Bin ich das? (eBook)

Eine kurze Geschichte der Selbstauskunft
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
192 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491446-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bin ich das? -  Valentin Groebner
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Was steckt eigentlich hinter dem neuen Zwang, sich zu zeigen? Mit viel Humor, Selbstironie und klugen Beobachtungen erzählt Valentin Groebner - »eine(r) der coolsten Geschichtswissenschaftler momentan überhaupt« (litera.taz) - seine kurze Geschichte der Selbstauskunft. Denn ob im Bewerbungsgespräch oder per Instagram-Account, bei der Teambildung oder im Dating-Profil: Ohne Selbstauskunft geht heute nichts. Sie ist sowohl Lockstoff als auch Pflicht, steht für Reklame in eigener Sache und das Versprechen auf Intensität und Erlösung, in den Tretmühlen der digitalen Kanäle ebenso wie in politischen Debatten um kollektive Zugehörigkeit. Aber wie viel davon ist eigentlich Zwang, und wie viel Lust? Was haben wir, was haben andere vom inflationären Ich-Sagen und Wir-Sagen? Diesen Fragen geht Valentin Groebner auf der Suche nach dem Alltäglichen nach. Er zeigt, was historische Beschwörungen der Heimat mit offenherzigen Tattoos gemeinsam haben, und was den Umgang mit alten Familienfotos und demonstrative Rituale des Paar-Glücks (Stichwort Liebesschlösser an Brückengeländern) verbindet. Doch ist öffentliche Intimität wirklich die Währung für Erfolg - oder eine Falle?

Valentin Groebner, geboren 1962 in Wien, lehrt als Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern. Er war u.a. Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg sowie am Europäischen Hochschulinstitut Florenz und Professeur invité an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Er ist der Autor zahlreicher Bücher zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte; seit 2017 ist er Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei S. Fischer erschienen von ihm die Bände ?Ich-Plakate. Eine Geschichte des Gesichts als Aufmerksamkeitsmaschine? und ?Retroland. Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach den Authentischen?.

Valentin Groebner, geboren 1962 in Wien, lehrt als Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern. Er war u.a. Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg sowie am Europäischen Hochschulinstitut Florenz und Professeur invité an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Er ist der Autor zahlreicher Bücher zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte; seit 2017 ist er Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei S. Fischer erschienen von ihm die Bände ›Ich-Plakate. Eine Geschichte des Gesichts als Aufmerksamkeitsmaschine‹ und ›Retroland. Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach den Authentischen‹.

Valentin Groebner, einer der interessantesten Historiker der Gegenwart, mit einem sauguten Buch in Zeiten öffentlicher Intimität: aufklärerisch, informativ und manchmal echt witzig.

als Ritt durch die Geschichte von Selbstdarstellung amüsant

Ob über Tätowierungen oder über Liebesschlösser, Groebner schreibt geistreich und unterhaltsam

Valentin Groebner nähert sich in seinem neuen Buch der allgegenwärtigen Ichbezogenheit. Mit Entspanntheit, treffsicherer Formulierungsgabe und Gelehrsamkeit

Groebner erzählt pointiert und auf überraschenden Umwegen von der Unzuverlässigkeit, der Scheinheiligkeit und den Gefahren, die in jedem Ich- und jedem Wir-Sagen schlummern.

Kaum jemand erklärt die Oberflächenphänomene der Gegenwart so lehrreich aus den Tiefen der Geistes- und Kulturgeschichte wie der Luzerner Mediävist Valentin Groebner.

Immunsysteme


Ob Polizist in Bayern oder Professor in der Schweiz, jede und jeder kommt sich selbst einzigartig und so außergewöhnlich wie möglich vor. Aber das eigene Wohlbefinden, und noch viele andere Dinge mehr, wie Arbeitsmöglichkeiten, Bewegungsfreiheit, Selbstbestimmung, sind direkt abhängig von unsichtbaren, machtvollen Kollektivkörpern. Sie sind, wie wir 2020 gelernt haben, als Immunsysteme organisiert.

In Immunsystemen ist man immer Teil eines Kollektivs, unabhängig davon, als wie individuell man sich selbst beschreibt und ob man mitmachen will oder nicht. Dem reiselustigen Mikroorganismus, der im Herbst 2019 zum ersten Mal beschrieben worden war, waren die fein differenzierten Selbstbeschreibungen seiner menschlichen Wirtsorganismen – juristische und politische Unterschiede, religiöse und kulturelle Zugehörigkeiten – völlig egal. Das Virus reproduzierte sich in schiitischen Pilgern und maoistischen Parteikadern, in sächsischen Altenpflegerinnen und im britischen Premierminister. Der neue Mitbewohner machte keinen Unterschied zwischen den Körpern, deren Inhaber sich so verschieden vorgekommen waren.

Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der neuen Krankheit ließen all die einzigartigen Individualitäten ebenfalls unwichtig aussehen. Einreise- und Ausgangssperren, die Verpflichtung zu Gesichtsmasken, Quarantäne und zum Daheimbleiben galten für alle, ausnahmslos. Der Wechsel vom selbstverständlichen Reisen zum behördlich untersagten Risikoverhalten war ebenfalls drastisch – wie war das noch mit der selbstbestimmten Mobilität und Individualität als unseren westlichen Werten, auf die wir so stolz waren? Die Digitalisierung war plötzlich nicht mehr selbst gewähltes Werkzeug oder zusätzliche Option, sondern Zwang; die einzig verbliebene Möglichkeit für Musik, Theater und Treffen ohne Maske. Was vorher verlockendes neues Mehr an Kontakt gewesen war, war jetzt seine etwas pixelige Simulation. Vom glitzernden Simulakrum zum einzig noch möglichen Ersatz: Ging ziemlich flott.

August 2020, ein Witz. Ein Immunologe und ein Kardiologe werden in den USA gekidnapped. Erst einmal, sagen die Entführer zu ihnen, müssten sie herausfinden, wer von beiden der Wichtigere sei. Den anderen würden sie erschießen. Also: Wer leiste den größeren Beitrag für die Menschheit? »Ich«, ruft der Herzspezialist, »habe Medikamente entwickelt, die Leben von Millionen Menschen verlängert haben!« Die Kidnapper sind beeindruckt. »Und Sie?«, fragen sie den Immunologen. »Wissen Sie«, sagt der, »das Immunsystem ist extrem kompliziert, und …« »Erschießen Sie mich doch jetzt gleich«, sagt der Kardiologe.[7]

Diesen Witz erzählen offensichtlich Mediziner einander; wenigstens kommen sie in ihm sehr gut weg. Der eine Arzt ist extrem bescheiden, der andere gibt sofort zu, dass sein Kollege wichtiger sei als er. Lob hatten amerikanische Ärzte im Coronajahr 2020/21 offenbar nötig – notfalls eben selbst gespendetes. Die Gesundheitssysteme des wohlhabenden Westens, die kostspieligsten des Planeten, sahen gar nicht gut aus angesichts der ansteckenden Krankheit. Ich-Sagen, erinnert uns der Witz, findet immer vor Publikum statt. Für wen und zu wessen Nutzen erzähle ich von mir?

Wer von Herkunft und Heimat redet, das zeigt der bayrische Polizist mit seinem Wikingerpullover, gibt dabei sehr viel weniger über kollektive Zugehörigkeiten aus der Vergangenheit Auskunft als über sich selbst, jetzt. Aber wer von sich selbst spricht, präsentiert seine eigene individuelle Besonderheit gewöhnlich – ganz wie der Polizist – mit Verweisen auf Altes. Diese Auswahl aus der Vergangenheit, dieses kleine Stück von früher, so die Botschaft, das bin ich. Denn dafür wird die Vergangenheit am häufigsten gebraucht – zur Selbstdarstellung.

Wer sich auf diese Weise mit der Vergangenheit beschäftigt, möchte, dass sie von ihm selbst handelt, ganz persönlich. Das Bild, das in diesem Spiegel erscheint, ist faszinierend: Es verspricht, dass man sich durch eine neu installierte Ich-Geschichte aus der Vergangenheit selbst verändern könnte und irgendwie verbessern, erfundenen nordischen Kriegern ähnlicher werden, wenigstens auf dem Weg nach Valhalla. Gleichzeitig bleibt offen, was die Wikinger eigentlich mit dem enthusiastischen (oder ironischen) Geschichtsbenutzer zu tun haben. Auffallend nordisch sah der bayrische Grenzpolizist jedenfalls nicht aus. Außerdem ist es ein bisschen beunruhigend, wenn ein bewaffneter Beamter auf diese Weise auftritt. Zeigt er tief gefühlte Zugehörigkeit, halb völkisch, halb Gegenkultur, oder nur einen kitschigen Kapuzenpullover aus dem Versandhandel?

Nahgeschichte ist unübersichtlich. Geschichte als Wissenschaft und die Beschäftigung mit dem Alltäglichen und Flüchtigen – real, aber schnell vergänglich – kriegt man nicht sauber getrennt. Aber genau diese Vermischungen interessieren mich, und um sie geht es in diesem Buch. Und um mich, notwendigerweise. Andere Leute als mich finde ich viel interessanter. Aber ohne Ich geht es nicht, denn mit dem schreibe ich. Mein Ich ist Antriebs- und Fehlerquelle in einem. In der Wissenschaft ohnehin, denn die beruht darauf, dass jemand Informationen und Geschichten zur Verfügung stellt, die andere für ihre eigenen Zwecke weiterverwenden können. Damit das funktioniert, muss der Autor etwas über sich sagen: Wo er herkommt, wo er hinwill. Irgendjemand muss den Text ja geschrieben haben, und das ist weder »man« noch »wir« noch »die Forschung«. Also gebe ich besser darüber Auskunft. Worüber rede ich, wenn ich von meiner eigenen Unverwechselbarkeit spreche oder dem, was ich dafür halte, von meinen Gefühlen und Erfahrungen?

Ich-Sagen, darum geht es im ersten Kapitel, ist weder unmittelbar noch besonders persönlich, sondern seit ein paar Jahrhunderten bestimmt von rhetorischen Kunststücken, Zwangssystemen und Projekten radikaler Selbstverbesserung. Ich-Sagen und erst recht Ich-Schreiben kommt gerne locker, spontan und ganz natürlich daher. Aber es ist Aufgabe vor und für Publikum, in ganz bestimmten Kanälen und nach deren Spielregeln – ziemlich strikten Regeln.

Sich zu zeigen und von sich zu erzählen, zeigt das zweite Kapitel, ist also Arbeit. Für wen tue ich das? In welchem Spiegel erscheine ich, wenn ich von meiner Geschichte und meinen eigenen Erinnerungen berichte, und wie souverän bin ich dabei?

Mit meinem Gegenstück im Plural, dem Wir, ist das noch ein bisschen komplizierter. Wir ist keine Gesamtheit, sondern eine Einkaufstasche, in der immer etwas fehlt. Deswegen der große Appetit, den dieses Partizip entwickelt. Appetit auf Festspiele, auf Männerchöre, auf Feinde – denn ohne die weiß man nicht, wo man hingehört – und besonders auf jene besonderen Orte, die auf den Namen Heimat hören. Von den Produktionsbedingungen des Wir, der Heimat und ihrer wechselvollen Geschichte handelt Kapitel drei.

Bei mir daheim sind aber nicht alle gleich, da können wir noch so innig vom Wir und von der Heimat singen. Kapitel vier macht einen Lokaltermin an dem Ort, aus dem ich selbst komme: Willkommen in Wien-Döbling. Packen Sie eine Jause ein, wir gehen auf Klassenfahrt. In welche Richtung geht es nach unten, nach oben und ins Bürgertum?

Kapitel fünf handelt von einer anderen Form der Selbstauskunft – von Bildern. Das Zeitalter der analogen Fotografie ist um die Jahrtausendwende zu Ende gegangen. Damit haben sich Fotos als banale Alltagsgegenstände in Überreste einer unwiderruflich verschwundenen Vergangenheit verwandelt. Sie liegen zu Millionen in Schachteln und verstaubten Alben auf jedermanns Dachboden herum. Was geschieht mit den privaten Massenbildern in der eigenen Erinnerung und in jenen digitalen Kanälen, in die sie neu eingespeist werden?

Sehr viel haltbarer als alte Fotos sind die bunten Zeichen, die man sich unter die Haut stechen lässt. Tätowierungen, überlegt Kapitel sechs, sind Selbstauskunft in einer ganz besonderen Form: »Dieses Zeichen auf meiner Haut«, sagt die Person, die es trägt, »das bin ich.« Und zwar für immer. So demonstrativ diese Zeichen auf rebellische Gegenkultur und exotische Fremde verweisen, aus der Nähe betrachtet erzählen sie eine ganz andere Geschichte. In ihr geht es ums Wünschen, und die meisten dieser Wünsche sind fromm, wohlanständig, ziemlich brav, und handeln von Zugehörigkeit. Und von dem, was man nicht festhalten kann, auch wenn man es sich unauslöschlich auf den Körper schreibt.

Um dieses Wunderland der Wünsche geht es im siebten Kapitel. Wünschen ist nicht immer ganz so freiwillig, wie es auf den ersten Blick aussieht; nicht nur zu Weihnachten, dem Fest der Wünsche und der Liebe, sondern auch bei der großen Bescherung, dem Leben als Paar. Was sagen meine Wünsche über mich? Was geschieht mit ihnen, wenn sie Wirklichkeit werden? Die Selbstauskunft ist dem Wunsch nach Selbstveränderung nirgendwo so eng verbunden wie an jenem magischen Ort, an dem dann alle Wünsche in Erfüllung gehen. Ein Ortstermin im Land der Liebe also, zu Weihnachten und im Rest des Jahres: Kann man es dort auf Dauer aushalten?

Nicht das, was Du nicht weißt, bringt Dich in Schwierigkeiten, hat Mark Twain 1890 geschrieben: Sondern das, worüber Du Dir ganz sicher bist. Nur dass es nicht stimmt.[8] Die Krisen rund um die ansteckende neue Krankheit in den Jahren 2020/21 haben auch die Modi der Selbstauskunft verändert, wenn es um Ängste, Pflichten und Vertrauen geht. Und ums Selbstvertrauen erst recht. Was lässt sich daraus...

Erscheint lt. Verlag 24.11.2021
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bilder • Facebook • Fotos • Heimat • Ich-Bezogenheit • Identität • Instagram • Klasse • Narzismus • Narzissmus • Selbstdarstellung • Selbstreflexion • Soziale Medien • Tätowierung • Wien
ISBN-10 3-10-491446-X / 310491446X
ISBN-13 978-3-10-491446-6 / 9783104914466
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