Die Sportpalast-Rede 1943 (eBook)

Goebbels und der »totale Krieg«

(Autor)

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2023
208 Seiten
Siedler Verlag
978-3-641-30570-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Sportpalast-Rede 1943 - Peter Longerich
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»Wollt ihr den totalen Krieg?« Zum 80. Jahrestag von Goebbels' Sportpalast-Rede 1943
Sie gilt als perfides Musterbeispiel der Nazi-Propaganda: Mit seiner Sportpalast-Rede inszenierte sich Joseph Goebbels im Februar 1943 als Aufpeitscher einer kriegsbegeisterten deutschen »Volksgemeinschaft«. Für den Propagandaminister aber ging es um mehr - eine Machtprobe mit dem »Führer«. Peter Longerich zeichnet in seinem Buch die Vorgeschichte, die Bedeutung und die Nachwirkung der berüchtigten Rede nach - und zeigt, wie systematisch Goebbels den Weg in seinen »totalen Krieg« plante.

Peter Longerich, geboren 1955, lehrte als Professor für moderne Geschichte am Royal Holloway College der Universität London und war Gründer des dortigen Holocaust Research Centre. Von 2013 bis 2018 war er an der Universität der Bundeswehr in München tätig. Er war einer der beiden Sprecher des ersten unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestags und Mitautor der Konzeption des Münchner NS-Dokumentationszentrums. Seine Bücher über die »Politik der Vernichtung« (1998) und ihre Resonanz in der deutschen Bevölkerung, »Davon haben wir nichts gewusst!« (2006), sind Standardwerke. Seine Biographien über »Heinrich Himmler« (2008), »Joseph Goebbels« (2010) und »Hitler« (2015) fanden weltweit Beachtung. Zuletzt erschienen »Wannseekonferenz« (2016), »Antisemitismus. Eine deutsche Geschichte« (2021) sowie »Die Sportpalast-Rede 1943. Goebbels und der totale Krieg« (2021)

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Goebbels’ Rede zum »totalen Krieg« – Text und Kommentar


Die Rede wurde am 18. Februar zwischen 17 und 19 Uhr gehalten und um 20 Uhr vom Rundfunk ausgestrahlt. Es handelte sich also, was den Zuhörern nicht mitgeteilt wurde, um eine Aufzeichnung, und es ist nicht auszuschließen, dass die Tonaufnahme vor der Ausstrahlung verändert wurde, indem man etwa Beifallsstürme verlängerte oder die Lautstärke der Publikumsreaktionen im Saal erhöhte. Der hier abgedruckte und kommentierte Text basiert auf dieser Aufzeichnung – und nicht auf der in den Zeitungen bzw. in einer Broschüre veröffentlichten Druckfassung, die im Vergleich doch einige Änderungen aufweist, bis hin zum Einfügen oder Fortlassen von Halb- oder ganzen Sätzen. Dabei werden alle wesentlichen Reaktionen aus dem Publikum vermerkt. Ausschnitte aus der Rede wurden via Wochenschau verbreitet, eine vollständige Filmdokumentation scheint nicht zu existieren.

Der Ort der Veranstaltung, der an der Potsdamer Straße im Bezirk Schöneberg befindliche Sportpalast,[1] hatte in der Geschichte der Berliner NSDAP seit der ersten Massenversammlung im Jahre 1928 eine bedeutende Rolle gespielt und symbolisierte für sie und ihre Anhängerschaft als »alte Kampfstätte des Nationalsozialismus« (so der Völkische Beobachter in seinem Bericht über die Goebbels-Rede am 19. Februar) den atemberaubenden politischen Erfolg der Nationalsozialisten bei der Erringung einer Massenbasis.

Die faktische Alleinverfügung über die Nutzung des Gebäudes für politische Veranstaltungen besaß die NSDAP (sprich die Berliner Gauleitung, also Goebbels) allerdings erst seit 1933. Während der gesamten Zeit der Weimarer Republik hielten so gut wie alle größeren Parteien im Sportpalast Massenkundgebungen ab. Vor 1933, aber auch noch danach, wurde die 1910 eröffnete imposante und von störenden Pfeilern im Innenraum freie Mehrzweckhalle – über 110 Meter lang, 54 Meter breit und fast 20 Meter hoch[2] – ansonsten für Eissportveranstaltungen, Revuen, Radrennen, Boxkämpfe und anderes genutzt. Das verlieh dem Palast eine populäre Note, die dann von der NS-Propaganda mit der Erzählung von der »alten Kampfstätte« verwoben wurde. Für viele besaß der Ort somit eine ganz besondere Aura. Hier konnte man es – ob beim Sechstagerennen oder bei politischen Massenveranstaltungen – so richtig »krachen lassen«, ja, hier herrschte mitunter eine Atmosphäre, die Goebbels schon 1930 mit »einem Irrenhaus« verglich.[3]

Während die NSDAP im Sportpalast in den Jahren 1930 bis 1932 noch über sechzig Massenveranstaltungen abhielt und 1933 sowie 1934 jeweils über vierzig, reduzierte Goebbels in den folgenden Jahren das Programm auf wenige Highlights. Der Sportpalast wurde vor allem zur Bühne für seine eigenen Auftritte. Wenn Hitler in den Jahren bis 1939 hier eine Rede hielt, was jedoch eher selten vorkam, so war es jeweils Goebbels, der ihn wie einen Ehrengast empfing, üblicherweise mit einer eigenen einleitenden Rede. Eifersüchtig achtete Goebbels darauf, dass außer Göring, der aufgrund seiner herausragenden Machtposition ein gewisses Sonderrecht genoss, andere NS-Größen hier möglichst selten und wenn, dann meist mit ihm zusammen vor das Publikum traten. Auf diese Weise sorgte er dafür, dass der Sportpalast in erster Linie mit seiner Person in Verbindung gebracht wurde und gewissermaßen als Kultstätte des einst von ihm, Goebbels, angeführten »Kampfes um Berlin« in den letzten Jahren der Weimarer Republik fungierte.

Nach dem Beginn des Krieges trat Hitler hier turnusmäßig zweimal im Jahr auf, jeweils zur Feier des 30. Januars sowie im Herbst zur Eröffnung des Winterhilfswerks. In der Regel wurde er dabei, wie eben schon erwähnt, von Goebbels anmoderiert. Hinzu kamen vereinzelt Ansprachen Hitlers vor Offiziersanwärtern und Nachwuchsoffizieren sowie wenige Massenkundgebungen aus besonderem Anlass.

Die Zusammenstellung des diesen Veranstaltungen willig folgenden Publikums wurde im Laufe der Zeit für Goebbels zur Routine. Als Hitler hier auf dem Höhepunkt der Sudetenkrise am 26. September 1938 seine mit größter Spannung erwartete Rede hielt, hatte Goebbels nach eigenem Bekunden »die Versammlung bis in alle Einzelheiten vorbereitet. Das Publikum soll nur Volk darstellen.«[4] Auch Hitlers Auftrag von Mitte August 1941, im Sportpalast eine »richtige Volksversammlung ohne Prominente« vorzubereiten, erfüllte Goebbels gewissenhaft: »Ich werde schon dafür sorgen, daß er das richtige Publikum hat.«[5]

Zur Situation im Saal am 18. Februar 1943 ist zu sagen, dass die Vorderseite des wuchtigen Rednerpults mit einer Hakenkreuzfahne bedeckt war und an der Wand im Hintergrund zwei weitere große Hakenkreuzfahnen hingen. Ansonsten war der riesige Raum – dem Thema entsprechend – sparsam dekoriert, damit sich die Aufmerksamkeit des Publikums auf die hinter dem Redner an der Stirnseite auf einem Spruchband angebrachte Parole »Totaler Krieg – Kürzester Krieg« konzentrierte.

Die Veranstaltung war von zahlreichen Prominenten besucht, die teilweise auch auf den erhaltenen Wochenschau-Aufnahmen identifiziert werden können, darunter die bekannten Schauspieler Heinrich George, Eugen Klöpfer und Bernhard Minetti. Was Politikprominenz angeht, so ist die Teilnahme von Rüstungsminister Albert Speer, DAF-Führer Robert Ley und Fritz Sauckel, Hitlers Generalbevollmächtigtem für den Arbeitseinsatz, gesichert, denn alle drei werden von Goebbels in seiner Rede direkt angesprochen. Darüber hinaus können wir annehmen, dass die in Goebbels’ Tagebuch als Gäste einer anschließenden Party erwähnten Personen – Justizminister Otto Georg Thierack sowie die Staatssekretäre Wilhelm Stuckart, Erhard Milch und Hellmut Körner – ebenfalls bei der Veranstaltung zugegen waren.

Formal besteht die Rede aus drei Teilen: erstens aus einer allgemeinen Einleitung, in der Goebbels seinen Zuhörern den Ernst der Lage vor Augen führt, verbunden mit der Versicherung, diese Lage wahrhaftig darzustellen, und schließlich aus dieser Situation allgemein die Entschlossenheit zum Handeln ableitet. Zweitens, im Hauptteil der Rede, stellt er zunächst drei Thesen auf, die er sodann ausführlich begründet. Im dritten Teil folgen dann als Höhepunkt und Abschluss die zehn Fragen, die das Publikum mit rasender Zustimmung beantwortet.

Inhaltlich argumentiert Goebbels im Kern, dass der Kampf gegen die tödliche Bedrohung durch den Bolschewismus, die er plastisch ausmalt, weitaus größere Opfer erfordere, als sie bislang gebracht worden seien, nämlich den »totalen Krieg«. Das Volk – repräsentiert durch das Publikum im Saal – sei nicht nur bereit, diese Opfer auf sich zu nehmen, sondern fordere sie sogar ein. Damit stellt die Rede gleichsam ein Plebiszit für den »totalen Krieg« dar.

Ferner ist sie von vier argumentativen Nebenlinien durchzogen: 1. Hinter dem Bolschewismus stehe das Judentum, und nur dessen Vernichtung würde auch ein Ende des so gefährlichen bolschewistischen Systems bedeuten. 2. Die Bedrohung richte sich nicht nur gegen Deutschland, sondern gegen das gesamte zivilisierte Europa, von dem folglich ebenfalls größere Kriegsanstrengungen verlangt werden müssten. 3. Die Fähigkeit der NS-Regierung, sich dem Ansturm aus dem Osten erfolgreich entgegenzustellen, wurzele in den Erfahrungen, die man in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in der »Kampfzeit« gewonnen habe. 4. Die Maßnahmen zum »totalen Krieg« verlangten der gesamten Bevölkerung Opfer ab, insbesondere aber von der Oberschicht, deren angeblich mangelnde Bereitschaft, sich in die Kriegsanstrengungen einzubringen, Goebbels im Verlauf der Rede immer wieder kritisiert.

Der »plebiszitäre« Charakter der Veranstaltung kommt natürlich am deutlichsten in dem Zustimmungsorkan am Schluss der Rede zum Ausdruck. Doch letztlich ist die gesamte Rede als Dialog mit dem Publikum angelegt; die am Ende so vehement ausbrechende Zustimmung zu den zehn Fragen wird also von Anfang an bei den Zuhörern im Saal aufgebaut. Wäre es Goebbels nicht gelungen, diese Klimax in der Zwiesprache mit dem Publikum zu erzielen, wäre die Wirkung seiner zehn Fragen wohl weitgehend verpufft. Die Steigerung der Zustimmung ist folglich ein zentrales Element der Veranstaltung, präzise kalkuliert und auch entsprechend vorbereitet. So liegt es auf der Hand, dass Sprechchöre wie »Deutsche Männer ans Gewehr! Deutsche Frauen an die Arbeit!« nicht spontan im Saal zustande gekommen sind, sondern bereits zuvor eingeübt wurden. Zudem können wir davon ausgehen, dass der Gau Berlin der NSDAP über einschlägige Erfahrungen im Umgang mit solchen Stimmungselementen in geschlossenen Sälen verfügte. »Sie reagierten auf die kleinste Nuance und gaben Beifall genau an den richtigen Stellen«, zitierte Albert Speer hierzu eine Bemerkung, die Goebbels ihm gegenüber unmittelbar nach der Rede gemacht haben soll. Es handele sich, so Goebbels weiter, um »das politisch bestgeschulte Publikum, das Sie in Deutschland finden können«.[6] Goebbels wusste, wovon er sprach.

In der Tat offenbart die Tonaufnahme der Rede, dass das Publikum fast jedes Mal, wenn Goebbels seine Stimme hebt, um einer Aussage besondere Bedeutung...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Schlagworte 2023 • 2. Weltkrieg • Adolf Hitler • Berlin • Deutschland • eBooks • Geschichte • Gewaltherrschaft • Goebbels • Heimatfront • Holocaust • Judenverfolgung • Kriegsende • Nationalsozialismus • Neuerscheinung • NS-Herrschaft • Propaganda • Radikalisierung • Totaler Krieg • Weltkrieg • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-30570-5 / 3641305705
ISBN-13 978-3-641-30570-3 / 9783641305703
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