Mein fabelhaftes Einzelkind (eBook)
192 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-31591-7 (ISBN)
Mit einem Gastbeitrag von Vierfach-Mutter und Bestseller-Autorin Nora Imlau.
»Typisch Einzelkind!« Nichts trifft Ein-Kind-Eltern so sehr wie dieser Satz. Doch sind Einzelkinder tatsächlich verwöhnter und weniger sozial? Fehlen ihnen Kompetenzen, wenn sie ohne Geschwister groß werden? Die erfahrene Elternberaterin Anna Hofer, selbst Einzelkind und Einzelkindmutter, hält dagegen: Natürlich ist eine Familie auch mit einem Kind komplett! Sie erklärt, woher die Vorbehalte kommen, und macht allen Eltern Mut, die sich sorgen, ob ihr Kind auch einzeln gut gedeiht. Selbst wenn es überall um Geschwister geht: Dieser Ratgeber widmet sich denen, die ohne aufwachsen. Und das sind gar nicht so wenige!
Anna Hofer, Jahrgang 1979, unterstützt seit zehn Jahren Familien in der psychologischen Beratung und als Stillberaterin. Ausgebildet in der Gesprächspsychotherapie nach Rogers und der Verhaltenstherapie nach Beck & Ellis begleitet sie Mütter und Väter auf den verschiedensten Etappen ihrer Elternschaft. Sie ist als Einzelkind aufgewachsen und selbst Mutter eines 2012 geborenen Einzelkindes. Sie kennt das häufige Unverständnis und die Frage nach Geschwistern, wann immer ihr Einzelkind zur Sprache kommt.
Einführung
Ein Buch für Ein-Kind-Familien
Hallo. Wenn du dieses Buch liest, hast du vermutlich ein Kind. Vielleicht wird es bald ein Jahr alt sein oder es ist schon ein bisschen größer. In deinem Umfeld sprechen deine Freund*innen darüber, ein weiteres Kind zu bekommen oder sind schwanger. Vielleicht beginnst du dich zu fragen, wie es mit deiner Familie weitergehen soll. Ob du ein zweites Kind bekommen möchtest oder nicht? Vielleicht wünschst du dir auch ein weiteres Kind, musstest aber schon viele Sternchen ziehen lassen. Oder du bist glücklich mit deiner Ein-Kind-Familie, denn es passt alles wunderbar zusammen. Was auch immer auf dich zutrifft: Dieses Buch ist für dich. Für Familien mit einem Kind.
Als ich mir die ersten Gedanken zu diesem Buch gemacht habe, geschah das aus der Beobachtung heraus, dass die meisten Menschen Kinder ohne Geschwister – wie mich selbst und wie mein Kind – mit anderen Augen sehen als andere Kinder. Und in mir wuchs der Wunsch, das zu ändern. Mir war klar, dass es viele Einzelkind-Klischees gibt und ich wusste, dass an ihnen nichts dran ist. Denn jeder Mensch vereint positive und weniger positive Eigenschaften in sich, egal, ob er oder sie Einzelkind ist oder nicht.
Einzelkinder.
Das sind Kinder, die ohne Geschwister aufwachsen. Es werden keine weiteren (Halb-)Geschwister in die Familie geboren. Damit wäre die Definition eigentlich bereits abgeschlossen. Doch es ist viel komplizierter: Meinungen und Vorurteile dominieren dieses Thema.
In Foren, in denen sich Eltern zum Thema Altersabstand zwischen Geschwisterkindern austauschen, taucht manchmal die Aussage auf: »Ich möchte nicht zwei Einzelkinder bekommen.« Der Altersabstand soll also nicht zu groß sein. Dahinter steckt der Wunsch, dass die Kinder nicht so werden, wie »Einzelkinder« es vermeintlich sind.
Den Ärger über die offensichtlich negative Vorverurteilung von Kindern ohne Geschwister mal beiseite gewischt, ist da tatsächlich etwas dran! Wenn Kinder mit mehr als sechs Jahren Altersabstand aufwachsen, leben sie in einem sehr unterschiedlichen Alltag, inniger, aber mehr neben- als miteinander. Es gibt keine Rivalität, keinen Konkurrenzkampf. Das große Geschwister ist in seiner Persönlichkeit gefestigt und fühlt nicht in dem Maße Eifersucht und Verlustangst, wie es Geschwister erleben, die einen geringen Altersabstand haben.
Weil sie über große Teile des Tages keinen gemeinsamen Alltag haben, bezeichnet man sie gerne als zwei Einzelkinder. Was natürlich Unsinn ist. Denn erstens ist es ganz gleich, welchen Altersabstand Kinder zueinander haben. Wenn sie in eine Familie geboren werden, sind sie Geschwister – im biologischen wie auch im emotionalen Sinn. Und zweitens: Gemeint ist natürlich etwas anderes. Impliziert wird, sie würden sich so negativ entwickeln und verhalten wie Einzelkinder. Womit wir wieder beim Thema wären.
Ich selbst bin in einer Familie ohne Geschwister und mit wesentlich älteren Cousins oder Cousinen aufgewachsen. Die meisten meiner Freund*innen im Kindergarten und in der Schule hatten jüngere Geschwister. Wenn wir gemeinsam unterwegs waren, waren die Geschwister mit dabei. Wenn ich zu Besuch kam, waren sie auch da. Mehr oder weniger gerne gesehen, aber das lag nicht an mir, mich störten die Geschwister nicht. Doch meine Freund*innen hätten ihre Zeit lieber mit mir alleine verbracht.
Meine Freundin Sandra passte bereits im Grundschulalter mittags nach der Schule auf ihr jüngeres Geschwister auf, holte es aus dem Hort ab, bereitete etwas zu essen zu und kümmerte sich um die Hausaufgaben. Sie war, wie einige Kinder in meiner Klasse, ein sogenanntes »Schlüsselkind«. Sie kam nach Hause und die Wohnung war leer, die Eltern noch auf der Arbeit. Sie war die große Schwester und trug Verantwortung – einfach, weil sie älter war als ihr Geschwister. Deshalb kam sie am liebsten zu mir zum Spielen. Dort waren kein Geschwister und keine Verantwortung.
So ging es vielen meiner Freund*innen. Ich erinnere mich an keinen Moment, an dem ich mir wünschte, an ihrer Stelle zu sein. Ich genoss die Zeit mit ihnen, aber auch die Zeit für mich alleine. Ich hatte die Wahl zwischen Gesellschaft und Ruhe. Einsam habe ich mich nie gefühlt und das Alleinsein habe ich für mich so ausgekostet, wie ich es in dem Moment brauchte. Auf jeder trubeligen Familienfeier kam für mich irgendwann der Punkt, meist zwischen Kaffee- und Kuchenzeit und dem Abendessen, an dem ich mich zurückzog, um für mich zu sein. Es ist das, was ich bis heute brauche, um mich gut zu fühlen.
Dass ich selbst Mutter sein möchte, war für mich immer klar. Irgendwie, mit irgendwem, alles würde sich schon mit der Zeit finden. Mir war allerdings auch schon immer klar, dass ich genau ein Kind bekommen würde.
Die erste Zeit mit unserem Baby war ein großes Abenteuer. Alles war neu mit diesem kleinen Erdenbürger, der uns von einem auf den anderen Moment zu Eltern gemacht hatte. Wir lernten uns kennen und stellten uns aufeinander ein, gewannen mit der Zeit einen neuen Alltag zurück – mit unserem Kind, als wäre es nie anders gewesen. Wir sind eine Familie. Oder nicht?
Mein Kind muss ungefähr zwei Jahre alt gewesen sein, als die ersten Fragen nach einem Geschwister kamen – im Kindergarten und in der Spielgruppe, die ich mit meinem Kind besuchte. Diese Frage kam im Gewand von Small Talk daher, als würde man sich über das Wetter unterhalten. Meistens dann, wenn ich jemandem zur erneuten Schwangerschaft gratulierte: »Und wann ist es bei Euch wieder soweit?« Da wurde mir klar, wie selbstverständlich Geschwister offenbar sind. Mir erschloss sich nur nicht, warum.
Das Argument für ein Geschwisterkind, so schien es, lag auf der Hand: Mein Kind sei alleine, einsam und hätte niemanden zum Spielen. Nicht nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass wir in diesem Moment in einem fröhlich lärmenden Raum voller Kinder standen, die großen Spaß miteinander hatten – und das ganz ohne miteinander verwandt zu sein! Ich machte mir keine Sorgen. Ich wusste, dass mein Kind genug Austausch mit Kindern hatte, um seine sozialen Fähigkeiten zu entwickeln.
Was mich aber störte, war die ausgesprochene Erwartung Dritter, dass zu einer Familie zwei Kinder gehörten – mindestens. Welchen Ratgeber hatte ich verpasst, in dem diese wichtige Information stand? Und wenn wir uns nun als Familie vollständig fühlten – war das falsch? Fehlte meinem Kind etwas, wenn es ohne Geschwister aufwuchs? War ich zu egoistisch, mich noch einmal in diese intensive Care-Arbeit mit meinem Mann reinzuteilen und dann im weiteren Verlauf Beziehungsarbeit mit meinem ersten und dem zweiten Kind zu leisten, damit sie sich gut verstünden? Die berechtigte Eifersucht und Frustration zu begleiten, wenn das neue Baby auf der Welt ist und mir das selbst als wichtigen Entwicklungsschritt für mein großes Kind zu verkaufen?
Damit ich mit anderen Eltern mitziehe und mitreden kann? Damit ich noch mehr Mutter bin? Gibt es da tatsächlich eine Steigerung des Wortes, wenn man mehrere Kinder bekommt? Wird man »mutteriger«?
»One kid it’s a hobby,
and two children is parenting.«
Meghan Markle in The Ellen DeGeneres Show, 2021
Machen wir es uns mit einem Kind zu leicht? Sind wir noch keine echte Familie – nur eine Familie im Aufbau? Zu viele Eltern kennen diese bohrenden Fragen, diese nagenden Zweifel. Viele kennen den Druck, sich erklären und rechtfertigen zu müssen. Dabei sind die Gründe, eine Ein-Kind-Familie zu sein, sehr vielfältig: Sie können medizinische und auch ökonomische Gründe haben. In vielen Ein-Kind-Familien bestreiten zum Beispiel Alleinerziehende den Familienalltag. Und natürlich kann es auch eine sehr bewusste Entscheidung sein, genau ein Kind zu bekommen und sich als Familie dann komplett zu fühlen – auch wenn Außenstehende dafür oft wenig Verständnis aufbringen.
Die Ammenmärchen und damit verbundenen negativen Eigenschaften, die man Einzelkindern auch heute noch zuschreibt, sind wenig charmant und geradezu alarmierend: Kinder, die ohne Geschwister aufwachsen, werden als egoistisch, narzisstisch und sozial weniger kompetent beschrieben. In der Literatur finden wir Bücher – wenn es denn welche zu diesem Thema gibt – die sich mit dem schweren Los des Einzelkindes beschäftigen, nicht aber mit seinen Stärken. Für ein gesundes Aufwachsen brauche es mindestens ein Geschwister. Die sogenannte, schmerzliche Entthronung sei ein wichtiger Schritt für die gesunde Entwicklung eines erstgeborenen Kindes.
Den Spruch »Ein Kind ist kein Kind« kennen sicher alle, die ein Kind ohne Geschwister beim Großwerden begleiten. Er suggeriert, wir seien zu faul, zu bequem oder schlicht zu feige, den Alltag mit mehr als einem Kind zu bestreiten. Dabei stellen Familien mit nur einem Kind in Deutschland die größte Familiengruppe nach Anzahl der Kinder dar. Etwa jedes vierte Kind wächst in Deutschland in einem Haushalt ohne Geschwister auf.1 Diese Zahl ist in den USA und China noch größer. Einzelkinder sind also längst keine bedauernswerte Randgruppe mehr. Genauso wenig wie Kinder, die mit einem alleinerziehenden Elternteil oder in einer Regenbogen- bzw. Patchwork-Familie aufwachsen. Einzelkinder verdienen deshalb einen unvoreingenommenen und keinesfalls defizitären Blick auf sich und ihre Eltern.
Lasst uns in diesem Buch gemeinsam auf die Reise gehen, Einzelkinder und ihre Familien besser kennenzulernen. Im ersten Teil des Buches werfen wir gemeinsam einen Blick in die Vergangenheit, um die Gegenwart besser verstehen zu können. Woher kommt das schlechte...
Erscheint lt. Verlag | 23.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
Schlagworte | 2024 • Attachment Parenting • Bedürfnisorientierte Erziehung • Bindungsorientiert • eBooks • Egoismus • Eltern • Eltern-Kind-Beziehung • Erziehung • Familienleben • Geschwister • Gesundheit • Glückliche Kindheit • Neuerscheinung • Ratgeber • Vorurteile • zweites Kind |
ISBN-10 | 3-641-31591-3 / 3641315913 |
ISBN-13 | 978-3-641-31591-7 / 9783641315917 |
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