Was das Valley denken nennt (eBook)

Über die Ideologie der Techbranche

(Autor)

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2020 | 1., Deutsche Erstausgabe
160 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76684-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was das Valley denken nennt - Adrian Daub
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»Aus Erfahrung gut« - das war ab 1958 der Reklamespruch des Elektrogeräteherstellers AEG. Unternehmen wie Google oder Uber würden mit einem solchen Slogan nie werben, geht es ihnen doch gerade darum, mit der Erfahrung zu brechen und bestehende Geschäftsmodelle aufzumischen: »Disruption«. Wie »Content« oder »Kommunikation« gehört das Konzept zu jenen Motiven, die in Aktionärsprospekten, aber auch in Porträts über Elon Musk, Mark Zuckerberg & Co. häufig bemüht werden. Adrian Daub lehrt in Stanford, kennt die Tech-Branche also aus nächster Nähe. In seinem Essay verfolgt er die Lieblingsideen des Silicon Valley zu Autorinnen wie Ayn Rand, Marshall McLuhan und Joseph Schumpeter zurück und zeigt, dass dabei stets auch die Gegenkultur der sechziger Jahre mitschwingt.



<p>Adrian Daub, geboren 1980 in Köln, ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University. Er schreibt u. a. für die <em>Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung</em> sowie die <em>Neue Zürcher Zeitung</em>.</p>

Einleitung


Dieses Buch handelt von der Ideengeschichte an einem Ort, der gerne so tut, als hätten seine Ideen keine Geschichte. Der Techsektor interessiert sich kaum für die Art von Fragen, die hier gestellt werden. Seine Unternehmen entwickeln ein Produkt und versuchen anschließend, es zu vermarkten. Mark Zuckerberg hat es einmal so ausgedrückt: »Ich war nicht sehr gut darin zu vermitteln, dass wir diese Mission verfolgten. Wir kamen einfach jeden Tag zur Arbeit und machten das, was uns der richtige nächste Schritt zu sein schien.«1 Die Mission, die große Frage, kam später. Erst im Rückblick musste sich Zuckerberg fragen: Wie erkläre ich das den Journalist:innen? Dem Repräsentantenhaus? Mir selbst? In diesem Buch beschäftige ich mich mit der Frage, worauf die Techunternehmer:innen und die Medien, die diese Unternehmer:innen vergöttern, ihren Blick richten, wenn sie einmal den Punkt erreichen, an dem sie einen Kontext für das finden müssen, was sie tun. Wonach sie suchen, wenn ihr Narrativ in eine umfassendere Geschichte der Welt eingefügt werden muss, in der wir alle leben und arbeiten.

Während das Silicon Valley die Welt verändert, verbringen Journalist:innen, Akademiker:innen und Aktivist:innen mehr und mehr Zeit damit, die hehren Ideale, an denen sich Unternehmen wie Google und Facebook zu orientieren behaupten, genauer unter die Lupe zu nehmen. Wie der Journalist und Autor Franklin Foer erklärt, haben die Unternehmen im Silicon Valley »bestimmte Ideale, aber sie haben auch ein Geschäftsmodell. Sie konfigurieren die Ideale der Benutzer:innen neu, um ihre Geschäftsmodelle zu rechtfertigen.«2 In diesem Buch geht es um die Frage, woher die Ideale des Valley kommen. Diese Frage ist alles andere als nebensächlich: Die Antwort wirkt sich darauf aus, wie die vom Techsektor herbeigeführten Veränderungen als plausibel und scheinbar unvermeidlich dargestellt werden. Sie wirkt sich darauf aus, wie der Techsektor seine Projekte und seine Beziehung zur Welt versteht. Es geht in diesem Buch weniger um die Worte, mit denen die Unternehmen im Silicon Valley ihre alltägliche Geschäftstätigkeit beschreiben – es gibt bereits interessante Bücher über die Denkweise, die sich hinter Begriffen wie »Benutzer:in«, »Plattform« oder »Design« versteckt. Vielmehr geht es mir um die Frage, wie der Techsektor über seine Tätigkeit denkt, wenn er über sein Alltagsgeschäft hinausdenkt – wenn er darüber nachdenkt, die Welt zu verändern, eine Branche X vollkommen neu zu definieren oder die Gruppe Y zu befreien. Wenn er über die Proteste auf dem Tahrir-Platz und 27-Dollar-Spenden nachdenkt. Welche Ideen fassen dann Fuß? Und woher kommen sie?

Die Tatsache, dass diese Ideen eine Geschichte haben, ist tatsächlich wichtig. Das Silicon Valley ist gut im »Reframing«, wie es im Jargon des »Design Thinking« heißt, sprich darin, Fragen, Probleme und Lösungen neu einzuordnen. Und oft ist vollkommen unklar, welche Beziehung zwischen der »neu eingeordneten« und der ursprünglichen Version besteht. Man kann leicht den Eindruck gewinnen, die ursprüngliche Einordnung des Problems werde durch das Reframing irrelevant – und möglicherweise werde sogar das ursprüngliche Problem irrelevant. Teilweise gehört das wahrscheinlich zum technologischen Wandel: Es ergibt Sinn, dass man sich schwerlich an die Geschichte von etwas erinnert, das die Funktionsweise des Gedächtnisses selbst affiziert. In den sechziger Jahren erklärte Marshall McLuhan, die Auswirkungen der Technologie zeigten »sich nicht in Meinungen und Vorstellungen«, sondern verlagerten »das Schwergewicht in unserer Sinnesorganisation oder die Gesetzmäßigkeiten unserer Wahrnehmung ständig und widerstandslos«.3

Aber das ist offenkundig nur ein Teil der Geschichte. Die Amnesie, die jene Konzepte umhüllt, mit denen die Technologieunternehmen öffentliche Politik betreiben (ohne zuzugeben, dass sie es tun), ist ein struktureller Bestandteil dieser Konzepte. Indem die Neuheit des Problems (oder zumindest seiner »Einordnung«) zum Fetisch gemacht wird, werden der Öffentlichkeit die analytischen Werkzeuge entzogen, die sie bisher für die Auseinandersetzung mit ähnlichen Problemen nutzte. Nun sind diese Technologien freilich oft wirklich neuartig – aber die Unternehmen, die sie einführen, verweisen häufig auf diese Neuartigkeit, um zu behaupten, die traditionellen Verständniskategorien würden der neuen Technologie nicht gerecht, obwohl sie in Wahrheit durchaus geeignet sind, um sie zu beurteilen. Auf diese Art werden all jene entrechtet, die seit Langem mit der Analyse dieser Probleme betraut sind, seien sie Expert:innen, Aktivist:innen, Akademiker:innen, Gewerkschaftler:innen, Journalist:innen oder Politiker:innen.

Man sehe sich nur an, wie sehr das Silicon Valley von seinem technologischen Determinismus profitiert. Die Industrie stellt die von ihr herbeigeführten Veränderungen gerne so dar, als gehorchten sie einem Naturgesetz: Wenn ich oder mein Unternehmen das nicht tun, wird es jemand anderes tun. Das wirkt sich darauf aus, wie sich Universitätsabsolvent:innen ihren Arbeitgeber aussuchen und welche Arbeit sie zu machen bereit sind. Oder man sehe sich an, wie Schlagworte wie »Disruption« und »Innovation« dem Techsektor helfen, unsere kollektive Fantasie zu vereinnahmen. Wie sie bestimmte Teile des Status quo umstülpen und andere Teile rätselhafterweise unangetastet lassen. Wie sie uns implizit als Spielverderber darstellen, wenn wir fragen, inwieweit jemand, der Milliardeninvestitionen repräsentiert, zu einer Revolution fähig sein soll.

Und hier verwandeln sich die Grenzen unseres Denkens rasch in die Grenzen unserer Politik. Was, wenn das, was Innovation genannt wird, in Wahrheit nichts anderes ist als eine opportunistische Ausnutzung von Gesetzeslücken? Und bevor wir die Schuld auf die Gesetzeslücken schieben, sollten wir uns vor Augen halten, dass von einer guten Gesetzgebung erwartet wird, dass sie langsam und bedächtig auf neue Gegebenheiten reagiert. Viele dieser Unternehmen nutzen die Zeit zwischen dem Augenblick, in dem eine neue Methode zum Geldverdienen entdeckt wird, und dem Augenblick, in dem sich der Staat eine Vorstellung davon macht, ob sie tatsächlich im Sinne des Gesetzes ist. Viele dieser Unternehmen haben sozusagen ihr Hauptquartier in dieser historischen Grauzone errichtet.

Nehmen wir beispielsweise Uber und Lyft. Diese beiden Personenbeförderungsunternehmen sind (zumindest für die User) flexibler und billiger als die Taxiunternehmen, denen sie langsam den Garaus machen, und gerade deshalb beliebt bei großen Investmentfonds. Der Hauptgrund dafür ist, dass ihre Fahrer:innen selbstständige Unternehmer:innen sind, die keinerlei Verhandlungsmacht haben, keine Lohnzusatzleistungen erhalten und kaum gesetzlichen Schutz genießen. Alles, was diese Unternehmen tun – von den Vergütungsplänen für ihre »Auftragnehmer:innen« bis zu der Art und Weise, wie ihre Algorithmen zur Zuteilung der Fahrten allem Anschein nach gelegentliches Fahren bestrafen –, dient in Wahrheit dazu, ihre Fahrer:innen Stück für Stück in eine Vollzeitbeschäftigung zu drängen, die aber nicht als Vollzeitbeschäftigung bezeichnet werden darf. In dem Augenblick, in dem Klarheit über diese Verhältnisse herrscht, werden diese Unternehmen zahlreichen Regeln unterworfen werden, womit ihre Rentabilität noch weiter sinken wird und sie mit einiger Sicherheit vom Markt verschwinden werden. Aber bis zu diesem Moment werden sie uns unablässig erzählen, dass sie anders und neuartig sind und dass wir sie falsch verstehen, wenn wir die herkömmlichen Wirtschaftskategorien auf sie anwenden.

In diesem Buch beschäftige ich mich wiederholt mit Konzepten und Ideen, die vorgeblich neuartig, in Wahrheit jedoch sehr alte Motive in neuer Verkleidung sind. Der Zweck von Konzepten besteht darin, sinnvolle Unterscheidungen zu ermöglichen, aber die in den folgenden Kapiteln behandelten Konzepte dienen oft dazu, diese Unterscheidungen unmöglich zu machen. Die Rhetorik des Silicon Valley mag vollkommen neuartig klingen, aber in Wahrheit entspringt sie einigen alten amerikanischen Traditionen: von der Erweckungsbewegung zum Infomercial, von der Prädestination zur Selbsthilfe. Auch das Gegenteil kann zutreffen: Ein ums andere Mal werden wir auf zwei Phänomene stoßen, die für unser ungeschultes Auge wie ein und dasselbe aussehen, jedoch verschiedene Dinge sind, wenn wir...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2020
Übersetzer Stephan Gebauer
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
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ISBN-10 3-518-76684-8 / 3518766848
ISBN-13 978-3-518-76684-2 / 9783518766842
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