Du darfst nicht alles glauben, was du denkst (eBook)
192 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30414-5 (ISBN)
Kurt Krömer, alias Alexander Bojcan, wurde 1974 geboren und ist Komiker und Schauspieler. Er ist vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis. Seine Sendung »Chez Krömer« wurde millionenfach geguckt. Kurt Krömers Podcast »Feelings« ist einer der meistgehörten Podcasts des Landes. Sein Buch »Du darfst nicht alles glauben, was du denkst« war länger als ein Jahr in den Top 20 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde das meistverkaufte Sachbuch des Jahres 2022.
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Kurt Krömer, alias Alexander Bojcan, wurde 1974 geboren und ist Komiker und Schauspieler. Er ist vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis. Seine Sendung »Chez Krömer« wurde millionenfach geguckt. Kurt Krömers Podcast »Feelings« ist einer der meistgehörten Podcasts des Landes. Sein Buch »Du darfst nicht alles glauben, was du denkst« war länger als ein Jahr in den Top 20 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde das meistverkaufte Sachbuch des Jahres 2022.
Und dann war ich impotent
Und dann war ich impotent. Die Nudel hing, nichts ging mehr. Ich weiß nicht, wie das bei Frauen ist, wenn die Libido auf Betriebsferien ist, aber bei Männern ist das eine sehr, sehr große Katastrophe. Wir definieren uns ja über nicht so viel: Fressen, ficken, fernsehen – wenn eine Sache davon wegfällt … also jetzt mal im Ernst: Ich war wirklich geschockt. Was sollte denn noch alles passieren? Die Stimmung war eigentlich dauerhaft im Arsch, ich wusste ja damals noch nichts von den Depressionen. Tag und Nacht diese diffusen Ängste und dann also auch noch untenrum tote Hose. Ich habe mich dann abgetastet, ich habe mir die Hoden abgetastet und dann natürlich auch sofort einen Knoten gefunden. Für mich war also sonnenklar: Hodenkrebs! Ausgerechnet zu dieser Zeit hatte ich Besuch von einem Kumpel, der extra von Afghanistan nach Deutschland gekommen war, um hier seinen Prostatakrebs behandeln zu lassen. Er war sehr früh erkannt worden, konnte also gut wegoperiert werden. Dieser Besuch zur falschen Zeit hat mich zum Hypochonder gemacht. Ich habe daraufhin einen Termin beim Urologen gemacht, der letzte Termin war etwa zwanzig Jahre her gewesen. Komischerweise die gleichen Symptome: untenrum tote Hose. Damals, vor zwanzig Jahren, hatte der Arzt mich fünf Minuten untersucht, dann in die Schublade gegriffen und mir vier Pillen Viagra gegeben und mich mit folgenden aufmunternden Worten entlassen: »Ja, ist halt so, hier, bitte schön.« Das hatte mich verstört. Ich dachte: »Okay, was ist Impotenz eigentlich?« Ich habe mir das dann noch mal erklären lassen, dass man Erektionsstörungen mit Viagra oder anderen Pillen behandeln kann, eine richtige Impotenz allerdings kriegt man eigentlich nur mit einer Spritze in den Griff. Du spritzt dir also ein Serum in das Glied und es wird steif. Möchtest du dann, dass das Glied nicht mehr steif ist, nimmst du die zweite Spritze, wieder rein in den Penis und er ist nicht mehr steif. Also relativ unsexy, wenn ich mir vorstellte, ich müsse erst mal ins Bad verschwinden und mein Serum spritzen, bevor es losgehen kann.
Erst viele Jahre später wusste ich dann, dass das alles mit der Depression zusammenhängt. Der Kopf ist quasi so beschäftigt mit Denken, dass er sich vom Lustzentrum abkoppelt und sagt: »Ey, Diggi, ich bin hier so beschäftigt mit Nachdenken, lass uns mal unten Betriebspause machen.«
Beim zweiten Mal dachte ich dann: »Du Vollidiot, du warst jetzt zwanzig Jahre nicht beim Urologen. Eigentlich sollte man ja, gerade jetzt in meinem Alter, mindestens einmal im Jahr dahin.« Jedenfalls habe ich mich geschämt und ich hatte Angst, weil ich natürlich dachte: »Scheiße, mein Kumpel aus Afghanistan, der war halt rechtzeitig beim Arzt. Aber was ist denn, wenn vor zwanzig Jahren der Krebs bei mir schon entstanden ist?« Ich habe mich da so reingesteigert, dass ich wirklich dachte, da passiert jetzt eigentlich nichts anderes, als dass der Arzt mir gleich mein Todesurteil ausspricht und sagt: »Herr Krömer, ’ne Langspielplatte brauchen Sie sich heute nicht mehr kaufen.«
Mein Urologe erzählt mir heute noch, dass ich in einem solch besorgniserregenden Zustand bei ihm aufgeschlagen bin, dass er richtig Angst hatte. Ich kannte den Urologen ja damals nicht, und er wiederum kannte mich nur aus dem Fernsehen. Er sagt, ich sei auf ihn zugekommen, er hinterm Schreibtisch, und er ist mit seinem Stuhl richtig ein Stück zurückgefahren, weil ihn meine Aura irgendwie beängstigt hat. Ich war kreidebleich, ich war total angespannt, ich muss total ernst geguckt haben. Dann habe ich ihm meine krude Geschichte erzählt, dass ich da irgendwie untenrum etwas gespürt habe und dass ich denke, dass das Krebs sei. Dabei habe ich geweint, weil ich mich endlich überwunden hatte, zum Urologen zu gehen. Ich dachte: »Ey, jetzt bin ich endlich da.« Und gleichzeitig dachte ich: »Ja, aber du bist halt jetzt zu spät.« Dann hat der Arzt mich untersucht, hat die Hoden abgetastet und einen Ultraschall gemacht. Und der Knoten, den ich als Krebsgeschwür diagnostiziert hatte, war eine Zyste. Er sagte dann also wirklich: »Alles gut, kein Tumor, kein Krebs.« Und ich konnte einfach keine Erleichterung zulassen, sogar das Gegenteil war der Fall. Ich steigerte mich in diese Materie so tief rein, immer weiter, dass ich das nicht wahrhaben wollte, dass jetzt hier Schluss war, dass der Arzt, der studiert hatte, der Praxiserfahrung hatte, jahrzehntelang, dass der mir jetzt sagt: »Jetzt können Sie wieder nach Hause gehen und in einem Jahr sehen wir uns zur nächsten Vorsorgeuntersuchung wieder.«
Wer von euch depressiv ist oder das mal erlebt hat, der kann sicherlich nachvollziehen, dass man auch positive Nachrichten nicht annehmen kann. Mein Urologe hätte auch sagen können: »Herr Krömer, ich habe mich in Sie verliebt. Ich liebe Sie und möchte Sie heiraten«, das hätte bei mir kein müdes Arschzucken erzeugt. Als ich dann raus war aus der Praxis, völlig verstört, habe ich diese Problemschraube immer weiter gedreht, immer tiefer und dann habe ich eine Woche später noch mal einen Termin gemacht und gesagt: »Da ist irgendwas anderes.« Und dann haben wir ein CT gemacht, aus dem CT wurde noch ein MRT, also rein in die Röhre. Man kann ja wirklich den ganzen Körper in Scheibchen schneiden und sieht jeden kleinen Fitzel. Wenn sich also irgendwo ein stecknadelgroßer Tumor befunden hätte, auch wenn er nur halb so groß gewesen wäre wie ein Stecknadelkopf, dann hätte man das gesehen. Und der Radiologe sagte auch: »Alles so weit in Ordnung.« Dann haben wir noch ein bisschen über meine Lunge gesprochen, ich rauche ja seit dreißig Jahren, und auch da sagte der Arzt: »Nichts zu sehen. Sie könnten jetzt immer noch Perlentaucher werden.« Das habe ich ihm jetzt nicht so richtig abgenommen, aber ganz egal. Ich saß da wieder mit einem Fachmann, einem Menschen, der das studiert hatte, der in seinem Beruf eine Koryphäe war, und auch dem habe ich nicht getraut. Ich habe diesen Menschen einfach nicht getraut.
Mit dem Ergebnis vom MRT bin ich wieder zu meinem Urologen gegangen und hab gesagt: »Ich habe Schmerzen im Glied. Irgendwas hat sich da verengt. Irgendwas schmerzt beim Wasserlassen.« Und da ich immer eine Urinprobe abgegeben habe und der Urin immer untersucht worden war und immer alles unauffällig gewesen war, zündete er die richtig große Rakete: »Wir können mit einer Kamera in ihre Harnröhre reingehen und gucken, ob da alles so weit in Ordnung ist.« Und an dem Punkt wurde ich dann so richtig blass. Wir wechselten für diese Untersuchung den Raum, in dem schon eine Arzthelferin parat stand, die mich schon ganz besorgniserregend ansah. Spätestens da wusste ich: Aua, aua. Die Arzthelferin hat ja sicher auch schon viel erlebt, wenn die so guckt, dann wird das hier gleich richtig lustig. Und dann saß ich schon auf einem Stuhl, der fast so aussah wie der beim Gynäkologen. Ein ganz altertümlicher Stuhl war das, wie aus den Fünfzigerjahren, die Fliesen um mich herum waren grau, ein bisschen sah es aus wie in einem Schlachtraum, in den sie mich da geführt hatten. Also Hose runter, rauf auf den Stuhl und der Arzt, der wahrscheinlich sowieso schon gedacht hat: »Der hat sie doch nicht alle«, guckte mich jetzt auch ängstlich an. Alles psychologisch recht kontraproduktiv. Jedenfalls holte er dann sein Gerät raus und führte mir das Ding etwa drei Millimeter in die Harnröhre ein, bevor ich laut geschrien habe und aus Versehen, quasi reflexartig, der Arzthelferin eine mitgegeben habe. »Pause, Pause, Pause«, habe ich geschrien. Und vorab war sogar noch alles betäubt worden. Wir haben dann noch einen Versuch gestartet, und ich weiß nicht, ob ich mir das eingebildet habe oder mich zu sehr reingesteigert habe, aber das war für mich so ein starker Schmerz, dass ich die Untersuchung abbrechen musste. Das sehr angestrengte »Bleiben Sie entspannt, bleiben Sie entspannt!« hat ehrlich gesagt auch nicht sonderlich geholfen. »Ich glaube, mir ist das jetzt gar nicht mehr so wichtig, ob da irgendeine Harnröhre verengt ist oder nicht«, dachte ich.
Bei einem der vielen Termine habe ich ihm auch noch von meinen Erektionsproblemen erzählt und er sagte: »Das ist der Stress.« Heute ist mir das alles sonnenklar. Ich habe einen tollen Beruf, den ich über alles liebe, der aber sehr anstrengend ist, also stressig. Ich habe vier Kinder und erziehe drei davon alleine, das ist jetzt auch nicht gerade Urlaub. Das ist auch Stress, es ist kompletter Stress. Dazu dann noch die Depression – davon wussten wir beide ja damals nichts –, die mich noch runtergezogen hat. Das alles, mein Leben, war ja quasi eine permanente Stresssituation.
Und jetzt kommt’s. Genau in dieser impotenten Phase habe ich mich verknallt. Ich habe eine Frau kennengelernt, ich fand das wunderbar, sie fand das wunderbar, wir haben gemerkt, da ist etwas, da passiert gerade was. Ich habe das sogar zugelassen, habe mich darüber gefreut, weil ich fünf Jahre lang Single gewesen war. Eigentlich hatte ich gedacht, in dieser Konstellation – alleinerziehend, dieser sehr anstrengende Beruf, das viele Reisen, die ständigen Besprechungen – kann ich ja eigentlich gar keine Frau kennenlernen. Ehrlicherweise denke ich noch heute so. Ich bin in allem, was ich mache, autonom: Ich koche, ich putze, ich kaufe Klamotten für die Kinder, ich kümmere mich, ich beschäftige sie. Dieses klassische Modell, wie mein Vater es gelebt hat, sprich: Such dir eine Frau für die Küche, eine gute Hausfrau und Mutter; das wollte ich nicht. Das sehe ich alles natürlich komplett anders.
Ich...
Erscheint lt. Verlag | 10.3.2022 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Alexander Bojcan • Alkoholiker • Alkoholismus • Autobiografie • Autobiografisch • Chez Krömer • Comedian • Depression • Depression Erfahrung • Depression Erkrankung • Depression Gesellschaft • Depression Sachbuch • depression therapie • Depression überwinden • Depression verstehen • Deutscher Fernsehpreis • Feelings Podcast • Gesellschaft Psychische Erkrankung • Grimme-Preis • Last one laughing • lol • podcaster • Psychische Erkrankungen • Ratgeber • Tabubrechen • Tabubruch • Therapie • Volkskrankheit |
ISBN-10 | 3-462-30414-3 / 3462304143 |
ISBN-13 | 978-3-462-30414-5 / 9783462304145 |
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