S?dhan? -  Rabindranath Tagore

S?dhan? (eBook)

Der Weg zur Vollendung
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
102 Seiten
e-artnow (Verlag)
9786339511059 (ISBN)
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'Sadhana - Der Weg zur Vollendung' ist eine inspirierende Sammlung von spirituellen Reden von Rabindranath Tagore, gehalten vor Schülern seiner Schule in Bolpur, Westbengalen. Das Buch umfasst acht Essays, die aus Tagores bengalischen Vorträgen zusammengestellt und von ihm selbst ins Englische übersetzt wurden. In diesen Essays ergründet Tagore einige der fundamentalsten Fragen des Lebens: Er reflektiert über die Gründe für die Schöpfung der Welt durch Gott, hinterfragt die Existenz des Bösen und sucht nach dem tieferen Sinn von Liebe und Schönheit. Tagores tiefgründige Betrachtungen bieten eine einzigartige Perspektive auf spirituelle und philosophische Themen.

Rabindranath Tagore (1861 - 1941) war ein bengalischer Philosoph, Dichter, Maler, Komponist, Musiker und Brahmo-Samaj-Anhänger in Indien. Tagore revolutionierte in einer als 'Bengalische Renaissance' bekannten Zeit die bengalische Literatur mit Werken wie Ghare baire oder Gitanjali und erweiterte die bengalische Kunst mit einer Unzahl von Gedichten, Kurzgeschichten, Briefen, Essays und Bildern. Er war ein engagierter Kultur- und Sozialreformer sowie Universalgelehrter. Die Kunst seiner Heimat modernisierte er, indem er ihre strikte Struktur und klassische Formensprache gezielt angriff.

II.
Das Bewusstsein der Seele


Wir haben gesehen, daß es das Streben des alten Indiens war, in Brahma zu leben und zu weben und in ihm seine Freude zu haben, in ihm, dem allbewußten und alldurchdringenden Geiste, indem es den Bereich seines Bewußtseins über die ganze Welt ausdehnte. Aber man kann einwenden, daß dies für den Menschen eine unmögliche Aufgabe ist. Wenn diese Ausdehnung des Bewußtseins ein Zunehmen nach außen bedeutete, so wäre diese Aufgabe endlos; es wäre, als wollten wir versuchen, das Meer auszuschöpfen, um an die andre Seite zu gelangen. Solcher Versuch, alles zu erkennen, würde damit enden, daß wir nichts erkennten.

Aber in Wahrheit ist die Forderung nicht so unsinnig, wie sie klingt. Der Mensch steht jeden Tag wieder vor der Aufgabe, wie er sich genug Raum schaffen und seine Lasten tragen kann. Seiner Lasten sind viel, zuviel als daß er sie tragen könnte, aber er weiß, daß er durch Anordnung nach einem System ihr Gewicht erleichtern kann. Wenn sie ihm zu schwer und unhandlich werden, so weiß er, es kommt daher, daß es ihm noch nicht gelungen ist, das System zu finden, das jede an ihre richtige Stelle rückt und das Gewicht verteilt. Dies Suchen nach einem System ist im Grunde ein Suchen nach Einheit, nach Synthese; es ist unser Versuch, die heterogene Zusammengesetztheit des äußeren Stoffes durch innere Anordnung in Harmonie zu wandeln. Bei dem Suchen wird es uns allmählich klar, daß, wenn wir das Eine finden, wir alles besitzen; daß darin in Wahrheit unser letztes und höchstes Vorrecht besteht. Dies beruht auf dem Gesetz jener Einheit, die, sobald wir sie nur erkennen, unsre dauernde Stärke ist. Ihr Lebensprinzip ist die Kraft, die in der Wahrheit liegt; in der Wahrheit jener Einheit, die die Vielheit in sich schließt. Der Tatsachen sind viele, aber die Wahrheit ist Eine. Der Verstand, den wir mit den Tieren gemein haben, weiß Tatsachen, aber die Menschenseele vermag die Wahrheit zu begreifen. Der Apfel fällt vom Baum, der Regen strömt zur Erde – wir können unser Gedächtnis mit einer endlosen Reihe solcher Tatsachen belasten und kommen doch nie zum Ziel. Aber wenn wir einmal das Gesetz der Schwere erkannt haben, so brauchen wir nicht mehr endlos Tatsachen zu sammeln. Wir sind zu einer Wahrheit vorgedrungen, von der aus wir zahllose Tatsachen überblicken. Solche Entdeckung einer Wahrheit ist eine reine Freude für den Menschen; sie ist eine Befreiung seines Geistes. Denn eine bloße Tatsache ist wie eine Sackgasse, sie führt nur zu sich selbst und nicht über sich hinaus. Aber eine Wahrheit eröffnet uns einen ganzen Horizont, sie führt uns ins Unendliche. Daher kommt es, daß, wenn ein Mensch wie Darwin eine einfache, allgemeine Wahrheit auf dem Gebiete der Biologie entdeckt, diese dort nicht Halt macht, sondern – wie eine Lampe ihr Licht weit über den Gegenstand, den sie erhellen soll, ausdehnt, – über ihren ursprünglichen Zweck hinausgeht und den ganzen Bereich menschlichen Lebens und Denkens erleuchtet. So sehen wir, daß die Wahrheit, während sie alle Tatsachen einschließt, doch kein bloßes Aggregat von Tatsachen ist, – sie geht nach allen Seiten über sie hinaus und weist uns auf das unendliche Sein.

Wie nun im Bereich des Wissens, so muß der Mensch auch im Bereich des Bewußtseins eine zentrale Wahrheit deutlich erkennen, die ihm den Ausblick über ein möglichst weites Feld gewährt, und das ist das Ziel, das die Upanischaden vor Augen haben, wenn sie sagen: »Erkenne deine eigene Seele.« Oder mit andern Worten: »Erkenne das eine große Prinzip der Einheit, das in jedem Menschen enthalten ist.«

All unsre selbstsüchtigen Triebe, unsre eigennützigen Wünsche, trüben unsern Blick für das wahre Wesen der Seele. Denn sie zeigen uns nur unser enges Ich. Sobald wir uns unsrer Seele bewußt werden, so erkennen wir das innere Wesen, das über unser Ich hinausgeht und seine tiefere Verwandtschaft mit dem All hat.

Wenn die Kinder anfangen, die einzelnen Buchstaben des Alphabets zu lernen, so finden sie kein Vergnügen daran, weil sie den wahren Zweck des Unterrichts noch nicht begreifen; es ist natürlich, daß die Buchstaben, so lange sie an sich und als isolierte Dinge unsre Aufmerksamkeit fordern, uns ermüden. Sie werden erst eine Quelle der Freude für uns, wenn sie sich zu Wörtern und Sätzen zusammenfügen und uns Gedanken vermitteln.

So verliert auch unsre Seele, wenn sie losgelöst und in den engen Grenzen unsres Ichs eingefangen ist, ihre Bedeutung. Denn ihr innerstes Wesen ist Einheit. Sie kann nur zu ihrer Wahrheit gelangen, indem sie sich mit andern vereint, und nur darin hat sie ihre Freude. Der Mensch war voll Unruhe und Furcht, solange er die Gesetzmäßigkeit in der Natur noch nicht erkannt hatte; bis dahin war die Welt ihm fremd. Das Gesetz, das er entdeckte, ist nichts anderes als die Innewerdung der Harmonie zwischen der Vernunft, die ein Teil der menschlichen Seele ist, und den Vorgängen in der Welt. Dies ist das Band, durch das der Mensch mit der Welt, in der er lebt, verbunden ist, und er fühlt unendliche Freude, sobald er dieses erkennt, denn dann fühlt er sich eins mit seiner Umgebung. Irgend etwas verstehen heißt etwas von unserm eigenen Wesen in ihm wiederfinden, und die Entdeckung unsrer selbst außerhalb unser ist es, was uns froh macht. Dies Verstehen des andern verbindet uns mit einem Teil seines Wesens, aber das Band, das die Liebe schlingt, macht ihn uns ganz zu eigen. In der Liebe ist das Gefühl der Verschiedenheit ausgelöscht, und die menschliche Seele hat ihr letztes Ziel erreicht, indem sie aus den Schranken des Ichs hinaustritt und die Schwelle der Unendlichkeit überschreitet. Daher ist die Liebe die höchste Seligkeit, die der Mensch erlangen kann, denn durch sie allein erkennt er, daß er mehr als er selbst, daß er eins mit dem All ist.

Dies Prinzip der Einheit, das der Mensch in seiner Seele hat, ist immer tätig und schafft weit und breit Verbindungen in Literatur, Kunst, Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Religion. Unsre großen Offenbarer sind die, die uns den wahren Sinn der Seele kundtun, indem sie aus Liebe zur Menschheit sich selbst hingeben. In ihrem Dienst der Liebe bieten sie Verleumdung und Verfolgung, Mangel und Tod mutig Trotz. Sie leben das Leben der Seele, nicht des Ichs, und so beweisen sie uns die letzte Wahrheit der Menschheit. Wir nennen sie Mahātmās, »die Menschen der großen Seele.«

Es heißt in einer der Upanischaden: Es ist nicht so, daß du deinen Sohn liebst um seinetwillen; du liebst ihn um deiner eigenen Seele willen.21 Das will sagen: Wen immer wir lieben, in dem haben wir unsre eigene Seele im höchsten Sinn gefunden. Hierin liegt die endgültige Wahrheit unsres Daseins beschlossen. Paramātmā, die höchste Seele, ist in mir wie in meinem Sohn, und meine Freude an meinem Sohn besteht in der Erkenntnis dieser Wahrheit. Es ist eine ganz alltägliche Tatsache geworden, und doch ist es wundervoll zu denken, daß die Freuden und Leiden unsrer Lieben auch für uns Freuden und Leiden sind, – ja, es noch in erhöhtem Maße sind. Wie kommt dies? Weil wir in ihnen uns selbst erweitert, weil wir in ihnen die große Wahrheit berührt haben, die das ganze Weltall umfaßt.

Es geschieht oft, daß unsre Liebe zu unsern Kindern, unsern Freunden oder andern geliebten Wesen uns in der weiteren Entfaltung unsrer Seele hemmt. Sie erweitert wohl den Bereich unsres Bewußtseins, doch setzt sie seiner freien Ausdehnung Schranken. Und dennoch ist diese Liebe der erste Schritt, und dieser Schritt schon enthält das ganze Wunder. Er zeigt uns die wahre Natur unsrer Seele. An ihm erkennen wir mit Gewißheit, daß unsre höchste Freude in der Aufgabe unsres selbstsüchtigen Ichs und in dem Einswerden mit andern besteht. Diese Liebe gibt uns neue Kraft und Einsicht und Schönheit der Seele, soweit ihre Grenzen reichen, aber sie hört auf, dies zu tun, wenn jene Grenzen ihre Dehnbarkeit verlieren und sich gegen den Geist der allgemeinen Liebe stemmen; dann werden unsre Freundschaften ausschließlich, unsre Familien selbstsüchtig und ungastlich, unsre Nationen schließen sich ab und stehen andern Völkern feindlich gegenüber. Es ist, wie wenn man ein brennendes Licht unter einen hermetisch verschlossenen Behälter stellt; es strahlt hell, bis die giftigen Gase sich häufen und die Flamme ersticken. Dennoch hat es seine Wahrheit bewiesen, bevor es starb, und hat uns die Freude empfinden lassen, aus der Gewalt des blinden, leeren und kalten Dunkels befreit zu sein.

Nach der Lehre der Upanischaden ist der Schlüssel zum kosmischen Bewußtsein, zum Gottesbewußtsein, das Bewußtsein der Seele. Unsre Seele erkennen, ganz losgelöst von unserm Ich, das ist der erste Schritt zur Verwirklichung der vollkommenen Befreiung. Wir müssen mit absoluter Sicherheit wissen, daß wir unserm eigentlichen Wesen nach Geist sind. Dies können wir, indem wir die Herrschaft über unser Ich gewinnen, indem wir uns über allen Stolz, über alle Begierde und Furcht erheben, indem wir erkennen, daß irdische Verluste und leiblicher Tod dem wahren Wesen und der Größe unsrer Seele nichts nehmen können. Das Vöglein weiß, wenn es die egozentrische Abgeschlossenheit seines Eis durchbricht, daß die harte Schale, die es solange umhüllte, nicht wirklich ein Teil seines Lebens ist. Diese Schale ist ein totes Ding, sie hat kein Wachstum, sie gewährt nicht den geringsten Ausblick auf das große weite Drüben außerhalb ihrer Wände. Wie vollkommen in sich und schön gerundet sie auch sein mag, sie muß einen Stoß erhalten, sie muß durchbrochen werden, damit der Vogel zur Freiheit von Licht und Luft gelangen und den Zweck seines...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2024
Übersetzer Helene Meyer-Franck
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Buddhismus
ISBN-13 9786339511059 / 9786339511059
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