Niemals satt (eBook)
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30420-6 (ISBN)
Monchi ist Sänger und Texter von Feine Sahne Fischfilet, mit denen er es seit 2006 vom Jugendzentrum bis auf die Hauptbühne von Rock am Ring geschafft hat. Mit der Band rief er 2016 die Kampagne »Noch nicht komplett im Arsch. Zusammenhalten gegen den Rechtsruck« ins Leben und veranstaltet ein eigenes Festival in Vorpommern namens »Wasted in Jarmen«. 2018 erschien der unter Regie von Charly Hübner entstandene preisgekrönte Dokumentarfilm »Wildes Herz«, der das gesellschaftliche und politische Engagement der Band und Monchis Lebensgeschichte behandelt.
Monchi ist Sänger und Texter von Feine Sahne Fischfilet, mit denen er es seit 2006 vom Jugendzentrum bis auf die Hauptbühne von Rock am Ring geschafft hat. Mit der Band rief er 2016 die Kampagne »Noch nicht komplett im Arsch. Zusammenhalten gegen den Rechtsruck« ins Leben und veranstaltet ein eigenes Festival in Vorpommern namens »Wasted in Jarmen«. 2018 erschien der unter Regie von Charly Hübner entstandene preisgekrönte Dokumentarfilm »Wildes Herz«, der das gesellschaftliche und politische Engagement der Band und Monchis Lebensgeschichte behandelt.
Januar 2020
Endlich Ruhe
Rettest die ganze Welt
Vergisst dabei einfach dich selbst
Kein Abschalten möglich, fast wie eine Sucht
Ständig bist du auf der Flucht
Find’s schön, dass du bewegst
So viel kämpfst, so viel erlebst
Doch hat es keinen Wert, dass du so viel machst
Wenn du am Ende nicht mehr lachst
Nimm dir endlich Zeit
Nimm dich endlich selber ernst
Wirst hier gar nichts mehr verändern, wenn du das Genießen verlernst
Nimm dir endlich Zeit
Nimm dich endlich selber ernst
Wirst hier gar nichts mehr verändern, wenn du das Genießen verlernst
(»Ruhe« – Feine Sahne Fischfilet)
Diesen Text habe ich vor zig Jahren für meine Freundin Hanna geschrieben. Nach ewigem Hin und Her und gleich mehreren Trennungen schafften wir es irgendwann endlich, wirklich getrennte Wege zu gehen. Bevor das Lied auf dem Album »Bleiben oder gehen« erschien, schenkte ich ihr einen USB-Stick mit einer frühen Aufnahme des Songs. Erst jetzt, Jahre später, checke ich, dass ich diese Zeilen auch in einen Spiegel hätte singen können. Auf mich und meinen Lebensstil passen sie mindestens genauso gut. Und gerade jetzt frage ich mich: Warum komme ich nie zur Ruhe? Warum bin ich so fett geworden? Und gibt es da einen Zusammenhang?
Feine Sahne Fischfilet gibt es nun seit über 15 Jahren, und seitdem sind wir unterwegs. Die letzten sieben, acht Jahre waren ein einziger Rausch: Ständig war alles in Bewegung, zwischen kleinen autonomen Jugendzentren und der Hauptbühne bei Rock am Ring, zwischen Artikeln im Feuilleton, in denen wir als »wichtigste Band unserer Zeit« oder als »Vorpommerns gefährlichste Band« bezeichnet wurden, und der dreimaligen Nennung im Verfassungsschutzbericht, zwischen Auszeichnungen und Bombendrohungen.
Und bevor es mit der Band richtig losging, war mein Leben auch nicht von Langeweile geprägt. Meine Mutter sagt immer, dass es ihr ab Tag 1 so vorgekommen sei, als wäre ich an eine Steckdose angeschlossen. Ab meinem 14. Lebensjahr hatte mich das Fußball-Virus im Griff und es gab nur noch eins: Hansa Rostock. Es waren die prägendsten Jahre meines Lebens, ich haute komplett auf die Kacke. Mit 18 hatte ich bundesweites Stadionverbot und eine Bewährungsstrafe, mit 19 kamen 30000 Euro Schulden dazu. Später haben Faschos in ganz Mecklenburg-Vorpommern Aufkleber verteilt, auf denen mein Kopf abgebildet war. Mal ballerten die Faschos meine komplette Karre mit Buttersäure voll, mal machte der Verfassungsschutz sich an ihr zu schaffen und brachte einen Peilsender an. Drei Jahre lang wurde ich observiert. Und auch fern von Fußball und Band habe ich Dinge erlebt, die ich noch immer kaum fassen kann: etwa als ich mit meinem Freund Dariush eine Woche auf See war und die Flüchtlingslager-Hölle von Moria mit eigenen Augen gesehen habe. Oder als wir im Rahmen von Wiederaufbaumaßnahmen Hilfslieferungen an die türkisch-syrische Grenze gebracht haben und rein zufällig mitten in ein IS-Attentat geraten sind – ich stand zwischen 31 Leichen und musste fürchten, dass gleich noch eine zweite Bombe hochgeht.
So viele Leute liebäugeln in meinem Alter schon mit der Midlife-Crisis und meinen, in ihrem Leben etwas verpasst zu haben. Ich weiß, wie düsig sich das anhört, aber ich habe das Gefühl, ich könnte jetzt tot umfallen und hätte schon genug für zwei Leben gelebt.
Allein im Jahr 2018 war ich über 200 Tage unterwegs. Gerade war der Dokumentarfilm »Wildes Herz« erschienen, den Charly Hübner über Feine Sahne Fischfilet und mich gedreht hat. Neben unzähligen Konzerten gab es für mich noch fast 100 Filmdiskussionen obendrauf, bei denen ich mit den verschiedensten Menschen über die Band und noch viel mehr über mein Leben sprach. Den offensichtlichsten Zusammenhang zwischen einem Leben auf Achse und Übergewicht werden Trucker, Montagearbeiter und Außendienstler bestätigen können: Wer so viel unterwegs ist, isst viel an Raststätten. Wer viel an Raststätten isst, frisst auch viel Scheiße. Und wer viel Scheiße frisst, wird kein Model für Unterwäsche.
Immer wenn ich dachte, dass ich mal etwas Ruhe haben würde, kamen unerwartete Situationen dazwischen. Dann ging irgendwo die Welt unter oder jemand brauchte unseren Support. Und obwohl ich lange ein anderes Bild von mir hatte, muss ich gestehen: Manchmal bin ich sehr schlecht im Neinsagen. Dann habe ich auch oft das Gefühl, dass viele Leute sich einfach wegducken. Monchi macht das schon … Aber, und das gehört auch zur Wahrheit: Irgendwie habe ich den Stress auch immer gesucht, nach dem Motto: Wenn ich es nicht mache, macht es keiner. Wer nicht durchzieht, meint es nicht ernst. Ich verstehe erst jetzt so langsam, dass das für die Menschen um mich herum oft extrem anstrengend sein muss. Vor allem, wenn ich auch noch genervt bin, wenn nicht alle anderen genauso Feuer und Flamme sind wie ich.
Im Oktober 2018 stand endlich mein erster wirklicher Urlaub seit langer Zeit an. Mit Freunden aus Rostock sollte es ein zweites Mal nach Nepal gehen, nachdem wir vor Jahren schon dort waren, aber noch lange nicht alles gesehen hatten. Die Flüge waren bezahlt, die Tasche gepackt, der Reisepass erneuert. Ich sollte am Montag aus Köln fliegen, denn freitags und samstags durften wir mit Feine Sahne Fischfilet noch als Support vor den Toten Hosen spielen – Tourfinale mit jeweils 45000 Leuten im Stadion, und wir werden eingeladen. Was für ein Geschenk!
Im Laufe der Woche dachte ich noch gar nicht an die Konzerte, weil etwas anderes mich beschäftigte: Ich merkte, dass ich nicht verreisen wollte. Wenn ich an die Wochen in Nepal dachte, blockierte alles in mir. Eins weiß ich über mich: Wenn ich etwas tue, auf das ich kein Bock habe, dann wird es unendlich scheiße. Ich kann keine gute Zeit in Kathmandu haben, wenn ich eigentlich in Mecklenburg-Vorpommern sein will. Also sagte ich die Reise ab. Es war ein unglaublich tolles Gefühl. Endlich mal länger als ein paar Tage zu Hause bleiben. Meine Freundin Lena und ihre Kids sehen, mit Freunden hängen, meine Familie besuchen. Einfach tu Hus sein.
Dass die folgenden Wochen dann die mit Abstand stressigsten des Jahres werden sollten, wusste ich noch nicht. Denn zu Hause war plötzlich der allerschlechteste Ort für Ruhe.
Wir sollten bald im Rahmen einer Bauhaus-Konzertreihe des ZDF im Bauhaus Dessau spielen. Das Konzert war nach wenigen Sekunden ausverkauft. Eine Melange aus Faschos und AfD empörte sich jedoch über unsere Einladung, woraufhin die Stiftung Bauhaus unser Konzert einfach absagte. Es eskalierte komplett. National und international berichtete die Presse. Es gab Flashmobs von Studierenden und offene Briefe, die von irgendwelchen Professoren aus den USA oder Filmemachern aus Tel Aviv unterschrieben wurden, während ich doch eigentlich nur endlich mal wieder an der Ostsee spazieren wollte.
Die Medien drehten immer mehr ab, und plötzlich lauerten mir zu Hause zwei Journalisten auf, um mich über Dessau auszufragen. Ich war völlig perplex und kann es gut nachvollziehen, wenn einem in so einer Situation die Sicherungen rausfliegen. Die beiden checkten glücklicherweise schnell, dass mein »Verpisst euch, ihr Wichser!« ernst gemeint war, und machten sich vom Acker. Auf dem Affentempel in Kathmandu wäre es definitiv entspannter gewesen.
Natürlich ließen wir uns nicht lumpen, organisierten mit unserem Booker Artur ein Alternativkonzert und spielten schließlich unter dem Motto »Brauhaus statt Bauhaus« trotzdem in Dessau, und zwar in der Alten Brauerei vor viermal so vielen Leuten, wie ins Bauhaus gepasst hätten.
Dieses Erlebnis ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die letzten Jahre oft angefühlt haben. Vieles war genial und einzigartig, aber einiges war auch einfach zu krass. Ständig auf Abruf abliefern zu müssen macht krank. Mein Kopf scheint niemals auszugehen, auch nicht, wenn ich schlafe.
Ganz bestimmt werde ich nicht über mein hartes Leben klagen, denn mir ist absolut bewusst, dass da draußen so viele Menschen sind, die deutlich mehr reißen und am Ende des Monats deutlich weniger Kohle auf dem Konto haben als ich. Ob nun Pflegerinnen, Paketboten, Essenslieferanten oder alleinerziehende Muttis, die noch mit den Kindern Hausaufgaben machen dürfen, wenn sie nach der Racke nach Hause kommen. Aber trotzdem: Die Schlagzahl solcher Stressmomente war in den letzten Jahren manchmal enorm hoch.
Und erst jetzt wird mir klar, dass solche Situationen bei mir immer mit unkontrollierten Fressorgien einhergehen. Wie oft ich dann zu McDonald’s gefahren bin, wie viele Süßigkeiten ich in mich reingestopft habe, ist wirklich hart. Während der Dessau-Geschichte bin ich einmal zu Hause geblieben, um ein Statement für die Band zu schreiben. An diesem Tag habe ich mir sage und schreibe drei Pizzen bestellt. Mittags eine, abends zwei. Damals dachte ich gar nicht darüber nach, aber nebenbei kloppte ich mir die ganze Zeit auch noch Cola rein. Ist das meine Art der Stressbewältigung? Ist es Selbstzerstörung? Keine Ahnung. Aber Hunger ist es definitiv nicht!
Ich kann es nicht ganz genau beziffern, aber...
Erscheint lt. Verlag | 7.4.2022 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Abnehmen • abnehmen erfahrungsbericht • abnehmen motivation • Abspecken • Autobiografisch • Body Positivity • Body-Positivity • Dicksein • Feine Sahne Fischfilet • Hansa Rostock • Körperliebe • Mecklenburg-Vorpommern • Musiker-Autobiografie • Punk-Musik • Selbstreflexion • Übergewicht • übergewicht ursachen • wildes Herz |
ISBN-10 | 3-462-30420-8 / 3462304208 |
ISBN-13 | 978-3-462-30420-6 / 9783462304206 |
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