Was sollen und dürfen Banken tun? (eBook)
463 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44537-3 (ISBN)
Bernhard Emunds ist Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Hochschule Sankt Georgen. Jürgen Kädtler ist Professor für Soziologie und Präsident des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen. Michael Faust, PD Dr., ist dort Research Fellow. Ulrich Klüh ist Direktor am Center for Sustainable Economic and Corporate Economic Policy und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Darmstadt Business School.
Bernhard Emunds ist Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Hochschule Sankt Georgen. Jürgen Kädtler ist Professor für Soziologie und Präsident des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen. Michael Faust, PD Dr., ist dort Research Fellow. Ulrich Klüh ist Direktor am Center for Sustainable Economic and Corporate Economic Policy und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Darmstadt Business School.
Was sollen Banken tun? Eine Einleitung
Bernhard Emunds, Michael Faust, Jürgen Kädtler und Ulrich Klüh
Was sollen Banken tun? Welche Bereiche der Wirtschaft sollen mit dem Geld versorgt werden, das Kreditinstitute mittels der Vergabe von Darlehen schöpfen? Wie viel Geld soll im Verhältnis zum Eigenkapital als Kredit vergeben werden? Wo sollen die Mittel investiert werden, die im Auftrag von Sparer*innen verwaltet werden, und mit welchem Zeithorizont? Auf welchen Devisen-, Derivate- und Wertpapiermärkten sollen Banken wie stark als Investoren oder market maker aktiv werden? Die Antworten auf solche hoch normativen Fragestellungen sind für den sozio-ökonomischen Entwicklungspfad einer Gesellschaft von großer Bedeutung. Sie beeinflussen maßgeblich, in welche Technologien, Produktionsweisen und Konsumgüterindustrien investiert wird und bestimmen so nicht nur die Dynamik, sondern auch die Struktur des Wirtschaftens sowie seine ökologische und soziale Dimension entscheidend mit. Schumpeter folgend können Banken als die »Ephoren« einer Gesellschaft beschrieben werden, sie besetzen zumindest einen Teil der Kommandobrücke der Wirtschaft und bestimmen, inwieweit Unternehmer*innen und Organisationen überhaupt über die Mittel verfügen, um im Prozess schöpferischer Zerstörung wirksam zu sein. Sie entscheiden aber auch mit darüber, wie stabil eine Gesellschaft wahrgenommen wird. Werden Ersparnisse und Vermögen verlustreich angelegt oder gar verspielt, ist das nicht selten Anlass für Wellen der Empörung und Radikalisierung bis hin zu strukturellen Verwerfungen.
Banken müssen mithin einen schwierigen Spagat zwischen Dynamisierung und Stabilisierung der Wirtschaft leisten. Dabei agieren sie in einem Geldsystem, das ihnen durch die prinzipielle Unbegrenztheit der Geldschöpfung erhebliche Spielräume eröffnet, aber gleichzeitig von weiten Teilen der Gesellschaft als undurchschaubar empfunden und allenfalls skeptisch beäugt wird. Die Dinge lägen einfach, wenn man die Antwort auf die eingangs gestellten Fragen den Marktkräften und damit dem Wettbewerb innerhalb des Bankensektors sowie dem Wettbewerb zwischen Banken, anderen Finanzintermediären und alternativen, finanzmarktbasierten Allokationsmechanismen überlassen könnte. Man müsste dann allenfalls bestimmte Grenzen der Geldschöpfung festlegen und einen Blick darauf haben, welche »externen« Effekte auftreten, die einen Keil zwischen den auf Märkten bestimmten und den Preisen treiben können, die eine gesellschaftlich wünschenswerte Allokation herbeiführen würden.
Leider sind die gesellschaftlichen Probleme, die im Finanzsektor entstehen können, mit dem Konzept der Externalitäten nur unzureichend beschrieben. Die im ökonomischen Mainstream beschriebenen »Anomalien« im Verhalten der Akteure und in der Funktionsweise der Marktkoordination erklären das Typische zur Ausnahme und sind deshalb unzureichend, wenn eine umfassende und systematische Regulation notwendig wird. Im Finanzsektor ist schon das Referenzmodell eines informationseffizienten Wettbewerbs unzureichend, die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Steuerung von Geld- und Finanzströmen hat vielfältigere und fundamentalere Ursachen. Insbesondere beherrschen grundlegende Informationsprobleme das Bild. Zudem erweist sich der Wettbewerbsmechanismus im Finanzsektor als zweischneidiges Schwert, weil eine hohe Wettbewerbsintensität Anreize für die Übernahme exzessiver Risiken in sich birgt. Schließlich ist der Finanzsektor in besonderer Weise von Verteilungs- und Machtproblemen betroffen.
Zwischen den 1970er Jahren und der Finanz- und Wirtschaftskrise vor inzwischen fast 15 Jahren war die Antwort auf die Frage, was Banken tun sollten, jedoch von einem sehr großen und zunehmenden Vertrauen in Markt- und Wettbewerbsmechanismen geprägt. Die allgemeine Tendenz, gesellschaftliche Kontrolle und Koordination immer mehr als marktvermittelten Prozess zu verstehen, hatte im Hinblick auf Banken zwei unterschiedliche Entwicklungen zur Konsequenz. Zum einen gab man die Vorstellung auf, die Politik müsse den Banken konkrete Vorgaben zu ihrer Rolle im gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsprozess machen. Banken wurden damit vermehrt in die Lage versetzt, Kredite ohne Rückbindung an gesamtwirtschaftliche Erfordernisse zu vergeben. Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern verabschiedete man sich von der Vorstellung, Banken müssten beim Aufbau eines für das Produktivitätswachstum unerlässlichen verarbeitenden Gewerbes aktiv mithelfen. Vor die Wahl gestellt, unter Bedingungen verschärften Wettbewerbs auf langfristige Projekte oder auf kurzfristige Ertragspotenziale zu setzen, entschieden sich Banken tendenziell für überhitzte Immobilienmärkte und spekulative Anlageoptionen, mit der Asienkrise als einer Konsequenz. Zum anderen wurden in vielen entwickelten Volkwirtschaften neue Organisationstypen der Bank- und Finanzwirtschaft aus der Taufe gehoben und befördert, die aktiv eine Vermarktlichung des Bankwesens betreiben. Diese Modelle, die mit der Zeit auch ein erhebliches Maß an politischer Unterstützung erfuhren, nahmen ganz unterschiedliche Züge an. Wurde eine Zeit lang die Idee favorisiert, nur globale Universalbanken könnten den neuen Anforderungen des Wettbewerbs genügen, kam es später zu einer breiten Unterstützung der Idee sog. Allfinanzorganisationen, wiederum später zum Aufkommen sogenannter Schattenbanken. Als besonders wirkmächtig erwies sich schließlich die Idee, bisher nicht marktfähige Aktiva über Verbriefungen, Schattenbanken und Finanzinnovationen marktfähig zu machen. In unterschiedlichen Volkswirtschaften prägten sich diese Entwicklungen durchaus unterschiedlich aus, vor allem auch im Hinblick auf ihre Dynamik. Gerade für Deutschland lässt sich in den 1980er und 1990er Jahren ein spürbarer, aber im Zeitverlauf nachlassender Widerstand konstatieren. Spätestens in den 2000er Jahren sind viele Praktiken jedoch dann internationale Praxis, zumal auch die Geschäftsmodelle vieler Großbanken global ausgerichtet werden.
Spätestens mit der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007, in deren Mittelpunkt neben den verbrieften Finanzinnovationen global agierender Banken, neue Organisationstypen wie Schattenbanken oder als Versicherung getarnte Banken wie AIG standen, kommt die Vorstellung von Markt- und Wettbewerbslogik als Prinzip adäquater Bankenregulierung ins Wanken. Die Frage, was Banken wie tun sollen stellt sich neu und gewinnt neue gesellschaftliche und politische Relevanz. Im Mittelpunkt steht hierbei zunächst die Frage, wie das Finanzsystem stabilisiert werden kann, und wie weitere Krisen verhindert werden können. Zumindest in den ersten Jahren nach der Krise bleibt es beim Primat des Marktes, und die Frage, »was Banken tun sollen« bleibt zunächst weiterhin dem Wettbewerbsprinzip überlassen; im Vordergrund stehen die Frage, »was Banken nicht tun sollen« sowie Bestrebungen, potenzielle soziale Kosten des Bankwesens durch stringentere Regulierung zu reduzieren. Doch unter der Oberfläche von Stabilisierung und Re-regulierung entwickeln sich Diskurse und Kontroversen darüber, worin die gesellschaftliche und wirtschaftliche Funktion von Banken positiv bestehen sollte, und wie die Zukunft des Bankwesens vor dem Hintergrund solcher Funktionszuweisungen aussehen könnte.
Ein entscheidender Anstoß dazu besteht im Aufkommen der Vorstellung, das Bankwesen müsse in den nächsten Jahrzehnten vor allem dem Primat der anstehenden ökologischen sowie digitalen Transformation Rechnung tragen. Hinzu kommen Erfahrungen der Corona-Pandemie, die das Bankensystem bisher relativ unbeschadet überstanden hat, und in der Kreditinstitute zudem eine durchaus produktive Rolle gespielt haben. Ein Teil des in der Finanzkrise verloren gegangenen Vertrauens scheint zurück gewonnen, so dass der Blick nunmehr nach vorn gerichtet werden kann: Aus Sicht einer inzwischen recht breiten und vielfältigen Community aus Wirtschaftsvertreter*innen, digitalen Aktivist*innen und Politiker*innen sollen Banken die Möglichkeiten digitaler Technologien soweit als möglich ausreizen, auch wenn dies zum Teil mit der Auflösung traditioneller Geschäftsmodelle und dem Abschied von der Vorstellung eines auf Beziehungskapital beruhenden Banking einhergeht, und sie sollen eine aktive und zentrale Rolle bei der Finanzierung der Klimapolitik und der Wende hin zu ökologisch nachhaltigen Produktionsweisen einnehmen, und dabei auf das gesamte Spektrum der ihnen zur Verfügung stehenden Finanzierungsmöglichkeiten ...
Erscheint lt. Verlag | 17.8.2022 |
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Co-Autor | Alen Bosankic, Benjamin Braun, Richard Deeg, Bernhard Emunds, Michael Faust, Moritz Hütten, Jürgen Kädtler, Ulrich Klüh, Isabel Kusche, Isabella Senghor, Korbinian Zander |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Spezielle Soziologien |
Schlagworte | Finanzialisierung • Finanzkrise • Finanzmärkte • Regulierung |
ISBN-10 | 3-593-44537-9 / 3593445379 |
ISBN-13 | 978-3-593-44537-3 / 9783593445373 |
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Größe: 2,0 MB
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