Geschichte und Philosophie des Taijiquan (eBook)

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2024 | 1. Auflage
264 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-4195-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geschichte und Philosophie des Taijiquan -  Christian Unverzagt
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In sieben Untersuchungen geht der Autor der Geschichte und der Philosophie des Taijiquan (Taichi) nach. Äußerst kenntnisreich legt er Grundlagen dieser sanften Kampfkunst frei. Er macht nicht nur alte Texte zugänglich, sondern bringt auch neue Aspekte in alte Debatten ein. Unter anderem weist er auf einen Zusammenhang zwischen den Ideen des Taijiquan und der alten chinesischen Kunsttheorie hin. Wer sich mit Taijiquan beschäftigt, sollte diese Texte kennen.

Christian Unverzagt ist Philosoph, Kunsthistoriker, Ostasienkundler und freier Autor. Taijiquan praktiziert er seit 1987. Bei internationalen Treffen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Nach Jahren in Ostasien hat er zu verschiedenen Themen publiziert, darunter: "Der Wandlungsleib de Dong Yuan. Die Geschichte eines malerischen Oeuvres" (2007), "Der Kontakt" (Roman, 2008), "Die Klassischen Schriften des Taijiquan. Theorie - Praxis - Kulturgeschichte" (2019).

TAIJIQUAN UND WUJI


Taijiquan lässt sich übersetzen als die „Kampfkunst des Allerhöchsten“. Es bedeutet nicht „die allerhöchste Kampfkunst“, auch wenn der anspruchsvolle Name das suggerieren mag. Was aber sagt dieser Name über den Charakter der Kampfkunst aus? Aufschluss darüber sollte die „Abhandlung des Taijiquan“ (Taijiquan lun) geben können.3 Sie war angeblich 1852 in einem Salzladen in der Provinz Henan aufgetaucht und wurde einem gewissen Wang Zongyue zugeschrieben, dessen Historizität allerdings umstritten ist.4 Wir blenden im Folgenden die Forschungen zu seiner Person aus und verwenden seinen Namen als Chiffre für den Autor des Textes. Dieser Text stellt den Kern der Klassischen Schriften des Taijiquan dar, die zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ediert, kompiliert, redaktionell bearbeitet oder vielleicht auch erst niedergeschrieben wurden – in genau der Zeit, in welcher der Name Taijiquan in Gebrauch kam.

Der Name der Kampfkunst


Es ist bemerkenswert, dass in der „Abhandlung des Taijiquan“ nur an einer einzigen Stelle die Rede von Taiji ist. Erstaunlicher noch ist der Befund, dass von Taiji-quan im Text überhaupt nicht gesprochen wird. Erst das Schriftzeichen quan (wörtlich „Faust“) macht aber, wenn es angehängt wird, aus dem Taiji die Kampfkunst des Taiji.

Es ist möglich, dass der Text die Prinzipien einer bereits existierenden, bis dahin anders benannten und um ein neues Selbstverständnis bemühten Kampfkunst formulierte. Möglicherweise existierte er, vollständig oder fragmentarisch, auch bereits parallel zu der Kampfkunst, aber noch ohne Titel. Der Name der Kampfkunst könnte bei seiner redaktionellen Bearbeitung entstanden sein. Wären hingegen Text und Titel alt, wäre nicht nur der Umstand erklärungsbedürftig, dass sich der Text nicht im Besitz eines Linienhalters befand, sondern auch, dass niemand den Namen der Kampfkunst gebrauchte.5 Was auch immer die historische Wahrheit sein mag, für das Selbstverständnis

des Taijiquan ist die Textstelle, in der Taiji genannt wird, von programmatischer Relevanz. Es ist gleich der erste Satz, der drei Begriffe (bzw. zwei Begriffe und ein Begriffspaar) in Beziehung zueinander setzt und durch die Art ihrer Beziehung bestimmt:

Taiji, aus Wuji entstehend, ist die Mutter von Yin und Yang.6

Taiji schreibt sich mit zwei Schriftzeichen. tai bedeutet „höchst, sehr, allzu, äußerst“. ji war ursprünglich der „Dachfirst“ und nahm später die Bedeutung von „Pol, Extrem, äußerst, höchst“ an; als Verb kann es auch „erschöpfen“ oder „erreichen“ bedeuten. Taijiquan könnte wörtlich also auch als die „Kampfkunst der höchsten Polarität“ oder als die „Kampfkunst der äußersten Extreme“ wiedergegeben werden.

Das Schriftzeichen wu stellt eine Verneinung dar. Ist taiji „das Allerhöchste“, so wäre wuji (無極) entsprechend „das, was kein Höchstes hat“. Denkbar ist auch „das, was keine Pole (oder keine Polarität) hat“. Bei dieser Lesart wäre das Schriftzeichen ji pluralisch gedeutet. Schließlich, sobald das verneinende wu für sich stehend Nichts oder Nicht-Sein bedeutet, wäre als Übersetzung auch „das Äußerste des Nichts“ denkbar. Nicht nur, weil es sich eingebürgert hat, sondern auch, um den Deutungsspielraum nicht vorweg einzuengen, lassen wir Wuji, Taiji sowie Yin und Yang zumeist unübersetzt.

Was Yin und Yang im Kontext der Kampfkunst bedeuten, wird in der „Abhandlung“ noch anderweitig ausgeführt. Taiji und Wuji aber werden nur an dieser einen Stelle erwähnt. Für Leser, die der offensichtlich gelehrte Autor der „Abhandlung“ ansprach, standen die Begriffe gleichwohl nicht ganz unvermittelt und unerläutert da. Der Anfang der Abhandlung stellt unzweideutig eine Anspielung auf die „Erläuterung des Taiji-Diagramms“ (Taijitu shuo) von Zhou Dunyi (1017-1073) dar. Für gebildete Leser seiner Zeit unmissverständlich, nahm Wang Zongyue eine Jahrhunderte alte philosophische Debatte auf, in der Daoisten und Konfuzianer, bereichert durch buddhistische Gedanken, kosmologische Fragen erörterten. Kosmologie war dabei nie nur die Frage nach der Entstehung und Ordnung der Welt. Immer ging es mit der Harmonie des Ganzen auch um den Einklang des Einzelnen mit der Welt und den Anderen. In diesen Horizont stellte Wang Zongyue die Kampfkunst, deren Charakter mit Anspielung auf Zhou Dunyis Text fortan Taijiquan genannt wurde.7

Im Folgenden zeichnen wir zunächst die Begriffsgeschichte von Yin-Yang, Taiji und Wuji bis Zhou Dunyi nach. Dann geben wir dessen „Erläuterung des Taiji-Diagramms“ wieder, um anschließend einen Blick auf eine folgenreiche, durch die Interpretation des Philosophen Zhu Xi ausgelöste Debatte über das Verhältnis von Taiji und Wuji zu werfen. Schließlich kehren wir zu Wang Zongyues Formulierung zurück und fragen mit Hilfe großer Meister des Taijiquan aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie die Debatte im Selbstverständnis der Kampfkunst des Taiji nachklingt. Am Ende soll ein weiteres Zitat aus der „Abhandlung des Taijiquan“ helfen, die in Anspielung auf Zhou Dunyi formulierte Besonderheit der Kampfkunst des Taiji zu verstehen.

Yin und Yang


Im Shuowen jiezi, dem ersten Zeichenlexikon Chinas (veröffentlicht 121 n. Chr.), gilt Yin als Nordseite des Berges und Südseite des Wassers, Yang entsprechend als Südseite des Berges und Nordseite des Wassers. Dem entspricht, dass im Zeichen Yin neben einem Hügel eine Wolke vorkommt, im Zeichen Yang dagegen eine Sonne. Diese Beschreibung blickte bereits auf eine lange Verwendung des Begriffspaares zurück. Auf Orakelknochen (16. bis 11. Jahrhundert v. Chr.), den ersten Schriftquellen der chinesischen Kultur, bedeuten Yin und Yang dunkel und hell, Schatten und Licht. Auch im Buch der Lieder (Shijing), das zwischen dem 10. und 7. Jahrhundert v. Chr. zusammengestellt wurde, steht Yin für eine kalte, trübe, wolkenverhangene Atmosphäre, Yang für die wärmende Sonne.

Von der Grundbedeutung des Lichten und des Dunklen entwickelte sich Yin und Yang zu einer Art Urbild aller Gegensatzpaare: Himmel und Erde, Tag und Nacht, männlich und weiblich, aktiv und passiv, außen und innen usw. Es konnte auf alles angewendet werden, was von Natur aus aufeinander bezogen war und ohne das andere nicht sein konnte.

Bei der Beobachtung des Laufes der Zeit enthüllte der Gegensatz eine Dynamik.8 Dadurch, dass Yin und Yang von Lichtphänomenen abgelesen wurden, verknüpfte sich die Idee des Gegensatzes mit der des Wandels und der des Umschlags bzw. eines Umkehrpunktes. Wenn die Sonne um den Berg wandert, liegt die zuvor von ihr beschienene Seite im Schatten. Dieser Umschlag von Yang zu Yin, und umgekehrt, ließ sich bei der Sommer- und Wintersonnenwende auch für den Zyklus eines Jahres beobachten. Durch diese für die Landwirtschaft bedeutsame Beobachtung fand das Begriffspaar Eingang ins Kalenderwesen. Die Zyklik der natürlichen Lichtphänomene mit ihrem Scheitel- und Umkehrpunkt der Gegensätze im Lauf der Zeit legte wohl schon früh graphische Darstellungen in Kreisform nahe.

Als kosmologische Kräfte, konnotiert mit der Idee des harmonischen Ausgleichs, fanden Yin und Yang Eingang in die Philosophie. Mit Taiji wird das Begriffspaar in seinen frühen philosophischen Verwendungen allerdings noch nicht assoziiert.

Bei Zhuangzi wird das Verhältnis von Yin und Yang, die mit Kälte und Himmel bzw. Hitze und Erde assoziiert werden und aus denen alle Dinge entstehen, als Harmonie (he) bestimmt.9 Weiter heißt es, dass sie sich durchdringen und so zum Ursprung aller Dinge werden. Ihr ausgewogenes Verhältnis sei essentiell für die Ordnung der Welt. „Wenn Yin und Yang falsch laufen, geraten Himmel und Erde in Aufruhr.“10

Bei Laozi werden die Zeichen an einer einzigen Stelle verwendet. In der Übersetzung von Richard Wilhelm heißt es in Kapitel 42: „Alle Geschöpfe haben im Rücken das Dunkle und umfassen das Lichte, und der unendliche Lebensatem gibt ihnen Einklang.“

Im Buch Mozi heißt es: „Alle Wesen zwischen Himmel und Erde und innerhalb der Vier Meere haben Anteil an der Natur von Himmel und Erde und der Harmonie von Yin und Yang.“11 Aus einer andere Stelle im Mozi geht hervor, dass Yin und Yang nicht schon immer da waren, sondern von der Wirkkraft des Himmels, der über ihnen steht, geschaffen wurden.12

Die wichtigste Quelle zu Yin und Yang sind die Kommentare zum Yijing (ca. 3. Jh. v. Chr.). An einer Stelle werden sie mit Sonne und Mond assoziiert.13 An einer anderen heißt...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport Kampfsport / Selbstverteidigung
Schlagworte Chinesisch • Ideengeschichte • Kampfkunst • Taichi • Theorie
ISBN-10 3-7597-4195-9 / 3759741959
ISBN-13 978-3-7597-4195-0 / 9783759741950
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