Das Bundesverfassungsgericht in Zeiten Großer Koalitionen: Kaltgestellter Vetospieler oder potenter Verfassungshüter? - Florian Rühmann

Das Bundesverfassungsgericht in Zeiten Großer Koalitionen: Kaltgestellter Vetospieler oder potenter Verfassungshüter?

Buch | Softcover
116 Seiten
2014
Diplomica Verlag
978-3-95850-795-1 (ISBN)
44,99 inkl. MwSt
Im politischen System der BRD kommt dem Bundesverfassungsgericht die Aufgabe zu, über die Einhaltung des Grundgesetzes zu wachen und konstitutionellen Grenzüberschreitungen des Gesetzgebers mit den Mitteln des Verfassungsrechts entgegenzutreten. Da hierzulande die richterlichen Möglichkeiten zur Normenkontrolle besonders stark ausgeprägt sind, steht das Karlsruher Gericht traditionell in einem ständigen Konkurrenzverhältnis zur Legislative.

Doch gilt dieser Befund auch für die Zeiten einer Großen Koalition? Oder verkleinert sich in diesem koalitionspolitischen Sonderfall der verfassungsgerichtliche Wirkungskreis, sodass das Bundesverfassungsgericht sein Machtpotenzial nicht mehr vollumfänglich abrufen kann? Schließlich nimmt in Zeiten einer Großen Koalition die Zahl potenzieller Antragsteller ab, sodass die konstitutionell verbrieften Normenkontrollrechte der Karlsruher Richterschaft den Regierenden weniger Schmerzen bereiten dürften. Wird das Bundesverfassungsgericht für die Dauer einer Großen Koalition also zu einem kaltgestellten Vetospieler?

Textprobe:
Kapitel III, Das Bundesverfassungsgericht als Vetospieler? Zur verfassungsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Stellung eines Staatsorgans:
Die vorangegangenen Untersuchungen haben gezeigt, dass auch Verfassungsgerichte über weitreichende Blockademacht im legislativen Prozess verfügen können. Gleichwohl fristen diese in der ursprünglichen Vetospieler-Konzeption eher ein Stiefmütterchendasein und werden in ihrem Einfluss auf das Policy-Making nur unzureichend erfasst. Durch das Konstrukt des bedingten Vetospielers erfährt der Ansatz von Tsebelis eine entscheidende Erweiterung, welche es erlaubt, die Verfassungsgerichtsbarkeit in sein Theoriegebäude zu integrieren und so deren Vetopotenzial adäquat abzubilden. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese theoretischen Annahmen auch auf das deutsche Verfassungsgericht zutreffen. Inwiefern diesem die Rolle eines Vetospielers im politischen System der Bundesrepublik Deutschland zukommt, soll daher im nachfolgenden Kapitel näher beleuchtet werden. Dazu müssen zum einen die staatsrechtlichen Grundlagen des Bundesverfassungsgerichts sowie seine verfassungsgerichtlichen Einflussmöglichkeiten zur Sprache kommen, zum anderen aber auch die kolportierte Zwitterstellung des Karlsruher Gerichts thematisiert werden, da sich dieses aufgrund seiner Funktionslogik im Spannungsfeld zwischen Recht und Politik bewegt. Letztlich soll in diesem Analyseabschnitt das Blockadepotenzial des Bundesverfassungsgerichts untersucht werden, um den Grad seiner Einflussmacht mit Hilfe der Vetospieler-Theorie einordnen und bewerten zu können.
1, Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im politischen System:
Das Bundesverfassungsgericht nimmt im deutschen politischen System die Rolle des obersten Verfassungshüters ein und gilt aufgrund dieser herausgehobenen Stellung gemeinhin als Schlussstein und Krönung des Verfassungsstaates. So bildet das Grundgesetz (GG) den für die Verfassungsrechtsprechung einzig gültigen Prüfungsmaßstab, nur auf die darin enthaltenen Normen kann sich das Karlsruher Gericht bei seiner Urteilsbegründung stützen. Allerdings unterscheidet sich Verfassungsrecht essentiell von einfachem Recht, das in der Rangfolge unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene liegt und sehr detailreich ausgestaltet ist. Verfassungstexte hingegen beinhalten kaum justiziell anwendbare Rechtsvorschriften und bedürfen stets einer weiteren Konkretisierung, was Verfassungsgerichten natürlich einen großen Interpretationsspielraum einräumt, der darüber hinaus auch zur eigenständigen Rechtsfortbildung genutzt werden kann. Mit seiner Befugnis zur Letztinterpretation des Grundgesetzes ist dem Bundesverfassungsgericht also die Auslegung ebenjener Fundamentalnorm anvertraut, die allem staatlichen Handeln als Grundlage, aber auch als Grenze dient. Schließlich verläuft der Rahmen für jeden Rechtsetzungsprozess entlang der roten Linie der Grundrechte, die der Gesetzgeber zu keiner Zeit überschreiten darf. Den politischen Gewalten der Exekutive und Legislative sind demnach Regeln auferlegt, die sie in ihrem Gestaltungsspielraum bewusst hemmen und über deren Einhaltung allein die Karlsruher Richterschaft wacht. In Deutschland ist damit im Gegensatz zu anderen Nationen die verfassungsgerichtliche Zähmung der Politik besonders stark ausgeprägt, was sich begrifflich im Primat der Verfassungssouveränität manifestiert. Neben diesem Souveränitätsverständnis, das der Verfassung den absoluten Vorrang einräumt, existieren noch zwei weitere Modelle, die als Legitimationsgrundlage staatlichen Handels herangezogen werden können. So gilt das politische System Großbritanniens als Beispiel für die Parlamentssouveränität, da die Exekutive traditionell keinen konstitutionellen Zwängen unterworfen ist und sich lediglich gegenüber der Abgeordnetenkammer zu verantworten hat. Mangels festgeschriebener Verfassungsnormen kann der Premierminister solange er über eine Parlamentsmehrheit verf

Erscheint lt. Verlag 4.12.2014
Sprache deutsch
Maße 155 x 220 mm
Gewicht 199 g
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Systeme
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Bundesverfassungsgericht • Bundesverfassungsgericht (BVerfG) • Verfassungsgerichtsbarkeit
ISBN-10 3-95850-795-6 / 3958507956
ISBN-13 978-3-95850-795-1 / 9783958507951
Zustand Neuware
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