Mohamed (eBook)

Spiegel-Bestseller
Eine Abrechnung
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2015 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43353-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mohamed -  Hamed Abdel-Samad
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Islamistischer Fundamentalismus und Intoleranz sind eine Folge der Überhöhung des Korans und des Menschen Mohamed. Erst wenn Muslime es wagen, Mohameds Unantastbarkeit in Frage zu stellen und ihn Mensch werden zu lassen, beginnt eine Reform des Denkens - erst wenn sie Mohamed als den schwierigen, widersprüchlichen, wohl auch kranken Menschen sehen, der er war. Abdel-Samad seziert mit dem Besteck des Psychologen die Weltreligion Islam: eine Familie mit übergroßer Vaterfigur.

Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 bei Kairo, studierte Englisch, Französisch, Japanisch und Politik. Er arbeitete für die UNESCO, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur der Universität München. Abdel-Samad ist Mitglied der Deutschen Islam Konferenz und zählt zu den profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Seine Autobiographie 'Mein Abschied vom Himmel' sorgte für Aufsehen: 'Was er von seinen Landsleuten erwartet, hat er selbst vorgemacht: Aufklärung durch Tabubruch.' ZDF-Aspekte

Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 bei Kairo, studierte Englisch, Französisch, Japanisch und Politik. Er arbeitete für die UNESCO, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur der Universität München. Abdel-Samad ist Mitglied der Deutschen Islam Konferenz und zählt zu den profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Seine Autobiographie "Mein Abschied vom Himmel" sorgte für Aufsehen: "Was er von seinen Landsleuten erwartet, hat er selbst vorgemacht: Aufklärung durch Tabubruch." ZDF-Aspekte

Kapitel 1


Mohameds Wiedergeburt

Warum die Biographie des Propheten geschrieben wurde

Um die Motive hinter dem Niederschreiben der Mohamed-Biographie zu verstehen, sollte man die Geschichte vom Ende her aufrollen. Der überraschende Tod des Propheten wirft zahlreiche Fragen auf, die von vielen muslimischen Theologen lieber umgangen werden. Und über die Art seines Ablebens allein gibt es schon unterschiedliche Versionen, die den jeweiligen Machtanspruch von Sunniten und Schiiten untermauern sollen.

In der anerkannten Hadith-Sammlung von al-Bukhari ist zu lesen, dass Mohamed mit hohem Fieber im Bett lag und behauptete, eine Jüdin habe ihm vergiftetes Lammfleisch serviert. Mohameds Frau Aischa berichtet: »Allahs Prophet sagte mir an seinem Sterbebett: ›Aischa, seit ich das vergiftete Fleisch konsumiert habe, hatte ich Schmerzen. Nun ist es Zeit, dass meine Schlagader wegen dieses Gifts durchbrochen wird.‹«[1]

Einen solchen Anschlag hat es vermutlich gegeben – allerdings bereits vier Jahre vor Mohameds Tod. Zum Zeitpunkt seiner Erkrankung lebten längst keine Juden mehr in Medina. Mohamed hatte dafür gesorgt, dass alle Juden in der Stadt und der näheren Umgebung entweder getötet oder von der arabischen Halbinsel vertrieben worden waren. Halluzinierte der Prophet? Oder war ein neuerliches Attentat auf ihn verübt worden? Sein enger Gefährte Ibn Mas’ūd war jedenfalls überzeugt, dass Mohamed ermordet wurde.[2]

Aber wer hätte Mohameds Mörder gewesen sein können? Und wer hätte von seinem Tod profitiert?

Kurz vor seiner mysteriösen Erkrankung hatte Mohamed Pläne geschmiedet, seine Armee zum zweiten Mal Richtung Byzanz zu senden. Zur Überraschung seiner engsten Vertrauten hatte er den erst 18-jährigen Osama Ibn Zaid zum Armeeführer ernannt. Mohameds Freund und Schwiegervater Omar war strikt gegen diese Ernennung gewesen; er sah sie als Beleidigung für all jene Kämpfer an, die Mohamed in den letzten Jahren zu großen Siegen verholfen hatten. Der neue Armeeführer galt als enger Vertrauter von Mohameds Cousin Ali, der wiederum als Anwärter auf die Nachfolge des Propheten galt. Mohamed war bereits über sechzig, führte mehrere Kriege gleichzeitig, dennoch hatte er noch keinen Nachfolger ernannt, der die Muslime nach seinem Tod führen sollte. Doch Mohameds Schwiegerväter und Weggefährten Abū Bakr und Omar sahen sich als die geigneten Kandidaten, die die Geschicke der Muslime nach dem Ableben Mohameds lenken sollten. Sie befürchteten, dass der Prophet den jungen Osama für diesen Posten ausgesucht haben könnte, um die Muslime auf die Ernennung seines jungen Cousins Ali als seinen Nachfolger vorzubereiten.

Als der Prophet plötzlich erkrankte, unter hohem Fieber und starken Kopfschmerzen litt, waren seine Gefährten um ihn versammelt. Niemand wusste, was mit ihm los war. Nach einer Weile fragte er nach Feder und Papier und sagte: »Ich will euch ein Dokument schreiben, damit ihr nach mir jegliche Verwirrung vermeidet.« Omar wurde unruhig und lehnte Mohameds Bitte ab: »Der Prophet ist viel zu krank, und wir haben bereits den Koran.« Es kam zum Streit im Hause des Propheten. Mohameds Onkel al-Abbas nannte es eine »Katastrophe«, dass Omar den Propheten daran hindern wollte, sein Testament zu schreiben. Verärgert schmiss Mohamed alle aus seinem Zimmer.[3]

Schiitische Gelehrte glauben, das Motiv hinter Omars Verhalten zu kennen: Der Prophet habe seinen Cousin Ali zu seinem Nachfolger ernennen wollen, was Mohameds Schwiegerväter Omar und Abū Bakr um jeden Preis verhindern wollten. Einige Schiiten gehen sogar noch einen Schritt weiter und behaupten, der Prophet sei von Abū Bakr und Omar vergiftet worden, damit sie die Macht unter sich aufteilen konnten. Sofern sie diesen Plan tatsächlich gehabt haben sollten – er ist aufgegangen: Abū Bakr setzte sich als erster Kalif nach Mohamed durch. Und nach ihm kam Omar an die Macht.

Mohamed hatte weder den Koran noch seine außerkoranischen Aussagen (Hadithe) in einem Buch gesammelt. Er sah sich nicht nur als den letzten Propheten, sondern ging offensichtlich davon aus, dass seine Sendung den Weltuntergang einleiten würde. »Er sagte einst: Meine Sendung und das Jüngste Gericht sind wie diese. Er streckte dabei seine Mittel- und Zeigefinger parallel zusammen.«[4] Vermutlich ist dies auch der Grund, warum er keinen Nachfolger ernannt hatte, der nach ihm die junge Gemeinde führen sollte. Zwar hatte Mohamed 6236 Verse des Koran und mehrere tausend unverschriftlichte Hadithe hinterlassen, aber die wichtigste Frage hatte er nicht beantwortet. Nämlich, nach welchen Kriterien ein künftiger Herrscher gewählt oder ernannt werden sollte. Ein Konflikt war damit vorprogrammiert.

Schon an jenem 8. Juni 632, dem Tag, an dem Mohamed laut muslimischen Historiographen überraschend starb, entbrannte ein Machtkampf zwischen verschiedenen muslimischen Fraktionen, die letztendlich zu einem Schisma führte. Jede Fraktion beanspruchte für sich nicht nur das Recht auf die Führung der Muslime, sondern auch die Deutungshoheit über Mohameds Vermächtnis. Dieser Streit um die Nachfolge war der Ausgangspunkt für die spätere Spaltung der Muslime in Sunniten und Schiiten. Die Minderheit der Schiiten beharrt bis heute darauf, dass der Herrscher in direkter Linie aus dem Hause des Propheten stammen muss. Die Sunniten dagegen erkennen drei Methoden für dessen Ernennung an: die Wahl durch Konsens der Gläubigen, die Übernahme der Macht durch Krieg oder die Erbfolgeregelung innerhalb einer Dynastie.

 

Im Machtvakuum nach dem Tod Mohameds rangen drei Gruppen um die Vorherrschaft: Angehörige von Mohameds Clan der Hashimiten, die in seinem Cousin Ali den legitimen Nachfolger sahen. Die Stämme von Medina, die Mohamed nach seinem Weggang aus Mekka beherbergt und die ihm zur Gründung seines Staates verholfen hatten, sahen sich ebenfalls berechtigt, Mohamed zu beerben. Außerdem strebte eine Koalition um Abū Bakr und Omar – beide frühe Gefährten und Schwiegerväter Mohameds –, unterstützt von einigen Stämmen aus Mekka, nach der Macht. Noch bevor Mohameds Leiche begraben wurde, traf sich ebendiese Koalition mit den Stämmen von Medina. Nur Mohameds Cousin Ali blieb dem Treffen fern. Omar drängte die Stämme, Abū Bakrs Herrschaft zu akzeptieren. Doch die sperrten sich, erst nach einem heftigen Streit lenkte die Medina-Koalition ein. Damit war die erste wichtige Hürde genommen. Aber um Abū Bakr als rechtmäßigen Kalifen vereidigen zu können, mussten auch Ali und seine Anhänger ihn anerkennen. Bei dem schiitischen Geschichtsschreiber al-Yaa’qūbi heißt es, man habe ihn dazu gezwungen: Omar sei zum Haus von Ali gegangen und habe dessen Frau Fatima (eine Tochter Mohameds) gedroht, das Haus in Brand zu setzen, wenn sie und ihr Mann die Herrschaft Abū Bakrs ablehnten. Es soll zudem zu einem Schwertduell zwischen Ali und Omar gekommen sein. Der Kampf sei zu Ende gewesen, als Alis Schwert zerbrach und Omar den Sieg für sich – und damit für den neuen Kalifen – reklamierte.[5] Alis Anhänger fühlen sich bis heute um das Erbe des Propheten betrogen. Während die Sunniten Abū Bakr und Omar als rechtgeleitete Kalifen verehren, sehen die Schiiten nur Ali als den einzigen rechtmäßigen Nachfolger Mohameds.

Der Prophet wurde erst drei Tage nach seinem Tod begraben – obwohl dies nach islamischer, aber auch nach altarabischer Tradition noch am Sterbetag erfolgen muss, nicht zuletzt wegen der klimatischen Bedingungen. Der Streit um die Nachfolge war jedoch offenbar so aufgeheizt, dass dies nicht möglich war. Einige seiner Anhänger hatten Mohamed gar nicht begraben wollen, weil sie dachten, er würde wie Jesus nach drei Tagen auferstehen und gen Himmel fahren.

Als sich die Nachricht vom Tod Mohameds in Arabien verbreitet hatte, versammelten sich zahlreiche Stammesführer vor dem Haus des Propheten. Sie wollten nicht glauben, dass dieser tot war. Abū Bakr sprach zu ihnen und beging einen fatalen Fehler. Er sagte: »Wer von euch Mohamed verehrt hat, Mohamed ist nun tot. Wer Allah verehrt, Allah stirbt nie.«[6] Für gewaltsam unterjochte Stämme, die den Islam nur aus Verehrung für Mohamed oder aus Angst vor ihm angenommen hatten, muss das wie ein Befreiungsschlag gewesen sein. In der Folgezeit fielen viele vom Islam ab, andere blieben ihrem Glauben treu, verweigerten Abū Bakr jedoch die Zahlung der Steuern, die sie Mohamed noch entrichtet hatten. Abū Bakr musste gegen die Abtrünnigen und Steuer-Verweigerer vorgehen und brauchte dafür ein klares Mandat. Im Koran selbst fand er allerdings keine dezidierten Aussagen, wie mit diesen Abweichlern zu verfahren war. Er selbst hatte keine Legitimation, neue Gesetze, die unter Umständen über Leben und Tod entschieden, einzuführen. Ich gehe davon aus, dass dies die Geburtsstunde der Hadithe war, Mohameds außerkoranischer Aussagen. Sie regeln in sehr viel stärkerem Maße Fragen des islamischen Rechts als der Koran. Viele Hadithe aus Abū Bakrs Herrschaftszeit stammen von Aischa, Abū Bakrs Tochter und Mohameds Witwe. Sie steuerte über 2200 Hadithe über ihren Alltag mit Mohamed und über sein Leben bei. Viele Regeln der Scharia sind auf ihre Erzählungen zurückzuführen. Seine anderen Ehefrauen haben entweder gar keine Hadithe über Mohamed überliefert oder nur ganz wenige. Seine Frau Zeinab etwa erzählte elf Hadithe, Safiyya nur neun.

Darüber hinaus gab es zwei weitere Hauptquellen des Hadiths in Abū Bakrs Zeit. Abū Huraira war eine von ihnen: ein Bettler aus der Fremde, der erst...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Biografie Bestseller • Biografie Islam • biografien berühmter persönlichkeiten • Biografie Religion • Biographie • Biographien berühmter Persönlichkeiten • Biographien bestseller • Erzählendes Sachbuch • historischer Mohammed • Islam • Islam Bücher • Islam Einführung • Islamismus • Islamkritik • Islam Kritik • Islam verstehen • Leben Mohammeds • Lebensgeschichten • Mohamed • Mohammed Biographie • Mohammed Leben • Muslime • Prophet • Psychogramm • Religionsgeschichte • Religion und Gesellschaft • Sachbuch Bestseller • Sachbuch Religion • Toleranz
ISBN-10 3-426-43353-2 / 3426433532
ISBN-13 978-3-426-43353-9 / 9783426433539
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