Die Politische Ökonomie des Populismus (eBook)
160 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75994-3 (ISBN)
Populismus ist ein vielgestaltiges Phänomen. Mal ist er rechts, mal links; mal artikuliert er Protest gegen offene Märkte, mal wendet er sich gegen Migration. Auch in der geografischen Verteilung zeigt er sich variantenreich: In Südeuropa dominiert der Links-, in Nordeuropa der Rechtspopulismus. Philip Manow entwickelt eine vergleichende Erklärung für dieses zunächst widersprüchlich erscheinende Bild. Den Ausgangspunkt bilden die jeweiligen wirtschaftlichen Wachstumsmodelle, die Verfasstheit von Arbeitsmarkt und Sozialstaat, kurz die jeweiligen Politischen Ökonomien. Es zeigt sich: Wer vom Populismus reden will, aber vom Kapitalismus nicht, landet immer nur bei Identitätspolitik - und wird dann unweigerlich selbst Partei im Streit.
Philip Manow , geboren 1963, ist Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politische Ökonomie an der Universität Siegen. In der edition suhrkamp erschien zuletzt <em>Unter Beobachtung. Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde</em> (es 2796).
Philip Manow, geboren 1963, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen.
262. Populisten vs. Elite, Elite vs. Populisten
2.1 Eine hitzige Debatte
Bei den Diskussionen, die momentan unter dem Oberbegriff »Populismus« geführt werden, gewinnt man mitunter den Eindruck, hier gäben vornehmlich Repräsentanten der Oberschicht zu Protokoll, wie sehr sie mittlerweile von der Unterschicht angewidert sind. Denn die wählt doch tatsächlich anders, als ihr vorher – natürlich nur mit den allerbesten Absichten und mit sehr viel guten Gründen – nahegelegt wurde: für das wirtschaftlich verheerende und komplett irrationale Leave statt für das vernünftige Remain; für einen Troll als Präsidenten statt für eine erfahrene und seriöse Profipolitikerin; für den Rückfall in solche Atavismen wie Abschottung, Nationalismus und »Unmenschlichkeit« statt für Weltoffenheit, die Vereinigten Staaten von Europa und »Mitmenschlichkeit«. Aber was tun, wenn die Leute nicht wählen, wie sie sollen? Zur Rettung der Demokratie die Wahlen abschaffen (Van Reybrouck 2017) oder einfach die Idioten von ihnen ausschließen (Brennan 2017)? Für die US-Demokraten sollen Trumps Russlandverbindungen den Weg zum Impeachment ebnen, um auf diesem Weg den historischen Irrtum des amerikanischen Volkes zu korrigieren, Hillary Clinton nicht zur Präsidentin gewählt zu haben. Man fragt sich bisweilen, wer genau hier eigentlich gerade dabei ist, jegliche Rücksicht aufzugeben – die Populisten oder ein sich selbst als »liberal« etikettierendes Milieu, das inzwischen seinerseits dem Kokettieren mit Tyrannenmorderzählungen und anderen politischen Gewaltfantasien eini27ges abgewinnen kann (Bromwich 2017)? Oder beide zusammen?
Die Definition von »populistisch« als beliebte Bezeichnung für einen Politiker, der eine andere Meinung vertritt, hat angesichts dieser Diskussionslage weiterhin viel für sich. Das ist im Wesentlichen ein Vorschlag zur sofortigen Beendigung der Debatte – aber dann würden wir auch nicht danach fragen können, warum die politische Auseinandersetzung zuletzt so hitzig und polarisiert geworden ist und was den Aufstieg eines neuen Parteientyps, der »dem Establishment« den Kampf ansagt, erklären kann. Deswegen ist eine Erörterung des populistischen Phänomens trotz allem vordringlich. Dabei ist ein alternativer Definitionsvorschlag, auf den sich zuletzt fast alle einigen zu können scheinen und der verspricht, den Populismusbegriff nicht lediglich als politischen Kampfbegriff zu nutzen, von Jan-Werner Müller formuliert worden. Müller schlägt vor, Populismus rein formal zu verstehen, also unabhängig von jeglicher inhaltlichen Ausrichtung. Er stellt dabei auf den moralischen Alleinvertretungsanspruch der Populisten ab, ihren offensichtlichen Antipluralismus, wenn sie das wahre (und reine) Volk, zu dessen authentischen Sprechern sie sich zuvor selbst ernannt haben, den korrupten, völlig losgelösten Eliten gegenüberstellen.
Für Müller ist daher klar: »beim Populismus geht es nicht um politische Inhalte« bzw. »Populismus ist immer eine Form der Identitätspolitik« (Müller 2017 [2016], S. 93, S. 3)1 – »wir gegen sie«, aber eben eine Form der Identitätspolitik, die dem anderen die Legitimität grundsätzlich abspricht. Müller folgt dabei ausgewiesenen Experten für die neuen populistischen Parteien wie Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser, die in diesem Zusammenhang von einer »dünnen Ideologie« sprechen, von einem »Satz an Ideen, die in Verbin28dung mit recht verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Ideologien auftreten«, und feststellen, Populismus sei »unverbunden mit der Links/rechts-Unterscheidung« (Mudde/Kaltwasser 2017, S. 6).2 Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, meint, dass es sich beim Populismus um eine Strategie handelt, »die mit nahezu jeder beliebigen inhaltlichen Ausrichtung kombiniert werden kann. […] [A]n den konkreten politischen Zielen kann man eine populistische von einer nicht-populistischen Bewegung also nicht unterscheiden« (Voßkuhle 2017). Diese Sicht hat sich offensichtlich schon so weit durchgesetzt, dass bei aller verbleibenden Unklarheit über das populistische Phänomen doch zumindest das als sicher und völlig unkontrovers gelten soll: »Unbestreitbar ist allein, dass der Populismus mehr Form als Inhalt ist und mehr Stil als Programm« (Joppke 2017).
Aber ist dem wirklich so? Was leistet der Vorschlag, Populismus allein als Antipluralismus zu fassen, als Kennzeichnung einer besonderen Intensität politischer Ausgrenzungsrhetorik zu verstehen? Läuft das nicht Gefahr, lediglich für eine »Verschiebung der Streitgegenstände ins gleichsam Musische« (Dietmar Dath) zu sorgen? Wenn man meint, Populismus sei »mehr Form als Inhalt, mehr Stil als Programm« (vgl. Moffit 2016), wird die Kritik an ihm zur reinen Stilkritik: Ein pikiertes Bürgertum möchte, dass die Ungewaschenen sich doch bitte erst mal waschen, bevor sie artig am Diskurstisch Platz nehmen dürfen. Dass man, solange das nicht geschieht, auch über ihre Inhalte nicht weiter zu sprechen braucht, ist dann ja nur ein ganz angenehmer, aber natürlich völlig unbeabsichtigter Nebeneffekt. Aber damit dementiert sich die antipluralistische Definition nur andauernd selbst. Ihre Suggestion, »Komm zurück, wenn der Schaum vorm 29Mund weg ist, dann können wir über alles reden«, erscheint primär als ein Instrument der Selbstberuhigung und Auspolsterung bürgerlicher Sekurität und spielt im Kern die diskursiven Ausgrenzungsstrategien der Populisten nur zurück – der inflationäre Populismusvorwurf als Abwehrreflex eines Milieus, das seine Diskurshegemonie schwinden sieht (vgl. Stegemann 2017, S. 31).
Notwendig ist stattdessen ein substanzielles Konzept, das dann auch Fragen nach der Varianz zu beantworten hätte, also nach den Gründen, warum der Populismus hier so, etwa rechts, und dort anders, etwa links, auftritt. Denn der Populismus ist ja eben nicht, wie Mudde und Kaltwasser meinen, unverbunden mit links oder rechts. Das so zu sehen ist meines Erachtens analytisch unpräzise. Er ist vielmehr – so zumindest meine These – aus systematischen und nicht nur zufälligen Gründen manchmal auf der linken und manchmal auf der rechten Seite des politischen Spektrums verortet. Wenn man beginnt, nach den Ursachen für diese Unterschiede zu fragen, sich also auf die politischen Inhalte einlässt, wird es vielleicht möglich sein, ein besseres Verständnis dieses zunehmenden politischen Protestverhaltens zu entwickeln (siehe Kapitel 3).
2.2 Die Ungewaschenen
Das Absehen von den inhaltlichen Positionen und das alleinige Abstellen auf die Ausgrenzungsrhetorik der Populisten mag zunächst den Vorteil haben, den Populismusbegriff aus dem direkten Streit herauszuhalten, bedeutet aber eben zugleich auch, dass man es sich erlaubt zu ignorieren, um was es eigentlich politisch genau geht, wie die Positionen ausse30hen und warum. Das ist zumindest kompatibel mit der in dieser Debatte vorherrschenden Haltung, dass den populistischen Positionen die Unvernunft ohnehin so offensichtlich innewohnt, dass darüber kein weiteres Wort zu verlieren sei – was nichts anderes ist als die Selbstdementierung des pluralistischen Plädoyers, mit dem man zuvor hantiert hatte, um überhaupt erst ein Konzept des Populismus zu gewinnen. Insbesondere vermeidet man es so, grundlegende Verteilungs- und Knappheitsfragen zu thematisieren, etwa Fragen nach den Gewinnern und Verlierern von »Weltoffenheit und Mitmenschlichkeit«, Fragen, die zu stellen eine Mittelschicht nicht länger für schicklich hält, in deren lebensweltlicher Realität Knappheit nicht mehr prominent vorkommt.
Zumindest scheint die Beobachtung nicht völlig irrelevant, und das ist jetzt überhaupt nicht zynisch gemeint, dass emphatische Bekenntnisse zu maximaler kosmopolitischer Moral stabil mit gewissen sozioökonomischen Eigenschaften derer korrelieren, die solche Positionen vorzugsweise vertreten – »die Wohlmeinenden und die Wohlhabenden« (Bernd Stegemann). Und umgekehrt sind sie eher selten unter denjenigen anzutreffen,...
Erscheint lt. Verlag | 12.11.2018 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
Schlagworte | AfD • Brexit • Die Linke • Donald Trump • edition suhrkamp 2728 • ES 2728 • ES2728 • Fratelli d'Italia • Giorgia Meloni • Hugo Chávez • Katja Kipping • Linkspopulismus • Oskar Lafontaine • Populismus • Rechte Allianz • Rechtspopulismus • Rechtsruck • Sahra Wagenknecht • Wolfgang Streeck |
ISBN-10 | 3-518-75994-9 / 3518759949 |
ISBN-13 | 978-3-518-75994-3 / 9783518759943 |
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