Vernetzt, entgrenzt, prekär?
Campus (Verlag)
978-3-593-51155-9 (ISBN)
Stefan Groth ist Oberassistent am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich und leitet das Labor Populäre Kulturen. Sarah May ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg. Johannes Müske ist Kulturwissenschaftler und lehrt derzeit an der Universität Freiburg i. Br.
Inhalt
Arbeit im Wandel und in gesellschaftlicher Diskussion 9
Stefan Groth, Sarah May und Johannes Müske
I. Entgrenzte und prekäre Arbeit
Abgesichert, aber immateriell und entgrenzt?
Zur Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern im 21. Jahrhundert 27
Lina Franken
Privilegierte Prekarisierung:
Zu Flexibilisierungs-, Entgrenzungs-
und Subjektivierungsmechanismen in den Vereinten Nationen 41
Linda M. Mülli
»Man erntet, aber man weiß noch nicht,
was man dafür kriegt«: Kalkulationen deutscher Landwirte
und rumänischer Saisonarbeitskräfte 63
Judith Schmidt
II. Organisation von Arbeit
Change Management:
Ein kulturwissenschaftlicher Blick auf die Praktiken der
Menschenführung bei der Transformation von Arbeitskulturen 83
Michael Maile
Computer sagt Nein:
Fehlerkulturen in der Softwarearbeit 103
Roman Tischberger
Wie ArbeiterInnen die logistische Arbeitsorganisation
deuten: Ein deutsch-französischer Vergleich 125
Clément Barbier und Cécile Cuny
III. Musealisierung von Arbeit
Gesammelte Werke:
Arbeitskultur in volkskundlichen Sammlungen revisited 147
Nathalie Feldmann, Ophelia Gartze,
Katharina Löw, Catharina Rische und Tim Schaffarczik
Alltags- und Industriegeschichte(n) erzählen:
Über ein partizipatives Sammlungs- und Ausstellungsprojekt
in der Tiroler Marktgemeinde Wattens 165
Simone Egger
IV. Muße, Balance und Glück
Arbeit und Nicht-Arbeit in »Muße-Kursen«:
Ein ethnografischer Zugang zu gegenwärtigen Entgrenzungs-
und Abgrenzungserfahrungen 187
Inga Wilke
»Work-Life-Balance«, Entgrenzung
und Orientierungen an der Mitte 205
Stefan Groth
Handwerksstolz.de:
Werkstattbericht zu einem Projekt inter- und transdisziplinärer Glücksforschung im Handwerk 227
Dorothee Hemme und Ann-Kathrin Blankenberg
V. Erwartungen und Zukunft
»Also mir ist schon wichtig, dass mir die Arbeit ausreichend
Flexibilität gewährt«: Berufsfeldorientierte Erwartungen
und Wünsche von arbeitsplatzsuchenden Professionals 245
Manfred Seifert
Zur Zukunftsfähigkeit von Arbeitskulturen in Liechtenstein:
Ein Plädoyer für eine vertiefte Mensch-zentrierte Untersuchung 273
Monika Litscher
Autorinnen und Autoren 293
»Mit Vernetzt, entgrenzt, prekär? liegt ein lesenswerter Sammelband vor, der den Fokus auf Arbeit im Wandel und in der gesellschaftlichen Diskussion um Fragen nach Organisationsformen, Wissensaushandlung, Zukunftspraktiken und emotionalen Erwartungen und Erfahrungen erweitert, aber auch zahlreiche theoretische und thematische Impulse setzt.« Valeska Flor, Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 117. Jahrgang 2021, Heft 1
»Mit Vernetzt, entgrenzt, prekär? liegt ein lesenswerter Sammelband vor, der den Fokus auf Arbeit im Wandel und in der gesellschaftlichen Diskussion um Fragen nach Organisationsformen, Wissensaushandlung, Zukunftspraktiken und emotionalen Erwartungen und Erfahrungen erweitert, aber auch zahlreiche theoretische und thematische Impulse setzt.« Valeska Flor, Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 117. Jahrgang 2021, Heft 1
Arbeit im Wandel und in gesellschaftlicher Diskussion Stefan Groth, Sarah May und Johannes Müske In der Arbeitswelt der Gegenwart finden sich vielfältige Phänomene der Vernetzung und Entgrenzung, der Flexibilisierung und Prekarisierung. Beispiele sind etwa Zeitarbeit, befristete Beschäftigungsverhältnisse in der Logistikarbeit oder die Anstellungen jüngerer Professionals in der UNO, deren Verstetigung auch von Alter, Geschlecht oder Nationalität abhängt – Arbeitsformen also, die nicht dem »Normalarbeitsverhältnis« entsprechen. Auch die Arbeitsbedingungen ändern sich: Angestellte arbeiten in Großraumbüros, im Home-Office oder in Co-Working-Spaces; SoftwareentwicklerInnen kooperieren im Digitalen und organisieren ihre Arbeit mit »agilen Methoden« wie Scrum oder Kanban. Eine Vielzahl an Berufen sieht sich starken Veränderungen ausgesetzt: Die wachsende Nachfrage nach hoch spezialisierten Berufen steht den von Streichung bedrohten Tätigkeiten und Phänomenen des Deskillings gegenüber; neben dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und der Bereitschaft zu räumlich und zeitlich flexibler Arbeit zeigen sich gleichzeitig der die Angst vor wirtschaftlicher Not und der Wunsch nach sozial gesicherten Arbeitsgefügen. »Arbeit« befindet sich derzeit in breiter gesellschaftlicher Verhandlung, insbesondere mit Blick auf sich verändernde Modalitäten der Arbeit im Zusammenhang mit Digitalisierungs- und Flexibilisierungsprozessen: Debatten über Mindestlohn, 5-Stunden-Tag, bedingungsloses Grundeinkommen, Rente mit 70, Robotisierung oder Industrie bzw. Arbeit 4.0 verweisen auf komplexe Verhandlungsfelder. Zur gesellschaftlichen und historischen Verortung dieser Themen kann die europäisch-ethnologische Forschung wertvolle empirische Perspektiven beisteuern, zeigen sich abseits der allgegenwärtigen und schillernden Diskussionen zur Zukunft der Arbeit doch heute schon tiefgreifende Wandlungsprozesse in der alltäglichen Arbeitswelt. Auf diese fokussieren die Beiträge dieses Bandes, der die Ergebnisse der 14. Arbeitstagung der Kommission Arbeitskulturen in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (dgv) fasst. Ziel der Tagung, die unter dem Titel »Vernetzt, entgrenzt, prekär?« im September 2018 in Zürich und Winterthur stattfand, war es, über eine bewusst weit gefasste Ausschreibung die gegenwärtig im Fach behandelten Themen im Bereich »Arbeitskulturen« einzufangen. Dass der Band nicht sämtliche Themenfelder der ethnografischen Arbeitsforschung abbildet, ist selbsterklärend. Gerade aber im Verbund mit den zurückliegenden Arbeitstagungen zeigen sich bestimmte thematische Schwerpunkte. Die Anknüpfung an bestehende Themen im Feld der Arbeitskulturenforschung war – gerade vor dem Hintergrund der Kommissionsjubiläen 2018 und 2019 – das zweite wesentliche Ziel der Tagung. Fokussiert dieser Beitrag also Arbeit im Wandel und in gesellschaftlicher Diskussion, so arbeitet er anhand der Tagungsbeiträge aktuelle Forschungsinteressen des Faches heraus und reflektiert gleichzeitig die thematischen Entwicklungen der Kommission Arbeiterkultur respektive Arbeitskulturen. Ethnografische Arbeitskulturenforschung Während das Thema Arbeit immer wieder in Arbeiten der Volkskunde auftauchte und sogar 1965 Thema des zweiten dgv-Kongresses war, formierte sich ein thematischer »Arbeitskreis« erst 1979 während des Kieler dgv-Kongresses und fand sofort breites Interesse (Scharfe 1979: 48). Interessant ist der Zeitpunkt der Kommissionsgründung in den späten 1970er-Jahren – die Arbeiterkultur, mit einem »weiten« Kulturbegriff allgemein verstanden als »Kultur und Lebensweise der Arbeiter« (ebd.), war durch den Strukturwandel zumindest in Westdeutschland im Verschwinden begriffen. Gleichzeitig war ein »Boom« von Geschichtswerkstätten, Arbeits- und Industriemuseen und auch eine Offenheit der Volkskunde für die Themen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu beobachten, sodass die Gründung der Kommission »Arbeiterkultur« sich auch einem interdisziplinär abgesicherten Forschungsinteresse verdankt und »in der Luft lag«. Die Kommission machte sich zum Ziel, den Beitrag der »anderen Kultur«, das heisst der unterbürgerlichen Schichten, zurückgehend bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Gesamtkultur zu erforschen und sichtbar zu machen. Inspiriert war dieser Ansatz von der britischen Sozialgeschichte bzw. den Cultural Studies, verbunden zum Beispiel mit den Namen Edward P. Thompson oder Raymond Williams, die im Fach damals zunehmend wahrgenommen wurden. Noch in den 1960er Jahren dominierte die bäuerliche Arbeit in den Forschungsarbeiten des Fachs, wie etwa die Beiträge beim zweiten Volkskundekongress 1965 in Marburg zeigten (Heilfurth 1967). Die Rezeption der Cultural Studies mit ihrem Credo »culture is ordinary« (Raymond Williams) im Fach in den 1970er Jahren (Lindner 2002: 70ff.) ermöglichte die Öffnung des Fachs auch für die nicht-bäuerliche Arbeit und Kultur und reflektierte damit den Abschied der Volkskunde vom Volksleben und die zunehmende paradigmatische Hinwendung zu Themen der Alltagskultur. Mit dem Verschwinden der Arbeiterkultur verlor die soeben gegründete Kommission allerdings ihren Forschungsgegenstand. Vollends sichtbar wurde dieser Prozess mit dem Zusammenbruch des Sozialismus und der damit verbundenen rasanten Deindustrialisierung in Ostdeutschland: Nun wurde auch die theoretische Grundlegung der Arbeiterkulturforschung obsolet, denn ›linke‹ Gesellschaftstheorien, auf die sich der Forschungsgegenstand berufen konnte, galten nun als desavouiert (Assion/Warneken 2001). Die Arbeiterkulturforschung begann, die Arbeit selbst in den Blick zu nehmen, unabhängig davon, ob es sich um ArbeiterInnen oder Angestellte, um Erwerbsarbeit oder nicht-bezahlte Arbeitsformen wie Familienarbeit oder Subsistenzarbeit handelte. Mit der Emanzipation vom Paradigma der männlichen Berufsarbeit (implizit mit dem Begriff »Normalarbeitsverhältnis« gefasst) öffnete sich die Forschung zeitgleich für ethnografische Methoden. Auf dem 9. Arbeitstreffen 1998 in München beschloss die Kommission ihre Umbenennung in »Arbeitskulturenforschung« (Götz 1998). Die Umbenennung signalisierte die Verschiebung des thematischen Fokus von der eher historisch ausgerichteten Erforschung der Arbeiterkultur zur ethnografischen Erforschung der Arbeit in der Gegenwart. Im Forschungsinteresse standen nun Unternehmenskulturen, Arbeitsmigration, aber auch die Arbeit von Selbstständigen, die Informatisierung der Arbeit, Haushaltsdienstleistungen und Care-Arbeit – generell die Subjektivierungs-, Mobilisierungs-, Entgrenzungs- und Flexibilisierungsprozesse von Arbeit. Die historische Dimensionierung gegenwärtiger Phänomene bleibt dabei weiterhin zentraler Bestandteil der Arbeitskulturenforschung, da die Veränderungen erst über den Rückbezug auf historische Verlaufsformen analysierbar werden und als temporäre Erscheinungen längerer Entwicklungen verstanden werden müssen. Entsprechend versteht sich auch dieser Band, der den Wandel der Arbeit und die gesellschaftlichen Debatten darüber ethnografisch in den Blick nimmt, als Beitrag zu einer Kulturanalyse der Gegenwart in ihrer historischen Gewordenheit. Vernetzt, entgrenzt, prekär: zu den Beiträgen dieses Bandes Vernetzung, Entgrenzung, und Prekarisierung sind allgegenwärtige Schlagworte im Kontext der Arbeitskulturenforschung. Sie bezeichnen Gemengelagen, die sich überschneiden, nicht nur das Arbeiten, sondern unterschiedliche Ebenen des Alltags betreffen. Die Tagung nahm diese Themen bewusst zuspitzend und stellvertretend für weitere Transformationsprozesse in der Gegenwart in den Titel. Dezidiert fragte sie nach der Perspektive von AlltagsakteurInnen auf die Veränderungen von Arbeit und nach den gesellschaftlichen Verhandlungen von Prozessen des Wandels: Welche gegenwärtigen Veränderungen von Arbeitsprozessen und damit zusammenhängende soziale und institutionelle Implikationen lassen sich beobachten? Wie deuten und gestalten AkteurInnen Subjektivierungs-, Flexibilisierungs-, Prekarisierungsprozesse? Welchen Einfluss haben dabei Prozesse der Digitalisierung und Liberalisierung beispielsweise auf Landwirtschaft, gewerbliche Arbeit, Leiharbeit oder Handwerk? Einen Schwerpunkt bildeten die Fragen nach Leitbildern und Zukunftsszenarien, etwa danach, welche Berufsbilder verschwinden bzw. entstehen und in welchen gesellschaftlichen Paradigmen und Unternehmenskulturen (Arbeitskraftunternehmer, Projektmanager & Co.) sich diese Prozesse spiegeln: Welche ethnografisch zu greifenden euphorischen und skeptischen Zukunftsentwürfe gibt es für die Arbeit, ihre Regulierung und Besteuerung? Mit welchen normativen Diskussionen über Motivationen, Gleichheit oder Gerechtigkeit sind diese Entwicklungen verbunden? Wie lassen sie sich empirisch fassen, wie kulturanalytisch deuten? Zentral gedacht wurden hierbei Herausforderungen der methodischen Erarbeitung und (musealen) Darstellung: Neben inhaltlichen Themen fokussierte die Tagung methodische Neuausrichtungen und fragte, wie sich beispielsweise Diskussionen über Digitalisierung und Industrie 4.0 untersuchen lassen und welche methodischen Herausforderungen an eine empirische Kulturwissenschaft damit verbunden sind. Musealisierung und Historisierung von Arbeit im Wandel Die Tagung suchte die transdisziplinäre Perspektive und fragte bewusst nach Darstellungsformen: Welche Beispiele für aktuelle Ausstellungen und Vermittlungsaktivitäten gibt es zum Thema und welche Schwerpunkte haben sie? Welche Kooperationsformen und -partnerschaften zeigen sich? Welche Disziplinen und Praxisfelder haben ein Interesse daran, gegenwärtigen Wandel in der Arbeitswelt zu untersuchen? Inwiefern kann die Empirische Kulturwissenschaft eine vermittelnde, kritische und auch gestaltende Rolle bei der Vermittlungsarbeit spielen? Zwei Beiträge dieses Bandes stellen Museumsprojekte und damit historische Perspektiven auf die Arbeit ins Zentrum ihrer Untersuchungen. Simone Egger berichtet über das von ihr maßgeblich mitgestaltete Museum Wattens in Tirol. Das partizipative Museumsprojekt erzählt auf der Basis von Objekten, Archivalien und Gesprächen die lokale Geschichte der Arbeit. Das Museum und die Angebote des gesamten Hauses wurden in den vergangenen Jahren neu aufgestellt, was einmal mehr die auf die gesellschaftliche Relevanz der Transformationsprozesse der Arbeit hinweist. Der Beitrag von Nathalie Feldmann, Ophelia Gartze, Katharina Löw, Catharina Rische und Tim Schaffarczik beschreibt ein Ausstellungsprojekt in Waldenbuch und Freiburg, das auf ein gemeinsames Studienprojekt der empirisch-kulturwissenschaftlichen Institute in Freiburg und Tübingen zurückgeht. An Hand von Archivalien aus volkskundlichen Sammlungen in Baden-Württemberg erforschten die Studierenden, wie Arbeit – avant la lettre – in volkskundlichen Sammlungen repräsentiert ist, und gingen der Frage nach, wie Objekte durch Kontextualisierungsstrategien über historische Alltage erzählen können. Prekär und flexibel: Arbeitsverhältnisse im Wandel Unter Prekarisierung wird generell die Zunahme unsicherer Beschäftigungsverhältnisse sowie die Auflösung von Standards wie etwa der sozialversicherungspflichtigen »normalen« Vollzeitanstellung verstanden. Zumindest für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts galt letztere als »Standard« für die männliche Bevölkerung in vielen Ländern des »globalen Nordens«. Vermehrt sind allerdings »atypische« Beschäftigungsverhältnisse anzutreffen, insbesondere im Niedriglohnsektor, dessen enorme Ausweitung seit den 2000er-Jahren durch umfassende wirtschaftliche Veränderungen und politische Reformprozesse vorangetrieben und ermöglicht wurde. Effekte dieser veränderten Organisationsformen beschreiben in diesem Band Clément Barbier und Cécile Cuny für die Logistikbranche: In einem deutsch-französischen Vergleich kontrastieren sie sowohl die Rahmenbedingungen der Arbeit in Lagerhallen wie auch die subjektiven Deutungen von ArbeiterInnen, welche die Erwartungen an ihre Arbeitsverhältnisse und auch die Verständnisse ihrer Arbeitsmodalitäten reflektieren. Diese Gegenüberstellung macht unter anderem deutlich, wie verschieden ein »prekäres« und »flexibles« Arbeitsverhältnis gedacht wird: als Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit und begrenzten Arbeitsverhältnissen, als Kontrast zu stabilen, das heisst festen und unbefristeten Arbeitsverhältnissen, als selbstbestimmte Wahl oder als Notsituation. Prekarisierung und Flexibilisierung sind nicht zwingend miteinander verbundene Phänomene. So muss eine Prekarisierung von Arbeit etwa nicht auch mit einer Flexibilisierung einhergehen. Die Arbeitsmodalitäten können so in vielen Punkten einem Normalarbeitsverhältnis entsprechen, mit Blick auf Entlohnung und Arbeitsplatzsicherheit davon aber abweichen. Ebenso sind Berufsbilder, die prinzipiell eher mit einem klassischen Arbeitsverhältnis einhergehen, nicht von Entwicklungen der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit oder der Immaterialisierung von Arbeit ausgenommen. So zeigt der Beitrag von Lina Franken, wie der Lehrerberuf mit Entgrenzungsprozessen einhergeht. Franken zeigt auf, wie LehrerInnen im Rahmen einer stark abgesicherten Beschäftigung unterschiedlich mit Anforderungen umgehen, und dabei über das Maß an Entgrenzung wie auch über ihr kreatives Engagement im Beruf selbst entscheiden. Dass die im Zuge des Wandels von Arbeit diskutierten Veränderungsprozesse auch von den Beschäftigten selbst eingefordert werden zeigt der Beitrag von Stefan Groth am Beispiel von Debatten über die »Work-Life-Balance«. Modelle wie Teilzeit, Gleitzeit oder Home-Office-Arrangements werden in diesem Kontext auf der einen Seite als Anforderung formuliert, dass ArbeitnehmerInnen mit Beanspruchungen des Berufslebens »gut« umgehen; auf der anderen Seite werden sie auch als Versprechen verstanden, ein »glücklicheres« und »ausgeglicheneres« Leben zu führen. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch der Beitrag von Inga Wilke: Sie thematisiert Muße-Kurse, in denen TeilnehmerInnen sich mit Entspannungstechniken auseinandersetzen, um Überforderungserscheinungen im Zusammenhang mit der Erwerbsarbeit zu begegnen. Dabei nehmen die AkteurInnen verschiedene Abgrenzungen zwischen Muße, Freizeit und Arbeit vor, wie die Ethnografie zeigt. Die Forschungen zeigen die Komplexität und Vielschichtigkeit der diskutierten Konzepte auf, die sich nicht auf vereinfachende Prozessbeschreibungen oder Entwicklungen reduzieren lassen. Entsprechend macht der Beitrag von Linda M. Mülli in diesem Band deutlich, dass eine zunehmende Prekarisierung nicht nur auf gesellschaftlich schwache Gruppen, sondern ebenso auf privilegierte Akteure zutreffen kann: So nehmen junge ArbeitnehmerInnen in den Vereinten Nationen prekäre Beschäftigungen in Kauf, in der Hoffnung einen gut bezahlten Beruf in der internationalen Organisation zu erreichen. Durch diese Form privilegierter Prekarisierung, die viele NGO-Expatriate-Tätigkeiten kennzeichnen, sind diese Berufe von vornherein nur für Gruppen mit hohem sozio-ökonomischen Kapitel zugänglich. Der Wandel der Arbeitswelt lässt sich mit dem Konzept des »Postfordismus« beschreiben: Im Gegensatz zum früheren Arbeitsparadigma des »Fordismus« (vgl. einführend Götz 2015; Seifert 2004) tritt an die Stelle von Kontrolle und Zwang, versinnbildlicht im Leitbild der Fließarbeit, bei der zunehmend immateriellen Arbeit die selbstständige Arbeitsorganisation (Subjektivierung von Arbeit). Insbesondere arbeitssoziologische Studien und die ethnografische Arbeitskulturenforschung haben zu diesen Themen zahlreiche empirische Untersuchungen vorgelegt, etwa zur Veränderung der Arbeit von Angestellten in Unternehmen und Behörden, in der Kreativ- und Wissensarbeit.
Erscheinungsdatum | 07.02.2020 |
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Reihe/Serie | Arbeit und Alltag ; 17 |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 141 x 214 mm |
Gewicht | 373 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Mikrosoziologie |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Spezielle Soziologien | |
Schlagworte | Arbeit • Arbeitsalltag • Arbeitskulturen • Digitalisierung • Entgrenzung • Prekarisierung |
ISBN-10 | 3-593-51155-X / 359351155X |
ISBN-13 | 978-3-593-51155-9 / 9783593511559 |
Zustand | Neuware |
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