NEU-SEH-LAND -  Ulla Peffermann-Fincke

NEU-SEH-LAND (eBook)

Was zu gewinnen ist, wenn man die Perspektive wechselt
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
142 Seiten
Vier-Türme-Verlag
978-3-7365-0602-2 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
15,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Die Augen sind ein Wunderwerk. Als Sehorgan bestimmen sie aber nicht nur, was wir wahrnehmen, sondern vor allem, wie wir etwas sehen. Denn oft ist uns nicht bewusst, dass jedes Sehen eigentlich schon eine Interpretation der Wirklichkeit ist. Für Ulla Peffermann-Fincke steht deshalb in diesem Buch das Auge nicht nur als Sinnesorgan im Vordergrund, sondern gerade auch als Vermittler von Eindrücken und deren Wirkung. Als Referentin in Kursen zur Persönlichkeitsentwicklung erlebt sie immer wieder, wie unterschiedlich die Sichtweisen sind, wie verschieden das Denken und Fühlen sein kann - manchmal so verschieden, dass man glaubt, der andere lebe 'auf einem anderen Stern'. In dieser Unterschiedlichkeit liegt Zündstoff - und ein enormer Reichtum, wenn man sich darauf einlässt, Lernender zu bleiben, immer wieder Neuland zu entdecken, indem man eine andere Perspektive wagt. Sich auf diesen Prozess einzulassen, bedeutet zuzugeben, dass man sich geirrt hat. Es bedeutet aber auch, lebendig zu sein und zu bleiben, offen zu sein für neue Bilder und Eindrücke und über sich hinauszuwachsen, indem man verkrustete und eingefahrene Sichtweisen überwindet - immer wieder!

Ulla Peffermann-Fincke, geboren 1957, begleitet Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen und staunt immer wieder über die Fülle an Möglichkeiten, den Herausforderungen des Lebens zu begegnen. Als Heilpraktikerin und therapeutische Seelsorgerin leitet sie Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung. Dabei verwendet sie unter anderem die Methode des Enneagramms nach der mündlichen Tradition Helen Palmers. Auf diese Weise unterstützt sie Hilfesuchende in schwierigen Situationen, Glück und Sinn im eigenen Leben wieder zu finden.

Augenblicke

Wohin blicken meine Augen? Was zieht meinen Blick an? Wohin geht meine Aufmerksamkeit? Es gibt einen interessanten Reflex: Die Augen werden von dem Besonderen angezogen, der Blick wird automatisch auf das Objekt gerichtet, an dem es mehr Kontraste oder Bewegung zu beobachten gibt. Dieses Phänomen macht man sich zunutze, um die Sehschärfe von Babys zu prüfen. Man hält dem Kind zwei Platten hin, eine graue und eine schwarz-weiß gestreifte. Es schaut automatisch zu dem »lebendigeren« Streifenmuster. Die Streifentafeln gibt es in Abstufungen von sehr breit bis ganz fein. Je enger die Streifen aneinanderliegen, umso mehr ähnelt das Muster der Graufläche, das heißt, irgendwann wird nicht mehr zwischen Streifen und der grauen Fläche unterschieden, die Augen des Babys schweifen ab, es ist uninteressant geworden. Aufschlussreich ist, ab welcher Streifendichte das Baby das Muster nicht mehr von der Graufläche unterscheiden kann. »Preferential looking« wird dieser Test genannt. Übersetzt: vorzugsweises Sehen.

Dieser Reflex, diese automatische Ausrichtung auf das, was auffällt, ist äußerst sinnvoll und überlebenswichtig: Das Besondere könnte gefährlich sein, ich muss es in den Blick nehmen, damit ich angemessen reagieren kann. Diesem Reflex können wir uns kaum entziehen. Schauen wir auf eine weiße Fläche mit einem schwarzen Punkt, schauen wir automatisch auf diesen Punkt. Schauen wir in den Himmel und ein Flugzeug kreuzt, so nehmen wir es nicht einfach peripher wahr, sondern wir fixieren es. Man spricht deshalb auch von sogenannten Hinguckern, Dingen, die auffallen und die wir deshalb automatisch in den Blick nehmen: eine exotische Blume in einer Vase oder ein Accessoire, das ungewöhnlich ist, ein ausgefallenes Buchcover. Marketingstrategen machen sich daher genau diesen Reflex zunutze: Man bleibt mit den Augen daran hängen.

Auch Dinge in größerem Stil wie Monumente, besondere Bauwerke, fangen unseren Blick ein. Die Wahrzeichen – ein interessanter Begriff – einer Stadt sind ebenfalls solche Hingucker. Kaum einer kann sich beispielsweise dem Kölner Dom entziehen, vor allem, wenn man den Hauptbahnhof verlässt und unmittelbar vor dieser großen Kathedrale steht. Automatisch geht der Blick von unten nach oben bis in die gigantischen Turmspitzen – zumindest, wenn man den Dom zum ersten Mal sieht. Ich beobachte häufig das Staunen der Menschen: Sie halten inne. Andere, die täglich über die Domplatte gehen, würdigen ihn meistens keines Blickes mehr. So ähnlich geht es mir auch. Ich arbeite vis-a-vis des Domes. Anfangs konnte ich es gar nicht fassen, dass ich vom Fenster meines Arbeitsplatzes diesen Blick genießen kann, jetzt ist es normal geworden, nichts Besonderes mehr. Das ist schade! Das Staunen verflüchtigt sich, meine Augen kennen das Bild, gewöhnen sich daran.

Ich möchte aber wieder staunen, denn Staunen ist Ausdruck von Intensität und Lebendigkeit. In der Natur fällt uns das nicht schwer. Ein Sonnenaufgang ist immer wieder faszinierend. Aber auch eine besonders schöne Blume, ein Baum, der Gipfel eines Berges, die Weite des Meeres – das alles zieht unseren Blick an. Da werden wir so schnell nicht müde, zu staunen. Trotzdem gibt es die Tendenz, das als selbstverständlich hinzunehmen, wenn wir es immer wieder oder täglich sehen, weshalb unsere Aufmerksamkeit dann verblasst.

Wie kann ich das verhindern? Am Beispiel des Kölner Doms gelingt es mir durch eine Art Zoom-Effekt. Ich fixiere nur einen Stein in der Fassade, sehe ihn mir genau an, dann die Steine rundherum, dann wandert mein Blick ganz langsam nach oben und zur Seite, ich taste den Dom mit meinem Blick ab, sehe Ornamente, Figuren, Zacken und Türmchen und erfasse so, Schritt für Schritt, von klein nach groß den ganzen Dom – und bin neu beeindruckt! Unglaublich, dass solch ein Bauwerk überhaupt entworfen und dann auch gebaut wurde.

Auf diese Art und Weise kann ich eigentlich alles (wieder) entdecken, sogar einen einfachen Grashalm. Ich schaue mir ein winziges Detail des Grashalms an, sehe die Maserung, die feinen Adern, wandere mit dem Blick dann ein wenig nach rechts und links, sehe andere Grashalme, erfasse dann die ganze Wiese mit unendlich vielen Grashalmen – und keiner ist wie der andere. Ein Wunder! Vielleicht ist es der Blick eines Kindes, das alles zum ersten Mal verwundert und staunend anschaut. Juliana von Norwich, eine englische Mystikerin des 14. Jahrhunderts, hat diese Art zu sehen, nämlich im Kleinen das Große zu schauen, mit ihrer mystischen Spiritualität verbunden. Im Betrachten einer Haselnuss wurde ihr bewusst, wie wunderbar alles geschaffen ist, wie vollkommen und schön, und dass Gott aus Liebe Dinge erschafft und erhält. Eine Gotteserfahrung dank einer Haselnuss!

Das Größte ist für mich der menschliche Körper. Ich schaue auf meine Hand, betrachte einen winzigen Punkt auf der Haut und mache mir klar, wie viele Zellen diesen kleinen Punkt ausmachen. Dann lasse ich meinen Blick weiterwandern über die ganze Hand, sehe die Adern auf dem Handrücken, die sich unter der Haut abheben, schaue auf meinen Arm und erfasse den ganzen Körper. Es wird mir ganz schwindelig, wenn ich mir vorstelle, wie viele Zellen miteinander verbunden sind und ununterbrochen ihre Arbeit tun, und das gilt nicht nur für die Zellen der sichtbaren Haut, sondern auch für die im Inneren unseres Körpers, die der Organe, des Gewebes und unseres Gefäßsystems. Erst wenn etwas in diesem wahnsinnig komplexen System nicht mehr funktioniert, werden wir aufmerksam und sehen genauer hin. Auch ohne Beschwerden sollten wir öfters staunend und dankbar hinschauen – und sei es nur für einen Augenblick.

»Augenblick mal!« sagen wir auch, wenn wir ein Foto machen und damit den Moment festhalten wollen. Dank Handy ist dies leicht möglich: Selfies, die Familie, Freunde, schöne Landschaften, all das Beeindruckende, das uns begegnet und das wir nicht vergessen wollen. Allerdings kann man manchmal den Eindruck gewinnen, dass die Fotos wichtiger sind als die Realität, als die tatsächliche Situation. Dann hat es den Anschein, dass wir überhaupt nicht mehr richtig hingucken, sondern denken: Hauptsache fotografieren und abspeichern.

Bei meinem ersten Aufenthalt in Indien wollte ich unbedingt die Eindrücke festhalten, die ich nach meiner Ankunft in Bombay und auf der Weiterreise nach Goa sah. So viele bunte, verwirrende Bilder, ich war überwältigt. Damals war das Fotografieren noch eine aufwendige Angelegenheit: Kamera mit dem passenden Objektiv, Film einlegen. Da man mit einem Film im höchsten Fall 36 Bilder schießen konnte, musste man auch darauf achten, wie viele Fotos man noch übrig hatte, die Motive also wohlüberlegt auswählen. In unserer Unterkunft in Goa wollte nach ein paar Tagen Brian, der süße kleine Sohn unserer Vermieter, nachschauen, wie die Fotos wohl geworden waren, und öffnete die Rückseite des Apparats ... Damit waren 36 Bilder, 36 Eindrücke voll belichtet und somit ausgelöscht, einfach für immer weg. Ich war verzweifelt und untröstlich. Natürlich könnte ich auf meiner Rückreise wieder Fotos in Bombay machen, aber das war nicht das Gleiche! Nachdem ich mich gefasst hatte, wurde mir klar: Es blieb mir nichts anderes übrig, als diese ersten Eindrücke einfach gut in meiner Erinnerung abzuspeichern – nicht auf Fotos, sondern nur in den Bildern, die es in meinem Kopf dazu gab. Heute stelle ich fest, dass diese Eindrücke in mir nach wie vor sehr lebendig und abrufbar sind, vielleicht gerade, weil ich keine Fotos davon habe. Eventuell ist es sogar gut, Bilder quasi auswendig zu lernen und nicht nur zu wissen, in welchem Album bzw. wo im Handy sie zu finden sind. Und vielleicht ist es sogar gut, wählerischer zu werden, nicht alles und jedes zu fotografieren, sondern nach dem Motto »weniger ist mehr« genauer hinzuschauen und sich zu fragen: Was will ich wirklich festhalten, was ist mir wirklich wichtig, wann ist der Ausruf »Augenblick mal!« stimmig und berechtigt? Die Flut an Bildern, die Tausenden von Fotos, die wir machen, drücken eher Beliebigkeit aus als Wertschätzung. Natürlich ist bei so vielen Fotos die Chance größer, dass gute Bilder dabei sind. Aber machen wir uns die Mühe, sie überhaupt noch einmal anzuschauen und auszuwählen, welche wir wirklich behalten möchten?

Eine kleine Anregung: Schauen Sie sich doch noch einmal Ihre vielen Fotos an. Vielleicht können Sie ein »Bild des Monats« oder ein »Bild der Woche« auswählen und dieses dann ausdrucken, aufstellen, in einer schönen Schachtel oder einem Album aufbewahren. Solche Bilder, in denen sich besondere Momente spiegeln, können wie kostbare Perlen sein, die – im wahrsten Sinn des Wortes – anschaulich machen, wie wertvoll das Leben ist und wie viele gute oder bedeutsame Momente es bereithält.

Und dann gibt es Fotos, die wir nicht selbst gemacht haben, sondern die »um die Welt gehen«. Da hat jemand etwas in den Blick genommen und festgehalten, das so besonders ist, so ungewöhnlich oder berührend, dass jeder Mensch hinguckt und augenblicklich betroffen ist. Für mich ist ein solches Foto das, auf dem der syrische Musiker Aeham Ahmad zu sehen ist. Er spielt Klavier inmitten der Trümmer von Jarmuk, einem Stadtteil von Damaskus. Das Klavier hat er auf die Straße geschoben, um den Bewohnern des Viertels Mut zu machen. Seine Musik tröstet, fördert Gemeinschaft, Kinder kommen, hören zu. Das alles findet seinen Ausdruck in diesem besonderen Bild. Und man möchte mehr wissen: Wer ist dieser Mann, was ist aus ihm geworden? Wo ist er jetzt? Das Bild schockiert und tröstet, gibt Hoffnung bei aller Verzweiflung. Bilder haben also auch immer eine Botschaft – eine schreckliche oder eine schöne –, in jedem Fall rütteln sie wach, lassen uns zumindest...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
ISBN-10 3-7365-0602-3 / 3736506023
ISBN-13 978-3-7365-0602-2 / 9783736506022
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 820 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychosomatische Beschwerden: Was mir die Signale meines Körpers …

von Hans Lieb; Andreas von Pein

eBook Download (2024)
Trias (Verlag)
22,99
Stress & Spannungen lösen. Das Original-TRE-Übungsprogramm

von Hildegard Nibel; Kathrin Fischer

eBook Download (2024)
Trias (Verlag)
22,99