Incels (eBook)

Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
280 Seiten
Ventil Verlag
978-3-95575-609-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Incels -  Veronika Kracher
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Incels - unfreiwillig im Zölibat Lebende ('Involuntary Celibates') - treffen sich in Onlineforen und ­lamentieren darüber, keinen Sex zu haben, obwohl dieser ein naturgegebenes männliches Grundrecht sei. Zahlreiche Gewalt- und Terrorakte gegen Frauen der letzten Jahre haben hier ihren Ursprung. Veronika Kracher zeichnet die Geschichte der Incel-Bewegung nach, erklärt ihre Memes und Sprache und analysiert ihre Ideologie. Sie zeigt, dass Incels keine 'schwarzen Schafe' oder 'Ausnahme­erscheinungen' innerhalb der kapitalistisch-­patriarchalen Verhältnisse sind, sondern Ausdruck einer Gesellschaft, in der die Abwertung des Weiblichen an der Tagesordnung ist. 'Dieses Buch ist ein unverzichtbares Werk für alle, die sich mit der Incel-Szene und toxischer Männlichkeit im Allgemeinen befassen möchten.' Anetta Kahane (Vorsitzende Amadeu-Antonio-Stiftung)

Veronika Kracher, 1990 in München geboren, beschäftigt sich mit der Incel-Subkultur, der Alt-Right, Imageboards wie 4chan und Rechtsterrorismus - irgendjemand muss es ja tun. Weitere Forschungsschwerpunkte sind ­Feminismus und Patriarchats­kritik, Antisemitismus, Literaturtheorie und ­Popkultur. Regel­mäßige ­Publikationen u.?a. in 'konkret', 'Jungle World', 'Neues Deutschland' und 'Antifaschistisches Infoblatt'. Wenn sie sich nicht gerade durch die Sümpfe toxischer Online-Kulturen wühlt, guckt sie Horrorfilme, liest Romane von Gisela Elsner, spielt ­Video- und Pen-and-­ Paper-Rollenspiele, besucht Postpunk-Konzerte und trinkt Wein.

Veronika Kracher, 1990 in München geboren, beschäftigt sich mit der Incel-Subkultur, der Alt-Right, Imageboards wie 4chan und Rechtsterrorismus – irgendjemand muss es ja tun. Weitere Forschungsschwerpunkte sind ­Feminismus und Patriarchats­kritik, Antisemitismus, Literaturtheorie und ­Popkultur. Regel­mäßige ­Publikationen u. a. in "konkret", "Jungle World", "Neues Deutschland" und "Antifaschistisches Infoblatt". Wenn sie sich nicht gerade durch die Sümpfe toxischer Online-Kulturen wühlt, guckt sie Horrorfilme, liest Romane von Gisela Elsner, spielt ­Video- und Pen-and-­ Paper-Rollenspiele, besucht Postpunk-Konzerte und trinkt Wein.

Was sind Incels überhaupt?
Und wieso über sie schreiben?


Wissen Sie was, liebe Leser*innen? Eigentlich würde ich dieses Buch lieber gar nicht schreiben müssen. Es gibt so viel schönere Dinge, als sich durch die frauenfeindlichen Hasstiraden frustrierter junger Männer zu lesen. Kätzchen kraulen. Mit der besten Freundin Champagner trinken. Feministische Graphic Novels lesen. Pen-and-Paper-Kampagnen spielen. Sogar sich die Zehennägel zu schneiden ist angenehmer als die Recherche in Incel-Foren! Aber, um mal mein eigenes Motto zu zitieren: Irgendeine muss es ja tun.

Lange Zeit war es, wenn ich über Incels sprach oder schrieb, so, dass viele Zuhörer*innen oder Leser*innen – vor allem ein Publikum über 35 oder Personen, die weniger internetaffin sind als ich – mir sagten, dass sie gerade zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Thema konfrontiert worden wären. Incels waren lange Zeit ein primär nordamerikanisches Phänomen, in Deutschland berichtete man erst im Rahmen des Anschlags von Elliot Rodger in Santa Barbara 2014 und, dann auch im größeren Rahmen, als Alek Minassian 2018 in Toronto mit einem Sprinter in eine Menschenmenge raste. Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt sowohl intensiv mit der Geschlechterideologie der Alt-Right als auch mit der sogenannten »Manosphere«, also einem Online-Netzwerk antifeministischer Männerrechtsgruppen, befasst und auch einen Vortrag zum Thema konzipiert und begann, stärker zu dem damals in Deutschland noch vergleichweise obskuren Thema Incels zu recherchieren.

Das alles änderte sich nach dem 9. Oktober 2019, als ein junger Rechtsradikaler an Jom Kippur ein Attentat auf die Synagoge in Halle verüben wollte und seine Tat live im Internet teilte. Auch wenn die Tat, die zwei Menschen – Jana S. und Kevin L. – das Leben kostete, kein explizites Incel-Attentat, sondern ein antisemitischer Angriff war, stellten zahlreiche Medien, von der BILD-Zeitung1 bis hin zum leninistischen Blog Klasse gegen Klasse2, die Frage: »War der Täter ein Incel?« Diese Frage liegt nicht fern, da der Täter sowohl in seinem Livestream als auch seiner – dem Namen eines Manifestes unwürdigen – veröffentlichten Tatbeschreibung unter anderem Codes und Memes der von Incels frequentierten Imageboards wie 4chan verwendete, ein Alek Minassian gewidmetes Lied des Rappers Egg White hörte und durch seine Selbstgeißelung als »Versager« und »NEET«3 stark an den in hunderttausenden Foreneinträgen zelebrierten Selbsthass von Incels erinnerte.

Ich verbrachte den kompletten Tag nach dem Attentat damit, mich durch Imageboards wie Kohlchan und Foren wie Kiwifarms zu wühlen, mir den Stream des Täters anzusehen, die höhnischen Kommentare der globalen Online-Rechten zu lesen. Trauer über die beiden Opfer suchte man vergeblich, stattdessen fand man das zynische Lachen darüber, dass es dem Täter nicht gelungen war, die Betenden in der Synagoge zu ermorden.

Mir war schlecht. Die Anschläge von jungen Männern, die sich auf rechten Foren wie 4chan, 8kun, Kiwifarms oder incels.co radikalisiert hatten, die sich durch eine eigene Sprache, eigene Codes und das zynische Kokettieren mit Entfremdung, Nihilismus und Menschenhass auszeichneten, waren bisher etwas gewesen, das mehrere tausend Kilometer entfernt passierte: Incel-Attentate wie in Santa Barbara und Toronto, die antisemitischen Anschläge von Pittsburgh und Poway, die rassistischen Anschläge von Christchurch und El Paso. Die Täter: narzisstisch gekränkte junge Männer, die sich durch den Terroranschlag an der modernen Welt mit ihrem Feminismus und Kosmopolitismus zu rächen gedachten. Narzisstisch gekränkte junge Männer, für die der Terroranschlag eine Form der Wiedergutmachung der gefühlten Ungerechtigkeit war, nicht die Anerkennung, die Liebe und den Ruhm vor die Füße und die Schlüpfer williger junger Frauen an den Kopf geworfen zu bekommen, sondern tagtäglich erfahren zu müssen, ein unbedeutender Loser zu sein wie alle anderen auch – obwohl man sich selbst zu Größerem berufen fühlte. Es war ein Schock: Dieser Anschlag wäre der größte antisemitische Anschlag seit … Ja, seit dem Sieg über den Nationalsozialismus gewesen.

Mit dem Attentat auf die Synagoge von Halle, das gegen den Feminismus, People of Colour, vor allem aber gegen die vermeintlich hinter all diesen Übeln steckenden Juden gerichtet war, wurde die Möglichkeit dieser Form von Gewalt mit einem Mal auch in Deutschland real. Dass wir uns nicht falsch verstehen: rechter Terror hat in einem nur sehr unzureichend entnazifizierten Deutschland eine Tradition, die von der Wehrsportgruppe Hoffmann über den NSU bis hin zu rechtsradikalen Prepper-Gruppen wie Nordkreuz reicht. Dass jedoch ein Täter im Alleingang loszieht, ein mit zahlreichen Memes und Videospiel-Anspielungen gespicktes »Manifest« (na ja, eher: eine Loseblattsammlung) hinterlässt und seine Tat online überträgt, das gab es in der Form bisher nicht.

Ich schrieb auf Facebook einen längeren Post über den Anschlag und verbrachte die Nacht weitestgehend schlaflos und von Albträumen heimgesucht. Am nächsten Tag klingelte ab früh morgens das Telefon: Pressekontakte, die wissen wollten, ob es sich bei dem Attentäter um einen Incel handeln würde. Man hätte meinen Text gelesen und würde sich nun für meine Expertise interessieren. Ich korrespondierte an dem Tag mit meinem sehr geschätzten Kollegen Roland Sieber, mit dem ich gemeinsam auf Kohlchan und Kiwifarms recherchiert und viele Screenshots und Videos hin- und hergeschickt hatte. Er recherchiert zu Rechtsextremismus in der Gaming-Community und ebenfalls zu rechten Online-Foren, auch bei ihm stand das Telefon nicht mehr still. »Es ist bitter, dass wir seit Jahren über das Gefahrenpotential dieser Strukturen schreiben, und wir werden ignoriert. Und dann werden zwei Menschen ermordet und der potentiell größte antisemitische Anschlag in Nachkriegsdeutschland scheitert an der Synagogentür«, schrieb er mir.

Mit einem Mal war die Frage »Was sind eigentlich Incels?« auch in Deutschland angekommen. Wenige Tage nach dem Anschlag war ich zusammen mit meinem Verleger Jonas Engelmann auf eine Konferenz in Merseburg eingeladen, ich sollte dort zu Incels referieren. Merseburg ist nur wenige Kilometer von Halle entfernt. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als ich im Zug saß. Das Gespräch mit den Veranstaltenden kam recht schnell auf das Attentat, auch da eines der Opfer, Kevin L., aus Merseburg stammte.

Wir wissen nicht, ob der Täter ein Incel war – sein Anschlag war, obwohl ihm eine antifeministische Komponente innewohnte, primär antisemitisch; seine »Alternativopfer« sollten Menschen mit Migrationshintergrund sein. Aber wir wissen, dass er die auf Selbst- und Frauenhass basierende Ideologie mit ihnen teilte.4 Und es war dieses Attentat, mit dem die längst überfällige Beschäftigung mit dem Gefahrenpotential online radikalisierter junger Männer auch in Deutschland begann – auf Kosten zweier Menschenleben.

Ich selbst beschäftige mich seit etwas mehr als zwei Jahren intensiv mit der Incel-Subkultur und kann guten Gewissens behaupten, deutschlandweit zu den Personen zu gehören, die sich am besten mit diesen »unfreiwillig im Zölibat Lebenden« auskennen. Wer hätte gedacht, dass ein Mangel an Respekt vor den eigenen psychischen und emotionalen Grenzen auch von Vorteil sein kann – man kann sich intensiv mit einem wirklich scheußlichen Thema befassen, von dem die meisten Menschen, und das auch zu Recht, lieber die Finger lassen, und – zack! – ist man gefragte Koryphäe auf dem Gebiet.

Die erste Frage, die mir in Interviews gestellt wird, lautet in der Regel: »Was sind Incels eigentlich?« Incels, antworte ich dann, ist die Kurzform für »Involuntary Celibate«, also: unfreiwillig im Zölibat Lebende. Es handelt sich um junge Männer, die der sogenannten Blackpill-Ideologie anhängen, das nihilistischere Derivat der verschwörungstheoretischen und antifeministischen Redpill-Ideologie.

Die Redpill-Ideologie ist, kurz skizziert, eine maskulinistische Verschwörungsideologie, die besagt, dass der weiße, heterosexuelle und cisgeschlechtliche Mann inzwischen der große Verlierer unserer Zeit ist, in der die Welt vom Feminismus beherrscht wird, der wiederum eine jüdische Erfindung sei. Deswegen müsse sich der Mann auf ursprünglich männliche Werte zurückbesinnen und, da Männlichkeit sich für diese Redpiller über die Abwertung von Weiblichkeit konstituiert, Frauen zeigen, wo sie hingehören: in die Küche und ins Ehebett. Die Redpill-Ideologie ist die Ideologie narzisstisch gekränkter Männer, die panische Angst vor dem Verlust ihrer Hegemonie haben, die nun einmal auf der Unterdrückung und Ausbeutung anderer basiert. Wenn People of Colour, Frauen und queere Menschen sich emanzipieren, wird die Aufwertung der eigenen Person über die Abwertung...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2020
Verlagsort Mainz
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Gender Studies
Schlagworte alt-right • Elliot Rodger • Femizid • Frauenfeindlichkeit • Frauenhass • Imageboard • Involuntary Celibates • Meme • Misogynie • Patriarchat • Racheakt • rechte Gewalt • Rechtsterrorismus • Selbstmitleid • Sexuelle Gewalt • Terror • Terroranschlag • Verschwörung • Verschwörungstheorie
ISBN-10 3-95575-609-2 / 3955756092
ISBN-13 978-3-95575-609-3 / 9783955756093
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