Schritt 1: Finde Ruhe
und neue Sicherheit

Das, was das Leben dir serviert hat, war heftig. Kein Wunder, dass du aufgewühlt und überwältigt bist. Der Boden wurde dir unter den Füßen weggezogen, und du hast deine Mitte verloren. Du willst handeln und gleichzeitig bist du handlungsunfähig, du willst alles retten und kannst doch gefühlt oder auch tatsächlich nichts mehr bewirken.

Was ist denn genau in dir passiert? Etwas von außen, sei es eine Nachricht oder ein Ereignis, hat deine gesamte Energie erschüttert. Du hast, um es physikalisch auszudrücken, einen Quantensprung nach innen gemacht, du hast Energie verloren, dein Bewusstsein und dein Erleben sind auf eine tiefere Ebene gestürzt. Das ist okay, das darf so sein. Denn was in Wahrheit geschehen ist, auch wenn wir das zu Beginn einer Krise ganz sicher nicht so sehen wollen, ist: Du beginnst einen Transformationsprozess bzw. du bist schon mittendrin.

Der Imagoprozess

Machen wir einen Ausflug in die Natur. Hast du schon einmal etwas vom sogenannten Imagoprozess gehört? Das ist das, was in der verpuppten Raupe passiert, wenn sie sich zum Schmetterling entwickelt. Eine Krise ist fast immer ein Teil eines Imagoprozesses, persönlich und global. Stelle dir diese Raupe vor. Sie tut fast nichts anderes, als zu fressen und zu wachsen. Von Beginn an steuert alles in ihrem Verhalten auf die Transformation zu, auch wenn sie selbst das vermutlich nicht weiß. Wenn sie eine gewisse Reife erreicht hat, bilden sich in ihrem Inneren die Imagozellen. Das sind noch keine Schmetterlingszellen, sondern eine Art Vorstufe. Diese Imagozellen enthalten die Informationen des Schmetterlings, sind aber nicht identisch mit den Schmetterlingszellen. Und was macht die Immunabwehr der Raupe? Sie zerstört sie! Erkennt die Raupe also, dass sie gerade eine unfassbare Chance erhält? Nein. Kann sie es verhindern? Nein. Denn bereits jetzt beginnt sich die Raupe zu verpuppen, auch wenn ihr Inneres die neuen Zellen als feindlich einstuft. Noch einmal: Sie verpuppt sich! Sie schafft sich einen sicheren Raum, verliert aber gleichzeitig den Kontakt zu sich und ihrer Umwelt.

Die neuen Zellen wachsen auch im Kokon immer wieder in ihr nach, und ihr Immunsystem wehrt sie weiterhin ab. Nun ist sie also allein in diesem geschützten Raum, und das Neue in ihr wird weiterhin bekämpft. Doch die Imagozellen geben nicht auf. Sie wachsen schneller, als die Immunabwehr sie zerstören kann, und es bilden sich sogenannte Cluster, also Zellhaufen. Noch immer erkennt die Immunabwehr diese Zellhaufen nicht als zur Raupe gehörig, und bekämpft sie. Doch nun verbinden sich einzelne Zellen zu Imagofäden. Diese Fäden vernetzen die Imagocluster miteinander, es entsteht also ein Netzwerk. Und genau jetzt geschieht ein Wunder: Die Immunabwehr erkennt diese miteinander verbundenen Cluster, diese Zellhaufen, plötzlich als zu der Raupe gehörig an, sie akzeptiert den Transformationsprozess und stoppt die Bekämpfung!

Nun kann der Schmetterling in Ruhe heranreifen. Erinnern wir uns: Die Raupe hat vermutlich wirklich nicht die leiseste Idee, was aus ihr wird, doch sie kann den Veränderungsprozess nicht stoppen. Sogar die Immunabwehr bekämpft das wunderbare Neue, das nicht nur in ihr entstehen will, sondern in das sie sich mit Leib und Seele verwandelt.

Nun wird sie also zum Schmetterling, doch der beschwerliche und einsame Weg ist noch nicht zu Ende, denn der Schmetterling muss sich selbst aus dem Kokon herausschälen. Er braucht diesen einsamen Geburtsprozess, er gehört untrennbar zur Transformation dazu.

Und dann, wenn er es endlich geschafft hat, muss er den Mut in sich finden, seine Flügel zu öffnen und zu fliegen.

Doch was hat dieser Prozess mit dir zu tun? Nun, was wäre, wenn diese Krise ein Teil deines persönlichen Imagoprozesses wäre? Schaue dich doch einmal in deinem Leben um. Angenommen, die Krise wäre ein Teil deines eigenen Wachstumsprozesses, was könnte sie dann Positives bewirken? Wir sagen nicht, dass es so ist, keine Sorge. Es ist nur eine Idee, ein Spiel: Was wäre, wenn? Wie wäre es, wenn du dir etwas zum Schreiben nimmst und einfach einmal so tust, als wäre diese Krise ein Teil eines Raupe-zu-Schmetterling-Prozesses? Hier sind einige Fragen, die du nur einmal spaßeshalber beantworten könntest, auch wenn alles gerade ganz schlimm ist. Lass die Fragen ein bisschen in dir wirken, sie aktivieren bestimmte Gehirnbereiche, die anders sind als das, was wir normalerweise Verstand nennen. Sie aktivieren deine Kreativität und deine Problemlösungsbereiche. Antworte also nicht gleich mit »Weiß ich doch nicht«, sondern lass zu, als wüsste dein Inneres die Antworten.

Wenn du willst, sind hier deine Fragen:

• Wenn du einmal annimmst, dass es in dir eine Raupe gäbe, die sich verpuppt hat und sich zu etwas Neuem entwickelt, welchen Lebensbereich könnte das betreffen?

• Angenommen, es wäre wirklich so, wie würde sich der Lebensbereich anfühlen, wenn der Schmetterling schlüpfte?

• Wenn es so wäre, dass sich bestimmte Lebensbereiche zum noch Besseren ändern wollen, auf welche Weise könntest du diese Veränderung unterstützen?

• Auch wenn du nicht weißt, wie, welche Einstellung, welche innere Haltung, welches Verhalten dürftest du ändern, damit sich bestimmte Lebensbereiche positiv erneuern können?

• Wenn du es wüsstest – und wir ahnen, du weißt es gerade nicht, aber wenn du es doch wüsstest –, wie könnte dir genau diese Krise dabei helfen, diese positive Erneuerung auch zu erreichen?

Glückwunsch! Trotz Krise hast du versucht, dich auf eine positive Sichtweise einzulassen, und genau das macht dich wieder zur Gestalterin/zum Gestalter deines Lebens.

Es scheint dir bestimmt dennoch unvorstellbar, dass du trotz der Krise irgendwo wieder Ruhe finden könntest. Du hast deine Sicherheit verloren, deinen festen Halt, sonst wäre das, was passiert ist, keine Krise, sondern nur ein Ereignis. Das Wichtigste ist jetzt, dass du zunächst wieder in die Sicherheit kommst.

Hier sind wir gleich an der ersten Hürde angelangt, nämlich bei der Frage: »Kannst du dir vorstellen, dass du, auf welche Weise auch immer, trotz der Krise und auch, wenn sich im Moment nichts ändert, eine neue, andere Sicherheit finden könntest, von der aus du die Krise meistern kannst?« Wenn ja, dann ist alles wunderbar, und wir können uns gleich mit dir zusammen nach innen wenden. Wenn nein, dann braucht es einen Zwischenschritt.

Deshalb hier dein Zwischenschritt, falls du dir nicht vorstellen kannst, Sicherheit zu erleben, auch wenn die Krise andauert oder gar eskaliert.

Dein Inneres Kind

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Krise insbesondere den Anteil in dir berührt und überfordert, der bereits mit emotionalen Lasten zu kämpfen hat, ob es dir bewusst ist oder nicht: Wir reden hier vom sogenannten Inneren Kind.

Wer oder was ist das?

Das, was wir als kleine Kinder über unsere Beziehungen zu der uns versorgenden Umgebung, in den meisten Fällen also zu Mutter und Vater, gefühlt und gelernt haben, ist auch heute noch im Limbischen System des Gehirns gespeichert und bestimmt in Stresssituationen das Fühlen, das Denken und das Verhalten. Dieses gespeicherte Wissen darüber, wie du am besten in deiner Familie überleben kannst, bildet den inneren Anteil, den wir das Innere Kind nennen. Du hast also gelernt, was du zu tun und zu lassen hast, um dich geliebt, anerkannt und gehört zu fühlen, und warst dabei mehr oder weniger erfolgreich.

Kannst du dir vorstellen, dass dein Bedürfnis danach, einfach geliebt zu werden, weil du da bist, ohne dass du etwas dafür tun musst, schmerzlich unerfüllt blieb?

Kannst du dir ferner vorstellen, dass du auch heute noch nach Liebe suchst, weil du nie gelernt hast, dir selbst diese Anerkennung und Liebe zu geben?

Unser Inneres Kind, das auch heute noch Angst hat, verlassen zu werden und zu versagen, das sich überfordert fühlt und viel zu viel Verantwortung auf sich nimmt, weil es das so gelernt hat, braucht echte emotionale Sicherheit.

Das Gute ist: Wir selbst können lernen, unserem Inneren Kind die emotionale Sicherheit zu geben, die es so sehr braucht. Wenn unser Inneres Kind in uns seinen sicheren Raum gefunden hat, können wir wieder klar denken und vernünftig und angemessen handeln. Wir erkennen wieder, wofür wir verantwortlich sind und wofür nicht, wir behalten das große Ganze im Blick und fühlen uns nicht länger wie das verlassene, traurige Kind, das allein auf weiter Flur steht und nicht mehr weiterweiß.

Wenn du dir in dieser Krise nicht vorstellen kannst, jemals wieder Sicherheit und Geborgenheit zu finden, dann ist dein Inneres Kind in Not.

Schauen wir genauer hin

Reden wir noch ein wenig über diesen inneren Anteil, weil er so wichtig ist. Wenn wir an das Innere Kind denken, dann lächeln wir liebevoll oder auch ein bisschen ironisch und meinen damit den Teil, der mit »Das Kind im Manne«, »Die innere Prinzessin« oder »Pippi Langstrumpf« beschrieben wird. Dieses Kind bekommt ab und zu ein wenig Raum, es darf sich auch einmal ein Eis bestellen, obwohl die Diätpläne dagegensprechen, und es darf vor einem Schaufenster mit Modelleisenbahnen stehen bleiben. Wir sind großzügig, wenn es um die Inneren Kinder geht, ja, sie dürfen spielen, denn sie tragen dazu bei, dass wir uns besser fühlen. Unser Inneres Kind wird so verharmlost und...