Ein Gespräch über die Liebe (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
280 Seiten
Rüffer & Rub Sachbuchverlag
978-3-907351-33-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Gespräch über die Liebe -  Eve Kosofsky Sedgwick
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Eve Kosofsky Sedgwick (1950-2009) gehört zu den Begründer:innen der Queer-Theory und wurde insbesondere mit »Epistemology of the Closet« (1990) bekannt. 1991 wird bei ihr Brustkrebs diagnostiziert; als sie nach der Therapie an einer Depression erkrankt, entschließt sie sich, eine Psychotherapie zu beginnen. In »Ein Gespräch über die Liebe« zeichnet Kosofsky Sedgwick den Verlauf der Therapie nach. Das ungewöhnliche an diesem Buch: Die Stimme des Therapeuten, Shannon Van Wey, ist Teil des Textes. Eve Kosofsky Sedgwick erzählt von ihren Bedenken und Gefühlen, gibt den Austausch mit Shannon wieder und druckt Teile aus seinem Notizbuch ab, das er ihr nach dem Behandlungsende zur Verfügung stellte. So werden wir Zeugen eines vielschichtigen und faszinierenden Therapieverlaufs, der sich bald weit weg vom ursprünglichen Anlass fortbewegt. »Ein Gespräch über die Liebe« nutzt von Beginn weg auch lyrische Elemente, die den traditionellen Dichterdialogen Japans angelehnt sind und die für das stehen, was sich nur ungenügend sagen lässt. Diese eigensinnige, seltsam heitere »Memoir« zeigt eine neugierige, mutige, unbestechliche Denkerin, die sich Fragen stellen will, denen sie bisher - aus Scham, aus Ungeduld, aus Angst vor Kontrollverlust - lieber ausgewichen ist. »Ein Gespräch über die Liebe«, 2000 auf Englisch unter dem Titel »A Dialogue on Love« erschienen, ist das erste Werk der Autorin, das vollständig in deutscher Sprache erhältlich ist. »Außerdem - und was jetzt kommt, ist viel wichtiger -, ich bin Feministin, seit ich weiß, was das Wort bedeutet, und es ist für mich unabdingbar, dass auch mein Therapeut ein Feminist ist. Ich habe keine Checkliste oder einen Lackmustest, um zu definieren, was dazu gehört, aber ich nehme an, Sie wissen, ob Sie einer sind.« - Eve Sedgwick zu Shannon Van Wey, ihrem Therapeuten »Das erste Mal erlebte ich Sedgwick in einem Doktorandenseminar [...]. In der Vorstellungsrunde teilte sie uns mit, sie habe eine Therapie angefangen, weil sie den Wunsch hatte, glücklicher zu sein. Dass eine einschüchternde Theorie-Hochkaräterin wie sie so etwas zugab, hat mein Leben verändert.« - Maggie Nelson, Die Argonauten, S.?144

Eve Kosofsky Sedgwick (1950-2009) war eine der wichtigsten US-amerikanischen Theoretikerinnen der Gender- und Queer-Theory und eine charismatische Lehrende, die eine ganze Generation von Akademikerinnen und Autorinnen beeinflusst hat. 1975 promovierte sie an der Yale University. Danach unterrichtete sie Literatur am Hamilton College, an der Boston University, dem Amherst College und dem Dartmouth College und war Newman Ivey White Professor an der Duke University. Zuletzt dozierte sie am CUNY Graduate Center in New York City englische Philologie. 2005 wurde Kosofsky Sedgwick in die American Academy of Arts and Sciences und 2006 in die American Philosophical Society gewählt. Sie publizierte zahlreiche Artikel, ist Herausgeberin und Autorin mehrerer Bücher, darunter »Epistemology of the Closet« (1990) und »Between Men - English Literature and Male Homosocial Desire« (1985)

Eve Kosofsky Sedgwick (1950–2009) war eine der wichtigsten US-amerikanischen Theoretikerinnen der Gender- und Queer-Theory und eine charismatische Lehrende, die eine ganze Generation von Akademikerinnen und Autorinnen beeinflusst hat. 1975 promovierte sie an der Yale University. Danach unterrichtete sie Literatur am Hamilton College, an der Boston University, dem Amherst College und dem Dartmouth College und war Newman Ivey White Professor an der Duke University. Zuletzt dozierte sie am CUNY Graduate Center in New York City englische Philologie. 2005 wurde Kosofsky Sedgwick in die American Academy of Arts and Sciences und 2006 in die American Philosophical Society gewählt. Sie publizierte zahlreiche Artikel, ist Herausgeberin und Autorin mehrerer Bücher, darunter »Epistemology of the Closet« (1990) und »Between Men – English Literature and Male Homosocial Desire« (1985)

Er ist schwer, dieser Teil. In den Tagebüchern, die ich als Kind jedes Jahr in den ersten Januartagen neu anfing, scheiterte ich regelmäßig schon an dem Bedürfnis, alle Dramatis personae auf einmal einführen zu wollen.

Meine ältere Schwester Nina konnte das sehr gut. In ihrem Tagebuch von 1958 steht zu lesen: »Ich bin ein 11-jähriges Mädchen und heiße Nina Kosofsky. Ich wiege 34 Kilo und habe dunkle Haare und dunkle Augen. Ich bin

manchmal aufbrausend.
Die Schreiberin vergnügt sich
mit Lesen, Puppen,

Tanzen, dem Schreiben von Geschichten, Gedichten und Theaterstücken. Wandern finde ich auch gut.

Buttons ist unsere fast 7-jährige Katze. Sie ist sehr fett und alle denken immer, dass sie bald Junge bekommt. (Kann sie aber nicht, da sie sterilisiert ist). Sie ist sehr unfreundlich zu anderen Katzen und Katern. Ihr Fell ist schwarz und grau, mit weißen Streifen, nur der Bauch ist irgendwie orange.

David ist mein 4- und bald 5-jähriger Bruder. Er sieht mir ziemlich ähnlich. David ist sehr süß, wenn er will (und er will fast immer), aber das weiß er auch. Er redet keine Babysprache und lispelt auch nicht, außer dass er manchmal tsch als d ausspricht und th als v.

Mommy.

Meine Mutter heißt
Rita Goldstein Kosofsky,
ist 36.

Sie sieht mir ebenfalls sehr ähnlich. Mommy ist sehr ausgeglichen. Ganz anders als viele Mütter mag sie (fast) immer neue Ideen und nutzt sie meist auch. Ich liebe sie wirklich sehr.

Daddy. Leon J. Kosofsky, mein Vater, ist 38 Jahre alt. Er ist nicht dick, nur einfach sehr groß. Er ist fast kahl, bis auf ein paar Haare außen um den Kopf herum. Er ist manchmal

aufbrausend, was oft
meine Schuld ist, aber meist
ist er doch sehr nett

und verständnisvoll. Daddy kann manchmal fast genau wie Yul Brynner aussehen. Ich liebe ihn sehr.

Eve, meine Schwester, ist 8 Jahre alt. Sie hat helle Haare und Sommersprossen. Sie ist wirklich ein ›Bücherwurm‹. Ich glaube, das ist der Grund, warum sie so alt wirkt. Eve ist ziemlich mollig (2 Kilo schwerer als ich). Ich kann

mich erinnern, dass
sie ausgeglichener war,
als sie noch klein war,

obwohl sie noch immer ziemlich locker ist.«

____

Tatsächlich stellt sich recht bald die Aufgabe, den Schauplatz abzustecken. Es bereitet mir kein Vergnügen, eher Angst, in diesem oder welchem Raum auch immer eine Kosofsky-Welt heraufzubeschwören. Aber ich merke, dass die Tatsache, Shannon etwas zu erzählen – eigentlich egal, was – mir eine ganz neue Motivlage bietet, der ich mich schamlos hingebe.

Nein, der schwierigere Teil ist, es jetzt zu erzählen; mich zu entschließen, wie ich die Eingeweide des Labyrinths aufdröseln will, all dessen,

was ich nicht wusste,
und wann ich es nicht wusste;
wie sich das anfühlt,

Dinge nicht zu wissen; ich meine nicht mal große Dinge, sondern einfach nur ganz normale Sachen.

____

»Die kanonischen Themengebiete, Liebe und Arbeit, sind eigenartigerweise unproblematisch bei mir. Ich meine, natürlich gibt es Probleme, auch ein paar große, aber es kommt mir nicht vor, als wären das die Bereiche, wo das Problem zu Hause ist. Vorausgesetzt, dass es so etwas wie DAS Problem überhaupt gibt.«

»›Das Problem‹ …?«

»Oh, ich meine … das ontologische Problem. Was stimmt nicht mit Eve?«

Warum wirkt es so, als würden sie und das Leben einander ablehnen. Denn im Grunde ist

es nicht so, dass die
Dinge bei mir nicht laufen.
Das tun sie sehr wohl!

In vieler Hinsicht
ganz prima. – Das macht mir Angst:
dass sich was ändert

(und ändern muss sich für mein Gefühl einiges), denn wäre es dann nicht zum Schlechteren?

Ich nehme an, hier flossen Tränen. Nicht in Strömen, aber ein paar Tropfen sicher: Ich definiere sie verachtungsvoll als Tränen einer Privilegierten.

Es ist beängstigend, so wenig Verbindung zu spüren mit einem Leben, das so voll ist mit dem, wonach sich andere Leute sehnen – zu Recht sehnen, glaube ich: viel Intimität, genug Geld, Frieden und Privacy, intellektuelle Anregung, jede Menge Wertschätzung, Zeit für meine eigene Arbeit, keine Gewalt, beide Eltern am Leben, meistens gute Gesundheit, eine lange, zärtliche Beziehung mit meinem Kerl, Unmengen von wunderbaren Freunden … Es ist nicht so, dass ich all diese Dinge nicht zu schätzen wüsste. Das tue ich wohl: Als Kind habe ich sicher nicht erwartet, irgendwann einmal so vieles davon zu bekommen. Es erscheint mir fast wie ein Wunder, als Frau, dass ich nie vergewaltigt oder misshandelt wurde oder ungewollt schwanger war. Mir ist vollkommen klar, dass die Dinge nicht nur unendlich viel schlimmer sein könnten, sondern dass sie es für viele Leute auch sind. Auch wenn das nicht unbedingt eine erheiternde Feststellung ist!

Aber irgendwie findet das Erfreuliche an diesen Dingen nicht den Weg in mein Inneres. Ich verfolge sie zwar durchaus zielbewusst, aber wenn sie dann da sind, ist es, als ob ich nicht wüsste, wie ich meine Hand ausstrecken und sie zu mir heranziehen soll.

Es gibt ein christliches Lied, dessen Text ich sehr gerne mag,

For the beauty of the earth,
For the beauty of the skies,
For the love that from our birth
Over and around us lies

– vielleicht unsinnigerweise mag, denn was ich daran schätze, ist das Pathos, mit dem die Schönheit und die Liebe beschrieben werden, als seien sie überall in der Welt, nur nicht in uns selbst.

____

Ich war gewiss ein
morbides, sensibles Kind,
und der Gedanke,

jung zu sterben, war
mir ein guter Freund. Es klingt
komisch, aber der

Todesgedanke gab mir
ein Gefühl von Sicherheit,
Gehaltenwerden.

»Eine weitere Konsequenz davon war vielleicht, dass ich niemals eigene Kinder haben wollte.«

»Haben Sie denn welche?«

»Nein! Ich wollte nie welche. Die Freunde, die mich am längsten kennen, sagen, das sei immer so gewesen. Woran ich mich in dieser Hinsicht vor allem erinnere, ist ein tiefes, grenzenloses Gefühl des Vorwurfs gegenüber meinen Eltern, weil sie mich gezwungen haben, in diese Welt zu kommen. Und, oh, ich erinnere mich, wie ich dachte – wirklich wortwörtlich dachte, da war ich vielleicht acht oder höchstens elf Jahre alt: ›Ich könnte es nie ertragen, wenn irgendjemand,

mein eigenes Kind,
mit solchen Vorwürfen zu
mir kommen würde.‹«

____

Sie redet über ihren Wunsch, zu sterben oder nicht mehr zu sein, veranlasst durch die Entdeckung eines Knotens an ihrem Hals, der sie unverzüglich an Krebs denken ließ. Sie hat es nur ihrem Mann und einem Freund gesagt. Was sie für sich behält, ist ihr innerer Aufruhr angesichts der potenziellen Aussicht auf Krebs und Sterben, den sie pflegt und der zahlreiche Facetten hat. Schuldgefühle wegen »böser« Gedanken, aber auch ein wenig Erleichterung und Angst etc. Was mir auffällt, ist ihre Passivität und ihr Gefühl, durch den Tod gerettet zu werden. Sie ist mit der Rettung im Einklang – vom Tod gepackt und mitgenommen zu werden wie von einem Ritter auf einem weißen Pferd. Sie erwähnt auch Assoziationen mit »Lawrence von Arabien«1 und »Hinter dem Nordwind«2 – was ein Bild ergibt, das einen Grenzverlust und die Verschmelzung mit einer stummen Figur beinhaltet, die aktuell männlich ist, aber vielleicht nicht immer. Es steht im Gegensatz zu der Vorstellung, ihr Selbst in Interaktion mit einem Gegenüber herausbilden zu müssen. Beides wiederum unterscheidet sich vom Bild der warmen, liebenden, fürsorglichen Beziehung mit Freunden – in dem aber auch eine reifere Entwicklung der Rettungsfantasien stecken könnte.

____

Shannon will wissen, ob ich das Gefühl habe, nicht wirklich zu existieren; oder vielleicht nur so zu tun, als würde ich existieren; oder ob es mir vorkommt, als würde ich mein Leben durch die Augen von jemand anderem betrachten. Aber es ist nicht das, was mir fehlt. Es ist etwas anderes.

Komme ich mir wie eine Betrügerin vor? Nein, nicht wirklich. Oh, und hatte ich jemals Suizidgedanken?

Ich weiß, dass ich niemals versucht habe, mich umzubringen. Daher glaube ich inzwischen auch zu wissen, dass ich es niemals tun würde oder tun könnte. Denn es gab eine ganze Reihe von Jahren – als Teenager und junge Frau –, in denen der Gedanke daran, Stunde um Stunde, ständig bei mir war, und ich mir damit immer wieder einen wohligen Schrecken eingejagt habe. Nein, heute denke ich wirklich nie daran.

Und warum es niemals geschehen ist … Nun, es ist schon...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2024
Übersetzer Elvira Bittner
Zusatzinfo mit sw-Abbildungen
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Schlagworte Brustkrebs • Depression • Gender • LGBQT • Onkologie • Psychotherapie • Queer
ISBN-10 3-907351-33-9 / 3907351339
ISBN-13 978-3-907351-33-8 / 9783907351338
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