Deutschunterricht im Zeichen der Digitalisierung -

Deutschunterricht im Zeichen der Digitalisierung (eBook)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
238 Seiten
StudienVerlag
978-3-7065-6197-6 (ISBN)
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Digitale Medien stellen die Schule vor neue Herausforderungen, bieten aber auch Chancen zur Initiierung von schulischen Lernprozessen. Für den Deutschunterricht ergeben sich dabei vielfältige Fragen, die fachspezifische Konzepte im Umgang mit digitalen Medien ebenso betreffen wie domänenübergreifende Prinzipien: Wie verändern sich Produktion, Rezeption und Distribution sprachlicher und literarischer Texte unter dem Einfluss digitaler Medien? Welche neuen Kompetenzen erfordert der Umgang mit Sprache und Literatur vor dem Hintergrund dieser Entwicklung? Welche deutschdidaktischen Konzepte berücksichtigen Aspekte des Digitalen? Die in dem Band versammelten Beiträge geben dazu Einblicke in aktuelle Forschungsergebnisse und einen Überblick über eine brisante Diskussion, die in der Deutschdidaktik nicht erst seit pandemiebedingtem Homeschooling und Distance Learning geführt wird.

Die Herausgeber: Stefan Krammer ist Professor für Neuere deutsche Literatur und ihre Didaktik am Institut für Germanistik der Universität Wien. Matthias Leichtfried ist Universitätsassistent im Bereich Literatur- und Mediendidaktik an der Universität Wien und Lehrer am GRG 17, Geblergasse in Wien. Markus Pissarek hat den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Passau inne.

Die Herausgeber: Stefan Krammer ist Professor für Neuere deutsche Literatur und ihre Didaktik am Institut für Germanistik der Universität Wien. Matthias Leichtfried ist Universitätsassistent im Bereich Literatur- und Mediendidaktik an der Universität Wien und Lehrer am GRG 17, Geblergasse in Wien. Markus Pissarek hat den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Passau inne.

Michael Krelle

Perspektiven auf eine schreibdidaktische Kultur der Digitalität


In dem Beitrag werden ausgehend von einer Kultur der Digitalität Perspektiven auf die Schreibdidaktik geworfen. Dazu wird ein fachdidaktisches Modell entworfen, das den Schreibbedingungen einen zentralen Stellenwert zuweist. Dabei spielen die von Stalder (2017) entworfenen Begriffe Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund werden schreibdidaktische Konsequenzen abgeleitet und es werden Vorschläge zur Weiterarbeit in Forschung und Unterrichtspraxis gemacht.

Aspekte der Digitalisierung verändern die Lebenswelt nachhaltig. Vonseiten der Kultusministerkonferenz in Deutschland heißt es dazu: »Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche führt zu einem stetigen Wandel des Alltags der Menschen. Der Prozess betrifft nicht nur die sich zum Teil in hoher Dynamik verändernden beruflichen Anforderungen, sondern prägt in zunehmendem Maße auch den privaten Lebensbereich […]« (KMK 2017, S. 8). Diese Veränderungen wurden von Stalder (2017) als Wege in eine Kultur der Digitalität beschrieben. Damit ist gemeint, dass technologische Neuerungen und Erweiterungen auf bereits laufende gesellschaftliche Transformationen treffen. Aspekte der Digitalisierung und der gesellschaftliche Wandel bedingen sich demnach gegenseitig. Es ist nicht etwas »Neues«, das eine eigentlich stabile Situation umwälzt: »Etablierte kulturelle Praktiken […] haben schon lange vor den neuen Technologien und den mit ihnen einhergehenden neuen Anforderungen an die Einzelnen viel von ihrer Selbstverständlichkeit und Legitimität verloren.« (Stalder 2017, S. 21)

Dass diese Prozesse auch im Bereich der Bildung wirksam sind, ist schon häufig thematisiert worden (vgl. Allert/Richter 2017). Die Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels und die Anforderungen einer Kultur der Digitalität haben allerdings zuletzt durch das »Lernen auf Distanz« (vgl. Moore/Kearsley 2012) und die sogenannte COVID-19-Pandemie (»Corona-Pandemie«) erheblich zugenommen. Hier zeigt sich, was für die Gesellschaft insgesamt gilt: Die Kultur der Digitalität ist auch in der Schule weitgehend »[…] alltäglich und dominant geworden. Sie formt eine alle Lebensbereiche bestimmende kulturelle Konstellation, deren charakteristische Eigenschaften deutlich zu erkennen sind.« (Stalder 2017, S. 94)

Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden unter Bezugnahme auf Stalders Begriff der Kultur der Digitalität Perspektiven auf die Schreibdidaktik geworfen werden. Die zentrale These ist, dass Digitalität zukünftig Ausgangspunkt und bestimmendes Merkmal schreibdidaktischer Entscheidungen sein muss, kein bloßes Beiwerk. »Digitale Sozialisation und schulischen Schreibunterricht aufeinander zu beziehen, das ist eine der Herausforderungen, die sich der Schule stellen.« (Furger/Schneider 2011, S. 2) Selbstverständlich ersetzt das keinen Schreibunterricht, der das Schreiben mit der Hand auf Papier zum Gegenstand hat. Allerdings ist das Schreiben in der digitalen Welt eben mehr als ein bloßes Additum didaktischer Konzeptionen. Vielmehr ist eine schreibdidaktische Kultur der Digitalität ein zentraler Gegenstand des Faches. Dazu wird im Folgenden zunächst ein Blick auf die Begriffe »Kultur« und »Digitalität« geworfen, um anschließend ein schreibdidaktisches Modell vorzustellen, das eine Kultur der Digitalität in ihren Grundzügen mit einbezieht. Darauf aufbauend können einige blinde Flecken der Schreibdidaktik beleuchtet werden.

1. Kulturbegriff und Formen der Digitalität


»Kultur« ist ein schillernder Begriff, der im Alltag häufig und teils idiomatisiert zu finden ist. Man entdeckt ihn zum Beispiel in Begriffen wie »Diskussionskultur«, »Esskultur« und vielen mehr. Historisch betrachtet lassen sich unterschiedliche, eher enge oder weite Perspektiven auf den Kulturbegriff ausmachen, die Nünning (2009) in Anlehnung an Reckwitz (2000) zusammenfassend als normative, totalitätsorientierte, differenztheoretische sowie bedeutungs- und wissensorientierte Perspektiven skizziert hat. Felix Stalders Kulturbegriff kann in diesem Feld als ein bedeutungs- und wissensorientierter Kulturbegriff gesehen werden, mit dem Kultur »[…] als der von Menschen erzeugte Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen aufgefasst [wird], der sich in Symbolsystemen materialisiert« (Nünning 2009, S. 1). Dabei ist der Begriff auch nicht im Sinne eines differenztheoretischen Kulturbegriffs auf einen Bereich (z. B. des Digitalen) bezogen. Kultur ist hier »nicht symbolisches Beiwerk, kein einfacher Überbau, sondern […] handlungsleitend und gesellschaftsformend«, indem Bedeutung hervorbringende Praktiken »in Artefakten, Institutionen und Lebenswelten« verdichtet sind (Dobusch 2016, S. 16). Der Begriff der »Digitalität« bezieht sich dabei auf die Bedingungen, unter denen zum Beispiel sprachliche Werkzeuge und Medien zum Einsatz kommen – er ist kein bloßes (unpassendes) Gegensatzpaar zum »Analogen« (Wampfler 2020, S. 11 ff.). Vielmehr klingt im Begriff der »Digitalität« die zentrale Rolle digitaler Technologien für den von Stalder beobachteten kulturellen Wandel an, der gerade nicht von Technikbegeisterung oder gar Technikdeterminismus geprägt ist (vgl. Dobusch 2016).

Die spezifische Gestalt der Kultur der Digitalität lässt sich nach Stalder anhand von drei zentralen Formen identifizieren, die auch für ein schreibdidaktisches Konzept zentral sind: Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität.

Referentialität gilt als eine, wenn nicht die wesentliche Form der Kultur der Digitalität. Demnach gehört es zu den kulturellen Praktiken, Bezüge zu den Produkten und Prozessen anderer herzustellen. In der Kultur der Digitalität werden diese genutzt, transformiert, transponiert beziehungsweise wird Vorhandenes anhand digitaler Praktiken neu arrangiert. Zu solchen Praktiken zählen zum Beispiel das Remixen, Sampling, Zitieren et cetera. Solche Praktiken hat es natürlich bereits schon vorher gegeben (z. B. in der Musikszene). In der Kultur der Digitalität werden sie aber ausgedehnt und zum bestimmenden Merkmal. Mit Blick auf das Schreiben stellen sich in der Folge ganz grundsätzliche Fragen, zum Beispiel zum Konzept der Autorin beziehungsweise des Autors (u. a. im Kontext von Wiki-Umgebungen), aber auch zu den sprachlichen Handlungen und Prozeduren und ihrem genuinen Funktionspotential in der Digitalität.

Mit der Gemeinschaftlichkeit wird auf die Schaffung von neuen (gemeinsamen) Referenzrahmen abgezielt, in denen außerhalb anderer Kollektive (z. B. Familie, Schulklasse) Identitätsbezüge hergestellt werden. Stalder spricht hier vom sogenannten »vernetzten Individualismus«: Menschen definieren demnach ihre Identität zunehmend über ihre »persönlichen sozialen Netzwerke, also über die gemeinschaftlichen Formationen, in denen sie als Einzelne aktiv sind und in denen sie als singuläre Personen wahrgenommen werden« (Stalder 2017, S. 144). »Wer ›freiwillig‹ Konventionen akzeptiert, erhält Zutritt zu einem Praxisfeld, in dem er aber unter Umständen strukturell benachteiligt ist.« (Ebd., S. 157) Als Praktiken kommen hier zum Beispiel Aspekte der Kollaboration, Kooperation, aber auch Formen der Exklusion in Betracht. Mit Blick auf die Schreibdidaktik gibt es eine Reihe von Anknüpfungspunkten, insbesondere wenn es um das gemeinschaftliche »Verflüssigen von Texten« (bzw. um »Fluidity«) geht. Damit ist die ständige Reorganisation der Texturen gemeint, etwa wenn »Wikis« gemeinsam bearbeitet werden (vgl. Krelle 2015). Marx/Weidacher (2014) schreiben dazu: »Entscheidend für die Fluidity […] ist, dass das kollaborative Arbeiten an einem Eintrag in der Online-Enzyklopädie prinzipiell nie abgeschlossen ist. Wenn wir einen Eintrag […] lesen, so haben wir zwar einen temporär stabilisierten Text vor uns. Durch die ständige Überarbeitung ist die Stabilität jedoch nur eine relative.« (Marx/Weidacher 2014, S. 192) Kooperatives und kollaboratives Arbeiten ist aber auch da wirksam, wo am Ende mehr oder weniger stabile Texte in digitalen Umgebungen entstehen, die an einem gewissen Punkt des Schreibprozesses veröffentlicht werden, zum Beispiel wenn Autorinnen und Autoren(-kollektive) Texte in Online-Zeitschriften (oder auf der Schulhomepage) veröffentlichen.

Als dritte Form nennt Stalder schließlich noch die Algorithmizität im Sinne einer »Sortierung«, die »dynamische Ordnungen für sich rasch wandelnde Felder« erlaubt (Stalder 2017, S. 185). Es geht gerade nicht um eine statische Rechenfolge, eher um kontinuierlich adaptierte algorithmische Praktiken: »Die Welt wird nicht mehr repräsentiert; sie wird für jeden User eigens generiert und anschließend repräsentiert.« (Ebd., S. 189) Auf diese Weise kartographieren – und gestalten – sich die oben beschriebenen digitalen Räume gemeinschaftlicher Referentialität:...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2022
Reihe/Serie ide-extra
Verlagsort Innsbruck
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Schulpädagogik / Grundschule
Schlagworte Deutschdidaktik • Deutschunterricht • Digitale Medien • Digitalisierung • Distance Learning • Distanzunterricht • Homeschooling • Neue Medien
ISBN-10 3-7065-6197-2 / 3706561972
ISBN-13 978-3-7065-6197-6 / 9783706561976
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