Was kribbelt da so schön? (eBook)
269 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86759-9 (ISBN)
Magdalena Heinzl ist Klinische Sexologin, Sozialarbeiterin, Sexual-, Trauma- und Theaterpädagogin und als Sexualtherapeutin in ihrem Zentrum für Sexuelle Bildung in Puchenau bei Linz tätig. Seit ihrer Arbeit in einem Kinderschutzzentrum unterstützt sie Pädagog:innen an Schulen und Kindergärten durch Weiterbildungen und Workshops, bildet Sexualpädagog:innen aus und gibt Kurse für Eltern. Auf Instagram und in ihrem Podcast nimmt sie als @sexologisch humorvoll die Scham und setzt sich für Equality, Empowerment und Selbstliebe ein.
Vorwort
»Hallo, Magdalena! Ich weiß, dich erreichen hier bestimmt viele Nachrichten. Ich versuche aber trotzdem mein Glück, da ich nicht weiß, wen ich sonst fragen soll. Meine Tochter (6) fragt mich immer, wenn sie sieht, dass ich die Pille nehme, was das ist. Sie weiß noch nicht, was ›Sex‹ ist und wie die Babys in den Bauch kommen – nur wie sie wieder rauskommen. Hast du vielleicht eine Idee für mich, wie ich ihr das am besten erklären kann? Liebe Grüße, Z.«
»Hi, ich hab da mal eine Frage: Mein Partner und ich diskutieren seit Längerem. Ich gebe unseren Kindern (2 und 4 Jahre) immer einen Kuss auf den Mund. Er findet das befremdlich. Er sagt, dass bei ihm nur Liebespaare sich auf den Mund küssen und seine Eltern ihm maximal ein Bussi auf die Wange gegeben hätten. Ich kenne das aus meiner Familie aber ganz anders. Darf ich mein Kind auf den Mund küssen oder nicht?«
»Wie erkläre ich einem Eineinhalbjährigen, dass Mama wieder ein Baby bekommt? Irgendwie bin ich da überfragt. Eizelle und Samenzelle ist doch viel zu komplex, oder? Was kann er denn schon verstehen?«
»Ich habe meinen Sohn (5) mit zwei Freund*innen (ebenfalls 5) im Gartenhaus dabei erwischt, wie sie sich gegenseitig an den Genitalien berührt haben und sich auch abgeleckt haben. Ist das normal? Ich habe sie erst mal getrennt, weil ich überfordert war. Möchte ihm aber keinen negativen Zugang zu seiner Sexualität geben, da ich selbst lang genug zu kämpfen hatte damit, weil meine Eltern nie darüber gesprochen haben. Kannst du mir sagen, wie ich das in Zukunft besser lösen kann?«
»Meine Tochter (3) hat mitbekommen, wie ich meinen Tampon gewechselt habe, und stellt nun viele Fragen. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich will sie nicht überfordern, sie aber auch nicht anlügen. Kannst du mir weiterhelfen?«
»Unser siebenjähriger Sohn fragt mich immer, ob ich (weiblich) und meine Freundin auch Sex haben und wie das denn geht. Irgendwie dachte ich, es wäre leichter darüber zu sprechen. Nun habe ich aber Angst, ihn zu überfordern. Es ist mir unangenehm. Dennoch hat er sich eine Antwort verdient. Wie kann ich ihm das erklären?«
Na, wie geht es dir beim Lesen dieser Anfragen? Kommst du ins Schwitzen? Bist du verwundert, überfordert oder vielleicht schockiert? Das sind nur einige Beispiele von Fragen, die mich als Sexualpädagogin und klinische Sexologin jeden Tag erreichen. Sowohl bei Informationsabenden für Eltern als auch über die sozialen Netzwerke. Und ich muss gestehen: Auch mich haben diese Fragen ganz am Anfang nervös gemacht und nicht immer hatte ich gleich eine gute Antwort parat.
Doch weil ich der festen Überzeugung bin, dass alle Menschen auf ihre Fragen gute Antworten verdient haben – vor allem beim Thema Sexualität –, habe ich mich auf die Suche gemacht. Und nun möchte ich mit dir das Wissen teilen, das ich über viele Jahre sammeln durfte. Ich möchte dich dabei unterstützen, gute Antworten zu finden, und dir dabei grundlegende Informationen über die kindliche sexuelle Entwicklung mitgeben.
Denn leider stelle ich immer wieder fest, dass Erwachsene über die kindliche Sexualität nur wenig bis gar nicht miteinander sprechen. Vielleicht aus Scham, weil sie noch immer ein Tabuthema ist. Vielleicht aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Vielleicht aus Überforderung, nicht die richtigen Worte zu finden. So erhalte ich – still und heimlich – viele hundert Nachrichten von Eltern und Bezugspersonen, die meinen Rat suchen. Es entsteht der Eindruck, als ob es sonst niemanden gibt, mit dem man sich zu Fragen der kindlichen Sexualität vorurteilsfrei und offen austauschen kann. Und das, obwohl einem dieses Wissen den Erziehungsalltag enorm erleichtert.
Das merke ich an den vielen positiven Rückmeldungen, die ich infolge von Informationsabenden erhalte. Die Eltern und Bezugspersonen äußern sich sehr dankbar, sie sind froh, dass es ihnen nun leichter fällt, ihren Alltag zu meistern, und fragen: »Wo kann ich all die Informationen, die du uns mitgegeben hast, nachlesen?« Und weil ich auf diese Frage bisher keine gute Antwort geben konnte, entstand die Idee, dieses Buch zu schreiben.
Wir alle sind von Geburt an sexuelle Wesen und unsere Sexualität verändert und entwickelt sich ein Leben lang. Sie taucht nicht plötzlich mit der Pubertät auf und ist dann unverändert vorhanden, bis sie im Alter wieder verschwindet. Das ist ein Irrglaube, der weitverbreitet ist. Dem möchte ich in diesem Buch widersprechen und dich auf eine Reise durch die sexuelle Entwicklung mitnehmen.
Vielleicht hast du dieses Buch nicht nur gekauft, um zu erfahren, wie du dein Kind in seiner Entwicklung begleiten kannst, sondern auch vor sexueller und sexualisierter Gewalt schützen kannst. Leider glauben viele Erwachsene, dass es mit einem Workshop zum Thema »Gewalt und Neinsagen« getan ist. Doch Präventionsarbeit ist weit mehr als das. Sie muss aktiv im Alltag gelebt werden. Es liegt in der Verantwortung der erwachsenen Bezugspersonen, sich mit dem unangenehmen Thema auseinanderzusetzen und so den Schutz der Kinder sicherzustellen.
Im Kinderschutzzentrum habe ich Kinder, Jugendliche, Eltern und Helfer*innen, die sexuelle und sexualisierte Gewalt erlebt haben, unterstützt. Ich war bei polizeilichen Einvernahmen und habe Kinder zu ihren Aussagen vor Gericht begleitet. Dabei sind mir zwei Dinge bewusst geworden. Erstens: Ich will nicht »nur« Pflaster kleben, nachdem bereits etwas passiert ist. Diese Arbeit ist unendlich wichtig und wertvoll. Aber ich will davor ansetzen. Denn zweitens: Die beste Präventionsarbeit findet im Alltag statt und nennt sich »Sexuelle Bildung von Anfang an«.
Es ist die Aufgabe von uns Erwachsenen, uns dem Thema »Körperwahrnehmung« anzunehmen. Wir müssen selbst lernen, unsere körpereigenen Grenzen zu spüren, um eine genussvolle Sexualität zu leben. Denn nur wenn wir unsere eigene Sexualität als angenehm und förderlich empfinden, können wir unseren Kindern ein gutes Vorbild sein. Dazu gehört auch die Reflexion der eigenen Sexualbiografie (siehe Kap. 1), zu der ich dich schon jetzt herzlich einladen möchte.
Kinder beobachten, wie wir mit unseren Gefühlen und Grenzen umgehen, und tun es uns gleich. Wenn wir ihnen Erfahrungsräume eröffnen, können sie selbst herausfinden, was sich für sie gut anfühlt und womit sie sich wohlfühlen – aber auch, welche Gefühle und Situationen ihnen unangenehm sind. Sie lernen, sich in ihrem eigenen Körper zu spüren und ihn als etwas Wertvolles zu schätzen. Egal ob dick, dünn, groß oder klein – jeder Körper ist einzigartig und bietet dem Menschen, der sich damit durchs Leben bewegt, einen wunderbaren Raum. Positive Rückmeldungen und Erfahrungen mit dem eigenen Körper stärken den Selbstwert und das Selbstbewusstsein.
Und hier beginnt Gewaltprävention: indem man seinen Körper spürt, die eigenen Gefühle wahrnimmt und daraus ableitet, wo die eigenen Grenzen liegen. Denn nur wer seinen eigenen Körper als etwas Wertvolles erachtet und gelernt hat, ihn zu spüren, der kann auch Grenzen wahrnehmen und setzen. Die Gewaltprävention für unsere Kinder beginnt also bei uns. Sie beginnt damit, dass wir unseren Kindern zeigen, dass es keine Tabuthemen gibt, keine unzulässigen Fragen, kein »Darüber spricht man nicht«. Sie beginnt damit, dass wir Erwachsene unsere Kinder dazu ermutigen, all das zu fragen, was sie wissen möchten.
Häufig fürchten Eltern, dass sie ihre Kinder mit früher Sexualaufklärung auf »blöde Gedanken« bringen, sie überfordern oder sie sogar »zugänglicher« für Menschen machen, die ihren Kindern sexuelle oder sexualisierte Gewalt zufügen wollen. Diese Ängste sind durchaus nachvollziehbar, aber unbegründet. Denn wir wissen aus zahlreichen Studien, dass aufgeklärte Kinder sich besser spüren, ihre körpereigenen Grenzen besser kennen und damit geschützter sind. Im Falle einer Grenzverletzung sind sie in der Lage, schneller Hilfe zu holen, und sie können mit Worten ausdrücken, was passiert ist. Aufgeklärte Kinder wissen, dass sie mit all ihren Fragen und Unsicherheiten zu ihren Bezugspersonen kommen können, und müssen daher keine unseriösen Quellen nutzen, um an Informationen zu gelangen.1 Eine frühe Sexualaufklärung gemäß der jeweiligen kindlichen Entwicklungsphase führt also nicht zu Überforderung oder Verunsicherung. Sie hilft Kindern...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
ISBN-10 | 3-407-86759-X / 340786759X |
ISBN-13 | 978-3-407-86759-9 / 9783407867599 |
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