Das kontaminierte Museum -  Keller Erich

Das kontaminierte Museum (eBook)

Das Kunsthaus Zürich und die Sammlung Bührle

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
160 Seiten
Rotpunktverlag
978-3-85869-939-8 (ISBN)
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In der Kunstsammlung des Waffenfabrikanten Emil G. Bührle ist die kriegerische Geschichte des 20. Jahrhunderts gespeichert. Kriegsmaterialexporte an NS-Deutschland und in die Hotspots des Kalten Kriegs hatten ihn zum reichsten Schweizer gemacht. Ausgestattet mit unerschöpflichen Mitteln kaufte er Kunstwerke, die durch Ausplünderung und Vertreibung jüdischer Sammler und Galeristen auf den Kunstmarkt gespült wurden. Über Jahrzehnte schlummerte seine Sammlung in einem Privatmuseum und diente dem Ansehen der Familie Bührle. Nun soll sie im Neubau des Kunsthauses Zürich die Stadt als Kulturmetropole aufwerten. So zumindest die Hoffnung eines Zusammenschlusses verschiedener Akteure aus Politik, Wirtschaft und Museumswelt.
Wie fand die durch Krieg, Vertreibung und Holocaust kontaminierte Sammlung Einzug in ein öffentliches Museum? Der Historiker Erich Keller zeigt in diesem Buch, wie flüchtig Erinnerungskultur ist - und wie stark die Forschungsfreiheit gefährdet wird, wenn sie unter den Druck einer neoliberalen Standortpolitik gerät. Er erklärt, wie historisch belastete Kunst ökonomisch verwertbar gemacht wird und was Provenienzforschung leisten könnte.
Geht es um problematische Provenienzen, ist oft die Rede von 'belasteten' Bildern. Doch Kunstwerke aus dem 19. Jahrhundert wussten nichts von ihrer Zukunft. Was aber wollen die Museen von ihrer Vergangenheit wissen? Debatten um Raubkunst drehen sich nicht um eine entrückte Vergangenheit, sondern stellen Fragen nach politischer Verantwortung in der Gegenwart.

Erich Keller, 1968 geboren, ist promovierter Historiker und Journalist. Er war zwei Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts 'Historische Kontextualisierung der Sammlung Bührle' an der Universität Zürich. 2020 wehrte er sich erfolgreich gegen beschönigende Eingriffe der Bührle-Stiftung und der Stadt Zürich in die Forschungsarbeiten. Er lebt mit seiner Familie in Bern.

Erich Keller, 1968 geboren, ist promovierter Historiker und Journalist. Er war zwei Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts "Historische Kontextualisierung der Sammlung Bührle" an der Universität Zürich. 2020 wehrte er sich erfolgreich gegen beschönigende Eingriffe der Bührle-Stiftung und der Stadt Zürich in die Forschungsarbeiten. Er lebt mit seiner Familie in Bern.

1.Die Transformation einer Kunstsammlung


Der Testbetrieb ist beendet. Belüftung, Beleuchtung, Sicherheit – über Monate wurde der Kunsthausneubau auf Herz und Nieren geprüft. Erst danach konnten die Kunstschätze im Milliardenwert ins High-Tech-Museum eingespeist werden. Die wertvollsten Stücke, die nun zu sehen sind, gehören zur Sammlung des 1956 verstorbenen Waffenindustriellen Emil G. Bührle. So kostbar sind diese El Grecos, Rembrandts und Rubens, Cézannes, Monets, Degas und Van Goghs, Matisses, Chagalles, Modiglianis und Picassos, dass man sie nicht versichern kann; die Prämien würden jährlich in die Millionen gehen.

Wie die meisten der im Neubau gezeigten Werke, sind auch die Gemälde der Sammlung Bührle nicht Eigentum des Kunsthauses. Es verwertet ihre Bekanntheit, um die zuletzt etwas versiegten Besucherströme wiederzubeleben. Doch um sie zeigen zu können, ist mehr als ein für den Erhalt der bemalten Leinwände optimales Raumklima und der Sicherheitsstandard eines Banktresors vonnöten. Dafür mussten auch die Geschichte ihrer Herkunft und die der Kriegsgeschäfte, die ihrer Erwerbung ermöglichten, erforscht und erzählbar gemacht werden.

Vor dem Umzug ins Zürcher Kunsthaus lag das Kapital der Sammlung Bührle brach. Die rund zweihundert Gemälde und Skulpturen bestückten über Jahrzehnte eine Backsteinvilla in einem Außenquartier Zürichs; seit dem Frühjahr 1960 diente das Gebäude als Privatmuseum. Die Verbindung zwischen der Familie des Verstorbenen und seiner Kunstsammlung war anfänglich sehr eng. Mit der Zeit aber lockerte sie sich. Immer deutlicher zeichnete sich ein Ungleichgewicht ab, und zwar zwischen dem Nutzen des kleinen Museums als Repräsentationsort und dem stetig anwachsenden Wert seiner Sammlung. Dabei war dieser zunächst noch relativ bescheiden gewesen, wenigstens im Vergleich zum Rest des Familienvermögens. Exakt 598 Kunstobjekte hatte der Sammler Bührle hinterlassen; sie wurden zum Zeitpunkt der Eröffnung des privaten Museums auf etwa zehn Millionen Schweizer Franken geschätzt. Wie hoch der tatsächliche Wert damals war, ist schwer abzuschätzen. Bührle hatte insgesamt 39 Millionen Franken in seine Sammlung investiert. Rund ein Drittel der Werke überführten die Erben – die Witwe Charlotte Schalk-Bührle und die beiden Kinder Hortense Bührle und Dieter Bührle – 1960 in eine Stiftung, um sie, wie es in ihren Statuten heißt, »auf diese Weise der Stadt Zürich zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen«.22 Die zwei weiteren Drittel befinden sich bis heute im Eigentum der Familie. Dieser den Blicken der Öffentlichkeit weitgehend entzogene Teil wird auf etwa eine Milliarde Schweizer Franken geschätzt. Die gegenwärtig 203 Werke der Stiftung dürften um die drei Milliarden Schweizer Franken wert sein.23

Nun mag man einwenden, eine solche Zahl sei letztlich fiktiv, schließen die Stiftungssatzungen mögliche Verkäufe doch aus; die Gemälde und Skulpturen sind dem Markt entzogen. Doch das Kapital der Sammlung Bührle ist keineswegs bloß ein symbolisches, mit dem sich eine herausgehobene soziale Stellung beglaubigen und Machtanspruch legitimieren ließen.24 Die rechtliche Kodierung25 der Sammlung als gemeinnütziges Stiftungskapital hat die Erben über Jahrzehnte von der Steuerpflicht befreit und damit letzten Endes den gewaltigen Wertzuwachs der Bührle-Sammlung ermöglicht. Wären darauf Vermögenssteuern zu entrichten gewesen, hätte die Sammlung nur unter enormen Aufwendungen zusammengehalten werden können.

Jetzt erst, da die kostbaren Kunstwerke um wenige Kilometer in den Kunsthausneubau im Stadtzentrum verschoben sind, wird das in ihnen steckende kommerzielle Potenzial aktiviert. Nicht länger sollen sie den Waffenindustriellen Emil G. Bührle und seine Familie repräsentieren, sondern den Wirtschaftsstandort Zürich.

Blockade im Seefeld


Um die kontrovers diskutierte Sammlung des Rüstungsindustriellen einem großen Publikum zeigen und sie somit verwerten zu können, musste sie räumlich verschoben werden. Ebenso wichtig aber war es, die historische Hypothek dieser Kunstsammlung zu verwandeln – das bedeutete, diese Geschichte nicht gänzlich zu verschweigen, sondern daraus ein Narrativ zu entwickeln, das Teil ihrer Verwertung werden kann.

Zwei Jahrzehnte dauerte der Prozess der Transformation des Sammlungskapitals. Die strukturellen Bedingungen für die Verschiebung26 von Bührles Kunstwerken ins Kunsthaus schuf ein ab 2001 entwickeltes Aufwertungsprojekt für den Hochschulstandort Zürich. In den Sog dieser städtebaulichen Planung geriet auch das Kunsthaus. Aus Gründen des Standortmarketings wollte man es substanziell erweitern und zu einem »kulturellen Schwerpunkt«27 ausbauen. Der Wachstumsimpuls wurde umgehend in die verbindliche Fünfjahresplanung für die städtischen Kulturinvestitionen aufgenommen. Die räumlichen Gegebenheiten des Kunsthauses, so das zuständige Präsidialdepartement 2003, würden den Ansprüchen nicht länger genügen. Nur mit einem Erweiterungsbau »könnte das Haus Anreiz für private Schenkungen und Leihgaben bieten, die aus öffentlichen Mitteln nie aufgewogen werden könnten«.28 Damit öffnete sich ein critical window für die Bührle-Stiftung, die schon immer eng mit dem Kunsthaus, nicht aber mit den politischen Gremien der seit 1990 rot-grün regierten Stadt verbunden war.

Von entscheidender Bedeutung waren auch zur selben Zeit erfolgte Führungswechsel in der Zürcher Kunstgesellschaft – sie betreibt das Kunsthaus –, im Kunsthaus selbst wie in der Stiftung Sammlung E. G. Bührle. 2002 wurde Walter Kielholz Präsident der Kunstgesellschaft, ein wirtschaftsliberaler Banken- und Versicherungsmanager, der damals als »einflussreichste Persönlichkeit des Landes an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik«29 galt. Die Neue Zürcher Zeitung erkannte anlässlich seiner Wahl schon früh, es brauche jetzt einen Mann wie Kielholz, einen, der Brücken baue, vor allem zur Familie Bührle, denn nur mit deren Sammlung könne das Kunsthaus endlich das »dringend benötigte Format«30 erreichen. Der seit 2000 als Kunsthausdirektor amtierende Christoph Becker teilte diese Sichtweise. Als er 2001 von derselben Zeitung gefragt wurde, ob es zu seinen Zielen gehöre, »die Sammlung Bührle aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken«, betonte er deren gegenwärtige Unterbringung in einem dafür ungeeigneten Privathaus und signalisierte Interesse für ein mögliches Zusammenkommen.31 Anfang 2003 trat Becker dem Bührle-Stiftungsrat bei.32 Lukas Gloor schließlich, wie Becker ein eher konservativer Kunsthistoriker, übernahm 2002 die operative Leitung der Bührle-Stiftung, professionalisierte sie und löste sie an entscheidenden Punkten aus ihrer familiären Umklammerung. Seit 2012 gehört er zum Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft.33 Damit waren die schon zuvor bestehenden Verbindungen zwischen dem mächtigsten Kulturverein Zürichs und der wertvollsten privaten Kunstsammlung im Land enger geschnürt als je zuvor.

Die Bewirtschaftung der Sammlung im Privatmuseum verschlang Unsummen. Dabei waren die Erwartungen einst hoch gewesen – man werde es künftig in einem Atemzug mit dem Landesmuseum, dem Museum Rietberg und dem Kunsthaus nennen, gab sich die Neue Zürcher Zeitung anlässlich seiner Eröffnung 1960 überzeugt. Hier habe sich der Besucher nicht nur »mit den bedeutenden Werken, sondern auch mit der Sammlerpersönlichkeit, die sie zusammengestellt hat, stets auseinanderzusetzen«. Das Museum sei für Zürich ein »Zuwachs an Geistesgütern, wie er schöner nicht gedacht werden kann, ein Hort des grossen Massstabs gewissermassen, wie er für den Bewohner des Kleinstaats in doppeltem Grade unerlässlich ist. Für den Ausländer ein weiterer Beleg dafür, dass die Schweiz ihren Wohlstand mit Würde zu bestehen sucht, indem sie aus den materiellen Möglichkeiten eine geistig-künstlerische Verpflichtung ableitet.«34

Die Euphorie ebbte bald ab. Bis 1964 hatte Bührles Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon für eine ausgeglichene Finanzierung der Stiftung gesorgt. Mit der Umwandlung des Familienbetriebs in eine Publikumsgesellschaft, vorangetrieben durch Bührles wenig kunstaffinen Sohn Dieter Bührle, versiegte diese Geldquelle.35 Bisher war die Sammlungspflege gänzlich der Familie überlassen, die zu den reichsten des Landes zählt. Für eine Unternehmerfamilie aber konnte das stete Einschießen von hohen Finanzmitteln keine dauerhafte Lösung sein. Mit der hauptsächlichen Einnahmequelle, den Museumseintritten, ließ sich keine ausgeglichene Rechnung erzielen. Um die fünftausend Besucherinnen und Besucher – mitgerechnet sind...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2021
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Emil Georg Bührle • Erinnerungskultur • Fluchtgut • Kriegsmaterial • Kultur • Kunsthandel • Kunsthaus Zürich • Kunstmarkt • Kunstmuseum Zürich • Kunstsammlung • Nationalsozialismus • Neubau Kunsthaus Zürich • Provenienzforschung • Raubkunst • Sammlung Bührle • Standortförderung • Standortpolitik • Waffenhandel • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-85869-939-X / 385869939X
ISBN-13 978-3-85869-939-8 / 9783858699398
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