'Es gibt noch viel zu tun ...' -  Ariane Rüdiger

'Es gibt noch viel zu tun ...' (eBook)

Wie Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Intersexuelle und Queers um ihre Rechte kämpfen und dabei die Gesellschaft verändern. 36 Interviews
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2017 | 1. Auflage
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978-3-89656-638-6 (ISBN)
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Zwar werden die Medien nicht müde, homosexuelle Prominente zu porträtieren, doch wie sieht's aus mit den Helden und Heldinnen, Pionieren und Pionierinnen, Aktivisten und Aktivistinnen, Machern und Macherinnen im lesbisch-schwulen Alltag? Also eben nicht die Anne Wills und Hape Kerkelings, sondern Leute, die an der Basis arbeiten? Die Generation derer, die mit ihrem Engagement zu diesen Veränderungen beitrugen, kommt ins Rentenalter und verschwindet aus dem Blickfeld ihrer Zeitgenoss_innen. Durch die Veränderungen, zu denen auch der Siegeszug der sozialen Medien und des Internets gehört, wird die LGBTIQ-Welt zukünftig von den Ideen und Projekten jüngerer Menschen geprägt werden, die anders sozialisiert sind, mit anderen Medien kommunizieren und häufig der Identitätspolitik der 70er und 80er kritisch gegenüberstehen. Die Autorin und Fachjournalistin Ariane Rüdiger stellt ihren 36 Interviewpartner_innen die Frage nach der Kontinuität des Szenelebens, dem Dialog der Generationen und ihren Visionen für die Zukunft.

geboren 1958, viele Ausbildungen, z.B. als Beinahe-Juristin, Dolmetscherin, Journalistin, Umweltberaterin und Webdesignerin, ehe sie Belletristik zu schreiben begann. Sie lebt in München, wo sie auch als freiberufliche Fachjournalistin für Informationstechnik arbeitet.

Peter Hedenström


Mitgründer der Buchhandlung Prinz Eisenherz sowie der HAW in Berlin

Peter Hedenström, Jahrgang 1948, gehört zu den Pionieren der schwulen Emanzipationsbewegung. Er arbeitete von Anfang an in der HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin) mit und gehörte später zu den Gründern der Berliner schwulen Buchhandlung Prinz Eisenherz. Heute steht er vor der Pensionierung – die aber bei Hedenström nicht mit einem Ruhestand verwechselt werden darf. Schließlich gibt es für Schwule (und Lesben) noch immer genug zu tun.

In erster Linie bist du als Mitgründer der schwulen Buchhandlung Prinz Eisenherz in Berlin bekannt. Aber was war vorher, wie bist du überhaupt nach Berlin gekommen?

Fangen wir doch ganz von vorn an. Geboren bin ich am 20.4.1948 in Lübeck. Meine Eltern stammen aus dem Baltikum. Ich war Jüngster von vier Geschwistern, mein Vater war Architekt. Er hat beim Amt für Flüchtlingsfragen gearbeitet und Aussiedlerhöfe entworfen. Meine Mutter war Hausfrau. In Lüneburg, wo ich mein Abitur gemacht habe, hatte ich eine etwas ältere, politisch sehr engagierte Freundin, die eigentlich die Freundin meiner älteren Schwester war. Durch diese Freundin und ihren Mann, die wegen ihrer politischen Ansichten im ansonsten eher biederen Lüneburg überall aneckten, wurde auch mein politisches Interesse geweckt. Wir hatten einen Lesekreis, in dem heftigst diskutiert wurde, oft bis in die Nacht hinein. Wir waren immer Außenseiter in Lüneburg.

Fiel dein Coming-out auch schon in diese Zeit?

Nein, das hatte ich in Göttingen, wo ich nach dem Abi mit dem Studium der Germanistik und Publizistik begann, ohne meinen alten Freundeskreis aufzugeben. Mein Vater wollte, dass ich traditionsgemäß in eine schlagende Verbindung eintreten sollte, aber da habe ich mich geweigert. Dort, in Göttingen, habe ich jemanden dabei beobachtet, der mir auf dem Fahrrad hinterherguckte, das war das erste Mal, dass ich bewusst so was wie Homosexualität am Rande registrierte. Und irgendwann sind nichtschwule Freunde aus Göttingen mit mir nach Hamburg gefahren, in eine Schwulenkneipe. Da wusste ich dann: „Das ist es.“ Anschließend habe ich in Hamburg tatsächlich jemanden kennen gelernt, zu dem ich auch heute noch Kontakt habe. Wir schreiben uns ab und zu und laden uns zu großen Festen ein.

1969 bin ich, weil Freunde nach Berlin gegangen sind, auch dorthin gewechselt zum Studieren. Ich war in der Roten Zelle Germanistik, das war eine streng linke Organisation. Wir haben Flugblätter verteilt, Diskussionsrunden abgehalten und so. In einer Partei aber bin ich nie gewesen. Und sonst habe ich das Schwulsein studiert, nicht die Uni.

Das waren ja aufregende Zeiten …

Stimmt. Ziemlich schnell kam der Film von Rosa von Praunheim und Martin Dannecker Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. In Berlin gehörte ich schnell zum Freundeskreis um Manfred Salzgeber, der damals Mitbetreiber des Arsenal-Kinos war. Nach dem Praunheim-Film gab es sofort Treffen, wir wollten etwas machen. Ich gehörte dann zu den Gründern der HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin). Da waren viele Studenten, alle links. Und so konnte ich alles, was ich an Ideen und Weltveränderung im Kopf hatte, auch auf meine Sexualität beziehen.

Wie war damals das Verhältnis zu den Lesben?

Es gab auch eine HAW-Frauengruppe. Das ist aus heutiger Sicht vollkommen absurd. Die Frauen sagten irgendwann, es reicht, und dann wurde das LAZ (Lesbisches Aktionszentrum) gegründet. Die Frauen fühlten sich als Anhängsel, und das stimmte irgendwie auch, denn die HAW war männerdominiert.

Wie sahen denn die Strukturen aus?

Wir waren etwa 50 Aktive, es gab verschiedene Arbeitsgruppen: Aktionen, Selbsterfahrung etc., und ein wöchentliches Plenum. Die HAW war zeitintensiv und für viele eine Art Familienersatz. Wenn wir aus dem Urlaub zurückkamen, sind wir zuerst in die HAW gefahren statt in die eigene Wohnung.

Und welche Themen habt ihr beackert?

Thematisch ging es viel um § 175. Ich kann mich an eine Aktion erinnern, bei der wir am Kudamm eine Situation auf dem Arbeitsamt nachgestellt haben. An dem bekannten TUNIX-Kongress 19781 in der Freien Universität hat sich auch eine HAW-Gruppe beteiligt. Es gab verschiedene Gruppen, die sich teils auch nach politischer Zugehörigkeit ausrichteten, beispielsweise Leute in der SED-nahen SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlin), bei den Maoisten oder anderswo. Bei einer anderen Gelegenheit wurde der Praunheim-Film wieder aufgeführt. Und es gab Mitte der 70er in der TU-Mensa den ersten großen öffentlichen Ball von HAW und HAW-Frauengruppe. Da wurde versucht, nicht nur junges Publikum anzusprechen. Der erste Tanz war ein Walzer. Wunderbar!

Wie hat sich das alles mit deinem Studium vertragen?

Gar nicht. Ich habe das Studium abgebrochen, weil nun die Zeit der Projekte begann. Zunächst entstand Das andere Ufer, das erste schwule Lokal ohne Klingel mit offenen Schaufenstern in der Hauptstraße. Heute heißt dieses Lokal Neues Ufer. Außerdem gab es noch das Café Lila. Später gab es das Schwarze Café, wo ab und zu ein schwuler Abend gemacht wurde. Dann gründeten sich die ersten schwulen Medien: Die Schwuchtel, die Berliner Schwulenzeitung, der Verlag Rosa Winkel. Ich habe bei der Schwulenzeitung mitgemacht. Bei Rosa Winkel arbeitete ich mit Elmar Kraushaar und Volker Bruns zusammen.

Wie eng war der Kontakt zwischen Linken und Schwulen?

Rosa Winkel hat sich immer als linker Verlag verstanden. Bis in die 90er war klar, dass alle Bücher, die wir gemacht haben, in den linken Buchläden verkauft wurden. Es gab ein informelles linkes Kooperationsnetz, in das sich die einzelnen Projekte einfügten.

1978 gründeten wir dann den Buchladen Prinz Eisenherz. Der Name war eine Spontanentscheidung: Prinz Eisenherz war für uns wie das ideale Bild eines Traumprinzen. Anfangs arbeiteten dort sechs Leute halbtags, aber es zeigte sich, dass man eine Person braucht, die kontinuierlich zuständig ist. Weil ich schon relativ viel Verlags- und Medienerfahrung hatte, da Manfred Salzgeber in seinem Kino einen kleinen Buchladen hatte und ich außerdem die Büchertische der HAW gemacht habe, war ich prädestiniert und entschied ich mich dafür.

Wie liefen die Geschäfte damals? Gab es einen Markt für schwule Literatur, von dem ein Buchladen leben konnte?

Am Anfang war das was ganz Neues. Niemand hat geglaubt, dass man einen Laden nur mit Büchern für Schwule füllen konnte, aber das ging. Das Projekt war allerdings immer Selbstausbeutung, das merke ich an der Rente, die ich ab nächsten Monat bekomme, aber darüber hat man sich damals keine Gedanken gemacht. Heute würde man das nicht mehr so machen. Jeder zahlte etwas Geld in die dafür gegründete GmbH ein, und es ging irgendwie. Die Idee war, einen Ort zur Verfügung zu stellen, wo verschiedene Positionen sich darstellen konnten, also nicht nur eine Sicht zu zeigen. Wir waren dann vier Vollzeitleute.

Wie lief die Arbeit im Buchladen damals ab?

Wir haben viele Lesungen und Veranstaltungen organisiert. Es sind Initiativen vom Laden ausgegangen. Während der Filmfestspiele gab es das Nachtcafé bei Eisenherz, wo die Filme gezeigt wurden, für die auf dem Filmfest kein Platz war. Daraus ist dann die erste Verleihung des Teddy geworden, der heute ganz offiziell im Rahmen der Berlinale verliehen wird. So wurde zum Beispiel die Siegessäule bei Prinz Eisenherz gegründet und der erste Anstoß für Mann-o-Meter, das Infobüro, erfolgte ebenfalls bei uns. Außerdem wurden wir zu einer Art Informationsdrehscheibe in Sachen Aids. Das lag daran, dass ich genau zu der Zeit, 1983, als Aids ausbrach, in New York war.

Wir haben vieles in Gang gebracht. Auch über Pädophilie wurde diskutiert, aber naiver als heute. Damals ging die Diskussion zum Beispiel um die Altersgrenze. Die Indianerkommune war ein- oder zweimal im Laden, aber diese Leute wurden von allen gehasst, weil sie alle niederschrien. Es gab auch eine große Pornodebatte. Da stand Eisenherz von Anfang an auf der Seite: Wir stehen zur Pornographie. Diese Diskussion ist heute gegessen.

Wie habt ihr euch mit anderen Projekten vernetzt?

Wohin man sich persönlich vernetzt hat, lag an den eigenen Präferenzen. Ich fühlte mich damals und fühle mich noch immer der Linken zugehörig und habe heute noch zu zwei Frauen Kontakt, die bei Brot und Rosen2 waren. Der Buchladen hat mich voll absorbiert. Ich habe noch ein paar kleine Artikel in der Siegessäule geschrieben.

Der Prinz Eisenherz war ja damals rein schwul.

Wir hatten auch Lesbenliteratur. Es gab aber ab und zu Diskussionen, ob wir nicht ein schwul-lesbisches Projekt werden sollten, aber ich habe immer gesagt, ein schwul-lesbisches Projekt mache ich nur dann, wenn es wirklich paritätisch ist, auch hinsichtlich der Besitzverhältnisse, auch wenn sich einige Frauen nicht daran gestört hätten, ihre Literatur von einem Schwulen zu erstehen. Für mich wäre das nicht akzeptabel gewesen. Mein Vorbild war immer...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-89656-638-5 / 3896566385
ISBN-13 978-3-89656-638-6 / 9783896566386
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