Das Schlafbuch für die ganze Familie (eBook)
288 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86793-3 (ISBN)
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin, Familienbegleiterin und Bestsellerautorin. Sie ist Gründerin von Geborgen Wachsen, gibt Workshops und spricht auf Konferenzen und Tagungen für Eltern und Fachpersonal. Sie ist Mutter von 3 Kindern und lebt in Eberswalde.
Teil 1
Endlich (Familien-)Schlaf verstehen
In all den Jahren meiner Arbeit als Familienbegleiterin habe ich unzählige Male gehört »Mein Baby schläft schlecht« oder »Mein Kleinkind kann noch immer nicht richtig schlafen«, und Familien beraten, wie sie eine bessere Schlafroutine für sich entwickeln können. Auch wenn sich schnell das Gefühl einschleicht, dass alle anderen Kinder besser schlafen als das eigene und nur in der eigenen Familie ein Schlafproblem besteht, stimmt das absolut nicht: Eine Langzeitstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, an der zwischen 2008 und 2015 Eltern teilnahmen (2 541 Frauen und 2 118 Männer) zeigte, dass der Schlaf von Eltern innerhalb der ersten sechs Jahre nach der Geburt des ersten Kindes in seiner Qualität und Dauer beeinträchtigt ist. Innerhalb der ersten drei Monate schlafen Mütter hierzulande sogar durchschnittlich (!) insgesamt eine Stunde weniger, Väter 15 Minuten weniger – unabhängig vom Familienstand und unabhängig davon, ob die Familien wohlhabend oder arm sind.1 Vielleicht klingt eine Stunde weniger Schlaf erst einmal verkraftbar. In Anbetracht des Umstandes, dass wir oft ohnehin zu wenig schlafen und eine ganze Stunde weniger Regenerationszeit schon enorme Folgen auf unsere psychische und physische Gesundheit haben kann, ist es aber keinesfalls eine Kleinigkeit. Das Schlafproblem zieht sich durch die Elternschaft und scheint ganz besonders Mütter zu betreffen. Gerade ihnen wird dann von Familie und Freunden erklärt, dass das ganz normal sei und schon irgendwann wieder anders werden würde. Aber dieses »irgendwann« bedeutet statistisch gesehen sechs Jahre. Und sechs Jahre zu wenig Schlaf sind sechs Jahre zu wenig Schlaf! Das kann sich nicht nur auf unsere Gesundheit auswirken, sondern auch auf Care- und Erwerbsarbeit, Freizeitverhalten und Beziehung – sprich: unser gesamtes Leben.
Der schlechte Schlaf wird uns vielleicht erst durch das Kinderhaben bewusst, oder wir bilden in dieser Zeit ungute Schlafmuster aus, die wir dann später nur schwer wieder loswerden, aber er ist längst nicht »nur« ein Problem des Familienlebens und Begleitens von Kindern, sondern ein Problem unserer Zeit und Gesellschaft: Viele von uns schlafen zu wenig und zu schlecht – wobei die Schlafmenge, wie wir noch sehen werden, individuell verschieden ist. Auch hier zeigen sich wieder geschlechtsspezifische Unterschiede: Es lässt sich allgemein festhalten, dass besonders Frauen schlechter schlafen. Und das eben auch in der Zeit des Elternseins, aber nicht nur. Wenn du ganz ehrlich zu dir bist und einmal darüber nachdenkst, wie es vor dem Kinderhaben um deinen Schlaf stand, werden dir wahrscheinlich auch Zeiten während der Ausbildung oder im Studium einfallen, in denen du besonders oft müde warst, sei es weil du abends länger feiern warst, über eine Hausarbeit gegrübelt hast oder nachts wach lagst, weil dir ein Beziehungsproblem nicht aus dem Kopf gehen wollte. Damals war das natürlich oft wesentlich selbstbestimmter, und du warst jünger. Ein ungesundes Schlafverhalten haben wir also häufig auch schon vor der Babyzeit – und leider oft auch dann, wenn »die Kinder aus dem Gröbsten raus sind«. Eine Studie im Rahmen des Gesundheitsmonitorings des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2013 zeigt, dass bei der deutschen Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 79 Jahren der Anteil der Kurzzeitschläfer (5 Stunden und weniger) und Langzeitschläfer bei 12,3 Prozent liegt, während der Prozentsatz in dem in Hinblick auf das Schlafverhalten oft kritisch diskutierten Japan beispielsweise bei 4 beziehungsweise 3,2 Prozent liegt. Auch Ein- und Durchschlafstörungen bis hin zur krankhaften Schlafstörung sowie die Einnahme von Schlafmitteln sind hierzulande weit verbreitet.2 Nicht zufällig wurden die in den 1960er-Jahren entwickelten Benzodiazepine (wie Librium und Valium) als »mother’s little helpers« beschrieben und von den Rolling Stones besungen: Die Pillen wurden besonders von Frauen gegen Schlafstörungen genutzt, ihr entspannender Effekt dann aber auch tagsüber als Beruhigungsmittel eingesetzt, was viele in eine gesundheitsschädliche Abhängigkeit führte. Zwar werden die »kleinen gelben Pillen«, wie die Rolling Stones sie nannten, heute nicht mehr so leichtfertig verschrieben und eingenommen, aber auch jenseits dieser Präparate boomt der Markt der vermeintlichen »Schlafmittel«3. Gerade das Hormon Melatonin, das sich auf den Schlaf auswirkt, wird gern in freiverkäuflichen Nahrungsergänzungsmitteln vom Melatonin-Einschlafspray bis zum Gute-Nacht-Gummibärchen eingesetzt. Auch wenn einige Publikationen durchaus den Vorteil der Gabe von Melatonin bei Erwachsenen und beispielsweise auch bei Kindern und Jugendlichen im Autismusspektrum zeigen, deuten Bedarf und Absatzmarkt gleichzeitig darauf hin, dass die Nachfrage aufgrund bestehender Schlafprobleme wirklich groß ist. Wenn wir also von vielen Red Flags umgeben sind, die klar darauf hindeuten, dass wir wirklich ein gesellschaftliches Problem mit dem Schlafen haben und viele Menschen unter Schlafproblemen bis -störungen leiden, verschließen wir ziemlich gekonnt die müden Augen vor all den Warnzeichen – bei Kindern wie Erwachsenen.
»Mothers little helpers«
»Mothers little helpers« sind nicht die einzigen Mittel, die Müttern im Laufe der Zeit empfohlen wurden, um mit der Überlastung an Care-Arbeit, teilweise in Kombination mit Erwerbsarbeit, zurechtzukommen. Neben Valium wurde ab 1950 das alkoholhaltige Frauengold (bei dem sich später herausstellte, dass es Wirkstoffe enthielt, die als krebsfördernd und nierenschädigend galten) empfohlen. Schon seit 1938 war im Handel die sogenannte Hausfrauenschokolade erhältlich: Pralinen, die mit dem Aufputschmittel Methamphetamin versetzt waren, diese wurde später als »Panzerschokolade« für Soldaten im Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Auch wenn gern erklärt wird, dass »Mütter das früher doch auch alles so geschafft haben, ohne zu jammern«, stimmt das nicht: Auch früher waren Frauen und Mütter häufig überlastet, aber sie erhielten weniger öffentliches Gehör und wurden wahlweise zusätzlich ruhiggestellt oder aufgeputscht, um die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Deswegen: Du musst deine Schlafprobleme weder verschweigen noch sollten andere Menschen dir erklären, dass du da durchmusst, weil andere das schließlich auch geschafft hätten.
Dabei wirken unsere eigenen, unter den Tisch gekehrten Probleme eben nicht nur auf uns, sondern im Familienkontext auch auf unsere Kinder. Der Schlafforscher Dr. Hans-Günter Weeß, den ich für dieses Buch interviewt habe, hat dazu erklärt: »Erwachsene, die Schlafprobleme haben, sind sehr auf das Schlafproblem fokussiert und sprechen dem Schlaf eine hohe Bedeutung zu. Je mehr wir uns mit dem Thema Schlaf beschäftigen als Erwachsene, desto mehr werden wir verunsichert und sind angespannt. Wenn ich als Kind merke, dass der Schlaf eine hohe Bedeutung hat und ich unbedingt schlafen muss, wie die Erwachsenen das vorleben, dann überträgt sich die Anspannung und die Fokussierung ungewollt auf die Kinder, und diese können dann durch diese Übertragung Schlafprobleme ausbilden.« Kein Wunder, dass es neben den frei verkäuflichen Nahrungsergänzungsmitteln für Erwachsene auch schon Mittel für Kinder gibt – von Sirups über Tee bis zu ätherischen Ölen, die – zwar ohne Melatonin – Abhilfe bei Schlafproblemen versprechen, ohne das Thema umfassend in den Blick zu nehmen.
Tatsächlich zeichnen auch die Daten für Kinder und Jugendliche schon ein schwieriges Bild: Schlafprobleme im Schulalter sind häufig. Die KIGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland gibt an, dass 23,1 Prozent der 11- bis 13-Jährigen und 20,7 Prozent der 14- bis 17-Jährigen von Schlafproblemen betroffen sind. Auch hier zeigt sich wieder, dass Mädchen und junge Frauen häufiger betroffen sind.4 Wie viele junge Erwachsene schon in der Kindheit und/oder Jugend unter Schlafstörungen litten, ist aber bislang für Deutschland noch nicht ausreichend erforscht. In internationalen Studien zeigt sich allerdings, dass Schlafstörungen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür haben, bestehen zu bleiben (Chronifizierung), und dass sie zudem zu verschiedenen Störungen wie Depressivität,...
Erscheint lt. Verlag | 6.3.2024 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
ISBN-10 | 3-407-86793-X / 340786793X |
ISBN-13 | 978-3-407-86793-3 / 9783407867933 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 4,3 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich