Sagen und Legenden aus dem Westerwald (eBook)

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
160 Seiten
Kraterleuchten GmbH (Verlag)
978-3-95540-765-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sagen und Legenden aus dem Westerwald - Daniel Robbel
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Geschichten, wie Sie sie noch nie gehört haben Im Westerwald pfeift der Wind kalt und die Nacht ist lang. Kaum verwunderlich, dass in diesem Viereck zwischen Sieg, Dill, Lahn und Rhein manchsagenhafte Geschichte gedeiht. Gruselige Gestalten treiben in der Dunkelheit ihr Unwesen und auch Hexerei ist hier keine bloße Theorie. Aber Halt! Nicht alles istschauderhaft! Die Sagen und Legenden des Westerwalds kommen oft mit einer spitzen Prise Humor und erfrischender Nüchternheit daher. Erleben Sie die Geschichten von der 'Boller Mosch', dem Tholm und dem Petermännchen so, wie Sie sie noch nie gehört haben.

Daniel Robbel, Jg. 1984, ist Journalist und Autor und lebt im Ahrtal. Nach dem Studium der Germanistik und Politik in Bonn schrieb er zunächst für eine Tageszeitung als freier Mitarbeiter. Heute ist er stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung BLICK aktuell. Daniel Robbel hat verschiedene Sachbücher verfasst, darunter Reiseführer über den Westerwald und das Ahrtal.

TEIL 1

DIE LEGENDE VOM BOLLER MOSCH


Dort, vor der Hütte auf den zusammengeschobenen Heuballen, wo sie eben noch ruhig zusammensaßen, herrschte Aufruhr. Die Kinder standen im Eingangsbereich und blickten wie gebannt durch die glaslosen Fenster des Bauernhauses. Von drinnen erklang ein Poltern und Toben, ein Gequietsche und Gezwitscher. Eine Mehlschwalbe segelte vor wenigen Minuten hinein. Doch der Unfug, den der Vogel auf der Suche nach einem Ausgang innerhalb der Hütte anstellte, wurde schnell durch die hilflosen Versuche des Bauern überboten, das Tier mit Hilfe eines Reisigbesens wieder an die frische Wäller Luft zu setzen. Allerlei Inventar flog laut krachend durch die Gegend – sehr zur Freude der Kinder des Dorfes, die sich an dem Bild erfreuten. Nur wenige Minuten dauerte das Spiel, bis es dem Bauern gelang, die Schwalbe durch eine Dachluke zu scheuchen. Dann wandte er sich den scherzenden Kindern zu und scheuchte sie in gespieltem Zorn über die Straße, die laut kichernd um die nächste Hausecke verschwanden, um sich ein neues Spiel zu suchen. Der Bauer hingegen setzte sich kurz ab, wischte sich mit seiner Schürze den Schweiß von der Stirn und hob grüßend die Hand in Richtung der gegenüberliegenden Straßenseite. Da stand Vinzenz von Krummenscheyd, der das Gewusel, das die Schwalbe anrichtete, mit mildem Lächeln beobachte. Vinzenz grüßte zurück.

»Das Monster ist verjagt, was?«, rief er. Der Bauer lachte ein wenig atemlos, als er sich auf den Weg zu ihm machte.

»Ein harter Kampf, Vinzenz, ein harter Kampf. Stehst Du schon lange hier?«, fragte der Bauer.

»Lange genug, um mich an deinem Duell mit dem Vögelchen zu erfreuen!«

Der Bauer grunzte vergnügt.

»Lass gut sein. Ich frage dich: Hast du Matthes gesehen?«

Matthes war ein junger Bursche, fleißig und hilfsbereit. Er half dem Bauern, wann immer Arbeit anfiel, bei der Ernte wie der Saat. Arbeiten, die er nicht immer alleine verrichten konnte. Und deshalb war Matthes, obgleich er nicht wirklich in Lohn und Brot bei ihm stand, dem Bauern eine große Hilfe. Heute hatte Matthes versprochen, ihm beim Schichten des Feuerholzes zu helfen. Es hätte keine Münze dafür gegeben. Aber eine Mahlzeit bekommt er nach getaner Arbeit immer serviert, auch wenn es meist nur ein einfacher Brei ist.

»Sag bloß, du hättest ihn nach der Schwalbe jagen lassen?«, fragte Vinzenz lachend.

»Nein, nein!« Der Bauer erklärte, dass sein Scheitholz noch draußen läge und doch dringend ins Haus müsste. Gerstenbrei hätte es ja auch gegeben.

Als die Kinder des Dorfes lachend und rennend um die Hausecke kamen, ergriff Vinzenz die Gelegenheit.

»He da!«, rief er.

Die Kinder bremsten ab und unterbrachen ihr Spiel. Denn sie hatten Respekt vor Vinzenz vor Krummenscheyd. Nicht nur, dass er von großem Wuchs war, schindete Eindruck. Er galt als weiser Mensch, dessen Ratschläge von allen Dorfbewohnern, groß wie klein, gerne angenommen wurden. Fragte einer Vinzenz um Rat leuchteten seine blauen Augen keck und gerne half er wo er konnte. Die Menschen mochten ihn dafür, und viele freute es, wenn er aus dem Dorf ins nahe Altenhofen kam. Ja, Vinzenz war beliebt. Und mutig war er auch. Und so fühlten sich die Menschen wohl behütet, wenn er in der Nähe war.

»Kinder, seid so gut! Helft dem Mann mit seinem Holz. Es ist nicht viel. Aber wer den größten Scheit tragen kann, bekommt die größte Schüssel Brei!«

Der Bauer sah Vinzenz mit großen Augen an.

»Oder, Bauer?«, fragte Vinzenz.

»Nun … ja! Freilich!«

»Seht ihr, los jetzt! Ab!« Vinzenz deutete auf die Hütte, in der eben noch die Schwalbenjagd stattfand. Die Kinder hüpften in Richtung der Bauernkate und der Bauer, der nun wieder zu Atem kam, ging hinterher.

Vinzenz schaute noch ein wenig zu, bevor er sich auf einen Baumstumpf setzte und seine Tabakspfeife reinigte. Die Kinder gaben sich in Erwartung der willkommen Zusatzmahlzeit redlich Mühe im Schleppen des Feuerholzes. Aber wo war Matthes? Der Bauer hatte recht. Der einst aufrichtige junge Mann wurde in letzter Zeit selten gesehen. Vinzenz wusste, warum. Die Antwort hieß Evchen, eine junge Magd, redlich und hübsch. Wenig verwunderlich, dass Matthes seine Pflichten hier und dort ein wenig schleifen ließ. Wessen Herz voller Liebe ist, hat nur wenig Zeit für Arbeit. Zumal das Evchen nicht im Dorf wohnte, sondern am Ende des Mehrbachtals. Allein das Hin- und Herreisen dauerte. Und so blieb das Feuerholz manchmal draußen.

Doch die Dorfbewohner verziehen es Matthes stets. Jeder kannte das Evchen und alle waren sich einig, dass ihre Bekanntschaft eine glückliche Fügung sein musste. Vinzenz schüttelte amüsiert den Kopf. Kein Scheitholz mag dieser Verbindung im Wege stehen und auch kein Brei lockt den Matthes zurück ins Dorf. Wahrscheinlich mochte er bereits gerade auf dem Weg zu seiner Angebeteten sein. Sputen sollte er sich, dachte er, denn die Schwalben flogen tief. Ein untrügliches Zeichen für einen Wetterwechsel hinüber zum Gewitter. Und ein weiterer Gedanke kam ihm in den Sinn. Die Alten und ganz Jungen erzählen sich gerne schaurige Märchen. Uralt sind die zumeist, doch eine neue Erzählung macht derer Zeiten die Runde. Im Mehrbachtal soll es spuken, hieß es. »Als wären unsere alten Geschichten nicht gut genug«, murmelte Vinzenz und zog gedankenverloren an seiner Pfeife.

Matthes war von einem Hochgefühl erfasst und atmete tief die Waldluft ein. Tausende Gerüche in einem Streich drangen an seine Nase. Feuchtes Moos, morsches Holz, das frische Wasser des Mehrbachs bildeten eine angenehme Melange. Doch im Grund seines Herzens waren ihm die Wohlgerüche sehr egal, denn dort war nur Platz für die Eine. Evchen hieß sie und fast an jedem Tage machte er sich auf zu ihrem kleine Zuhause, dass einige Kilometer entfernt in Hirzbach stand.

Dazu musste er das Mehrbachtal durchqueren. Schon immer war dieser Ort Gegenstand zahlreicher mahnenden Geschichten der Alten. Es hieß, dass es hier spuken würden. Matthes ließ sich von den Geschichten weder aus der Ruhe noch von seinem Plan abbringen, seine Herzensdame zu besuchen. Geht es nach den Alten, spukt es doch überall, befand er ganz aufgeklärt. Anstatt sich den Schauermärchen hinzugeben, setzte er seinen Weg durch das durchaus malerische Tal fort und kam nur kurze Zeit später in Hirzbach an.

Evchen stand bereits von der Tür und erwartete ihren Liebsten, der bereits in Sichtweite kam. Sie winkte fröhlich. Matthes freute sich. »Wie hübsch sie doch ist!«, dachte der junge Mann immer wieder auf ein Neues. Und ja, es wurde ihm warm um sein Herz. An diesem Herbstmorgen schien die Sonne mit mildem Lichte auf die Holzhütte, in der Evchen mit ihren Eltern und Geschwistern lebte. Ein leichter Wind ging und die zarten Birken wiegten sich in dessen Kraft. Hühner und Hähne scharrten nach Würmern und Samen im trockenen Boden. Und Evchen stand dort, mit Schürze am Leib und Besen in der Hand. »Ein Ort zum Altwerden«, dachte Matthes und war glücklich beseelt von dieser Vorstellung.

Auch wenn Matthes noch einige Meter entfernt war, legte sie den Besen beiseite und öffnete grüßend die Arme. Eine lange Umarmung folgte und die beiden setzten sich auf eine der beiden Bänke gleich vor der Tür. Evchen brachte ihrem Matthes etwas Bier, der daraufhin von den Erlebnissen der letzten Tage erzählte. Viel zu erzählen gab es da weiß Gott nicht, der junge Mann verbrachte schließlich mehr Zeit in Hirzbach als in Altenmühlen. Durch diese Gewissheit in ihrer Liebe bestärkt, kicherten sie vergnügt. Matthes plauderte über den Müller, der sich immer ungeschickt anstellte und gewiss sein Leben lang Hilfe brauchen würde, um nur einen Sack Mehl zu mahlen. Und über einen schönen glitzernden Stein, den er dem Spukgeist im Mehrbachtal geklaut habe und Evchen ganz gewiss bald schenken werde. Die beiden lachten. Matthes übertrieb gerne, um seine Liebste zu beeindrucken. Evchen nahm ihm das nicht krumm, im Gegenteil. Sie fühlte sich sehr geschmeichelt, wenn sich ihr Matthes als großer Abenteurer aufspielte. Gerade dann, wenn er für sie vermeintliche Geister beraubte.

Eine andere Gewissheit ist – und dies weiß ein jeder, der einmal verliebt war –, dass die Zeit schneller verfliegt, umso schöner sie verbracht wird. Evchen und Matthes vergaßen alles um sich, wenn sie miteinander in Gespräche vertieft waren, die nur durch gelegentliche Zärtlichkeiten unterbrochen wurden. So fiel es den beiden zunächst nicht auf, dass die dünnen Birken von dem Wind nun ein wenig heftiger geschüttelt wurden. Laub fiel auf den Erdboden, von dem die Hühner sich bei ihrer Suche nach Essbarem bereits abgewandt hatten und nun im Stroh in ihrem Unterschlupf pickten. Und tatsächlich, von Südwesten her schoben sich düstergraue Wolken über den Horizont und verdunkelten den zuvor tiefblauen Himmel zügig. Sorgenvoll blickte Matthes auf die schwarzgrauen Formationen. Schwül war es und es brauchte nicht lange, bis die ersten dicken Regentropfen platschend in den Staub fielen.

»Es wäre besser, wenn ich jetzt gehe.« Matthes schaute traurig drein bei diesen Worten.

»Aber warum?«, fragte Evchen und legte ihre Hand auf seine. »Bleib doch hier und warte den Sturm ab.«

»Und was ist, wenn es die ganze Nacht gewittert? Wenn ich morgen nicht im Dorf...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2022
Reihe/Serie Sagen und Legenden
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Altenkirchen • Dornburg • Hachenburg • Neustadt • Rennerrod • Waldbrunn • Westerburg • Wilnsdorf
ISBN-10 3-95540-765-9 / 3955407659
ISBN-13 978-3-95540-765-0 / 9783955407650
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