Überleben im Sturm (eBook)

Außergewöhnliche Geschichten von Courage und Mitgefühl auf See

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Ankerherz Verlag
978-3-945877-86-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Überleben im Sturm -  RNLI
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Sie riskieren ihr eigenes Leben, um Menschen auf See zu retten. Sie fahren raus in wilde Stürme, springen in den kalten Atlantik, wagen sich in tückische Höhlen. Die Seenotretterinnen und Seenotretter der britischen RNLI sind Helden unserer Zeit. In diesem Buch erzählen sie von ihren dramatischsten Einsätzen vor den wilden Küsten Großbritanniens. Sie lassen uns in ihre Seele sehen, an ihren Ängsten teilhaben, an ihrer Hoffnung. Sie berichten, was sie antreibt. Wie man selbstlos sein kann in einer Zeit, die doch sonst von Egoismus geprägt ist und dem Rückzug in Komfortzonen. Aufgeschrieben hat die Geschichten der RNLI die Reporterin Nikki Girvan aus Liverpool. Meisterhaft übersetzt wurden sie von Olaf Kanter.

Royal National Lifeboat Institution

Royal National Lifeboat Institution

1_TORBAY


MARK CRIDDLE, Torbay, Devon, 2008


SPRUNG INS UNGEWISSE


Der Wind heulte, und der Regen prasselte gegen die Station des Seenotkreuzers von Torbay. Ich sah auf meine Uhr.

Fast sieben.

Ich stellte die Teetasse hin und wandte meinen Blick ab vom Fernseher, auf dem gerade ein Darts-Wettbewerb lief, um aus dem Fenster zu schauen. Es war schon den ganzen Tag ziemlich wild da draußen. Sturmböen fegten über die normalerweise geschützte Horseshoe Bay und peitschten die Wellen hoch auf. Die See schäumte weiß. Trotzdem blieb das Funkgerät der Station still. Ich ließ meine Gedanken wandern und landete bei den praktischen Dingen des Familienlebens.

Ob die Wäsche im Trockner schon fertig war?

Seit unsere Kinder da waren, Marsden, vier, und Maitland, sieben, fühlten sich meine Frau und ich immer wieder überwältigt von den Bergen an Wäsche, die zwei kleine Jungs produzieren. In den Wintermonaten blieb mir oft nichts anderes übrig, als die vielen Ladungen tropfnasser Klamotten in den Waschsalon zu schleppen, um sie dort in den Trockner zu stopfen. Der gehörte zum Jachthafen von Brixham und stand zum Glück gleich neben unserer Station.

Ich steckte meinen Pager ein, zog den Reißverschluss meiner Regenjacke hoch und kämpfte mich durch den Wind zum Waschsalon. Vor zwanzig Minuten hatte ich diese Ladung reingesteckt.

Immer noch feucht.

Ich drückte die Tür des Trockners wieder fest zu und wollte mich gerade auf eine Bank vor der Maschine setzen, als mein Pager piepte. Es war Ken James, der stellvertretende Einsatzleiter unserer Station an der Tor Bay – ein Notruf. Da musste ich als Vormann des Kreuzers sofort los. Ich lief zum Bootshaus, um Ken anzurufen.

„Ist ein Küstenmotorschiff, 34 Meilen südöstlich von Berry Head“, sagte er. „Hat Schlagseite, und der Kapitän hat schon die Küstenwache um Unterstützung gebeten.“

„Wie viele Leute an Bord?“, fragte ich.

„Wir gehen von insgesamt zwanzig aus“, erwiderte er.

Berry Head war nur ein paar Meilen von Brixham entfernt, die Landspitze markierte die südliche Grenze der Tor Bay zur Grafschaft Devon. Die „Ice Prince“, ein mit 6395 Bruttoregistertonnen vermessener Frachter unter griechischer Flagge, hatte in Schweden Holz geladen und war auf dem Weg nach Ägypten. Sturmböen und Brecher hatten sie im Ärmelkanal voll erwischt, und jetzt lag sie mit Schlagseite in der See. Und je stärker sie sich zur Seite neigte, desto weiter verrutschte die Ladung.

So weit, so unkompliziert, dachte ich.

Für den Laien mag es vielleicht dramatisch klingen, aber so etwas kommt vor. Tatsächlich war mit dem Schwesterschiff dieses Kümos vor ein paar Jahren exakt dasselbe passiert. Der damalige Vormann des Kreuzers, David Hurford, und ich hatten den Dampfer sicher in den Hafen von Brixham eskortiert. Ich war also nicht übermäßig besorgt. Bei solchen Wetterbedingungen war ein Einsatz nie ganz ungefährlich, und das Schiff war auch eine Nummer größer als unsere gewöhnliche „Kundschaft“, zu der meist Fischer gehören. Doch letzten Endes war unser Job ja nur, den Havaristen in den nächsten Hafen zu begleiten.

Ich war nicht lange allein in der Station. Aus allen Richtungen kamen unsere Leute an. Ehe ich michs versah, standen dreizehn ehrenamtliche Retter vor mir, alle einsatzbereit, und sie konnten es kaum erwarten, dass es losging. Angesichts des harten Wetters waren sie noch mal enthusiastischer, als sie es sowieso schon waren. Sie freuten sich auf die Herausforderung, für die sie immer wieder trainiert hatten.

Unser Auftrag war es, mit unserem Seenotkreuzer der Severn-Klasse, der „Alec und Christina Dykes“, rauszufahren und beim Havaristen auf Stand-by zu bleiben. Das etwas kleinere und weniger leistungsstarke Schiff der RNLI-Station Salcombe, ein Boot der Tyne-Klasse, sollte zur Unterstützung gleich hinterherkommen. Ich schaute in die Gesichter der dreizehn Crewmitglieder, die vor mir standen. Alle gespannt, wie ich mich entscheiden würde.

Nur sieben von uns konnten rausfahren.

Ich war der Vormann, und es war mein Job zu entscheiden: Wer kommt mit?

Wie ich diesen Part hasste.

Als Mechaniker mit zwanzig Jahren Erfahrung bei den Seenotrettern von der RNLI hatte ich schon gelegentlich Witze darüber gemacht, wie es wohl sein würde, wenn sie mich zum Vormann machten, aber ernsthaft hatte ich nie damit gerechnet. Dann ging David in den Ruhestand, und ich wurde gefragt, ob ich seine Nachfolge übernehmen wollte. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Auch zwei Jahre nachdem ich den Job angetreten hatte, musste ich mich ab und zu noch zwicken, um sicherzugehen, dass ich das nicht alles nur träumte. Ich liebte diese Verantwortung. Für meine Crew, für den Kreuzer – und für die Leute in Not, die wir rausholen sollten.

Nur eines machte mir keine Freude: auszuwählen, wer mit mir rausfuhr.

Jeder dieser ehrenamtlichen Retter hatte buchstäblich alles fallen und liegen gelassen, um so schnell wie möglich beim Boot zu sein. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hatten sie ihre Jobs, ihre Partner und Kinder zurückgelassen. Allesamt waren sie bereit, ihr eigenes Leben zu riskieren, um anderen zu helfen. Genau wie ich, als ich mit den Einsätzen begonnen hatte, wollten sie jetzt da rausfahren. Und in meinen Augen hatten sie es auch alle verdient mitzukommen.

Bei dreizehn Leuten und nur sechs freien Plätzen musste ich leider ein paar enttäuschen. Und wie sich das anfühlte, daran konnte ich mich nur zu gut erinnern.

Was der Einsatz auf dem Seenotkreuzer für seine Crew bedeutete, hatte ich schon in jungen Jahren kapiert. Damals wusste jeder im Ort, was Sache war, wenn man den Knall der roten Signalraketen hörte: Jetzt fuhr das Boot raus.

Pager waren zu der Zeit noch eine absolute Rarität. Der Einsatzleiter hatte einen, außerdem der Vormann und der für die Maschine verantwortliche Mechaniker. Alle anderen mussten immer auf die Signalraketen achten.

Stiegen sie auf, wenn ich gerade im Haus meiner Großeltern war, hatte ich einen Zuschauerplatz in der ersten Reihe. Meine Großeltern wohnten an einer Haarnadelkurve mit Blick auf die Werft, so um die hundert Meter von der Station der Seenotretter entfernt. Wir waren so nah dran, dass wir die Spannung förmlich in den Knochen spürten. Erst der Knall, und dann die quietschenden Reifen in der engen Kurve, wenn die Retter in ihren Autos zur Station rasten. Wenn der Alarm kam, wollten alle dabei sein.

Unsere Gemeinde lebte von der Fischerei, von der Schifffahrt, vom Tourismus an der Küste. Die meisten von uns waren auf Booten aufgewachsen, auf dem Meer. Der Rettungskreuzer war unsere Lebensversicherung. Und die Freiwilligen, die als Crew mitfuhren, kamen aus unserer Mitte. Unsere Eltern waren das, unsere Lehrer, der Klempner und viele andere. Aber in dem Augenblick, wenn die roten Signalraketen losdonnerten, waren sie nur noch Crew der RNLI. Alles andere war Nebensache.

Mich riss das jedes Mal mit. Manchmal rannte ich runter zur Werft, ganz vorne an die Pier, nur um dicht dabei zu sein, wenn sie auf dem Rettungskreuzer die Maschine anschmissen und zum Einsatz losbrausten.

Wie es wohl wäre, da mitzumachen?

Mit 19 Jahren fasste ich mir ein Herz und fragte den Vormann, Arthur Curnow war das damals, ob er mich in seiner Mannschaft gebrauchen könnte. Vormänner galten als harte Typen, geradezu furchterregend, und es hatte zwei Jahre gedauert, bis ich endlich den Mut aufbrachte, ihn anzusprechen. Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, was ich damals zu Arthur gesagt hatte, aber seine Antwort werde ich nie vergessen:

„Was hast du morgen vor?“, fragte er mich.

„Nichts eigentlich“, erwiderte ich verblüfft.

So einfach konnte es doch nicht sein, oder?

„Bring einen Schlackenhammer mit und komm zu meinem Schlepper rüber“, sagte er. „Ich hab einen Job für dich.“

Arthur war nicht nur Vormann auf dem Seenotkreuzer, er hatte auch selbst ein paar Boote und beschäftigte Leute aus dem Ort als Crew. Am nächsten Tag bekam ich zwar immer noch keine Antwort auf meine Frage. Aber ich durfte auf seinem Schlepper Rost klopfen. Und es blieb nicht bei dem einen Mal.

Warum mache ich das? Ohne Bezahlung malochen?

Die Frage stellte ich mir natürlich irgendwann. Aber tief in mir wusste ich natürlich, warum. Für Arthur war ich nicht nur eine billige Arbeitskraft. Das Ganze war ein Test. Würde ich auch morgen wieder da sein mit meinem Schlackenhammer? War ich bereit, eine Aufgabe zu übernehmen, egal was, ohne lange Fragen zu stellen? Würde ich auch ohne Bezahlung...

Erscheint lt. Verlag 9.12.2021
Mitarbeit Aufnahmetechnik: Nikki Girvan
Übersetzer Olaf Kanter
Zusatzinfo mit farbigen Fotografien der Royal National Lifeboat Institution und Kartenmaterial
Verlagsort Hollenstedt
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abenteuer • Ankerherz • Helden • Kapitäne • Meer • RNLI • Schiffbruch • See • Seefahrer • Seenotretter • Sturm • Stürme • Welle
ISBN-10 3-945877-86-5 / 3945877865
ISBN-13 978-3-945877-86-9 / 9783945877869
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