Graceland - Die Geschichte eines Sommers (eBook)
272 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0677-2 (ISBN)
Eine temporeiche Mutter-Tochter-Geschichte voll Humor und Lebensfreude
Tausend Meilen sind es bis Graceland. Und es ist Loralynns großer Traum, einmal im Leben das Elvis-Anwesen zu besuchen. Deshalb hat Grace sich überreden lassen, ihrer Mutter Loralynn den Wunsch zu erfüllen. Der Zeitpunkt ist günstig, sie kann Ablenkung gerade gut gebrauchen. Auf dem Weg von El Paso nach Memphis ziehen sie eine Spur aus Pailletten, falschen Wimpern und schwierigen Erinnerungen. Doch zwischen spontanen Zwischenstopps bei Hellsehern, bei alten Freunden, in Karaokebars, zwischen Perückenpannen und vertrauten passiv-aggressiven Sprüchen beginnen beide Frauen, einander besser zu verstehen. Als sich neue Chancen für sie auftun, scheint der King auf mysteriöse Weise auf sie beide zu wirken. Nach all den Jahren ist es für Grace und ihre Mutter möglich, die Verletzungen der Vergangenheit zu heilen und mit Humor im Jetzt zu sein.
<p>Kristen Mei Chase ist Autorin, Internetunternehmerin und Medienpersönlichkeit. Sie ist die Mitbegründerin von <em>Cool Mom Picks</em>, einem der einflussreichsten amerikanischen Elternnetzwerke im Internet, das jeden Monat Millionen erreicht. Ihre Essays und Artikel sind u. a. in der Washington Post, NBCNews.com und The Daily Beast erschienen. In ihrem Debütroman erzählt Kristen die Geschichten von Frauen, die wie sie selbst Amerikanerinnen mit asiatischen Wurzeln sind. Sie lebt mit ihren vier Kindern und einer umfangreichen Sammlung alter Elvis-T-Shirts in einem Vorort von Philadelphia.</p>
Kapitel eins
»Wie schaffst du es, dass dein Eyeliner so gut hält?« Jane Choi, unsere Sommerpraktikantin aus Syracuse, spähte zur Tür herein, von der ich dachte, ich hätte sie richtig geschlossen. Sie deutete auf ihre Augenlider. »Meiner sieht immer scheiße aus.« Sie flüsterte »scheiße«, als wäre ich ihre Mutter, und das war sicher Absicht: Ich sollte mich alt fühlen. »Dieser Teil, der hier drinnen. Wie machst du …« Sie zeigte auf den inneren Augenwinkel.
»Der Epikanthus«, fiel ich ihr ins Wort und tippte weiter. Jane fragte dauernd, welchen Conditioner ich benutzte oder wo ich den Pulli gekauft hatte, und immer ging es schnell über in ein Tratschen über Soundso, der oder die das und das machte. Meine neue Taktik war, mich beschäftigt zu geben.
»Oh mein Gott, das hat einen offiziellen Namen? Du weißt aber auch alles, Grace!« Sie grinste breit, zuckte mit den Schultern und huschte zurück zu ihrer Arbeitsnische.
Ich saß an meinem Laptop und studierte die Quartalszahlen eines Mandanten, umgeben von gerahmten Abschlussurkunden und einem Foto von mir mit Mama bei meinem Highschool-Abschluss vor fünfundzwanzig Jahren, dessen Anblick mich seltsam verlegen machte. Es war mein einziges Bild von ihr, auf dem sie halbwegs normal aussah; keine billige Perücke, keine strassbestickte Schlaghose zu Plateauschuhen – ein Aufzug, mit dem sie auf allen anderen Fotos wie ein Vegas-Showgirl rüberkam. Ich hatte sie angefleht, sich wie die anderen Moms anzuziehen, also hatte sie sich für einen »Priscilla Presley in Trauer«-Look entschieden und kleidete sich von Kopf bis Fuß in Schwarz. Sie sah aus, als würde sie einer Beerdigung beiwohnen statt meiner Zeugnisverleihung, aber das war mir egal, es war das schickste Outfit, in dem ich sie je gesehen hatte. Das Bild hätte gut in eine Sammlung mit dem Titel »Peinliche Familienfotos« gepasst, so steif, wie wir posierten, und mit der Wand voller Elvis-Keramikfiguren hinter uns. Sie weiß genau, wann sie welche der Figuren bekommen hat, und hat sie chronologisch nach Elvis’ Karriere angeordnet. Und jedes Mal, wenn jemand den Fehler begeht, nach einem der Dinger zu fragen, erzählt sie die ganze Geschichte dazu: Wo sie gewesen war, wer es ihr verkauft und wie viel sie dafür bezahlt hatte.
Es war lange her, dass ich das Foto etwas genauer betrachtet hatte, so lange, dass ich mich kaum noch an unsere Gesichter erinnern konnte. Ich grinste etwas verkrampft, als hielte mir jemand eine Waffe an die Schläfe und würde mir befehlen zu lächeln. Und Mamas Gesichtsausdruck war der einer Frau, die sich gleich von ihrer besten Freundin verabschieden muss.
Ende September ist in einer Steuerberaterkanzlei genau wie April, nur dass eine besondere Dringlichkeit in der Luft liegt, weil sich die Fristverlängerungen nun endgültig nicht weiter ausdehnen lassen. Die meisten Mitarbeiter bei Whit, Warner, and Hodges, PC, drängelten sich Ende April vor dem Ausgang, um fluchtartig das Gebäude zu verlassen und bis zum Herbst nicht wieder aufzutauchen. Sie ließen Stapel von Steuerformularen auf ihren Schreibtischen oder den Fußböden zurück, als stünde die Firma unter Beschuss. Alle mit Ausnahme von mir und ein paar anderen Idioten, die wir die Außenwelt mieden, indem wir den Sommer über unter dem Vorwand arbeiteten, wir wollten »vorankommen«.
Ich hatte mich seinerzeit für »Accounting«, also Buchhaltung, entschieden, einzig und allein weil es ganz oben auf der Liste der angebotenen College-Abschlüsse gestanden hatte, und fand es furchtbar peinlich, wenn Mama damit angab, dass ihre Tochter Wirtschaftsprüferin wurde; schließlich wusste sie genau, wie es zu dieser Wahl gekommen war. Für mich war die Hauptsache gewesen, von zu Hause wegzukommen.
Am Anfang dachte ich angesichts der vielen Zahlen noch, ich hätte die Liste vielleicht doch weiter durchsehen sollen, Anthropologie oder Archäologie wählen, irgendwas, bei dem Matheprobleme nicht den Mittelpunkt meines Universums bildeten. Doch ich lernte, das Berechenbare zu lieben, und im dritten Collegejahr konnte ich mir schon nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu machen.
Mama beschreibt Steuerprüfung wie einen exotischen Job, der anderen gänzlich unbekannt ist. »Und sie nimmt diese Formulare und diese ganzen Kalkulationen und TADA!« Das TADA singt sie, als stünde sie bei der jährlichen Fort Bliss Talent Show auf der Bühne.
»Mama, so aufregend ist das wirklich nicht«, unterbreche ich sie dann. Und sie winkt jedes Mal lächelnd ab und verdreht die Augen in Richtung desjenigen, der lange genug ausgeharrt hat, um ihre Darbietung zu ertragen.
Was ich nie jemandem verraten habe, ist, dass man in meinem Beruf kein Mathegenie sein muss. Man sollte allerdings Stabilität und Einsamkeit mögen.
Irgendwann jedoch wurde das Alltägliche banal. Oder vielleicht fiel es mir nur stärker auf. Der Sonntagshorror packte mich – dieses Gefühl von Verdammnis, weil das Wochenende bald vorbei ist und man wieder ins Büro muss. Und schließlich stellte er sich jeden Abend ein, vor dem Schlafengehen, verlässlich wie ein Uhrwerk. Normalerweise konnte ich mich mit der Aussicht auf einen Starbucks-Latte auf dem Weg zur Arbeit motivieren. Und an extraschwierigen Tagen mit noch einem auf dem Heimweg.
Doch die Abwärtsspirale der Langeweile verlangte mittlerweile nach mehr als nur schickem Kaffee. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Beträge aus dem aufregenden Leben meiner Mandanten nachrechnete – Flugtickets, Hotels, »Büromöbel« – was ein Code für »Ich habe mir eben eine Supercouch für die Veranda meines neuen Strandhauses gekauft« war –, während mein Lebensziel einzig darin bestand, bei E-Mails auf »Senden« zu klicken. Der Kontrast zwischen ihrem und meinem Dasein war krass, und ich überlegte immer häufiger, was ich denn eigentlich falsch gemacht hatte – das Patentrezept für Depressionen, vor allem in einem Job wie meinem.
Mein Handy summte. »Bis nachher bei der Therapie!!! – Jeff.« Er unterschrieb seine Textnachrichten stets mit Namen, als käme ich sonst nie darauf, wer sich dreiausrufezeichenstark auf die Paartherapie freute.
Ich machte zwar schon seit Jahren allein eine Therapie, dieses ganze Paarding war mir allerdings völlig neu und so gar nichts für mich. Aber die Distanz zwischen uns war zu groß geworden, sogar für Jeff mit seinem blöden Optimismus, sodass er eine Beratung vorgeschlagen hatte. Und ich hatte zugestimmt, obwohl ich ahnte, dass sich nichts reparieren ließ, was immer schon ein bisschen kaputt gewesen war.
Als ich Jeff kennenlernte, arbeitete er in dem Chili’s in der Nähe meines Büros. Meine Freundin und ich wollten nach einem langen Tag mit eiligen Steuererklärungen etwas trinken – und das möglichst verschont von den abgedroschenen Aufreißsprüchen irgendwelcher Anzugträger, die zu diesem Anlass ihre Krawatte gelockert und den obersten Hemdknopf geöffnet hatten. An jenem Abend brachte uns die Kellnerin immer wieder Drinks, die wir nicht bestellt hatten, und als wir sie schließlich darauf ansprachen, verriet sie uns, sie kämen vom Manager. Sie zeigte zu einem süßen Typen, ungefähr Ende zwanzig, der mit stark nach hinten gegeltem schwarzem Haar und einem sehr ausgeprägten Bartschatten bei der Empfangsdame stand. Er trug eine gebügelte Baumwollhose und ein Polohemd, das ein bisschen zu eng um den Bauch war und aus dem oben Brusthaar herauslugte, was nicht nach Absicht aussah. Und ich erinnere mich noch, dass ich dachte, wenn seine Brust so behaart ist, wie mag der Rest von ihm erst sein? Aber sein strahlendes Lächeln lenkte mich genauso ab wie der riesige Eisbecher, den er zu unserem Tisch brachte und vor mich stellte.
»Danke, aber … ich bin allergisch gegen Milchprodukte«, sagte ich mit einem idiotischen Grinsen. Er war sichtlich enttäuscht.
»Mein aufrichtiges Beileid«, antwortete er, als kondolierte er bei einer Beerdigung, und ich musste kichern. Dann eilte er in die Küche und brachte mir jedes andere Dessert auf der Karte, in dem keine Milch war, bis er schließlich lange genug an unserem Tisch blieb, um freundlich und nicht schräg zu wirken. Er fragte mich, was ich beruflich machte und warum ich Gin Tonics in einem Chili’s trank. Zwischendurch begrüßte er Gäste und führte sie mit für eine Campus-Bistrokette übertrieben ausschweifenden Gesten zu ihren Tischen. Er führte sich auf wie der Chef eines Sternerestaurants und vermittelte so allen das Gefühl, sie würden in einem speisen, was ich ziemlich charmant fand.
Und als er mich um meine Nummer bat, dachte ich mir, warum nicht? Ebenso als er mich bat, mit ihm auszugehen.
Beim ersten Date lud er mich in dieses winzige italienische Restaurant mitten im Einkaufszentrum ein, und ich sorgte mich ein wenig um meinen armen, sehr empfindlichen Magen. Doch er versicherte mir, es gebe dort die beste Pasta in ganz Boston, und das war nicht gelogen. Sämtliche Mitarbeiter begrüßten erst ihn, dann mich mit Umarmungen und Wangenküssen, gefolgt von einem regelrechten Tsunami fantastischsten Essens und danach einem Sorbet, das eigens für mich zubereitet war. Ich fühlte mich auf eine bislang nicht gekannte Weise besonders, was nicht weiter verwunderlich war. Mit meinem letzten Freund hatte jede Verabredung in einer Bar mit seinen Kumpels geendet, wo alle vor einem der großen Fernseher standen und sich das Spiel des Abends anschauten.
Mein Herz endgültig gewonnen hatte Jeff, als wir zu seinem Wagen zurückkehrten und eine dicke Beule an der Stoßstange entdeckten. Er zuckte bloß mit den Schultern, tat sie mit einem...
Erscheint lt. Verlag | 25.6.2024 |
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Übersetzer | Sabine Schilasky |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | A Thousand Miles to Graceland |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung | |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Partnerschaft / Sexualität | |
Schlagworte | Alltagsrassismus • Berührend • Buch Frauen Roadtrip • Elivs Presley • Elvis-Fan • Elvis Presley • Frauenschicksal • Geschenk • Glück • Humor • Krankheit • Lebenswege • Liebe • Liebesgeschichte • Mutter-Tocher-Roman • Mutter Tochter Beziehung • Neuanfang • Reise • Road Trip • Roman für Frauen • Sommerbuch • Träume |
ISBN-10 | 3-7499-0677-7 / 3749906777 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0677-2 / 9783749906772 |
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