Kräuterkunde (eBook)
240 Seiten
Kailash (Verlag)
978-3-641-37062-6 (ISBN)
Dr. Wolf-Dieter Storl, geboren 1942, ist Kulturanthropologe und Ethnobotaniker. Er wanderte 1954 mit seinen Eltern in die USA (Ohio) aus, wo er die meiste Zeit in der Waldwildnis verbrachte. Nach dem Studium der Botanik und Völkerkunde an der Ohio State University lehrte er als Dozent für Soziologie und Anthropologie an der Kent State University. 1974 promovierte er als Doktor der Ethnologie in Bern.
Seine zahlreichen Reisen und Feldforschungen prägten sein Denken und fanden ihren Niederschlag in vielen erfolgreichen Büchern. Wolf-Dieter Storl lebt seit 1988 mit seiner Familie auf einem Einsiedlerhof im Allgäu.
Heidnisch, primitiv, wild und gefährlich
Als die christlichen Missionare sich anschickten, die Welt zu bekehren, geriet die Kräuterkunde in Verruf, denn heidnische Heilpriester und Schamanen waren die Rivalen der Missionare. Sie waren des Teufels, genau wie ihre Kräuter. Heilung für den sündigen Menschen sei nur im Gebet, in der Hostie und im Weihwasser zu finden. Weil das Volk trotzdem zu den Kräuterhexen lief, konnte die Kirche nicht anders, als die Kräuter wieder zuzulassen. Aber nur die Pflanzen der Bibel und diejenigen aus Ländern, in denen die Apostel gewirkt hatten, bekamen ihren Platz im armseligen Hortulus der Klöster. Im Zuge der Inquisition wurden die wahren Kräuterkenner als Teufelsbuhlen bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Überlieferung geriet dadurch ernstlich in Gefahr.
Im Schatten der Kirche und immer hart am Rande der Ketzerei bewegte sich die Alchimie. Ihr Anliegen wares, die als unedel empfundene Natur zu läutern und zu vervollkommnen. Die Vorstellung, daß »Blei« in »Gold« verwandelt werden sollte, wurde auch auf die Pflanzen übertragen. Die rohe pflanzliche Materie galt als primitiv, als Ausgangsmaterial, das im Labor spagyrisch digeriert, destilliert, kalziniert und durch andere Prozesse geführt werden muß, um schließlich das Elixier, die Essenz, den Spiritus, das Arkanum, die reine Medizin zu erhalten. Die irrige Vorstellung, daß Kräuter primitiv sind und aus diesem Grund der chemischen Läuterung bedürfen, hat sich bis heute erhalten.
Mit der Aufklärung, die die Rationalität zum höchsten Prinzip erhob, gerieten die einfachen Kräuterheilmittel weiter unter Beschuß. Eine aufgeklärte »heroische« Medizin bevorzugte die »chemischen« Mittel. Hatten nicht die pflanzlichen Mittel, im Gegensatz zum Quecksilber, bei der schrecklichen Lustseuche (Syphilis) versagt? Das wenige, das vom alten Kräuterheilwissen übrigblieb, flüchtete sich nun unter die Fittiche der Kirche, dem letzten Refugium des Irrationalen. Der Taoist würde schmunzeln. So verwandelt sich Yin in Yang: Kräuterpfarrer und blasse Nonnen führten nun den Kampf gegen den aufklärerischen Kahlschlag, rührten Salben und verordneten ihren Schäfchen Kräutertees.
Im selben Maße, in dem sich die gekünstelte Zivilisation von einer naturnahen Lebensweise entfernte, nahm auch die Angst vor der Natur und ihren Geschöpfen zu. Auch unter den Ärzten. Abgesehen von einigen forte-Phytoterapeutika, wie Opium, Purgierwinde und Fingerhut, vergaßen die Ärzte ihre besten Verbündeten, die Kräuter. Dabei waren die alten Ärzte, von der Antike bis zur Renaissance, vor allem Kräuterheiler. Sie waren die ersten Botaniker.
Gerade wegen ihrer Ursprünglichkeit, wegen ihrer primitiven Lebenskraft kann die Pflanze heilen. Heilen bedeutet Heilmachen, sich wieder mit dem Ganzen verbinden. Und das kann die Pflanze dank ihrer unmittelbaren Offenheit den Erdkräften, den Elementen, dem Sonnenlicht und den kosmischen Rhythmen gegenüber. Sie kann ihre Ganzheitlichkeit auf den kranken, aus seinem Rhythmus und seiner Mitte gefallenen Menschen übertragen.
In dem Maße, in dem sich die kultivierten Herren der Wissenschaft nicht mehr vom »Lichte der Natur« (Paracelsus) führen ließen, häuften sie Verachtung und Spott nicht nur auf die Simplicia, die Kräuter, sondern auch auf die einfachen, oft hellsichtigen Menschen, die einst den Ärzten ihre Heilkräuter brachten. Kräuterweiber und Wurzelschneider wurden als Hinterwäldler und als gefährliche Scharlatane diffamiert, als lästige, »ländlich schändliche« Konkurrenz, die es juristisch zu verfolgen galt.
Typisch ist etwa die sächsische Medizinal- und Apothekerordnung (1673), die den Kräutersammlern und Buckelapothekern ihr Handwerk verbieten wollte. (Ludwig 1995:91) Immer wieder wurden im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts thüringische Medikamentenhändler festgenommen, mit Stockhieben traktiert und ihre Kräuter, Tinkturen und Balsame beschlagnahmt.
An der Situation hat sich bis heute wenig geändert. Der britische Medical Act (1968) besagt, daß Kräuterpräparate nur zugelassen werden, wenn sie klinisch getestet und neu lizensiert werden. Verlangt wurden experimentelle Wirksamkeitsnachweise, die viele Millionen kosten und 5 bis 7 Jahre dauern würden. Welche kleine Kräuterfirma konnte sich das leisten? Noch schlimmer in den USA, wo die FDA (Food and Drugs Administration) willkürliche GRAS-Listen (Generally Recognized as Safe) aufstellte und viele bewährte Heilkräuter unter Acht und Bann stellen ließ. Darunter zum Beispiel Sassafras (Sassafras albidum), aus dessen Wurzeln das bei Kindern seit Generationen beliebte »Root Beer« gebraut wurde. Ein »blutreinigender« Sassafras-Tee wurde allgemein bei Lungen-, Verdauungs-, Nieren- und Leberproblemen getrunken. Grund des Verbots: Sassafras enthalte das krebserregende Safrol. Ein Artikel in Science (April 1987, S. 271) rückt die Aussage in die richtige Perspektive: Eine Flasche Root Beer ist (wegen des Safrols) nur ein Vierzehntel mal so krebserregend wie eine Flasche Bier (wegen des darin enthaltenen Ethanols). Nach den FDA-Kriterien könnte man genausogut Pfeffer, Schwarztee, Kaffee, Stern-Anis, Muskat sowie die meisten Lebensmittel verbieten.
1988 startete das deutsche BGA (Bundesgesundheitsamt) einen Großangriff auf die Kräuter- und Naturheilkunde. Altbewährte Heilkräuter, wie Huflattich, Pestwurz, Beinwell, Angelika und andere, wurden als gefährlich und sogar karzinogen dargestellt. Pyrrolizidinalkaloide war das Schlagwort, das gegen die Kräuter vorgebracht wurde. Ratten hätten beim Verzehr von Huflattichblättern Leberkrebs bekommen. Allerdings war die Dosis, die den armen Versuchstieren zugemutet wurde, extrem hoch. Sie entsprach, auf menschliche Verhältnisse übertragen, dem Konsum von vier Drogeriepackungen Huflattich pro Tag, also viele tausendmal soviel wie die übliche therapeutische Dosierung. (Weiß 1991:261)
Zu guter Letzt versuchte das Deutsches Ärzteblatt (Nr. 3, Januar 1995) im Leitartikel die Natur- und Kräuterheilkunde in die Nähe der Nazi-Ideologie zu rücken. Auch wenn Rudolf Heß biologisch-dynamisches Gemüse aß und es im Dritten Reich gelegentlich Heilkräutersammelaktionen gab, ist der Artikel beabsichtigter Rufmord. Die Herausgeber sollten solchen peinlichen Unsinn unterlassen. Besser wäre es, sich in Anbetracht der Krise, in der die Medizin gegenwärtig steckt, auf bewährte Heiltraditionen zu besinnen und die Heilkräuter wieder in die Praxis aufzunehmen. Nach Schätzungen des amerikanischen Mediziners Andrew Weil könnten 60 Prozent aller Leiden besser mit Kräutern als mit anderen Mitteln erfolgreich behandelt werden. Bei entsprechender Prophylaxe wäre diese Prozentzahl noch höher zu veranschlagen.
Aber es weht ein frischer Frühlingswind, und die ersten Anzeichen einer Wende sind bereits spürbar. So forderte Andrew Weil, Forscher in Harvard und Medizindozent an der University of Arizona, anläßlich des »Symposions der Akademie der Neuen Berserker« (Oktober 1992, München) die Wiedereinführung von phytotherapeutischen Mitteln in die ärztliche Praxis. Nur hat leider niemand die überlasteten Ärzte darüber informiert, wie gut die Heilkräuter wirken können. Auf keiner Universität haben sie gelernt, wie man sie anwendet. Rudolf Verres, Medizinprofessor an der Universität Harnburg und Leiter der Abteilung Psychotherapie der Universität Heidelberg, forderte in seinem Beitrag zum wegweisenden 2. Internationalen ECBS-Kongreß (Europäisches Collegiumfür Bewußtseinsstudien, Heidelberg, Februar 1996) junge Ärzte auf, sich mit Kräutern zu befreunden. Das einseitig humanistische Denken schiebt eine Kulisse zwischen den Menschen und die Natur.
Medizinstudenten, die lebendige Frösche sezieren und Pillenkataloge auswendig lernen müssen, werden zur Verachtung der Natur erzogen. Warum – fragt Verres – produzieren die Pflanzen Wirkstoffe, die sie gar nicht brauchen, wenn es sich nicht um Botschaften der uns umgebenden Natur handelt? Synthetika haben damit nichts zu tun, sie wirken entfremdend. Verres macht ernst mit seiner Einstellung: Seine Studenten lernen die Heilkunst nicht nur in sterilen Labors und Hörsälen kennen, sondern auf Spaziergängen durch blühende Kräuterwiesen, und den Körper erfahren sie durch Massagen lebendiger Menschen und nicht nur durch Sezieren von Leichen.
Ein Plädoyer
Phytotherapie muß wieder ein integraler Bestandteil der medizinischen Ausbildung werden. Das Wissen um die Heilwirkung der Pflanzen muß Ärzten und Laien gleichermaßen wieder zugänglich gemacht werden. Warum?
1. Kostensenkung
2. Verfügbarmachung von Heilmitteln, die unserem Organismus biologisch besser angepaßt sind.
3. Entlastung der Ärzte und Förderung der Selbstverantwortlichkeit der Patienten. Die meisten »Problemchen«, mit denen Menschen zum Arzt gehen (Erkältungen, verstauchte Zehen, leichte Schnittverletzungen usw.) können problemlos zu Hause phytotherapeutisch behandelt werden. Die notwendigen Grundkenntnisse könnten bereits in den Schulen gelehrt werden.
4. Vorbeugung gegen Mißbrauch. Die freie Verfügbarkeit von sachverständigem Heilkräuterwissen ist notwendig, um unverantwortlicher Scharlatanerie Einhalt zu gebieten. Mir sind Fälle bekannt, wo egobesessene »Heiler« den Kranken »gechannelte«...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Schlagworte | 2024 • Bachblüten • eBooks • Edward Bach • Erdkräfte • Gandharva • Ganzheitliche Gesundheit • Heilkräuter • Heilpflanzen • Heilung • Maria Treben • Naturreligion • Neuerscheinung • Ratgeber • Schamanentum • Schamanismus |
ISBN-10 | 3-641-37062-0 / 3641370620 |
ISBN-13 | 978-3-641-37062-6 / 9783641370626 |
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