Postliberalismus (eBook)

Zur Liberalismuskritik der politischen Philosophie der Gegenwart
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2014 | 1. Auflage
355 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-42536-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Postliberalismus -  Felix Böttger
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Die Unterscheidung zwischen »der Politik« und »dem Politischen« ist eines der großen Themen in der zeitgenössischen politischen Philosophie. Mit dem Streit darüber, was »Politik« ist, entstand auch eine aktuelle Form der Liberalismuskritik. Felix Böttger prüft deren Argumente und kommt zu dem Schluss, dass die moderne Liberalismuskritik immer im Horizont ihres Gegners agiert. Sie ist also nicht antiliberal, sondern vielmehr postliberal. Letzten Endes, so die These des Autors, muss eine moderne Kritik am Liberalismus die Streiterfahrung des Politischen direkt ins Herz der liberalen Vertragstheorie - den Natur- bzw. Urzustand - hineintragen.

Felix Böttger studierte Philosophie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Wuppertal.

Felix Böttger studierte Philosophie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Wuppertal.

Inhalt 6
I. Politische Philosophie als Streit um das Politische 10
1. Der Staat, das Politische und die Politik 13
2. Carl Schmitt und der Begriff des Politischen 16
2.1 Das Politische als Unterscheidung von Freund und Feind 18
2.2 Die Maßgeblichkeit des Politischen 21
3. Zielsetzung der Arbeit und methodische Anmerkungen: Der Streit um das Politische – Das Politische als Streit 25
II. Der Liberalismus zwischen Vernunft und Laissez-faire 32
1. Der Bruch der neuzeitlichen politischen Philosophie mit der klassischen aristotelischen Staatsphilosophie 35
2. Thomas Hobbes 41
2.1 Die Entdeckung des neuzeitlichen Individuums durch Hobbes 42
2.2 Die Dynamik der Machtakkumulation im Naturzustand 48
2.3 Freiheit, Gleichheit und Vernunft 50
2.4 Vom Naturzustand zum Staat 56
2.5 Begründungsfunktion der Vertragstheorie und historische Wirklichkeit – Das historische Argument 68
3. John Locke 74
3.1 Naturzustand und Kriegszustand bei Locke 76
3.2 Freiheit und Eigentum 86
3.3 Die Entstehung und Legitimation des Staates 92
3.4 Das Toleranzproblem 105
4. John Rawls 109
4.1 Der Urzustand bei John Rawls 110
4.2 Der übergreifende Konsens als Brücke zwischen kontingenter Praxis und universaler Vernunft 121
4.3 Das Politische bei Rawls 127
4.4 Liberalismus als Lebensform? 133
5. Natürlicher Interessenausgleich und Politik des Seinlassens im Liberalismus 138
5.1 Individualismus und Grenzen des Staats: John Stuart Mill 139
5.2 Wirtschaftsliberalismus: Adam Smith 142
5.3 »Neoliberalismus«: Friedrich August von Hayek 145
5.4 Minimalstaat: Robert Nozick 149
III. Der Horizont des Liberalismus 153
1. Liberalismus als System der Kontingenzhegungen 155
2. Freiheit unter dem Gesetz und Planungssicherheit 157
3. Toleranz als passivistische Form von Herrschaft 165
IV. Postliberale politische Philosophie 169
1. Die Marxsche Tradition der Liberalismuskritik 170
2. Hegemonie – Ernesto Laclau und Chantal Mouffe 175
2.1 Hegemonie als Antwort auf die Krise des Marxismus 176
2.2 Gramsci als Vordenker der Hegemonietheorie 183
2.3 Artikulatorische Praxis statt gesellschaftlicher Totalität 188
2.4 Antagonismus als Grenze und Bedingung gesellschaftlicher Objektivität 191
2.5 Hegemonie als politische Beziehung – Politik und das Politische bei Laclau und Mouffe 197
2.6 Radikale plurale Demokratie 202
2.7 Die Kritik radikaler pluraler Demokratie am Liberalismus 206
2.8 Zur Frage der Sichtbarmachung des außerdiskursiven Überschusses 219
3. Jacques Rancière 221
3.1 Politik als Ästhetik 222
3.2 Nicht Staat und Gesellschaft, sondern Politik und Polizei 223
3.3 Gemeinschaft als Gemeinschaft des Streits 226
3.4 Das Unrecht und der Anteil der Anteilslosen 229
3.5 Das politische Subjekt bei Rancière 233
3.6 Zum Verhältnis von Politik und Philosophie 239
3.7 Demokratie und Postdemokratie – Rancières Kritik am liberalen Konsensdenken 245
3.8 Liberalismus als »Polizei« 252
3.9 Konsequenzen von Rancières Überlegungen für den Liberalismus 259
4. Giorgio Agamben 262
4.1 Das Paradigma der Souveränität – Bannbeziehung statt Kontraktualismus 264
4.2 Das Leben als Träger des souveränen Banns 271
4.3 Die Doppelstruktur der Regierungsmaschine 281
4.4 Sprache und Recht 296
4.5 Giorgio Agamben und der Liberalismus 300
V. Zur Liberalismuskritik der postliberalen politischen Philosophie 318
1. Konsens und Dissens 319
2. Partikularität und Universalität 323
3. Knappheit und Überschuss 328
4. Zur kritischen Wiederaneignung des Liberalismus 332
5. Die Grenzen der Gewalt: Zum unhintergehbaren Fundament eines defensiven Liberalismus 339
Siglen 344
Literatur 345

I. Politische Philosophie als Streit um das Politische

Die politische Philosophie hat ihren Ursprung in den Werken von Platon und Aristoteles. Bekanntlich hat Aristoteles den Menschen als zoon politikon definiert: als Lebewesen, dessen Ziel, telos, in der gemeinschaftlichen, politischen Existenz besteht. Die Griechen unterschieden zwischen oikos und polis, zwischen dem privaten Haushalt und dem eigentlich politischen Raum. Jeder Bürger gehörte grundsätzlich beiden Sphären des menschlichen Daseins an. Eine Existenz, die rein im privaten Bereich, im oikos, verblieb, wurde als unvollständig empfunden und wurde den Nicht-Bürgern, also Frauen und Sklaven, zugeschrieben. Entscheidend hierbei ist, dass Politik nicht als notwendiges Übel zur Sicherung der nackten Existenz, sondern als eine Art Lebensform galt und somit als ein qualifiziertes Leben gegenüber der schlichten Tatsache des Lebens herausgehoben wurde: Platon und Aristoteles unterschieden zwischen zen (der einfachen Tatsache des Lebens) und eu zen (dem »guten Leben«).

In der neuzeitlichen politischen Philosophie, die mit Thomas Hobbes beginnt, wird die Teilhabe an der politischen Gemeinschaft nicht mehr als Lebensform, sondern als allein dem Selbsterhalt dienend beschrieben: Hobbes bezeichnet den »Naturzustand« der Menschen als »Krieg aller gegen alle«, dem nur dadurch ein Ende gemacht werden könne, dass die Menschen sich zu einem Staat (»Leviathan«) zusammenschließen. Die Vereinigung zu einer politischen Gemeinschaft wird als eine durch rationale Beweggründe eingeleitete Notwendigkeit betrachtet, die den unangenehmen Zuständen im »Naturzustand« vorzuziehen sei. Hobbes ist der Erste, der das bis in die heutige politische Philosophie hinein beliebte Vertragsmodell als konstitutives Element der politischen Gemeinschaft entwickelt hatte. Damit war es auch Hobbes, der erstmalig dem rationalen Eigeninteresse die Begründungsfunktion für politische Herrschaft zugewiesen hatte. Die Ableitung des Staates aus Interessen der Individuen, die qua Vertrag gemäß allgemeiner, für jeden einsehbarer Prinzipien in Übereinstimmung gebracht werden, ist seitdem elementarer Bestandteil für diejenigen Theorien, die der philosophischen Tradition des Liberalismus zugeordnet werden. Folglich lässt sich die vertragstheoretische, auf das individuelle rationale Eigeninteresse rekurrierende Tradition des Liberalismus abgrenzen von Theorien, die an die Vorstellung des zoon politikon der antiken politischen Philosophie anknüpfen. Weitere bekannte Vertragstheoretiker neben Hobbes sind etwa John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant. Die vielleicht avancierteste Spielart eines vertragstheoretisch begründeten politischen Liberalismus hat John Rawls formuliert. Dabei entwickelt Rawls in Anlehnung an den klassischen Naturzustand die Idee eines fiktiven »Urzustandes«, in dem die Mitglieder einer Gesellschaft unter einem »Schleier des Nichtwissens« Übereinkünfte über die Grundsätze ihrer Gesellschaft erzielen. Mit dem Schleier des Nichtwissens meint Rawls, dass die Individuen nicht wissen, welche soziale Position sie in ihrer Gesellschaft einnehmen und durch welche körperlichen und geistigen Fähigkeiten sie sich auszeichnen. Dieses Bild soll modellhaft die Ideen von Freiheit und Gleichheit abbilden und wird von Rawls nicht als historische Tatsache, sondern allein als »Darstellungsmittel der öffentlichen Reflexion und Selbstklärung« betrachtet, um einen Standpunkt zu erreichen, von dem aus eine faire Übereinkunft erreicht werden soll. Dieser Standpunkt soll in Anlehnung an Kant einem allgemeinen »Vernunftideal« am nächsten kommen.

Wenn man die verschiedenen Quellen, aus denen sich die philosophische Tradition des Liberalismus speist, als Versuch der Beantwortung einer grundlegenden Frage zusammenfassen würde, so müsste diese Frage wohl lauten: Wie können die Mitglieder einer Gesellschaft friedlich zusammenleben, obwohl sie unterschiedliche, im schlimmsten Fall gegeneinander gerichtete Interessen verfolgen? Rawls erweitert diese Frage dahingehend, dass er mit der Idee des »übergreifenden Konsenses« zu bestimmen versucht, wie Menschen eine gemeinsame politische Grundstruktur akzeptieren können, obwohl sie nicht nur divergierende Interessen, sondern auch ganz unterschiedliche moralische und religiöse Vorstellungen haben. Ein Grundprinzip des Liberalismus ist also die Annahme, dass Menschen, die in Fragen des »guten Lebens« beziehungsweise in religiösen Auffassungen nicht unbedingt übereinstimmen, trotzdem ein politisches Gemeinwesen bilden können, indem sie ihre rationalen Interessen zur Grundlage der Kooperation machen.

Wie ich zeigen werde, ist einer der wesentlichen Punkte, an denen sich die Liberalismuskritik reibt, die Frage, inwiefern die Koordination rationaler Eigeninteressen überhaupt noch eine spezifisch »politische« Qualität hat, und, wenn ihr diese abgesprochen wird, ob es jenseits sowohl ethisch-sittlicher oder religiöser Übereinstimmung als auch gemeinsam geteilter »rationaler« Interessen andere Gemeinschaftlichkeit stiftende Momente gibt. Eine neuere liberalismuskritische, im Folgenden »postliberal« genannte Perspektive ist dabei insbesondere in einem Theorieumfeld entstanden, das sich die Frage nach der konstitutiven Rolle des Dissenses und die Frage nach »dem Politischen« und dessen Unterscheidung von »der Politik« stellt - eine Unterscheidung, die auch als »politische Differenz« bezeichnet wird. Knapp zusammengefasst lässt sich sagen, dass im Postliberalismus der Dissens gegenüber dem Konsens und das 'Politische' gegenüber 'der Politik' ins Spiel gebracht werden, wobei noch zu klären ist, was unter den jeweiligen Begriffen genau zu verstehen ist und welche Rolle diese im Liberalismus beziehungsweise im Postliberalismus spielen. Die vorliegende Arbeit versucht sich damit an einer Eröffnung des Dialogs zwischen der liberalen Tradition und der jüngeren, von mir »postliberal« genannten Liberalismuskritik. Das Ziel der Arbeit besteht darüber hinaus in einer kritischen Neugewinnung des Liberalismus über den Umweg einer solchen postliberalen Perspektive und soll gleichzeitig den Versuch machen, so etwas wie Grundzüge einer postliberalen politischen Philosophie zu entdecken. Um den Rahmen hierfür abzustecken, soll im Folgenden zunächst skizziert werden, wie der Versuch einer Bestimmung des »Begriffs des Politischen« durch den deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt das Fundament für die aktuelle Diskussion um die Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen gelegt hat.

Erscheint lt. Verlag 14.8.2014
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Antiliberalismus • Chantal Mouffe • das Politische • Demokratietheorie • Ernesto Laclau • Giorgio Agamben • Ideengeschichte • Jacques Rancière • John Locke • John Rawls • Liberalismus • Liberalismuskritik • Politik • Politikmodell • Politische Theorie • Thomas Hobbes
ISBN-10 3-593-42536-X / 359342536X
ISBN-13 978-3-593-42536-8 / 9783593425368
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