Ran ans Leder! (eBook)

Bekenntnisse einer Fußballverrückten | Eine Liebeserklärung an den Fußball
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46177-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ran ans Leder! -  Martina Keller
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Das Sachbuch zur Fußball-EM der Frauen 2022 in England: Martina Keller schreibt über ihr Leben als Fußball-Verrückte aus dem Blickwinkel einer aktiven Fußball-Spielerin, die kein Spiel ihres Lieblingsvereins Borussia Dortmund verpasst. Ein Buch nicht nur für Frauen, sondern für alle, die diesen Sport lieben! Als kleines Mädchen, mit sechs Jahren, nach der Fußball-WM in England, fing es an - und heute ist sie sechzig und spielt immer noch: bei Union 03, Bezirksliga Hamburg West. Mittlerweile könnten ihre Mitspielerinnen ihre Enkelinnen sein. Kurz: Fußball ist eine Droge für sie. Für ein Champions-League-Finale lässt sie den 50. Geburtstag ihrer Freundin sausen. Und im Urlaub auf Chios setzt sie Himmel und Hölle in Bewegung, nur um eine Fußball-Kneipe zu finden, wo sie ihrer geliebten Borussia Dortmund die Daumen drücken kann. Seit einigen Jahren schreibt die Medizin- und Wissenschaftsjournalistin sogar Fußball-Reportagen, zum Beispiel über Bibiana Steinhaus. Kurz: Fußball ist das Leben von Martina Keller. In ihrem persönlichen Bekenntnis erzählt sie die Geschichte dieser großen Liebe, die ja immer auch etwas Verrücktes, Irrationales, manchmal vielleicht Ungesundes hat. Aber Fußball war immer mehr als nur ein Sport für sie. Fußball war zugleich auch ein Akt der Emanzipation: Als Mädchen tun, was Jungs tun, mit Körpereinsatz spielen, sich behaupten, Räume erobern. Kein aseptischer Sport wie Volleyball, der den Mädchen der Baby-Boomer-Generation viel selbstverständlicher zugestanden wurde. So ist ihre Bekenntnis auch eine Zeitreise über das wachsende Selbstbewusstsein von Frauen diesseits und jenseits des grünen Rasens. Vor allem anderen aber ist es eine Liebeserklärung an den Fußball, wie ihn alle mögen - voller Leidenschaft und Hingabe, wie es die Leser*innen von Axel Hacke, Christoph Biermann und Frank Goosen schätzen! 

Martina Keller, Jahrgang 1960, arbeitet als freie Medizin- und Wissenschaftsjournalistin für Zeit, Geo und Spiegel und produziert Hörfunk-Features für ARD-Sender. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind investigative Recherchen, etwa zum Thema Ärzte-Sponsoring, Pharma-Marketing und Sterbehilfe. Martina Keller wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, u.a. 2010 von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. 2012 erhielt sie den Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus, 2020 den Journalistenpreis 'Evidenzbasierte Medizin in den Medien'. 2008 erschien bei Econ ihr Sachbuch 'Ausgeschlachtet. Die menschliche Leiche als Rohstoff'. In jüngster Zeit hat sie auch einige Features und Reportagen über den Fußball geschrieben. Martina Keller lebt in Hamburg, wo sie für Union 03 im linken Mittelfeld spielt.

Martina Keller, Jahrgang 1960, arbeitet als freie Medizin- und Wissenschaftsjournalistin für Zeit, Geo und Spiegel und produziert Hörfunk-Features für ARD-Sender. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind investigative Recherchen, etwa zum Thema Ärzte-Sponsoring, Pharma-Marketing und Sterbehilfe. Martina Keller wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, u.a. 2010 von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. 2012 erhielt sie den Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus, 2020 den Journalistenpreis "Evidenzbasierte Medizin in den Medien". 2008 erschien bei Econ ihr Sachbuch "Ausgeschlachtet. Die menschliche Leiche als Rohstoff". In jüngster Zeit hat sie auch einige Features und Reportagen über den Fußball geschrieben. Martina Keller lebt in Hamburg, wo sie für Union 03 im linken Mittelfeld spielt.

1
Fußball, meine Rettung


»Ich soll auf meine Waden achten?«

Ich klettere die blaue Holzleiter vom Dach herunter. Wir haben da oben im Schatten der Mauer ein bisschen gedöst, jetzt am Nachmittag werden die Temperaturen langsam erträglicher. Zeit zum Baden. Ich stecke Bücher in den Rucksack, Leo nimmt die Badesachen und eine Plastikflasche, die wir am Dorfbrunnen mit Wasser füllen wollen, badewasserwarm, aber lecker.

Es ist unser zweiter Urlaubstag auf der griechischen Insel Chios, die man in Deutschland vor allem wegen ihres Flüchtlingslagers kennt. Jetzt lockt unser Lieblingsstrand. Allerdings, ich überlege noch, ob ich den Nachmittag nicht doch lieber in der Dorfkneipe verbringen sollte. Heute ist der letzte Spieltag der Fußballbundesliga. Der Abstiegskampf diese Saison ist ein Drama. Vielleicht könnte ich das Spiel Werder gegen Köln im Kato Porta sehen … Letztes Jahr hatte Niko, der Besitzer, ein Bezahl-Abo für Sportsendungen.

Ich deute den Gedanken mit der Kneipe an. Nicht dein Ernst, oder? Leo schüttelt den Kopf. Halb fünf Uhr griechischer Zeit, wenn sie in Deutschland anstoßen, ist die ideale Zeit zum Baden. Vorher grillen nur Touristen in der Sonne. Wir sind zwar auch welche, aber doch nicht solche. Eigentlich fühlen wir uns sogar als Limbousii, so nennen sich die Bewohner unseres Dorfs Olymbi. Leo besitzt hier seit gut einem Vierteljahrhundert ein uraltes Haus mit mächtigen Gewölben und sieben Meter hohen Wänden. Mancher Türsturz allerdings ist so niedrig, dass selbst ich mit meinen 1,71 mir schon den Kopf gestoßen habe. Die Wände sind meterdick, vermutlich für die Ewigkeit gebaut. Als Leo und seine damalige griechische Freundin das Haus 1994 kauften, durften sie ein paar Tage zur Probe wohnen. In einer der Nächte bebte die Erde. Der Kleiderschrank habe gewackelt, erzählte Leo. Sonst nichts.

16.30 Uhr, Anstoß. Wir laufen zum Parkplatz am Dorfausgang, wo uns mit heiserem Schrei der Esel von Maria-Parkplatz begrüßt. Die kleine freundliche Frau, die meist Watte in den Ohren hat und ihre Brüste stets keck nach vorne streckt, heißt bei uns so, um sie von unserer liebsten Freundin Maria Koumaki und unserer Bekannten Maria-Koutsombolio, was so viel heißt wie Klatsch, und den geschätzt zwanzig weiteren Marias im Dorf zu unterscheiden. Leo startet den kleinen weißen Mietwagen und rollt in Richtung des Hauses, in dem Maria, ihr Mann und ihr Bruder wohnen. Hier am Dorfausgang, wo auch die Müllcontainer von Olymbi stehen, leben nur die Ärmeren. Marias Häuschen ist eine ehemalige Garage, von der Familie im Laufe der Jahre liebevoll aufgeputzt, mit einem kleinen Gärtchen und sogar mit einem Kiesweg drum herum, zu dem wir mit mehreren Eimern Kieseln von unserem Lieblingsstrand beigetragen haben.

Maria sitzt mit ihrem Mann auf der Veranda und winkt. Pou pate – wohin geht ihr?, fragt sie und versteht unsere Antwort wie üblich erst im dritten Anlauf. Sie ist womöglich noch schwerhöriger als im vergangenen Jahr, obwohl sie neuerdings manchmal ein Hörgerät trägt. Ihr Mann plagt sich mit Diabetes und einem Leberschaden, sein Lebensraum ist schon seit Langem auf Veranda, Wohnzimmer und Bett geschrumpft. Allerdings sieht er besser aus als im vorigen Jahr. Sein Gesicht, verwittert wie die Berge von Chios, wirkt nicht mehr gelblich, sondern leicht gebräunt.

Unser Mietauto rollt durch den Flickenteppich von Gemüsegärten, die unser Dorf umgeben. Jede Familie hat hier ein Stückchen Land, wo Tomaten, Gurken, Auberginen, Paprika angebaut werden. Wie immer halte ich Ausschau, ob sich vielleicht eine Schlange über den von Anisstängeln gesäumten schmalen Weg windet, was mich vom Auto aus mit einem wohligen Schauder erfüllt, besonders seit ich weiß, dass ein ganz kleines Exemplar den riesigen Hund unserer Nachbarin Eleni vor Jahren binnen Minuten zur Strecke brachte. Glücklicherweise ist von den vielen Arten auf Chios nur eine einzige giftig.

Da sich keine Schlange blicken lässt, wenden sich meine Gedanken wieder den wirklich wichtigen Dingen zu. »Jetzt kämpft mein Werder schon seit acht Minuten gegen den Abstieg«, sage ich zu Leo. Der wundert sich. »Wieso dein Werder? Du bist doch Dortmund-Fan.« Stimmt. Aber ich habe auch große Sympathie für Werder. Mich rührt die Treue zum jungen Trainer Florian Kohfeldt, obwohl der mit seinem Team bis zu diesem letzten Spieltag der Saison 2019/20 nur ein einziges Heimspiel gewonnen hat. Außerdem ist Werder was für Fußballromantiker, das halbe Management besteht aus ehemaligen Spielern.

Unauffällig schaue ich auf mein Smartphone, ob ich vielleicht erste Nachrichten vom Spiel bei kicker.de empfangen kann, aber das Mobilnetz auf Chios ist lückenhaft. Schon auf dem Weg zum Nachbardorf Mesta, wo ein Abzweig links zum Strand hinunterführt, habe ich keinen Empfang mehr. Also ergebe ich mich in mein Schicksal: Werder kämpft ums Überleben – und ich gehe baden. Vermutlich ist es das Vernünftigste. Ich male mir den Frust aus, wenn Werder es nicht schafft und ich schwitzend in der Kneipe ausgeharrt habe, statt im Mittelmeer zu schwimmen.

Die Ausgangslage ist wirklich verzweifelt, ich habe alle Eventualitäten durchdacht. Nur wenn Fortuna Düsseldorf bei Union Berlin Punkte lässt, hat Werder überhaupt noch eine Chance auf die Relegation – die beiden Entscheidungsspiele um den Klassenerhalt. Bei einer Düsseldorfer Niederlage reicht ein Sieg gegen den 1. FC Köln. Bei einem Unentschieden müsste Bremen die Kölner schon mit vier Toren Unterschied abfertigen. Das ist nach dem bisherigen Saisonverlauf ungefähr so wahrscheinlich wie ein Sturzregen aus dem makellos blauen Himmel über Chios an diesem heißen Junitag.

Aber es ist Fußball. Da geschehen solche Wunder. Dafür liebe ich diesen Sport, schon fast mein ganzes Leben lang.

⚽ ⚽ ⚽

Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen, wo es nie besonders schön war, die Zechen, die Stahlindustrie … Heute ist das fast alles Geschichte, aber in meinen Kindertagen war der Himmel über dem Revier wirklich noch ziemlich grau. Ich erinnere mich an das Fernsehspiel Smog, 1973 im WDR ausgestrahlt, ich war dreizehn. Düstere, vernebelte Bilder, Schmiere auf Autoscheiben, torkelnde, um Luft ringende Fußgänger. Im Film löst die Landesregierung Smogalarm aus, kurzzeitig steht das Leben still – Lockdown würde man heute sagen. Die Zuschauer damals hielten das Szenario für so realistisch, dass sie besorgt beim Sender anriefen.

Mir blieb eine Szene im Kopf: Ein Fußballer bricht mitten im Spiel vor Tausenden von Fans zusammen und wird vom Platz getragen. Das Spiel geht dann weiter. Fußball oder Leben? Mancher Fan im Revier würde sich wohl für den Fußball entscheiden. Der gehört hier zum Kulturgut. Nirgendwo in Deutschland ist die Dichte an Traditionsklubs höher als im Ruhrgebiet: Borussia Dortmund, Schalke 04, VfL Bochum, MSV Duisburg, Rot-Weiß Oberhausen, Rot-Weiß Essen … Alle nur wenige Kilometer voneinander entfernt, aber große Rivalen. Wenn mein BVB gegen Schalke spielt, sind mehrere Hundertschaften Polizei im Einsatz.

Meine Familie kommt aus Bochum. Im Stadtteil Laer bauten meine Eltern Ende der 1950er-Jahre ein Mietshaus für vier Parteien, mit Koksheizung im Keller und vorausschauend auch schon mit einer Autogarage. Das Haus wurde auf dem Grundstück meines Opas errichtet, wo vorher ein Fachwerkhaus mit Plumpsklo im Garten stand. Es war die Wirtschaftswunderzeit. Mein Vater war Inspektor beim Finanzamt und hielt die Handwerker mit reichlich Bier und Schnaps bei Laune. Meine schwangere Mutter kämpfte mit ihrer Übelkeit und hatte schlaflose Nächte, weil sie nicht wusste, wie das alles zu bezahlen sei.

Kurz nach meiner Geburt im Februar 1960 zog die Familie in das neue Heim am Werner Hellweg. Nachbarn zwei Häuser weiter hielten Schweine und Hühner. Gegenüber war ein Milchladen, nicht weit davon ein Kaufmann und ein Büdchen, das ich liebte, weil es da rote Zuckererdbeeren, Salinos und Gummischlangen gab. Vorm Haus fuhr eine Straßenbahn. Die Haltestelle Dannenbaum war nach einer früheren Zeche benannt. Auf dem Gelände lief dann 1962 der erste Opel Kadett vom Band. Inzwischen ist dort ein DHL-Paketzentrum. Außerdem gab es noch ein altes Rittergut, auf dem man heute Hochzeiten mit Ritterrüstungsdekor feiern kann. Und natürlich den Laer’schen FC 1906. Dessen Platz an der Havkenscheider Straße wurde mein zweites Zuhause.

Dass ich mich mit knapp sechs in den Fußball verliebte, war einigermaßen unwahrscheinlich, weil es Frauen- und Mädchenfußball zu der Zeit noch gar nicht gab. In der Vereinschronik des Laer’schen FC tauchen Mädchen sogar erst 2012 auf. Aber es ist passiert.

Ostern 1966 kam ich in die erste Klasse der katholischen Grundschule in Bochum-Laer. Den Schulweg schaffte ich alleine, meine Mutter hatte ihn mit mir ein paarmal geübt. In der Schule allerdings fühlte ich mich verloren, lief in jeder großen Pause unserer Klassenlehrerin Fräulein Benning hinterher. Sogar bis ins Lehrerzimmer. Dann entdeckte ich, dass ein paar Jungs während der Pause mit einem Tennisball kickten. Von da an war ich beschäftigt, mit Zugucken. Die Lehrerin verwarf den Gedanken, mich wegen fehlender Schulreife ein Jahr zurückstellen zu lassen.

Wenige Wochen später war es vollends um mich geschehen. Ich sah mein erstes richtiges Fußballspiel, das Weltmeisterschaftsfinale England...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Amateurfußball • Autobiografien Frauen • Autobiogrfie Sport • Axel Hacke • Bibiana Steinhaus • Borussia Dortmund • BVB • Christoph Biermann • Claudia Neumann • Emanzipation der Frau • Emanzipation im Fußball • Fankultur • Fankurve • Faszination Fußball • feministische bücher • Fernsehen und Fußball • Frank Goosen • Frauenfußball • Frauenfußball Deutschland • Frauenfußball Nationalteam • Frauenfußball spielen • Frauen im Fußball • Frauenrechte Buch • Fußball • Fußball Autobiographie • Fußball-EM der Frauen • Fußball-EM der Frauen in England • Fußball-EM Juli 2022 • Fußballerin • Fußballfan • Fußballkneipe • Fußball-Nationalmannschaft Frauen • Fußball spielen • Fußballspielerin • Fußball-WM • Geschenk für Fußballfans • Gleichberechtigung der Frau • Katja Kraus • Lebensgeschichten Frauen • Liebeserklärung an den Fußball • Martina Keller • Nadine Angerer • Paul Breitner • Profifußball • Ran ans Leder • Sachbuch Fußball • Sport • sport frauen • Stadion • Wim Thoelke
ISBN-10 3-426-46177-3 / 3426461773
ISBN-13 978-3-426-46177-8 / 9783426461778
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