Psychomotorik in der Natur (eBook)

Arbeitsbuch für die Praxis
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
180 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61712-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Psychomotorik in der Natur -  Thorsten Späker
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Die Natur bietet eine Fülle von Anregungen zur Entwicklungsförderung von Kindern. Sie eröffnet abwechslungsreiche Bewegungslandschaften, sinnesreiche Wahrnehmungsmöglichkeiten und gemeinschaftsbildende Projekte. Sie regt kreative Gestaltung, symbolisches Spiel und erlebnisreiche Erfahrungen an, welche für die Psychomotorik hilfreich eingesetzt werden können. Das Buch bietet 80 fantasievolle Impulse zur psychomotorischen Praxis in der Natur, in Form von Aufwärm- und Wahrnehmungsspielen, zum Bauen, Konstruieren und Gestalten, für Sozialerfahrungen und entwicklungsbezogene Spielthemen. Ergänzt werden sie durch eine fachliche Einordnung, praktische Anleitungen und rechtliche Hintergründe zu Sicherheits- und Gefahrenfragen. Also, Matschhose oder Regenjacke an und nichts wie raus aus dem Haus und hinein in Wald und Wiese!

Dr. Thorsten Späker ist Motologe mit Arbeits- und Forschungsschwerpunkt im Bereich Naturerfahrungen und ihre Bedeutung für die menschliche Entwicklung und Gesundheit. Er lehrt im Arbeitsbereich "Motologie und Psychomotorik" der Philipps-Universität Marburg sowie als Dozent der Deutschen Akademie - Aktionskreis Psychomotorik.

Dr. Thorsten Späker ist Motologe mit Arbeits- und Forschungsschwerpunkt im Bereich Naturerfahrungen und ihre Bedeutung für die menschliche Entwicklung und Gesundheit. Er lehrt im Arbeitsbereich "Motologie und Psychomotorik" der Philipps-Universität Marburg sowie als Dozent der Deutschen Akademie - Aktionskreis Psychomotorik.

1Naturerfahrungen als Basis einer gesunden Entwicklung

„Fragt mich aber jemand nach meinen Kindheitserinnerungen, dann gilt mein erster Gedanke trotz allem nicht den Menschen, sondern der Natur. Sie umschloss all meine Tage und erfüllte sie so intensiv, dass man es als Erwachsener gar nicht mehr fassen kann. Der Steinhaufen, wo die Walderdbeeren wuchsen, die Leberblümchenstellen, die Schlüsselblumenwiesen, die Blaubeerplätze, der Wald mit den rosa Erdglöckchen im Moos, das Gehölz rings um Näs, wo wir jeden Pfad und jeden Stein kannten, der Fluss mit den Seerosen, die Gräben, die Bäche und Bäume, an all das erinnere ich mich besser als an die Menschen. Steine und Bäume, sie standen uns nahe, fast wie lebende Wesen, und die Natur war es auch, die unsere Spiele und Träume hegte und nährte. In der Natur ringsum war auch all das angesiedelt, was unsere Fantasie zu erfinden vermochte. Alle Sagen und Märchen, alle Abenteuer, die wir uns ausgedacht oder gelesen oder gehört hatten, spielten sich nur dort ab, ja sogar unsere Lieder und Gebete hatten dort ihren angestammten Platz.“

(Lindgren, A. 2009, 64)

Astrid Lindgren spricht vielen Menschen aus der Seele, die mit und in der Natur aufgewachsen sind und die Naturerfahrungen in ihrer Kindheit als Abenteuer erlebt haben. Im Nachhinein werden die Erfahrungen in der Tendenz vielleicht etwas positiver dargestellt, als sie tatsächlich waren, werden doch auch unangenehme Bedingungen wie Kälte, Nässe, Stürme oder Regenwetter vorgekommen sein. Dennoch bleibt das Gefühl, dass intensive kindliche Naturerfahrungen einfach gut für die Entwicklung sein müssen. In der Theorie wird dabei zwischen vielen verschiedenen Begriffen unterschieden, die den Austausch zwischen Kind und Natur zu erfassen versuchen, wie z. B. Naturerleben, Naturkontakt, Naturbegegnung, Naturwahrnehmung oder Naturzugang (Lude 2021). Als Oberbegriff wird hier von „Naturerfahrung“ gesprochen.

Wenn in diesem Buch von Natur die Rede ist, meint dies im Wesentlichen den konkret-praktischen Handlungsraum, wie z. B. den Außenraum der Einrichtung, ein gemietetes Naturgelände, Wald, Wiesen, Parks, Naturspielplätze, Flüsse, Seen, Meer, Gebirge etc. Der Begriff „Erfahrung“ meint dabei Erlebnisse des Betroffen-Seins, die auf vielfältige Weise Spuren beim Kind hinterlassen. Diese Erfahrungen müssen am eigenen Leib gemacht werden, um persönlichkeitsfördernd wirksam zu werden und sollten immer ganzheitlich gedacht werden, d. h. sie gehen einher mit körperlichen, psychischen und emotionalen Prozessen. Wenn Naturerfahrungen in diesem Sinne über den vertrauten Rahmen und das Gewohnte hinausreichen, können anregende Anreize und Kontraste geschaffen werden. Es ergeben sich neue Erkenntnisse, Lern- und Wissensstände, der Zugang zu bedeutenden Themen und alternativen Perspektiven wird eröffnet, was positive Auswirkungen auf das Handeln, Denken, Fühlen und die Persönlichkeit des Kindes haben kann.

Abb. 2: Matschen macht Spaß

Der Naturbegriff ist heute vor allem positiv besetzt, was dazu verleitet, ihm viele vorteilhafte und angenehme Eigenschaften zuzusprechen. Damit aber nicht eine romantische, schwärmerisch verklärte Sichtweise entsteht, sollen hier begründete und belegte Wirkungen und Potenziale von Naturerfahrungen in der Kindheit aufgeführt werden.

1.1Entwicklungspotenzial von Naturaufenthalten

War früher alles besser?

Die alle zwei Jahre durchgeführte KIM-Studie befragt rund 1.200 sechs bis 13 Jahre alte Kinder persönlich sowie deren HaupterzieherInnen mit Fragebogen zum Stellenwert der Medien und zu Freizeitaktivitäten im Alltag. Was schätzen Sie? Wie viele Kinder geben nach der KIM-Studie 2020 an, jeden oder fast jeden Tag draußen zu spielen?

Antwort 1: 25 %

Antwort 2: 45 %

Antwort 3: 65 %

Zu den vier häufigsten Freizeitaktivitäten jeden bzw. fast jeden Tag gehören Hausaufgaben / Lernen (71 %), Fernsehen (70 %), drinnen Spielen (51 %) und draußen Spielen (45 %). Auf die Frage, welche Freizeitaktivitäten am liebsten gemacht werden, sind das Treffen mit Freunden sowie das Draußenspielen Spitzenreiter (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020). Die Kinder gehen also nach eigenen Angaben nach wie vor am liebsten nach draußen und spielen mit FreundInnen, auch wenn sie im realen Alltag offensichtlich öfter vor dem Fernseher sitzen und drinnen spielen. Da ist der Wunsch wohl größer als das tatsächliche Handeln. Haben sich die Kinder heute also von der Natur entfremdet?

Diese Gegenüberstellung wird schnell herangezogen: Früher war alles besser und wir haben noch draußen gespielt und heute hängen die Kinder nur noch vor dem Fernseher, dem Handy, der Spielkonsole oder anderen elektronischen Unterhaltungsmedien rum. Auch wenn die Kinder sicherlich die neuen Medien vielfältiger nutzten als noch vor einigen Jahren, lässt sich dies nicht ganz so leicht verallgemeinern. Es gibt so viele Waldkindergärten wie noch nie, hunderttausende junge PfadfinderInnen, engagierte Kinder in der Naturschutzjugend oder anderen Umweltorganisationen, interessierte kindliche NatursportlerInnen und vielfältige naturpädagogische Angebote in Kita, Schule und Freizeit.

Einen differenzierteren Blick kann die Milieuforschung bieten: Während Kinder und Jugendliche aus prekären Milieus sehr wenig Naturerfahrungen, wenig Wissen über ökologische Zusammenhänge, eine Naturentfremdung und einen wenig emotionalen Bezug zur Natur aufweisen, haben Kinder und Jugendliche aus sozialökologischen Milieus sehr viele Naturkontakte und einen sehr positiven Bezug zur Natur. Dazwischen gibt es viele, denen die Natur nicht egal ist, die sich aber auch nicht besonders für sie interessieren (Wippermann / Wippermann 2010).

Elternhaus, Freunde, Bildungsniveau etc. sind also nur einige Faktoren, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Einschätzung von Naturentfremdung in der heutigen Kindheit geht. Früher war also nicht alles besser, nur anders und auch heute sind noch viele Kinder täglich draußen.

Abb. 3: Gemeinsam ein Zwergenhaus bauen

Der Erfahrungsraum Natur als Entwicklungsmotor

Es lässt sich leicht behaupten, dass die Entwicklung von Kindern gefördert wird, wenn sie häufig draußen sind. Welche Studien können hier aber hinzugezogen werden, um dies auch theoretisch zu untermauern? Die individuelle Entwicklung von Kindern betrifft im Wesentlichen ihre körperlich-motorischen, psychisch-emotionalen, sozial-emphatischen und kognitiv-geistigen Fähigkeiten, die in wechselseitigen Beziehungen zueinander stehen. Entwicklung wird dabei durch innere und äußere Bedingungen angetrieben und muss immer innerhalb ihrer gesellschaftlichen und lebensweltlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden (Flammer 2017).

Eine entscheidende Frage für das Thema dieses Buches ist folglich: Inwieweit spielt auch der Raum, in dem Entwicklung stattfindet, eine Rolle? Im Speziellen also: Inwiefern können Erfahrungen im Naturraum die körperliche, psychische, soziale und kognitive Entwicklung von Kindern anregen? Macht es einen Unterschied, ob ich mit oder ohne Naturerfahrungen aufwachse?

Schauen wir uns also beispielhaft einige Studien zu diesem Themengebiet an und beginnen mit dem Vergleich von Wald- und Regelkindergarten. Kinder in Waldkindergärten verbringen ihren pädagogischen Alltag überwiegend in freier Natur. Haben sie dort die ersten Lebensjahre verbracht, konnte Häfner (2002) nachweisen, dass die Kinder im späteren Verlauf in der Schule – im Vergleich zu den Kindern aus den Regelkindergärten – von den LehrerInnen signifikant besser in den Bereichen Mitarbeit im Unterricht, Sozialverhalten und Motivation und Konzentration eingeschätzt werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Untersuchung von Gorges (2002), bei der die Kinder aus den Waldkindergärten in allen abgefragten Lern- und Verhaltensbereichen besser als der Durchschnitt der Klasse abschnitten, besonders im Sachunterricht. Sie überzeugten durch positiveres Sozialverhalten, eine höhere Lernmotivation, ein größeres Konzentrationsvermögen und eine größere motorische Geschicklichkeit.

In einer Studie von Kiener (2004) wurde zudem deutlich, dass Kinder aus dem Waldkindergarten bessere Ergebnisse in den angewandten Kreativitätstests erzielten. Ergänzend konnten Scholz / Krombholz (2007) nachweisen, dass Kinder aus Waldkindergärten bessere motorische Fähigkeiten und eine größere körperliche Fitness in fast allen Bereichen vorweisen können (Balancieren, Halten an der Reckstange, seitliches Hin- und Herspringen, Pendellauf, vorwärts Hüpfen links). Schon 1997 stellen Grahn et al. fest, dass die Kinder aus den Waldkindergärten auch deutlich weniger Krankheitstage haben als die Kinder aus den Regelkindergärten.

Späker et al. (2018) untersuchten ergänzend mit standardisierten Testverfahren die sprachlichen und sozial-emotionalen Fähigkeiten von fünf- und sechsjährigen Kindern aus Regel-, Wald- und Bewegungskindergärten. In der sprachlichen Entwicklung erreichten die Kinder aus dem Waldkindergarten im Vergleich zu den beiden anderen Kindergartenformen deutlich bessere Werte im Sprachverständnis, in der Grammatikentwicklung und im Silben erkennen (phonologische Bewusstheit). In der Entwicklung von Resilienz wurde deutlich, dass die Kinder aus dem Waldkindergarten höhere Werte in der Kontaktfähigkeit (spielt mit anderen Kindern, kann attraktive Spiele initiieren, teilt sich anderen Kindern mit etc.) und in...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport
Sozialwissenschaften Pädagogik Sonder-, Heil- und Förderpädagogik
Schlagworte Aufwärmspiele • Bewegung • draußen aktivitäten • Entwicklung • Entwicklungsförderung • Erlebnispädagogik • gemeinschaftsbildende Projekte • Gesundheit • Körperwahrnehmung • Motologie • Motopädagogik • Motopädie • Naturerfahrung • Naturerleben • Naturpädagogik • Naturtherapie • Naturwahrnehmung • psychomotorische Entwicklungsförderung • psychomotorische Erziehung • psychomotorische Praxis • Selbsterfahrung • Sinneswahrnehmung • Spiele in der Natur mit Kindern • Spielesammlung • Wahrnehmung • Waldkindergarten • Wirkung von Naturerfahrung
ISBN-10 3-497-61712-1 / 3497617121
ISBN-13 978-3-497-61712-8 / 9783497617128
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