Missbrauchs-Traumata gemeinsam überwinden (eBook)
173 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-5625-7 (ISBN)
2 Sexueller Missbrauch
In diesem Kapitel geht es darum, herauszufinden, was sexueller Missbrauch ist, um diesen annähernd zu verstehen und zu definieren. Es wird aufgezeigt, wie und wo das „alltägliche Verbrechen“ stattfindet. Darüber hinaus sind hier nähere Angaben über die Verbreitung dieses Vergehens in Deutschland zu finden.
2.1 Was ist sexueller Missbrauch?
Es gibt keine allgemein gültige Definition für sexuellen Missbrauch, da dieser von einer Reihe von Faktoren abhängt, die nicht nur das Ereignis selbst und die beteiligten Personen betreffen. Die Umstände der Tat und ihre Folgen sind sehr vielgestaltig.
So besitzt sexueller Missbrauch immer sexuellen Charakter, kann jedoch auch ohne körperliche Berührungen stattfinden. In jedem Fall ist sexueller Missbauch ein Machtmissbrauch (vgl. Davis 1995, S. 25) und die Betroffenen zeigen in der Regel eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Reaktion, die man auch als traumatische Reaktion bezeichnet. Der Schweregrad des Traumas ist allerdings unterschiedlich und nicht alle Personen, die eine außergewöhnliche Belastung wie sexuellen Missbrauch erleben, entwickeln diese Störung. (vgl. Olbricht 2004, S. 26 bis 28)
Saller (1987, S. 29 ff.) unterscheidet drei Bereiche sexueller Ausbeutung:
Eindeutige Formen:
• Genital- und Oralverkehr (Cunnilingus, Fellatio)
• Eindringen in den After des Kindes mit Finger(n), Penis oder Fremdkörpern
• Eindringen in die Scheide des Kindes mit Finger(n), Penis oder Fremdkörpern
Andere ausbeutende Formen, die ebenfalls eine Benutzung des kindlichen Körpers zur Befriedigung des Erwachsenen darstellen:
• Berührung oder Manipulierung der Genitale des Kindes
• Veranlassung des Kindes, die Genitale des Erwachsenen zu berühren oder zu manipulieren
• Masturbation in Anwesenheit des Kindes
• Veranlassung des Kindes, im Beisein des Erwachsenen zu masturbieren
• Reiben des Penis am Körper des Kindes
• Zeigen von pornographischen Abbildungen
Verhaltensweisen, die im Nachhinein häufig als Beginn einer sexuellen Ausbeutung erkannt werden:
• Der Erwachsene zeigt sich nackt vor dem Kind.
• Der Erwachsene zeigt dem Kind seine Genitale.
• Der Erwachsene möchte den Körper des Kindes "begutachten".
• Beobachten des Kindes beim Ausziehen, Baden, Waschen, auf der Toilette, eventuelle Hilfsangebote dazu
• Küssen des Kindes auf intime Weise („Zungenkuss")
• Altersunangemessene Aufklärung des Kindes über Sexualität, die nicht den kindlichen Interessen entspricht, sondern den exhibitionistischen und/oder voyeuristischen Bedürfnissen des Erwachsenen dient
Nach näherer Betrachtung der vorgenannten Punkte ist zu erkennen, dass es bei diesen Formen der sexuellen Ausbeutung immer um die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse der/des Erwachsenen geht. Weiterhin ist anzuführen, dass Kinder aller Altersklassen betroffen sind. Dazu ein Zitat von Davis (1995): „Sexueller Mißbrauch kann im Säuglingsalter beginnen, im Schulalter oder in der Adoleszenz. Er kann einmalig stattfinden oder sich regelmäßig wiederholen.“ (S. 25) Kinder werden also entsprechend den Erwachsenen zur Sexualität gebracht. Es ist dabei wichtig, zu erwähnen, dass nicht die psychisch Kranken diejenigen sind, die Kinder sexuell missbrauchen (auch das kommt sicher manchmal vor), sondern in den meisten Fällen ist der oder die Täterin eine nahe stehende Vertrauensperson und im engeren sozialen Umfeld des Kindes zu finden. „Fast immer besteht bereits vor dem sexuellen Missbrauch eine Beziehung zwischen dem Opfer und dem Täter (der Täterin), die für das Mädchen oder den Jungen durch Vertrauen, Angewiesensein und Zuneigung gekennzeichnet ist.“ (Enders 2001, S. 135) Väter und Mütter, Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen, Geschwister und Großeltern, Stiefeltern und Pflegeeltern, Freunde und Freundinnen der Familie sowie NachbarInnen, LehrerInnen, TrainerInnen, ÄrztInnen und TherapeutInnen sind TäterInnen. Aber auch Nachbarskinder und Fremde missbrauchen Kinder sexuell. (vgl. Davis 1995, S. 25)
Zwischen Kindern und Erwachsenen besteht immer ein strukturelles Machtgefälle. Kinder sind gegenüber Erwachsenen körperlich, psychisch, kognitiv und sprachlich unterlegen. Sie sind auf die emotionale und soziale Fürsorge Erwachsener angewiesen, von deren Zuneigung und Liebe emotional abhängig und diesen ebenso rechtlich unterstellt. (vgl. Enders 2001, S. 135) Aus diesem Grund kann man davon ausgehen, dass Kinder gegenüber Erwachsenen keine gleichberechtigten Partner sein können. Demnach ist jeder sexuelle Kontakt zu Erwachsenen weder bewusst gewollt noch ungewollt bzw. ein wissentliches Einverständnis seitens des Kindes ist nicht gegeben. Jeder dieser Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern ist sexueller Missbrauch.
Ein wichtiges Merkmal für sexuellen Missbrauch ist auch das Sexualklima, in dem ein Kind aufwächst, denn nicht jedes Verhalten eines Erwachsenen, das von der Gesellschaft missdeutet werden kann, ist eine Grenzüberschreitung bzw. missbrauchendes Verhalten. Dazu nachfolgend ein Beispiel „Wenn beispielsweise ein Vater immer schon mit seiner Tochter gebadet hat und sie Spaß daran hat, ist es sicher kein sexueller Mißbrauch, wenn er auch im Alter von neun, zehn Jahren noch mit ihr planscht. Sollte seine Tochter ihm aber zeigen, daß sie es nun nicht mehr möchte, und er tut es trotzdem, ist die Grenze überschritten. Haben Vater und Tochter nie zusammen gebadet und sich nie nackt gesehen, erlebt es das Kind sicher als sexuellen Übergriff, wenn der Vater plötzlich nach zehn Jahren mit ihm badet.“ (BZGA FORUM ½ 1997, S. 15 – zitiert nach Saller 1987, S. 30)
Nachfolgend soll geklärt werden, ob es sexuellen Missbrauch zwischen gleichaltrigen Kindern bzw. Jugendlichen gibt.
In der Literatur finden sich Hinweise darauf (vgl. Enders 2001, S. 42 ff.), da dieser jedoch in der Regel von den Betroffenen oder deren Angehörigen nicht angezeigt wird, können diese daher statistisch nicht erfasst werden. Aber auch bei sexuellen Handlungen zwischen Jugendlichen (diese müssen nicht immer gleichaltrig sein) werden diese durchaus von den Betroffenen als sexueller Übergriff empfunden. Dies soll die nachfolgende Erzählung einer Frau aus der Selbsthilfegruppe bei Wildwasser e.V. verdeutlichen:
„Oft habe ich solche Erinnerungsblitze. Die Szene spielt bei uns unten im Keller. Der eine ist vielleicht zwei Jahre älter als ich und ich soll mich auf seinen Schoß setzen. Dann plötzlich fängt er an, meinen Po an sich zu reiben und ich spüre seinen harten Penis, trotzdem, dass wir beide Hosen anhaben.“
Sie beschreibt ihre Gefühle zu dieser Situation mit Ekel und sagt, dass sie das nie wieder erleben wolle. Weiterhin erklärte sie, dass sie diese Situation als Grenzüberschreitung empfand.
Somit lässt sich feststellen, dass sexuelle Handlungen von Kindern oder Jugendlichen an anderen, vielleicht sogar Gleichaltrigen, nicht unterschätzt werden dürfen, denn diese können, je nach Empfinden der Beteiligten, sexueller Missbrauch sein.
Aber natürlich haben Kinder sexuelle Bedürfnisse. Diese entsprechen jedoch eher einer kindlichen Neugier an sexuellen Dingen und drücken sich in den so genannten „Doktorspielen“ oder in der Erforschung des eigenen Körpers aus.
Für „Doktorspiele“ gelten jedoch ganz klare Regeln:
• Jedes Mädchen/jeder Junge bestimmt selbst, wann und mit wem sie/er Doktor spielen will.
• Die Kinder streicheln und untersuchen sich nur so viel, wie es für sie selber und die anderen schön ist.
• Kein Kind darf einem anderen weh tun.
• Größere Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben bei Doktorspielen nichts zu suchen. (Enders 2001, S. 173)
Im folgenden Absatz werden kurz die allgemeinen Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs auf die seelische Entwicklung des Kindes erläutert. Zu den Folgen und Auswirkungen auf die erwachsenen Überlebenden wird ausführlich in Kapitel 4 ff. Stellung genommen.
Vor dem sexuellen Missbrauch befindet sich das Wertgefüge des Kindes noch im Aufbau. Findet dieser statt, erfolgt ein totaler Angriff auf eben diese Werte. Die natürliche Entwicklung im Bereich der Gefühle, des Denkens und Verhaltens wird empfindlich gestört. Weitere Reifungsschritte sind nur schwer möglich (vgl. Davis 1995, S. 28 ff.), wobei anzumerken ist, dass nicht jeder sexuelle Missbrauch traumatisch ist und auch Verhaltensauffälligkeiten nicht bei jedem Kind als direkte Folge von sexuellem Missbrauch erkennbar sind. Es gibt sicher auch Kinder, die sexuellen Missbrauch, der nur einmalig stattfindet, psychisch so verarbeiten können, dass eine bedeutende Beeinträchtigung der seelischen Entwicklung nicht stattfindet.
Nach Betrachtung der oben ausgeführten Erläuterungen sind in der Regel mehrere Ansätze und Kombinationen notwendig, um...
Erscheint lt. Verlag | 20.8.2013 |
---|---|
Verlagsort | Baden-Baden |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Entwicklungspsychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Heilungsprozess • Langzeitfolgen • Langzeitfolgen; Psychologie; Tabu • Missbrauch • Partnerschaft • Persönlichkeitsentwicklung • Psychologie • Tabu • Trauma • Trauma-Bewältigung • Trauma-Verarbeitung |
ISBN-10 | 3-8288-5625-X / 382885625X |
ISBN-13 | 978-3-8288-5625-7 / 9783828856257 |
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