Vorwort

»Warum noch ein ADHS-Buch?«

Es lag schon ein längerer Leidensweg hinter uns, als ich schließlich einen Termin in einer Erziehungsberatung vereinbarte. Irgendwie war alles aus dem Ruder gelaufen. Unser kleines, verträumtes Sonnenscheinchen knallte nur noch Türen, biss die Geschwisterkinder und zerknüllte Schulhefte oder zerbrach Bleistifte. Überforderung auf allen Seiten. Also saß ich nun in der Beratung, schilderte die Situation und erhielt als Antwort Sätze wie »Sie müssen dem Kind härter begegnen und jegliche Diskussion im Keim ersticken!« oder »Na also Ihr Kind ist ja zu Hause der heimliche Chef, kann das sein?«. Auch aus der Schule hagelte es unangenehme Rückmeldungen: »Ihr Kind sprengt den Unterricht. So geht das nicht!« oder »Ganz schön zickig, Ihr Kind!«. Später, als dann die ADHS-Diagnose erfolgt war, kamen weitere Aussagen dazu wie: »Das kann jetzt aber nicht als Entschuldigung für alles herhalten …«

Jeder dieser Sätze war wie ein Messerstich für mich. Einerseits, weil in mir die Löwenmama angesprochen wurde, die sich schützend vor ihr Kind stellen wollte. Andererseits, weil es bei mir als Kritik an meinem Erziehungsstil ankam – an dem ich selbst zweifelte. Denn mir fehlten noch die nötige Klarheit und das Bewusstsein dafür, was anstelle von Härte, Strafen und Verstärkerplänen rücken könnte, wie es Berater:innen und Ratgeber empfahlen. Klar war nur: Das muss auch anders gehen! Ich kniete mich rein und las alles, was mir in die Finger kam. Im Jahr 2017 entdeckte ich die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Seitdem empfinde ich sie als riesigen Schatz für meine Familie und für den Umgang mit mir selbst und meiner eigenen ADHS-Diagnose. Seit 2020 gebe ich als GFK-Trainerin mein Wissen an Eltern weiter und kann versichern: Ja, es gibt einen Weg raus aus den ewigen Machtkämpfen und Streitereien – hin zu einem Miteinander, in dem alle Bedürfnisse zählen! Einen Weg, der darin besteht, Kinder mit Worten zu stärken, statt sie durch ständiges Negativ-Feedback zu schwächen. Wie das geht, erfährst du Schritt für Schritt in diesem Buch.

»Warum noch ein ADHS-Buch?«, habe ich mich selbst gefragt. Ganz einfach: Weil mir in den bisherigen der Aspekt der Kommunikation immer zu kurz gekommen ist! Denn in meiner täglichen Arbeit als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin ist das eine der meistgestellten Fragen: »Wie kann ich das denn jetzt genau sagen?« oder »Wie kann ich das meinem Kind vermitteln?«. Egal welchen Ansatz Eltern in der Erziehung verfolgen möchten, die Art, wie sie es in der Familie vermitteln und ganz konkret umsetzen, ist der schwierigste Teil. Vielleicht kennst du das auch, dass du dir etwas vorher überlegst und vornimmst, es aber dann in der Realität nicht funktioniert? Genau da spielen die eigene Haltung und die Kommunikation eine zentrale Rolle.

Das Thema ADHS hat seit meinem Psychologiestudium einen ganz besonderen Platz in meinem Leben: Der Zufall (oder war es das Schicksal?) wollte es so, dass ich an einer Langzeitstudie zur Erforschung von ADHS im Laufe der Kindheit mitarbeiten konnte. Ab da gab es kein Halten mehr! Ich habe zunächst meine Bachelorarbeit über das Thema geschrieben und mich dann immer mehr auf ADHS spezialisiert. Egal ob in der Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, in der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis oder der Erziehungsberatungsstelle – überall spielte es fortan eine besondere Rolle. Ich erkannte mich so oft in den Kindern wieder, die vor mir saßen, und hatte eine besondere Bindung zu ihnen und ihren Familien. Eine eigene Diagnose habe ich zwar nicht, aber ein Einlesen über weibliche ADHS hat mir geholfen, einiges in meiner Vergangenheit besser zu verstehen.

Dabei stellte ich fest: Der Schlüssel für echte Veränderung in den Familien war in aller Regel eine Veränderung der Haltung und der Kommunikation. Die besten Therapie-Erfolge erreichten wir durch ein Zusammenspiel von bewusster, positiv gestalteter Familien-Kommunikation und anderen verhaltenstherapeutischen Elementen, die natürlich auch in diesem Buch ihren Platz haben. Durch die Gewaltfreie Kommunikation kann eine Familie, die entzweit ist, wieder zusammenwachsen. Dazu will ich dir von einer Mutter erzählen, die zu Beginn der Therapie Folgendes zu mir sagte: »Ich liebe mein Kind nicht mehr!« Natürlich rührte mich das als Therapeutin in besonderer Weise an. Umso mehr, was sie dann am Ende der Therapie empfand: »Frau Sandfuchs, Sie hatten recht. Ich habe meinen Sohn immer geliebt. Aber das habe ich zwischendurch nicht mehr wahrnehmen und damit nicht zeigen können. Heute wissen wir, wie wir miteinander reden und auf unsere Bedürfnisse achten können.«

Wir möchten dich mit diesem Buch auf dem Weg der nachhaltigen Veränderung unterstützen – ganz gleich, wo du gerade mit deiner Familie stehst. Daher beantworten wir die Frage »Warum noch ein ADHS-Buch?« auch mit einem verschmitzten Lächeln und selbstbewusst: Weil es dieses Buch schon so lange so dringend gebraucht hat. Und weil es das eine ADHS-Buch ist, das du noch brauchst. Denn es wächst mit dir und deiner Familie. Du...