Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde (eBook)
368 Seiten
Herbert von Halem Verlag
978-3-86962-275-0 (ISBN)
Stephan Russ-Mohl ist Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Università della Svizzera italiana in Lugano/Schweiz und leitet das European Journalism Observatory. Von 1985 bis 2001 war er Publizistik-Professor an der FU Berlin. Er studierte Sozial- und Verwaltungswissenschaften an den Universitäten München, Konstanz und Princeton. Der Autor hat zeitweise in den USA und in Italien gelebt und mehrfach, zuletzt im Sommer 2015, Forschungsaufenthalte an der Stanford University in Kalifornien verbracht. Über Medien und Journalismus schreibt er regelmäßig für die Neue Zürcher Zeitung sowie als Kolumnist für den Tagesspiegel und für Branchenpublikationen.
Stephan Russ-Mohl ist Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Università della Svizzera italiana in Lugano/Schweiz und leitet das European Journalism Observatory. Von 1985 bis 2001 war er Publizistik-Professor an der FU Berlin. Er studierte Sozial- und Verwaltungswissenschaften an den Universitäten München, Konstanz und Princeton. Der Autor hat zeitweise in den USA und in Italien gelebt und mehrfach, zuletzt im Sommer 2015, Forschungsaufenthalte an der Stanford University in Kalifornien verbracht. Über Medien und Journalismus schreibt er regelmäßig für die Neue Zürcher Zeitung sowie als Kolumnist für den Tagesspiegel und für Branchenpublikationen.
Inhalt
Vorwort
I. Die Pest der Desinformation
1. Fake News als MedienHype – eine erste Tour d'horizon
1.1 Varianten von Fake News und Desinformation
1.2 Kein neues Problem? Journalisten als Scharlatane und Schelme
1.3 Journalisten als Opfer von Manipulation
1.4 Die neue Dimension: Regierungsoffizielle Lügengeschichten in Serie
1.5 Fake News über Fake News
1.6 Von der Aufklärung zurück in die Unwissenheit?
2. Von der Aufmerksamkeitsökonomie zur desinformierten Gesellschaft?
2.1 Die Karriere zweiter Zitate: Niklas Luhmann und Stewart Brand
2.2 Auf den Schultern anderer Riesen: Georg Franck und die Verhaltensökonomen
2.3 Die Vorder- und die Hinterbühne in der Aufmerksamkeitsökonomie
2.4 Wie der Journalismus im Bermuda-Dreieck verschwindet
2.5 Auf dem Weg in die desinformierte Gesellschaft
II. Trends
3. Trend eins: Jahrzehntelang ignorierte Vertrauensverluste im Journalismus
3.1 Die Datenlage: Glaubwürdigkeit und Ansehen des Journalismus schwinden
3.2 Rückblende: Selbstvertrauen bei den Medienmachern – Skepsis beim Publikum
3.3 Übermacht der PR-Branche – Entmachtung des Journalismus?
3.4 Schwindende Grenzen zwischen PR und Journalismus
3.5 Kontrollillusion der Journalisten gegenüber PR-Experten
3.6 PR verdrängt obendrein Werbung
3.7 Bedeutungsverlust von Journalismus für die Öffentlichkeitsarbeit
4. Trend zwei: Beschleunigung durch Digitalisierung
4.1 Die neuen Möglichkeiten der Vernetzung
4.2 Neuerlicher Relevanz-Verlust des Journalismus
4.3 Echokammern: Algorithmen als Verstärker
4.4 Social Bots im Vormarsch
4.5 Einbettung in den grösseren gesellschaftlichen Kontext
III.Befunde: Die verlorene Unschuld des Mainstream-Journalismus
5. Elitenarroganz und Elitenkonsens
6. Systemversagen, Grauzonen, Entschuldbare Fehler
6.1 Panoptikum krasser Fehlleistungen
6.2 Grauzonen des Journalismusversagens
6.3 Entschuldbare Fehler
7. Eigentore
7.1 Perzipierte und ›tatsächliche‹ Probleme: Medienhypes
7.2 Tabus und mediale Unterbelichtung von Themen: Zum Beispiel die Mafia
7.3 Sprache und Framing
7.4 Un-Statistiken und Datensalat
7.5 Content Marketing und Native Advertising
7.6 Die vernachlässigten ›drei C‹
7.7 Verspielter öffentlich-rechtlicher Kredit
8. Die Rückkehr autoritärer und feudaler Herrschaft
8.1 Das Auftrumpfen der Autokraten: Putin und Erdogan
8.2 Der Durchmarsch der Populisten: Trump, Le Pen, Grillo und die AfD
8.3 Die Wiederkehr der Medienbarone: Viele kleine Murdochs und Berlusconis
8.4 Die überwölbende Struktur: Das neue globale Feudalsystem der IT-Giganten
IV. Was tun? Möglichkeiten des Gegensteuerns
9. Ökonomische Anreize, politische Regulierung, Medienerziehung
9.1 Ökonomische Hebel: »Money makes the world go around«
9.2 Die stumpfe Waffe: Staatliche Regulierung und Finanzierung
9.3 Die Langfrist-Strategie: Medienerziehung
10. Die Medienindustrie in der Pflicht? Co- und Selbstregulierung
10.1 Die Vielfalt der Faktencheck-Initiativen
10.2 Ko-Regulierung: Die Schlüsselrolle und die Verantwortung der Plattformen
10.3 Besinnung auf alte professionelle Tugenden
10.4 Konturen des neuen Journalismus
10.5 Fortschritte im Umgang mit den ›drei C‹?
11. Allianz für die Aufklärung: Ein Bündnis von Journalismus und Wissenschaft?
11.1 Die Win-win-Strategie in der Bedrängnis: Kräfte bündeln
11.2 Gegenläufige Trends: Professionalisierung versus Prekarisierung
11.3 Die Sondersituation: Medienforschung und Journalismus
11.4 Das Kooperationspotenzial – realistisch eingeschätzt
11.5 Netzwerke und Selbstorganisation als Chance
12. Schlussakkord: Wir alle ALS TÄTER UND OPFER?
12.1 Die Grenzen ›rationaler Ignoranz‹
12.2 Wer zahlt für den ›neuen‹ Journalismus? Ein Hoffnungsschimmer
12.3Der ›Schizo‹ in uns und die gestufte Verantwortung
Anhang
Personenregister
Literatur
VORWORT
Zwei Anspielungen sind mit dem Titel dieses Buches verbunden: Im Jahr 1945 hat der Philosoph Karl Popper seine Schrift Die offene Gesellschaft und ihre Feinde publiziert, und damit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gedanklich jenen Demokratien und Marktwirtschaften im westlichen Europa den Weg bereitet, die – für die damaligen Zeitgenossen kaum vorstellbar – in erstaunlich kurzer Zeit sich wie Phönix aus Schutt und Asche erhoben haben, die der Nazi-Größenwahn in Europa hinterlassen hatte (POPPER 1980).
So, wie sich die ›Dinge‹, soll heißen: Politik, Journalismus und die öffentliche Kommunikation in unserem Gemeinwesen derzeit entwickeln, ist diese offene Gesellschaft gefährdet. Zu ihren Feinden zählen explizit Populisten und Propagandisten, welche die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung und der sozialen Netzwerke zu nutzen versuchen, um im öffentlichen Raum mit Fake News, mit Konspirationstheorien, mit Halb- und Viertelwahrheiten zu ›punkten‹ oder Verwirrung zu stiften.
Diejenigen, die mit Desinformation entweder kommerziell oder machtpolitisch Gewinne erzielen, sind nicht nur Feinde der offenen, sondern auch der informierten Gesellschaft. Womit wir zur zweiten Anspielung kommen: Der Informatik-Professor Karl Steinbuch hat 1966 ein Buch zur Zukunft der Nachrichtentechnik veröffentlicht, und zwar noch im Frühstadium der Informationstechnologie. Es zeichnete sich seinerzeit bereits ab, wie revolutionär Computer und Kybernetik die Gesellschaft verändern würden. Der Titel lautete Die informierte Gesellschaft. Steinbuchs nachfolgender Bestseller Falsch programmiert war dann der Frage gewidmet, wie miserabel die bundesdeutsche Politik und Wirtschaft auf die seinerzeitige technologische Revolution vorbereitet waren (STEINBUCH 1966 und 1968).
Beides sind Aspekte, die uns rund 50 Jahre später als Folge des nächsten Schubs in der Informationstechnologie neuerlich auf den Nägeln brennen. Und sie sind Gegenstand dieses Buchs, das sich freilich weniger mit der Informationstechnologie selbst als mit deren Folgen auseinandersetzt – mit dem Internet, der Digitalisierung, den Suchmaschinen und den sozialen Netzwerken sowie deren Auswirkungen auf den Journalismus und die öffentliche Kommunikation.
ÜBERBLICK ZUM BUCH
Die vorliegende Schrift Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde thematisiert, wie wir im Begriff sind, die Glaubwürdigkeit unserer Medien und damit die Essenz unserer Demokratie zu verspielen – als ungeplante Nebeneffekte der Digitalisierung, aber auch als Folge langfristiger Machtverschiebungen zwischen Journalismus und Public Relations sowie von pubertärer Hybris der weltumspannenden Internet-Konzerne.
Ob wir gerade eine Zeitenwende durchleben, mögen in ein paar Jahrzehnten die Historiker entscheiden. Unstrittig dürfte sein, dass wir es mit einer Zeitverschiebung zu tun haben: Es ist nicht mehr fünf vor, sondern fünf nach zwölf Uhr – im Blick auf die Vertrauensverluste der Mainstream-Medien1 und der europaweiten, anti-europäischen populistischen Erfolge, wie sie sich im britischen Brexit-Votum und der brachialen Exit-Strategie von Theresa May, in der Abwahl des linken wie des rechten Parteienestablishments in Frankreich, im Stimmenzuwachs für die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, im derzeit etwas gebremsten Aufstieg der AfD in Deutschland sowie – nicht zuletzt – in der Wahl von Donald Trump widerspiegeln. Es besteht akuter Handlungsbedarf im Kampf gegen Desinformation. Auch was sich auf ganz verschiedenen Ebenen von ganz unterschiedlichen Akteuren tun ließe, thematisiert dieses Buch.
Es ist in den letzten Monaten andererseits viel, vielleicht ja bereits zu viel und wahrscheinlich auch fast alles gesagt worden, was es über Falschnachrichten und Desinformation zu sagen gibt. Braucht es also dieses Kompendium überhaupt noch?
Es gibt mehrere triftige Gründe, die das Projekt rechtfertigen:
•Forscher haben zwar Themen wie die digitale Disruption, Echokammern und Social Bots in sozialen Netzwerken oder Nachrichtenauswahl durch Algorithmen inzwischen entdeckt, aber in der breiten Öffentlichkeit sind deren Facetten und Folgen noch kaum angekommen.
•Laura H. Owen vom Nieman Journalism Lab trifft den Nagel auf den Kopf: »Wenn man nur mal für ein verlängertes Wochenende offline geht, entgeht einem in den USA schon eine ganze Flut von neuen Umfragen, Studien und Artikeln über The Way We Media Now (OWEN 2017). Wer die Medienwelt und die Medienforschung in Europa beobachtet, hat sich mit weiteren solchen Flutwellen auseinanderzusetzen, die dann freilich in den USA so gut wie niemand zur Kenntnis nimmt. Es galt, eine geradezu überbordende Materialfülle zu sichten, zu ordnen, sich einen Überblick zu verschaffen – und das eigentlich täglich von Neuem.
•Medienforscher und Journalisten leben zunehmend in Parallelwelten. Was die eine Seite zur Diskussion beiträgt, bleibt auf der anderen Seite meist ungehört. Da sind die Features und Leitartikel, die Online-Kommentare oder Communities, in denen Medienpraktiker die Diskussion befeuern. Und da sind die Ergebnisse und Erkenntnisse der Medienforschung, die inzwischen meist in hochwissenschaftlichen Journal-Artikeln auf Englisch publiziert werden – fernab der medialen Windmaschinen. Dieses Buch versucht, in der Tradition Frank Schirrmachers Erkenntnisse von Medienforschern und Beobachtern aus der Medienpraxis zusammenzuführen, zu verdichten, aber auch in ihrer bunten Vielfalt zu veranschaulichen. (SCHIRRMACHER 2009) Damit das gelingt, sind immer mal wieder Rückblenden nötig, und vermutlich wird es einige Medienpraktiker schmerzen, wenn ihnen der Spiegel vorgehalten wird und sie daran erinnert werden, was sie hätten wissen können, wenn sie Medienforschern aufgeschlossen zugehört hätten (vgl. Kap. 4, 6 und 7).2
•Viele Einzelbefunde alarmieren bereits für sich genommen. Aber wohl erst in der Zusammenschau werden die Risiken und Nebenwirkungen moderner Kommunikationstechnologien und die Neuverteilung ökonomischer, politischer und publizistischer Macht für unser Gemeinwesen erkennbar. Dieser Überblick kann allerdings angesichts der Materialfülle bei weitem keine ›Gesamtschau‹ sein. Sichtbar wird, was die Forschungsleistungen anlangt, nur die Spitze des Eisbergs: Bisher kümmern sich eine Handvoll von Forschungsinstituten und Fachzeitschriften kontinuierlich um Visibilität außerhalb des Wissenschaftsbetriebs, vor allem im angelsächsischen Raum, zum Beispiel das Pew Research Center, das Nieman Lab der Harvard University, das Tow Center for Digital Journalism oder das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Was all die anderen weltweit betrifft, bedürfte es schon eines ganzen Teams von journalistisch versierten Doktoranden, um jenen Teil des Eisbergs für die Medienpraxis zu erschließen, der bisher unterhalb der Wasseroberfläche verblieben ist (vgl. Kap. 11).
•Weiterhin baut diese Studie Brücken über Disziplingrenzen hinweg und bereichert die Diskussion um ökonomische und sozialpsychologische Einsichten, insbesondere um Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie (z. B. KAHNEMAN/TVERSKY 2000; ARIELY 2008; THALER 2015). Denn es gilt ja weiterhin, was Isaac Newton bereits bewusst war und der Soziologe Robert K. Merton uns dankenswerterweise in Erinnerung gerufen hat: Als Forscher sitzen wir stets auf den Schultern von Riesen (MERTON 1983). Meist sind das die Vordenker des eigenen Fachs. Über Jahrzehnte hinweg waren in der deutschen Kommunikationswissenschaft die drei prägenden Säulenheiligen Jürgen Habermas, Niklas Luhmann und Elisabeth Noelle-Neumann.3 Zu befürchten ist indes, dass die Sicht auch in lichter Höhe begrenzt ist und durch den Aktionsradius der jeweiligen Riesen eingeschränkt bleibt, wenn man es sich stets auf den Schultern derselben Vordenker bequem macht. Deshalb haben wir uns für einen ›anderen‹ Ausguck entschieden (vgl. Kap. 2).
•Interdisziplinäre Forschung ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil sich neue Horizonte erschließen, wenn man gelegentlich die Position wechselt.4 Wer in der Tradition von Ökonomen und Sozialpsychologen gesellschaftliche Entwicklungen primär als kumulatives Ergebnis mehr oder weniger rationaler und auch mehr oder weniger eigeninteressierter individueller Entscheidungen und Verhaltensmuster zu begreifen versucht, dem eröffnen sich andere Einsichten als beispielsweise Systemtheoretikern. Solches ›Fremdgehen‹ wird von Mainstream-Wissenschaftlern allerdings nicht gern gesehen. Wer interdisziplinär arbeiten möchte, geht das Risiko ein, in keiner Disziplin mehr ›richtig‹ zu Hause zu sein und spätestens beim nächsten Antrag auf Forschungsmittel abgestraft zu werden, weil ein Gutachter querschießt – und das reicht ja meistens schon aus, um ein Projekt zu liquidieren.
•Außerdem hat sich der Verfasser über Jahrzehnte hinweg...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2017 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Kommunikation / Medien ► Journalistik |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Aufklärung • Aufmerksamkeitsökonomie • Desinformation • Digitalisierung • Fake-News • Faktencheck • Fehlleistung • Journalismusversagen • Journalisten • Medienhype • Medienindustrie • PR • Professionalisierung • Relevanz |
ISBN-10 | 3-86962-275-X / 386962275X |
ISBN-13 | 978-3-86962-275-0 / 9783869622750 |
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