Wenn du mit mir schimpfst, kann ich mich nicht leiden, Mama (eBook)
148 Seiten
Trias (Verlag)
978-3-432-11740-9 (ISBN)
<p><strong>Petra Krantz Lindgren</strong> ist eine der bekanntesten und renommiertesten Familientherapeuten in Schweden. »Mir geht es darum, dass Eltern und Kinder gegenseitigen Respekt und Zusammenarbeit entwickeln können. Das vermittle ich in Elternkursen und Vorträgen.« Ihr Blog »En annan du« (Ein anderes Du) <a href="https://petrakrantzlindgren.se/blogg">https://petrakrantzlindgren.se/blogg</a> hat viele Leser/-innen, die engagiert mit der Autorin über deren Einträge und die großen und kleinen Fragen des Familienlebens diskutieren. Med känsla för barns självkänsla erschien 2014 in Schweden und wurde dort auf Anhieb ein Bestseller. Es wurde in sieben Sprachen übersetzt.</p>
Selbstwertgefühl
Es gibt wohl wenige Wörter, die man so oft und in so unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet und die einen so positiven Klang haben wie »Selbstwertgefühl«. Alle scheinen sich einig darin zu sein, dass Selbstwertgefühl wichtig ist. Allerdings ist man sich deutlich weniger einig darin, was Selbstwertgefühl eigentlich ist. Deswegen möchte ich gerne verdeutlichen, was ich darunter verstehe.
Ich gehe davon aus, dass Selbstwertgefühl zwei Dimensionen hat. In der ersten Dimension geht es um das Bewusstsein, das ich von mir selber habe: um meine Talente, meine Gedanken, meine Gefühle, meine Nöte, meine Wünsche und meine Träume. In der anderen Dimension geht es darum, dass ich mich so akzeptiere, wie ich bin. Jemand mit gesundem Selbstwertgefühl akzeptiert sich selbst und mag sich so, wie er ist. Diese Person erlebt sich als tüchtig, in allen Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen. Mit all ihren Wünschen und Sehnsüchten. Mit all ihrer Stärke, aber auch mit ihren Schwächen.
Selbstwertgefühl nährt sich im Zusammenspiel mit den Menschen, die für uns am wichtigsten sind. Ein Kind, dessen Selbstwertgefühl gut entwickelt ist, lebt zusammen mit Menschen, die sich für seine Gedanken, Gefühle und Nöte interessieren, die es respektieren, es sehen und hören, es schätzen und ernst nehmen.
Kurz gesagt, dieses Kind erlebt sich als interessant und wertvoll für die Menschen, die ihm am nächsten stehen. Ein Kind aber, das ein schwankendes Selbstwertgefühl hat und daran zweifelt, ob es interessant und wertvoll für die Menschen in seiner nächsten Umgebung ist, begegnet oft Gleichgültigkeit, Kritik, Wut oder Ironie.
Selbstwertgefühl wird manchmal mit einer Impfung verglichen, die ein Individuum davor schützt, sich selbst in schlechtem Licht zu sehen, wenn etwas misslingt, wenn es mit Kritik, Widerstand oder Ablehnung zu tun hat. Das sehe ich auch so. Mit der Einschränkung allerdings, dass eine Impfung keinen kompletten Schutz gibt. Wenn ich ein gutes Selbstwertgefühl habe und du als Leserin mein Buch kritisierst, dann denke ich womöglich, wie traurig es ist, dass ich dir kein besseres Leseerlebnis vermitteln konnte. Das hätte ich ja gerne getan. Deine Kritik hat aber keinen Einfluss darauf, wie ich mich selber sehe und akzeptiere. Ich empfinde mich trotzdem als tüchtig und wertvoll. Der Schutz, den das Selbstwertgefühl verleiht, ist allerdings nicht allumfassend. Wenn ich immer wieder von unterschiedlichen Menschen, die ich treffe, kritisiert werde, für meine Sprache und meine Ansichten, für die Art wie ich bin, für meine intellektuellen und sozialen Talente, schadet das irgendwann meinem Selbstwertgefühl. Wenn ich oft genug höre, dass ich und das, was ich tue, nicht ausreichen, werde ich vermutlich bald zu dem Schluss kommen, dass wohl etwas daran ist. Kurz gesagt: Ein gut entwickeltes und gesundes Selbstwertgefühl ist robust und stabil, aber es ist weder unverletzlich noch konstant.
Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl
Es ist wichtig, zwischen Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu unterscheiden. Man könnte sagen, Selbstwertgefühl hängt mit dem Wesen eines Menschen zusammen und Selbstvertrauen mit dem, was ein Mensch tut. Ein gutes Selbstvertrauen zu haben bedeutet, dass man in der Lage ist, zu liefern. Es wächst, wenn man etwas hinbekommt oder für eine Leistung anerkannt wird.
Im Unterschied zum Selbstwertgefühl variiert das Selbstvertrauen je nach Situation. Eine Person kann zum Beispiel ein sehr gutes Selbstvertrauen haben, wenn es um bestimmte Dinge geht, zum Beispiel Sport oder andere körperliche Übungen. Und gleichzeitig kann ihr Selbstvertrauen sehr schwach ausgeprägt sein, wenn es etwa darum geht, vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen oder für sie zu kochen.
Auch wenn es in der Theorie nützlich ist, zwischen Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu unterscheiden, ist das im Alltagsleben nicht üblich. In der Praxis sehen viele Menschen einen Zusammenhang zwischen Leistung und Selbstwert und bewerten sich selbst aufgrund ihrer Leistungen. Ich möchte daher unterstreichen, dass ich, wenn ich darüber spreche, wie Erwachsene das Selbstwertgefühl von Kindern stärken können, dies unabhängig von den Leistungen des Kindes sehe.
Warum ist Selbstwertgefühl so wichtig?
»Ich bin gut, genauso wie ich bin.« »Ich muss nichts an mir ändern, damit andere Menschen mich lieben.« Davon überzeugt zu sein ist wertvoll und wichtig. Ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten Eltern ihre Kinder mit genau diesem Zutrauen auf ihren Weg durchs Leben schicken möchten. Wie wir unseren eigenen Wert sehen, hat Auswirkungen auf unser Verhalten gegenüber uns selbst, gegenüber anderen Menschen und auch gegenüber den Herausforderungen und Freuden des Lebens. Selbstwertgefühl spielt eine große Rolle. Ich möchte einige Beispiele geben.
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Selbstwertgefühl hängt zusammen mit unserem Vermögen, authentisch zu agieren, also in Übereinstimmung mit den eigenen Bedürfnissen und Werten statt aufgrund von Gesetzen, Strafen oder Belohnungen. Es ist sehr viel einfacher, für die eigenen Bedürfnisse und Werte einzustehen (zum Beispiel keinen Alkohol zu trinken, obwohl die Freunde sich darüber lustig machen), wenn man selbst akzeptiert, was man tut.
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Eng verbunden mit Authentizität ist Integrität, also eine Haltung, die andere darum bittet, die eigenen Bedürfnisse zu respektieren und sich so zu verhalten, dass sie respektiert werden (»Sei so lieb und frage, bevor du mich umarmst. Ich möchte selbst entscheiden, ob ich Körperkontakt haben möchte oder nicht«). Auch wenn man sich selbst akzeptiert, ist es nicht einfach, so zu reagieren, und doch ist es viel einfacher als für jemanden, der an seinem eigenen Wert zweifelt. Denn wie soll man dann glauben, dass die eigenen Bedürfnisse wertvoll sind? Wie soll man glauben, dass ein anderer daran interessiert ist, wie es einem geht?
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Wenn man weiß, dass man tüchtig ist, so wie man ist, dann wagt man es auch, selbstständig zu sein, also eigene Träume zu haben und eigene Wege im Leben zu gehen und sich zu verwirklichen (zum Beispiel in der Oberstufe zusätzliche Mathe-Nachhilfestunden zu nehmen, auch wenn niemand sonst in der Klasse das tut und viele sagen, dass das nicht nötig sei). Man weiß ja, dass man wertvoll ist, unabhängig davon, ob man so ist wie alle anderen oder nicht. Wenn man aber daran zweifelt, wenn man glaubt, dass man sein wirkliches Ich verstecken muss, um geliebt und akzeptiert zu werden, ist es ziemlich unlustig, anders als die anderen zu sein. Dann geht man lieber denselben Weg wie die meisten und versucht, sich anzupassen.
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Auch der Mut ist verbunden mit dem Selbstwertgefühl. Mutig zu sein bedeutet, unberechenbar zu sein. Dinge zu tun, bei denen man nicht weiß, ob sie einem gelingen. Wenn man ein gesundes Selbstwertgefühl hat, weiß man, dass man wertvoll ist, egal wie die Leistung ausfällt. Deshalb ist es vergleichsweise einfach, neue Sachen auszuprobieren und ein Misslingen zu riskieren (zum Beispiel solo zu singen beim Abschlusskonzert der Schule, auch wenn man nicht weiß, was die anderen denken). Mit schwachem Selbstwertgefühl aber zweifelt man, dass man gut genug ist, und verbindet den eigenen Wert mit der erbrachten Leistung. Deswegen bevorzugt man sicheres Terrain, man macht Dinge, bei denen man davon ausgehen kann, dass man klarkommt, statt sich dem Risiko des Misslingens auszusetzen (»Denk nur, wenn die anderen finden, dass ich schlecht singe! Es ist besser, dass ich gar kein Solo singe, sondern wie immer nur im Chor bin«).
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Wer ein gesundes Selbstwertgefühl hat, ist sich der eigenen Gefühle bewusst und akzeptiert sie. Auf diese Weise wird es auch leichter, jede Art von Gefühl auszudrücken, nicht nur die sozial akzeptablen wie Freude oder Dankbarkeit, sondern auch die eher tabuisierten wie Unsicherheit, Wut, Angst und Kummer. Wenn das Selbstwertgefühl schwach ausgeprägt ist, will man am liebsten vermeiden, negative Gefühle zu zeigen. Man befürchtet, dass es als Zeichen mangelnder Stärke oder gar des Misslingens gedeutet wird, wenn man weint, wütend ist, oder Angst hat. Deswegen fühlt es sich am sichersten an, immer eine freudige Maske zu tragen, egal, was ich dahinter befindet.
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Die Fähigkeit, Bindungen einzugehen, wird geprägt von gegenseitigem Respekt und ist ebenfalls mit dem Selbstwertgefühl verbunden. Wenn dieses schwach ist, zweifelt man, ob man gut genug ist, so wie man ist. Das ist ganz schön anstrengend. Deswegen kann es sehr schön sein, wenn man andere findet, die ebenfalls nicht gut genug sind. Sie dürfen gerne auch ein bisschen weniger gut sein als man selber, weil man dann vielleicht ein oder zwei Stufen in der eigenen Rangliste emporklettert. Eine Person mit schwachem Selbstwertgefühl vergleicht sich immer mit anderen Menschen und bemüht sich, an ihnen Fehler zu finden (»Ha ha ha! Ich habe eine bessere Mathearbeit als Jonas geschrieben. Er konnte nicht mal diese leichte Aufgabe lösen!«). Manchmal hat man Erfolg, manchmal nicht und dann sucht man den Fehler bei sich selbst (»Mia kann viel besser zeichnen als ich!«). Unabhängig davon, wie schlecht die Voraussetzungen sind, für eine Beziehung ist es wichtig, wenn man sowohl sich selbst als auch dem anderen mit Respekt begegnet. Wer ein gesundes Selbstwertgefühl hat, weiß, dass er wertvoll ist, dass jeder Mensch, jeder auf seine Weise, wertvoll ist. Er weiß, dass er sich nicht vergleichen muss, dass er beim anderen keine Fehler suchen...
Erscheint lt. Verlag | 2.8.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
Schlagworte | Eltern • Erziehung • Familie • Gleichwürdigkeit • Kindererziehung • Kinderseele • Kleinkind • Kommunikation • Pädagogik • Respekt • Selbstbewusstsein • Selbstwertgefühl • Trotzphase • Wertschätzung |
ISBN-10 | 3-432-11740-X / 343211740X |
ISBN-13 | 978-3-432-11740-9 / 9783432117409 |
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