Wurzeln, Flügel, WLAN? (eBook)

Was Teenager wirklich brauchen - bedürfnisorientiert durch die Pubertät

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-31376-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wurzeln, Flügel, WLAN? -  Romy Winter
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Teenager einfühlsam und gelassen durch die Pubertät begleiten
Türenknallen, genervtes Augenrollen, Zimmer, die im Chaos versinken, zermürbende Diskussionen über Bildschirmzeiten - die Pubertät bietet viel, woran Eltern verzweifeln können. Dabei brauchen Teenager ihre Eltern genauso sehr wie vorher, sie haben nur andere Bedürfnisse. Wie alle gemeinsam durch diese turbulente Zeit kommen und dabei gut in Verbindung bleiben, zeigt Psychologin und Familientherapeutin Romy Winter. Sie liefert spannende Einblicke in die pubertäre Entwicklung und teilt mit viel Herz einen großen Schatz an hilfreichem Wissen für Eltern. Neben Stimmen von Jugendlichen selbst kommen auch Experten zu Wort wie Familiencoachin Mira, Musiker Gabriel Kelly, Handball-Cheftrainer Florian Kehrmann, Sexpertin Birte Fulde und Bildungsaktivist Bob Blume. Ein wertvoller Wegweiser für die vielleicht bedeutendste Autonomiephase unserer Kinder.

Romy Winter ist psychologische Beraterin, systemische Paar- und Familientherapeutin sowie Gründerin des Familienz® Konzeptes, Psychologin und Autorin. Sie ist auf Themen rund um Elternschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Resilienz spezialisiert und arbeitet seit vielen Jahren erfolgreich mit Einzelpersonen, Kindern, Paaren, Familien und Teams. Auf ihrem Instagram-Account @slowmothering mit über 35.000 Followern teilt sie Wissenswertes rund um ihre Kernthemen. Romy Winter lebt mit ihrem Mann und den drei gemeinsamen Kindern in Norddeutschland.

Einleitung
Kaffeeklatsch und Wutanfall

»Du kannst mich mal!« ist das Letzte, was ich höre, bevor ein paar wütende Füße die Treppe hoch stampfen und eine Tür unmissverständlich zugeknallt wird.

Es könnte schlimmer sein, denke ich und gehe in Gedanken alle Schimpfwörter durch, die meines Wissens gerade angesagt sind. »Schlimmer geht’s nicht!«, denkt vermutlich das Publikum unseres improvisierten heimischen Theaterstücks. Heute für Sie im Programm: »Kaffeeklatsch und Wutanfall«. In der oscarverdächtigen Hauptrolle: die Pubertät.

Es ist Sonntagnachmittag, die Familie ist zu Besuch. Vor ungefähr zwanzig Sekunden erinnerte ich unseren Sohn beiläufig, und (ich meine) freundlich, an die bevorstehende Französischklassenarbeit. Vor fünfzehn Sekunden wurde ihm bewusst, dass Mama damit seiner Verdrängungstaktik ein Ende gesetzt und die Buddy-Sonntagspläne zerstört hat, was dazu führte, dass er wütend in sein Zimmer stapfte. Seit etwa zehn Sekunden sind alle Blicke am Tisch erwartungsvoll auf mich gerichtet. Nur das Schmatzen meiner vierjährigen Tochter, die unbeeindruckt ihre Zimtschnecke weiter isst, stört die peinlich betretene Stille.

Ich weiß noch genau, was ich in diesem Moment dachte. Erstens: Warum schaut niemand den Vater so schockiert/erwartungsvoll an? Zweitens: Was ist hier gerade passiert? Und was mache ich jetzt?

Die erste Frage war gedanklich schnell beantwortet: Im Gegensatz zu meinem Mann saß ich nicht nur als Elternteil an diesem Tisch. Ich saß auch nicht nur als Tochter und Schwester von Lehrer*innen hier. Nein, ich saß dort ebenso als Familientherapeutin. Kein Wunder also, dass jeder im Raum darauf brannte zu erfahren, was wohl im zweiten Akt des Theaterstückes passieren wird.

Und hey, ich wäre auch verdammt neugierig, was eine Anwältin tut, wenn sie verklagt wird. Und vielleicht würde ich mich auch fragen, ob man es als Anwältin nicht eventuell hätte kommen sehen und verhindern können. Natürlich habe ich die Pubertät kommen sehen. Sie hat sich schließlich zwölf Jahre langsam, aber entschlossen im Rückspiegel genähert. Und ich habe mich sogar auf ihr Eintreffen und diese besondere Zeit gefreut. Aber an dem Tag, als mir bewusst wurde, dass sie mir gerade mit Karacho hinten reingefahren und nun ganz sicher da ist, traf es mich trotzdem ähnlich unvorbereitet wie die meisten Eltern – was mich direkt zur zweiten Frage führt: »Was mache ich jetzt?«

Jedem dürfte klar sein, dass die Pubertät nichts ist, was von einem Tag auf den anderen »geschieht«. Weder kommt sie noch geht sie über Nacht. Aber es kann vorkommen, dass es das ein oder andere Schlüsselerlebnis gibt, das auch die letzten Zweifel endgültig beiseiteschiebt, dir freundlich die Hand schüttelt und mit einem schelmischen Lächeln sagt: »Hallo, mein Name ist Puber. (Ach süß, wie Pu der Bär, ja?) Nein, mein Name ist Pu-ber, Puber Tät. Und ich wohne jetzt auch hier.«

Es ist nicht so, dass wir vorher nie Streit hatten oder bis dahin keine Türen geknallt wurden. Das kam vor. Natürlich! Aber nach der Autonomiephase im Kleinkindalter und der Wackelzahnpubertät (irgendwas ist ja immer), als die Anwesenheit eines Publikums beim Ausleben von Emotionen ebenfalls völlig egal war, folgte eine Phase der Diskretion beziehungsweise Unterscheidung: Frustschübe und Wutausbrüche waren in Anwesenheit anderer Menschen, wie der Familie am Geburtstagskaffeetisch, deutlich gedämpft.

Mit zehn schmeißen sich die wenigsten Kinder in der Kassen- aka Quengelzone des Supermarktes noch auf den Boden, weil sie das Überraschungsei, die Hubba Bubba oder den Doppelkorn nicht haben dürfen. Was natürlich damit zu begründen ist, dass Kinder sich im Laufe ihrer Entwicklung die Fähigkeit der Impulskontrolle aneignen, aber auch daran liegt, dass Kinder kraft ihrer Impulskontrolle und Reflexionsfähigkeit lernen, ihr Verhalten umgebungs-, situations- und personenbedingt anzupassen.

Kinder wollen geliebt und angenommen werden, sie wollen kooperieren – weshalb sie Meister der Anpassung sind. Am Ende eines Kita- oder Schultages ist der Kooperationsrucksack dann oft leer, und zu Hause kommt der große Showdown. Die Familie wird zum Schrottplatz für alle unangenehmen Gefühle und Emotionen. Und auch wenn das für Eltern (und auch die Kinder) oft sehr anstrengend ist, so ist es doch ein gutes Zeichen. Denn dort, wo Kinder aufhören, sich »zusammenzureißen«, fühlen sie sich sicher gebunden und angenommen. Zu Hause ist im Optimalfall der Ort, an dem ein Kind einfach sein kann, wie es ist. Weil es weiß, dass Mama und Papa da sind, um es in den Arm zu nehmen, wenn es traurig ist. Und weil es weiß, dass Mama und Papa nicht wirklich böse sind, wenn es mal lauter oder wilder wird. Insofern war es für uns nicht ungewöhnlich, dass unser Sohn in unserer Anwesenheit seinen Emotionen freien Lauf lässt – im Gegenteil, uns war immer wichtig, dass er genau das bei uns kann, obgleich wir immer über persönliche Grenzen und Respekt im Austausch waren und darauf geachtet haben, dass die Integrität aller gewahrt wurde.

Aber dass mir unser Sohn vor der versammelten Familie ein »Du kannst mich mal!« um die Ohren haut, traf mich unvorbereitet – und ja, es war mir unangenehm. Was hauptsächlich an der Empörung aller Anwesenden lag. Die Botschaften der Blicke waren durchmischt: von Entsetzen darüber, wie wenig wir diesen Jungen im Griff zu haben scheinen, über Mitgefühl für die Bürde, ein pubertierendes Kind begleiten zu müssen, bis hin zu Ratlosigkeit und Sorge, über die heftige (womöglich unnormale) Emotionalität des Kindes. Ich meine außerdem so etwas wie Schadenfreude oder Genugtuung bei denen erkannt zu haben, die mich 25 Jahre zuvor an meine schulischen Verpflichtungen erinnern mussten und vermutlich ähnlich positives Feedback bekommen haben.

Schon klar, dass man von mir allein aufgrund meines Berufes eine adäquate und professionelle Reaktion erwartete, das Ding ist nur: Ich bin keine professionelle Mutter. Auch für mich war die Begegnung mit der Pubertät in dieser Rolle neu. Was ich mir damals in dieser Situation gewünscht hätte, war jemand, der uns allen sagt: »Macht euch keinen Kopf, es ist alles wunderbar. Keiner hier hat etwas falsch gemacht, im Gegenteil: Jeder der Beteiligten tut, wozu er/sie entwicklungsbedingt gerade berufen ist. (Und das ist eben nicht unbedingt Französisch.) Bleibt offen, neugierig und im Vertrauen. Und bitte vergesst all die Vorurteile und Schreckensgeschichten über die Pubertät. Diese Zeit wird herausfordernd, aber auch faszinierend.« Ach, wie gerne wäre ich schon damals einfach selbst dieser Jemand gewesen. Stattdessen sagte ich nur: »Möchte noch jemand Kaffee? Oder Popcorn?«

Die Pubertät – besser als ihr Ruf

Was ich damals am eigenen Leibe erfahren habe, kannte ich bereits aus meiner Arbeit mit vielen Familien: Eltern haben Respekt, wenn nicht sogar Angst vor der Pubertät oder – und das ist noch viel schlimmer – belächeln diese Zeit und alles, was ihre Kinder währenddessen erleben. Respekt vor dieser besonderen Zeit darf natürlich sein und ist völlig nachvollziehbar. Aber ihr Image als Schreckgespenst und Endgegner der Elternschaft muss die Pubertät dringend loswerden. Es wird ihr einfach nicht gerecht und verkompliziert die ganze Sache nur. Nicht die Pubertät selbst ist das Problem, vielmehr ist es das, was wir über sie denken und wissen – oder eben nicht wissen.

Ich erinnere mich noch ganz genau an den allerersten Elternratgeber, den ich mir auf Empfehlung meiner Hebamme 2009 kaufte: Oje, ich wachse geschrieben von den drei niederländischen Autoren Hetty van de Rijt, Xaviera Plooij und Frans X. Plooij. Untertitel: Von den acht »Sprüngen« in der mentalen Entwicklung Ihres Kindes während der ersten vierzehn Monate und wie Sie damit umgehen können.

Der Titel mag etwas sperrig klingen, aber man weiß genau, worum es geht und was man bekommt – obgleich ich als dreifache Mutter und Therapeutin der Meinung bin, dass dieser Ratgeber mit einer gewissen Skepsis gelesen werden sollte.

Was ich ihm zugutehalte ist, dass er die wohlmeinende Intention hat, Eltern Wissen über die Entwicklung ihrer Kinder zu vermitteln, und dass viele Eltern in eben diesem »Wissen« Trost und Orientierung finden. Denn er erklärt ihnen, warum ihre Babys manchmal besonders anhänglich, weinerlich oder unzufrieden sind – und das wiederum nimmt Eltern einen Teil ihrer Unsicherheit und gibt ihnen das Gefühl: Alles in Ordnung, du hast nichts falsch gemacht! Dein Baby hat gerade einfach eine schwierige Phase.

Was mich an dem Buch allerdings stört, sind vier Dinge: Die unzulängliche wissenschaftliche Basis der im Buch postulierten Sprünge, die fehlende Berücksichtigung der Individualität eines jeden Kindes, die teils fragwürdigen Tipps zum Umgang mit schwierigen Phasen und die Botschaft des Titels.

Oje, ich wachse ist ein Buch, das Kinder in Schubladen steckt und nicht ausreichend berücksichtigt, dass (auch kleine) Menschen sich völlig unterschiedlich entwickeln. Lernen alle Kinder am selben Tag laufen? Bekommen alle Kinder zur selben Zeit ihren ersten Zahn? Fangen sie zeitgleich an zu sprechen? Nein, natürlich nicht. Ebenso wenig fangen sie in derselben Woche an, karierte Muster zu erkennen oder kommen punktgenau an ihrem zwölften Geburtstag in die Pubertät.

Ich möchte nicht behaupten, dass Kinder nicht in Schüben wachsen und ähnliche Entwicklungsverläufe haben, nur sind all die Entwicklungsphasen eben höchst individuell. Sie lassen sich nicht per Glaskugel oder...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2024
Zusatzinfo Durchgehend zweifarbig
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte 2024 • Attachment Parenting • Autonomie • Bedürfnisorientiert • das herz der familie • Drogen • eBooks • Eltern • Elternrolle • Entwicklung • Erste Liebe • Erziehung • Familienalltag • Gehirn • Gesundheit • hilflos • Jesper Juul • Jonathan Haidt • Jugendliche • Körper verstehen • krisenfest. das resilienzbuch für familien • Magersucht • Miteinander • Mobbing • Neuerscheinung • Psychologie • Pubertät • pubertät - wenn erziehen nicht mehr geht • Pubertier • Ratgeber • Schutz • screentime • Selbstbestimmt • Streiten • Stress • Teenager • Trotzphase • Unabhängig • Unterstützung • Verstehen • Zugang finden
ISBN-10 3-641-31376-7 / 3641313767
ISBN-13 978-3-641-31376-0 / 9783641313760
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