der Kundgebungen machte ich als friedliebender Demonstrant zum ersten Mal in meinem Leben unliebsame Bekanntschaft mit einem Wasserwerfer. Die Polizei folgte uns hartnäckig durch die umliegenden Seitenstraßen. Mehrere Tage lang war die Kaiser-Joseph-Straße gesperrt. Nicht lange danach wurden alle Häuser abgerissen.

Im Vergleich dazu waren meine Erfahrungen im Rahmen der politischen Auseinandersetzungen an der PH recht harmlos. Bei einem Bildungsstreik verrammelten wir den Zugang zur Fachschaft Geografie mit Mobiliar. Mehrere Tage lang hielten wir Mahnwache und ließen weder Kommilitonen noch Professoren passieren, von denen im Übrigen manch einer seine Sympathie bekundete.

Dieser Bildungsstreik für bessere Lehrbedingungen an der PH wurde vom »Allgemeinen Studierenden Ausschuss« (ASTA) organisiert. Unterstützt von der »Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft« (GEW), in die ich 1981 eintrat und in der ich bis heute aktiv bin. Die GEW gab mir das gute Gefühl, sowohl politische als auch – bei Bedarf – juristische Rückendeckung zu erhalten.

*

In den folgenden Jahren ging alles Schlag auf Schlag. Dem Ersten Staatsexamen vom November 1980 folgte ab Februar mein Referendariat. Diese in vielerlei Hinsicht extrem stressige Zeit endete im Juni 1982 mit dem Zweiten Staatsexamen.

Dank der erneut sehr erfreulichen Bewertungen konnte ich mich für den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg bewerben. Allerdings wehte uns Junglehrern damals ein heftiger Wind entgegen. Trotz meines ansprechenden Abschlusses wurde ich erst einmal auf die landesweite Warteliste der Schulbehörden verwiesen, worüber ich noch froh sein musste. Denn von fünf Bewerbern wurde einer übernommen, kam einer auf die Warteliste und durfte hoffen. Die anderen drei mussten sich einen neuen Job suchen.

Just in diesen Tagen traf das Angebot des Freiburger Schulamtes ein, für ein halbes Jahr als sogenannter Nebenlehrer an der hiesigen Pestalozzi-Realschule tätig zu werden. So war mir der Genuss vergönnt, von Anfang bis Mitte 1983 30 meist heftigst Pubertierende in Biologie und Englisch zu beglücken – studiert hatte ich keines der Fächer. Zuweilen kam ich mir eher wie ein Zirkusdompteur vor.

Die Pestalozzi-Schule bot mir zweifellos eine Vielzahl einzigartiger Erfahrungen und war allein deshalb schon eine besondere Bereicherung meiner noch jungen Pädagogenlaufbahn. Ein William Shakespeare hätte seine große Freude daran gefunden, die kleinen und großen Tragikomödien des täglichen Daseins in die Literaturgeschichte einzubringen.

Damit meiner Frau und mir in diesen ohnehin belebten Zeiten nicht langweilig werden sollte, beglückten uns in diesen Jahren unsere beiden Kinder Sandra und Philipp mit ihren Auftritten auf der Weltbühne.

*

Das Jahr 1983 war im doppelten Sinne ein gutes. Überraschend erklärte der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth, das Atomkraftwerk Wyhl werde in den kommenden zehn Jahren nicht gebaut. Schlussendlich wurde es nie gebaut. Damit war Wyhl das erste geplante AKW Deutschlands, das die noch junge Anti-AKW-Bewegung verhindern konnte.

Zudem ereilte mich zu meiner Freude die Zusage der Schulbehörden, wonach ich im September 1983 meine erste reguläre Lehrerstelle in einem Örtchen namens »Dornhan« antreten durfte. Dornhan? Als studierter Vollblutgeograf bildete ich mir ein, mich auf dem Globus halbwegs auszukennen. Wie man sich täuschen kann.

Kein Atlas half. Erst umfassendes Kartenstudium brachte die Erkenntnis: Dornhan lag im allerletzten Zipfel des Regierungspräsidiums Freiburg. Dabei handelte es sich um eine Ansammlung von Häusern und vereinzelten Geschäften mit einem durchaus ansehnlichen Schulzentrum. Aber eben gelegen am Anton der Welt. Also genau das Richtige für einen Stadtmenschen wie mich, der Kunst und Kultur, Pop- und Rockkonzerte liebte und natürlich die Spiele des Sportclubs Freiburg im heimischen Dreisamstadion.

In eben diesem Dornhan sollte ich fünf oder gar sieben Jahre Dienst ableisten, bevor ich den allerersten Antrag zur Versetzung stellen durfte. So war mir das jedenfalls von amtlicher Seite mitgeteilt worden.

Angesichts meiner prekären Lage regte sich mein badischer Revoluzzergeist, sodass ich schon nach wenigen Monaten dort meinen ersten Versetzungsantrag einreichte. Auf dem Dienstweg über die Schulleitung ans Amt, versteht sich.

Was für ein Vergehen, was für ein Frevel, was für ein Sakrileg! Die Empörung war gar groß, die Sanktionsmaßnahme hart. In den Sommerferien, nur wenige Tage vor Beginn meines zweiten Schuljahres, erhielt ich den Anruf eines gewissen Herrn Schmid, seines Zeichens Schulleiter der Realschule Sulz.

Freundlich begrüßte er mich als neuen Kollegen, womit mir zu diesem Zeitpunkt – ohne jegliches Dienstschreiben des Amtes oder weitere Aufklärung – klargemacht wurde, dass ich nicht länger Lehrer in Dornhan sei. Fortan hatte ich in der Nachbarstadt zu unterrichten: Realschule Sulz, Karl-Schöpfer-Weg 2. Die Kleinstadt am Neckar lag östlich von Dornhan, sprich in diametral entgegengesetzter Richtung zu meiner Heimatstadt Freiburg. Eindeutiger hätte das Signal der Schulbehörden kaum ausfallen können.

Die unausgesprochene Botschaft lautete: Aufmüpfige Junglehrer werden stante pede bestraft. Was jedoch selbst die Weisheit des Amtes nicht ahnen konnte: Die Realschule Sulz war pädagogisch modern ausgerichtet. Nicht nur die Lehrerschaft, sondern auch die Schulleitung verhielt sich kollegial, die Schülerinnen und Schüler waren nicht minder nett als in Dornhan.

Mehr noch, in der Neckarstadt blühte gar politisches Leben mit der Ortsgruppe der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, einer regen Asylinitiative und dem hiesigen Friedensforum. Hier konnte ich meine Ideen, meine Schaffenskraft und meine Lebensfreude lustvoll einbringen.

*

Nicht nur meine persönliche und berufliche, mehr noch die politische Ebene war in diesen Jahren unglaublichen Umbrüchen unterworfen. Die NATO, das nordatlantische Verteidigungsbündnis, hatte die Aufstellung von Marschflugkörpern und Raketen der Typen BMG-109G Gryphon und Pershing II beschlossen, in der Fachsprache MGM-31B genannt. 108 Pershing-II-Raketen nebst dazugehörigen Sprengköpfen wurden seitens der US-Army nach Deutschland verbracht. Als prominentester Fürsprecher pro atomarer Hochrüstung erwies sich hierzulande der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Erster Stationierungsort der Mittelstreckenraketen war Mutlangen bei Schwäbisch Gmünd. In den kommenden Jahren sollte Mutlangen bundesweit das Symbol der atomaren Auf- bzw. Nachrüstung werden.

Begründet wurde der massive Aufrüstungsschritt seitens der NATO mit der Modernisierung der veralteten sowjetischen SS-4- und SS-5-Raketen durch neue Mittelstreckenraketen des Typs SS-20 mit einer Reichweite von bis zu 5000 Kilometern. Stationiert auf mobilen Abschussrampen, konnten diese ballistischen Raketen des Warschauer Pakts bei einer Vorwarnzeit von maximal 15 Minuten Ziele in Westdeutschland und Europa erreichen.

Zwar verfügten die neuen NATO-Waffen über eine vergleichsweise geringere Sprengkraft und über eine Reichweite von nur maximal 1800 Kilometern, sie konnten aber aufgrund der Aufstellung in Westdeutschland bis auf 400 Kilometer vor Moskau heranfliegen. Aus russischer Sicht handelte es sich dabei um Angriffswaffen für einen atomaren Erstschlag, was die Bundesregierung kategorisch verneinte.

Diese furchterregende Entwicklung führte die beiden Supermächte USA und UdSSR mit ihren Verbündeten auf eine neue Eskalationsstufe der atomaren Auseinandersetzung. Fortan konnte der Kalte Krieg in wenigen Minuten zu einem alles vernichtenden heißen werden, allen voran in der...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • Aktivismus • Anti Krieg • Biografie • Biographien • Bundeswehr • Daimler • eBooks • etwas bewirken • Fridays For Future • Frieden • Friedensbewegung • friedlicher Widerstand • Gesellschaftskritik • gewaltfreier Protest • Haltung zeigen • Heckler & Koch • Kriegsopfer • NATO • Neuerscheinung • Nie wieder • Pazifismus • Ukraine • Waffen • Waffengesetze • Waffenhandel • Waffenlobby • Wenn nicht jetzt, wann dann? • Widerstand • Ziviler Ungehorsam
ISBN-10 3-641-29450-9 / 3641294509
ISBN-13 978-3-641-29450-2 / 9783641294502
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