Die Kunst des Miteinander-Redens (eBook)

Über den Dialog in Gesellschaft und Politik
eBook Download: EPUB
2020
224 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26743-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kunst des Miteinander-Redens - Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun
Systemvoraussetzungen
10,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Pörksen und Schulz von Thun, Deutschlands wichtigste Medien- und Kommunikationsexperten, zeigen, wie wir uns der kollektiven Erregung widersetzten können.
Hass und Hetze, Gerüchte und Falschmeldungen verbreiten sich rasend schnell. Öffentliche Debatten eskalieren zum giftigen Streit. Und in der Breite der Gesellschaft regiert die Angst vor dem Schwinden des gesellschaftlichen Zusammenhalts und dem Ende von Respekt und Vernunft.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun, zwei prominente Vertreter ihres Fachs, analysieren den kommunikativen Klimawandel. Sie zeigen Auswege aus der Polarisierungsfalle in Zeiten der großen Gereiztheit und der populistischen Vereinfachungen und entwerfen eine Ethik des Miteinander-Redens, die Empathie und Wertschätzung mit der Bereitschaft zum Streit und zur klärenden Konfrontation verbindet.
Anschaulich und mit vielen Beispielen führen sie vor, wie sich Diskussionen und Debatten verbessern lassen und wie die Kunst des Miteinander-Redens zu einer Schule der Demokratie und des guten Miteinander-Lebens werden könnte.

Bernhard Pörksen, Jahrgang 1969, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und bekannt durch seine Arbeiten zur Skandalforschung (u.a. Der entfesselte Skandal, mit H. Detel) sowie seine Bücher mit dem Kybernetiker Heinz von Foerster und dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun. Bei Hanser erschien: Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung (2018) und Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik (mit Friedemann Schulz von Thun, 2020).

I.

Dynamik der Polarisierung


Wie man sein Gegenüber garantiert kränkt


PÖRKSEN: Vor uns auf dem Tisch liegt ein kleines Buch des Kommunikationsforschers und Ironiekünstlers Paul Watzlawick, das den Titel Anleitung zum Unglücklichsein trägt. Es ist ein Anti-Ratgeber von vollendeter Boshaftigkeit, eine bitterböse Parodie, die Optimierungsrezepte jeder Art lächerlich macht …

SCHULZ VON THUN: … und das Paradebeispiel einer paradoxen Intervention, wie Psychotherapeuten sagen würden. Man verschreibt das, was man eigentlich verhindern will, in der Hoffnung, beim Adressaten Kräfte des Widerstandes zu mobilisieren.

PÖRKSEN: Das ist der Grundgedanke, ja. Und so finden sich in diesem kleinen Buch jede Menge Tipps, wie man sich selbst nach allen Regeln der Kunst in eine Depression hineinhypnotisieren kann. Man verherrliche die Vergangenheit, um die Gegenwart abzuwerten, so schlägt Watzlawick vor. Man verfechte mit maximalem Furor die Idee, nur man selbst sei im Besitz absoluter Wahrheit, so einer seiner Ratschläge. Und niemals dürfe man die Strategie zur Lösung eines Problems wechseln, frei nach dem Motto: Mehr desselben hilft immer, komme, was da wolle! — Mein Vorschlag lautet, dass wir diesen Anti-Ratgeber als Anregung aufgreifen, um der Frage nachzugehen: Wie ließe sich eine Anleitung zur effektiven Polarisierung formulieren? Welche Tipps müsste man beherzigen, um maximal Zwietracht zu säen?

SCHULZ VON THUN: Ich warne vor zu viel Ironie und einem Übermaß an humorvoller Entspanntheit bei diesem heiklen Thema. Also gut, ich lasse mich darauf ein: Es gilt zunächst, eine einzige Grundüberzeugung tief zu verinnerlichen, die da heißt: »Ich bin das Ideal — und du bist der Skandal!« Das Gegenüber in seiner ganzen Erbärmlichkeit und sich selbst hingegen als Wunderwerk der Erleuchtung zu präsentieren, das wäre die erste Aufgabe.

PÖRKSEN: Das Fertigrezept zur effektiven Polarisierung, das man — ganz unironisch — empfehlen kann, heißt also: »Praktiziere die maximale Abwertung des anderen bei gleichzeitiger Glorifizierung der eigenen Person und Position« …

SCHULZ VON THUN: … und dazu ist ein hohes moralisches Podest nötig, auf dem ich mich selbst platziere, um meinen eigenen Standpunkt im Glanz der Humanität erscheinen zu lassen. Ich sonne mich im Wertehimmel, während ich den anderen im Keller der Negativität verorte. Wenn ich diese Grundüberzeugung im entsprechenden Brustton intoniere, habe ich auch rasch die entsprechenden Formulierungen parat, die den anderen entweder als dumm oder als unmoralisch oder als krank erscheinen lassen. Zum Beispiel: »Ich stehe für gesunden Menschenverstand, und du bist ein Spinner!« — »Ich bin Realist, und du bist ein verträumter Illusionist!« — »Ich bin der rechtschaffene Vertreter der Humanität, und du bist ein moralisch minderwertiger Lump!«

PÖRKSEN: Sobald man den anderen in dieser Weise diffamiert, setzt unvermeidlich ein Teufelskreis wechselseitiger Abwertung ein, eine symmetrische Eskalation, wie dies der Anthropologe Gregory Bateson einmal genannt hat: Alle Beteiligten rüsten sprachlich auf, sehen sich im Zweifel als Opfer der Attacken der jeweils anderen Seite. Und es entsteht ein Sog der Aggression, aus dem man sich nur sehr schwer wieder befreien kann, wenn überhaupt. Vielleicht starten wir mal mit einem alltäglichen Konflikt, um uns dann allmählich auf das Parkett des Politischen zu begeben. Das scheint mir als eine vielversprechende Denkbewegung — von der privaten Streitigkeit hin zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Denn die Schlüsselfrage, die uns umtreibt, ist ja, ob man aus dem Studium zwischenmenschlicher Konflikte etwas für die Entgiftung öffentlicher Kommunikation lernen kann.

SCHULZ VON THUN: Einverstanden! Es gibt ein Musterbeispiel aus der privaten Welt der Kindererziehung, das ich gelegentlich in meinen Seminaren verwende. Es stammt noch aus dem Fernseh-Zeitalter. Man stelle sich folgende Situation vor: Da sind zwei kleine Kinder, die gebannt vor dem Fernseher sitzen, aber nur eine halbe Stunde schauen dürfen, das ist die Familienregel. Dann folgt der Auftritt des Vaters: »So, die halbe Stunde ist um, bitte ausschalten!« Die Kinder: »Es ist gerade so spannend, bitte lass uns noch zu Ende gucken, bitte, bitte, bitte!« Auftritt der Mutter: »Du liebe Güte, nun lass sie doch!« Der Vater: »Nein, auf keinen Fall. Dafür machen wir ja die Regeln.« Die Mutter: »Also wirklich, sei doch nicht so kleinlich!« Der Vater zu seiner Frau: »Aha, ich bin kleinlich — und dein Herz ist so groß, dass du deine Kinder vor der Glotze verblöden lässt!?«

PÖRKSEN: … jetzt wird der Streit in der Sache allmählich zum Angriff auf den ganzen Menschen; beide reden nun nicht mehr darüber, ob es eine Ausnahme von der Fernsehregel geben darf, sondern deuten die Meinungsverschiedenheit als Symptom, als Ausdruck einer grundsätzlicheren Differenz.

SCHULZ VON THUN: Ja, und fast schon als Ausdruck eines zweifelhaften Charakters: An ihm nagt der Vorwurf der Kleinlichkeit, an ihr der Vorwurf blinder Großherzigkeit, die den Kindern einen Schaden zufügt. Die ursprünglich sachliche Meinungsverschiedenheit mündet in ein Zerwürfnis auf der Beziehungsebene, nach dem Motto: Wenn du diese Auffassung vertrittst, dann bist du für mich ein Mensch mit fragwürdigem Charakter! Und bald wird noch ein dritter Kriegsschauplatz hinzukommen, nämlich auf der kommunikativen Metaebene: Wie redest du eigentlich mit mir!?

Die Technik der rückwirkenden Generalisierung


PÖRKSEN: Wenn wir — frei nach Watzlawick und bevor Sie fortfahren — ein paar weitere Polarisierungsregeln aus dieser Mini-Szene herausdestillieren, dann könnte man diese folgendermaßen formulieren: »Verwandele die Auseinandersetzung des Moments in einen Streit um Prinzipien! Schreite energisch in Richtung kränkender Verallgemeinerungen voran! Und sei dir gewiss: Es geht nie um Kleinigkeiten, sondern immer um Grundsätzliches.« — Und nun: Wie geht es weiter vor dem Bildschirm?

SCHULZ VON THUN: Jetzt setzt das ein, was Sie mit Gregory Bateson die symmetrische Eskalation genannt haben. Beide verlassen die Sachebene, um sich umso schärfer auf der Beziehungsebene anzugreifen und dort sprachlich aufzurüsten. Nun wird die Mutter ungehalten: »Die Regeln sind ja in Ordnung, aber deswegen musst du ja nicht mit der Stoppuhr daneben stehen, mein Gott noch mal!« Darauf der Vater: »Wenn ich hier der Einzige bin, der die Regeln ernst nimmt, dann ist das schon schlimm genug. Aber dass ich mich nun auch noch als kleinlicher Korinthenkacker beschimpfen lassen muss …« Die Mutter unterbricht ihn: »Aber so gebärdest du dich!« Der Vater: »Also, dein Ton ist wirklich unter allem Niveau. Ich habe keine Lust, für die Kinder immer der Buhmann zu sein, während du Beliebtheitspunkte sammelst …« Die Mutter unterbricht ihn erneut: »Das mit den Beliebtheitspunkten kannst du dir wirklich sonst wo hinschieben. Das ist nun wirklich infam, mein Lieber, und alles andere als sachlich!« Er entgegnet erbost: »Ein sachliches Argument habe ich bis jetzt noch gar nicht vernommen!« Sie: »Dann musst du besser zuhören!« Er: »Und du musst lernen, andere ausreden zu lassen!« Im Hintergrund machen sich nun die Kinder bemerkbar: »Psst …, bitte seid doch nicht so laut! Man kann beim Fernsehen gar nichts verstehen!«

PÖRKSEN: Symptomatisch ist doch auch, dass der Mann sich beklagt, er sei »immer der Buhmann«. Hier wird noch eine weitere Technik der Polarisierung offenbar, die der Linguist Ernst Leisi einmal die rückwirkende Generalisierung genannt hat. Im Streit werden dann Sätze gesagt wie: »Immer bist du …« — »Nie darf ich …« — »Schon letzte Weihnachten hast du …« Und so weiter. Die Kritik im Konkreten zielt dann auf den ganzen Menschen, wird zur Entlarvung eines Charakterdefizits und zielt auf die prinzipiell gemeinte Verdammung. Auch das verstärkt die Säuernis der Streitenden noch einmal.

SCHULZ VON THUN: Ja, eine solche Generalisierung wirkt wie ein weiterer Brandbeschleuniger. Überdies kann man am Beispiel dieser Auseinandersetzung das Wesen der Polarisierung wie unter einem Brennglas erkennen: Es ist das feindliche Auseinandertreiben gegensätzlicher Positionen, die jeweils eine Teilwahrheit oder Tugendhälfte betonen und die idealerweise einander ergänzen sollten. Natürlich könnte man argumentieren: Wunderbar, dass diese Kinder zwei Eltern haben. Wunderbar, wenn ihre...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Demokratie • Diffamierung • Kapitol • Kommunikation • Kommunikationspsychologie • Lüge • Markus Lanz • Medien • Medienwissenschaft • Medienwissenschaftler • Öffentlichkeit • #ohnefolie • ohnefolie • Politik • Skandal • Smartphone • Social Media • Stimmigkeit • Transparenz • Wahrheit
ISBN-10 3-446-26743-3 / 3446267433
ISBN-13 978-3-446-26743-5 / 9783446267435
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Warum sich im Rettungsdienst zeigt, was in unserer Gesellschaft …

von Luis Teichmann

eBook Download (2024)
Goldmann Verlag
14,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99